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VwGH vom 23.11.2016, Ra 2016/04/0085

VwGH vom 23.11.2016, Ra 2016/04/0085

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der A GmbH in S, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 19, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-1148/001-2015, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei:

Stadtgemeinde Tulln, vertreten durch die Hoffmann Sykora Rechtsanwälte KG in 3430 Tulln, Nußallee 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/04/0007, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (UVS) vom betreffend die Abweisung des Antrags der Revisionswerberin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung der mitbeteiligten Partei (Auftraggeberin) in einem näher bezeichneten Vergabeverfahren (Vergabe eines Bauauftrags über das Gewerk "Badewasseraufbereitung" im Wege einer Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich darin mit der Zulässigkeit der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen gemäß § 373a GewO 1994 sowie mit der Bedeutung der vorliegend ergangenen Auskunft des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ), wonach näher umschriebene Tätigkeiten ohne Anzeige erbracht werden können, für den Ausscheidenstatbestand des § 129 Abs. 1 Z 11 BVergG 2006 befasst und ist dabei zu folgendem Ergebnis gelangt:

"Fallbezogen war daher aus vergaberechtlicher Sicht davon auszugehen, dass die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Erbringung der von der Dienstleistungsanzeige aus 2010 bzw. von der Auskunft des BMWFJ aus 2011 erfassten Dienstleistung nur von der Erfüllung der gesetzlich normierten Voraussetzungen abhängig war."

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes festgehalten:

"Die Auskunft des BMWFJ aus dem Jahr 2011 entbindet fallbezogen aber nur unter der Voraussetzung von der Verpflichtung zur Erstattung einer neuerlichen Anzeige nach § 373a Abs. 4 zweiter Satz GewO 1994, dass diese Rechtsauskunft diejenigen Tätigkeiten betraf, deren zulässige Ausübung gegenständlich in Frage steht.

Im vorliegenden Fall lässt sich zwar der Wiedergabe der Stellungnahme der Auftraggeberin entnehmen, dass sich die Anzeige der Zuschlagsempfängerin aus dem Jahr 2010 auf das Gewerbe ‚Gas- und Sanitärtechnik' bezogen hat. Die als Reaktion darauf ergangene Rechtsauskunft des BMWFJ stellte allerdings ihrem Wortlaut nach auf die von der Zuschlagsempfängerin in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten des Baues und der Projektierung wassertechnischer Anlagen ab.

Eine Überprüfung, ob die hier ausschreibungsgegenständlichen Leistungen von den Tätigkeiten, die Gegenstand der Rechtsauskunft des BMWFJ waren, abgedeckt sind, erfordert aber in jedem Fall entsprechende Feststellungen zum gegenständlichen Ausschreibungsgegenstand, die jedoch fehlen. In diesem Zusammenhang ist auch von Belang, dass die Revisionswerberin - schon im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren - vorgebracht hat, dass die von der Zuschlagsempfängerin in Deutschland ausgeübte (und im Schreiben des BMWFJ aus dem Jahr 2011 angesprochene) Tätigkeit der Projektierung und des Baues von wasser- und abwassertechnischen Anlagen mit dem im Hinblick auf das Leistungsbild der vorliegenden Ausschreibung erforderlichen Gewerbe der Gas- und Sanitärtechnik nicht deckungsgleich sei. Auch in dieser Hinsicht finden sich im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen.

Soweit die belangte Behörde festhält, dass - wenn für die Errichtung der Schwimmbadtechnik in Österreich die Befugnis des Gas- und Sanitärgewerbes ausreicht - dies auch für ein in Deutschland ansässiges Unternehmen gelten müsse, legt sie - soweit sie damit zum Ausdruck bringen möchte, dass die Zuschlagsempfängerin über ein mit dem uneingeschränkten Gewerbe der Gas- und Sanitärtechnik vergleichbares deutsches Gewerbe verfügt - nicht dar, auf Grund welcher Feststellungen sie das Vorliegen einer derart uneingeschränkten gewerberechtlichen Befugnis annimmt."

2 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, angefochtenen Erkenntnis des zuständig gewordenen Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich wurde der Antrag der Revisionswerberin auf Feststellung, dass die Zuschlagserteilung an die W GmbH rechtswidrig erfolgt sei, ebenso wie der Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühren abgewiesen. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

3 Das Verwaltungsgericht holte von der Auftraggeberin und der Zuschlagsempfängerin jeweils ergänzende Äußerungen ein. Weiters wurden von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz und der Handwerkskammer (HWK) Chemnitz Stellungnahmen eingeholt, zu denen die Revisionswerberin ihrerseits eine Äußerung erstattete.

Im Zuge seiner Feststellungen stellte das Verwaltungsgericht den Gegenstand des Vergabeverfahrens dar und gab die Leistungsbeschreibung hinsichtlich des vorliegend maßgeblichen Teilloses "Schwimmbadtechnik" wieder. Zur Durchführung des gegenständlichen Auftrags sei (u.a.) die Befugnis des reglementierten Gewerbes der Gas- und Sanitärtechnik notwendig. Gestützt auf die Stellungnahmen der Zuschlagsempfängerin sowie der IHK Chemnitz und der HWK Chemnitz ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Unternehmensgegenstand der Zuschlagsempfängerin - lautend auf "Projektierung und Bau wasser- und abwassertechnischer Anlagen sowie Beratung, Planung und Realisierung von Projekten für Schwimmbad, Freizeit- und Therapieanlagen" - die im Rahmen der Verordnung der Bundesinnung der Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechniker über die Befähigungsprüfung für das reglementierte Gewerbe Gas- und Sanitärtechnik und die in deren Anhang genannten Tätigkeiten umfasse. Bei den im Abs. 1 des Anhangs der Gas- und Sanitärtechnik-Befähigungsprüfungsverordnung genannten Tätigkeiten handle es sich "ganz überwiegend um Tätigkeiten, die auch in Deutschland meisterpflichtig" seien.

4 In seinen rechtlichen Erwägungen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass "der Unternehmensgegenstand der Zuschlagsempfängerin für das gegenständliche Verfahren insoweit deckungsgleich mit dem Inhalt des österreichischen Gewerbes der Gas- und Sanitärtechnik" sei. Die Zuschlagsempfängerin sei daher berechtigt, Tätigkeiten auszuüben, die dem Gewerbe der Gas- und Sanitärtechnik entsprechen. Sohin umfasse die Rechtsauskunft des BMWFJ aus dem Jahr 2011 die Tätigkeiten, deren zulässige Ausübung gegenständlich in Frage stand.

Es handle sich vorliegend um eine reglementierte Tätigkeit im Sinn des § 373a Abs. 1 Z 1 GewO 1994. Allerdings liege bei der Zuschlagsempfängerin ein Industriebetrieb vor und der BMWFJ habe in seiner Auskunft bestätigt, dass für einen Industriebetrieb der Nachweis einer Befähigung nicht vorgeschrieben sei.

Die Zuschlagsempfängerin sei daher befugt gewesen, ihre Tätigkeit in Österreich im Rahmen des gegenständlichen Vergabeverfahrens auszuüben, weshalb der Feststellungsantrag abzuweisen war.

5 Die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die vom Verwaltungsgerichtshof (im Vorerkenntnis Ro 2014/04/0007) geforderten Feststellungen vor allem durch die eingeholten Stellungnahmen nachgeholt worden seien. Der Sachverhalt habe sich auf Grund der ergänzenden Stellungnahmen als entscheidungsreif erwiesen und eine mündliche Verhandlung habe eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lassen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, die Revision zurückzuweisen bzw. - in eventu - ihr nicht Folge zu geben. II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revisionswerberin führt in ihrer Begründung der Zulässigkeit unter anderem die unterbliebene Durchführung einer (von ihr beantragten) mündlichen Verhandlung ins Treffen. Weiters bringt sie vor, dass die angefochtene Entscheidung entgegen den Vorgaben des hg. Erkenntnisses Ro 2014/04/0007 keine ausreichenden Feststellungen enthalte.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8 Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes über den Berechtigungsumfang der Zuschlagsempfängerin und über den vorliegenden Ausschreibungsgegenstand sowie über das Verhältnis dieser zueinander bzw. zur Auskunft des BMWFJ aus dem Jahr 2011 ausreichend sind, weil bereits dem Revisionsvorbringen zur unterlassenen mündlichen Verhandlung Berechtigung zukommt.

9 Nach § 14 Abs. 2 des Niederösterreichischen Vergabe-Nachprüfungsgesetzes (NÖ Verg-NG) kann die Verhandlung - soweit dem Art. 6 EMRK nicht entgegensteht - ungeachtet eines (hier vorliegenden) Parteiantrages entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der verfahrenseinleitende Antrag abzuweisen ist (Z 3).

Auch wenn § 14 Abs. 2 NÖ Verg-NG - anders als § 24 Abs. 4 VwGVG bzw. § 316 Abs. 1 BVergG 2006 - nicht ausdrücklich auf Art. 47 GRC Bezug nimmt, sind die diesbezüglichen Vorgaben vorliegend zu beachten (vgl. zu diesen Vorgaben das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0196).

Fallbezogen ist von Bedeutung, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis eine ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen hat. Zudem hat die Revisionswerberin nicht nur in ihrer Revision fehlende Feststellungen moniert bzw. die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die eingeholten Stellungnahmen getroffenen Feststellungen bestritten, sondern sie hat bereits in ihrer - im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen - Stellungnahme vom dargelegt, welche Schlussfolgerungen aus den eingeholten Stellungnahmen der IHK Chemnitz und der HWK Chemnitz für den Umfang der Befugnis der Zuschlagsempfängerin ihrer Ansicht nach zu ziehen seien, und somit konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Ausgehend davon konnte nicht allein auf Grund der Aktenlage als feststehend angenommen werden, dass der Antrag der Revisionswerberin abzuweisen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich war (vgl. zur ergänzenden Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/05/0058).

Schon aus diesem Grund belastete das Verwaltungsgericht das

angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit.

10 Ergänzend ist Folgendes anzumerken:

Die Revisionswerberin moniert fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob sich ein Auftraggeber hinsichtlich der Anforderungen des § 373a GewO 1994 damit begnügen könne, dass der Bieter ein "Industriebetrieb" sei, auch wenn nach dem nationalen (deutschen) Recht dafür ein Befähigungsnachweis nicht erforderlich sei. Die Revisionswerberin nimmt in diesem Zusammenhang ein Abweichen der angefochtenen Entscheidung vom hg. Erkenntnis vom , 84/04/0088, an, demzufolge grundsätzlich "eine innerstaatliche Anerkennung des Industrieprivilegs notwendig sei". Diesbezüglich genügt der Hinweis auf das Vorerkenntnis Ro 2014/04/0007, in dem der Verwaltungsgerichtshof aus den dort dargelegten Gründen (siehe insbesondere zur nicht vorliegenden Verpflichtung der Auftraggeberin, die Auskunft des BMWFJ aus dem Jahr 2011 auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, die Pkte. 5.3.1. und 5.3.2.) festgehalten hat, dass dem "Industriebetriebsprivileg" nach § 7 Abs. 5 GewO 1994 fallbezogen keine Relevanz zukomme.

Die Revisionswerberin moniert weiters, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass vor Angebotsabgabe keine neuerliche Anzeige (im Sinn des § 373a Abs. 4 GewO 1994) zu erfolgen habe. Die angefochtene Entscheidung weiche diesbezüglich auch vom hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0018, ab, weil ausgesprochen werde, dass für die Ausübung einer besonders gefahrengeneigten Tätigkeit keine Bestätigung nach § 373a Abs. 5 Z 2 GewO 1994 erforderlich sei. Auch dazu wird auf das Vorerkenntnis Ro 2014/04/0007 verwiesen, in dem dargelegt wurde, dass die Erstattung einer weiteren Anzeige aus vergaberechtlicher Sicht - bei Vorliegen der darin genannten, oben wiedergegebenen Voraussetzungen - nicht erforderlich sei.

11 Dessen ungeachtet war das angefochtene Erkenntnis im Hinblick auf die obigen Ausführungen in der Rz. 9 gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am