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VwGH 11.12.2013, 2012/04/0127

VwGH 11.12.2013, 2012/04/0127

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §8;
B-VG Art131 Abs2;
UVPG 2000 §3 Abs7;
RS 1
Die bf Marktgemeinde als Standortgemeinde der in Rede stehenden Materialgewinnungsstätte ist berechtigt, Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 3 Abs. 7 UVPG 2000 iVm Art. 131 Abs. 2 B-VG zu erheben und dabei die Einhaltung des objektiven Rechts geltend zu machen (vgl. zum Beschwerderecht der Standortgemeinde im Feststellungsverfahren - noch zur Rechtslage vor der UVPG-Novelle 2004, mit welcher der Standortgemeinde eine Berechtigung zur Beschwerdeerhebung eingeräumt wurde - den B vom , 2003/03/0087, und zum Beschwerderecht im Genehmigungsverfahren nach § 19 Abs. 3 UVPG 2000 das E vom , 2006/04/0005).
Normen
31992L0043 FFH-RL;
EURallg;
NatSchG NÖ 2000 §10;
NatSchG NÖ 2000 §37 Abs1 Z1;
UVPG 2000 §3 Abs7;
RS 2
Die Richtlinie 92/43/EWG wurde in Niederösterreich durch das NÖ NatSchG 2000, LGBl. 5500 (NÖ NSchG 2000), umgesetzt (vgl. den Umsetzungshinweis in § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ NatSchG 2000; vgl. zur Naturverträglichkeitsprüfung in § 10 leg. cit. etwa das E vom , 2004/10/0096) und ist daher im naturschutzrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. idS zum OÖ NatSchG 2001 das E vom , 2009/04/0235, mwN).
Normen
31985L0337 UVP-RL Art2 Abs1;
62012CJ0244 Salzburger Flughafen VORAB;
UVPG 2000 §3 Abs2;
RS 3
Nach der Rechtsprechung des EuGH wird der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten (hinsichtlich der Festlegung von Schwellenwerten oder Kriterien, um zu bestimmen, ob ein solches Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss) durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u.a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen (vgl. das Urteil "Salzburger Flughafen GmbH", Randnr. 29, mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Zirm, über die Beschwerde der Marktgemeinde A, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid des Umweltsenates vom , Zl. US 8A/2011/19-53, betreffend Feststellung nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 betreffend die Errichtung einer Materialgewinnungsstätte (weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend; mitbeteiligte Partei: M GmbH in S, vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Schreiben vom beantragte die mitbeteiligte Partei bei der NÖ Landesregierung die Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000, dass für die geplante Errichtung einer Materialgewinnungsstätte auf näher bezeichneten Grundstücken in der beschwerdeführenden Marktgemeinde keine Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden: UVP) durchzuführen sei. Die geplante Materialgewinnungsstätte diene dem Abbau von Sand und Kies. Die Aufschluss- und Abbauabschnitte würden eine Fläche von 18,1 ha umfassen. Der Abbau werde in Form einer Trockenbaggerung bis zum Niveau von 2 m über HHGW (dem höchstmöglichen Grundwasserstand) erfolgen. Geplant sei ein Abbau in neun Abschnitten mit sukzessiver Rekultivierung zur landwirtschaftlichen Folgenutzung. Der gewonnene Rohstoff werde am Tagbauareal mittels Versiebung und Kieswaschanlage aufbereitet.

2. Mit Bescheid vom stellte die NÖ Landesregierung nach dem von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahren unter Einbeziehung des wasserwirtschaftlichen Planungsorgans und der NÖ Umweltanwaltschaft fest, dass das von der mitbeteiligten Partei geplante Vorhaben nicht dem UVP-G 2000 und somit nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP unterliege.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Feststellungsbescheid der NÖ Landesregierung gemäß § 3 Abs. 7 iVm Anhang 1 Z. 25 lit. a UVP-G 2000, §§ 10 Abs. 2 und 12 USG 2000 und § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der im ergänzenden Ermittlungsverfahren eingeholten Amtssachverständigengutachten im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall stehe fest, dass die geplante und dem Abbau von Sand und Kies dienende Materialgewinnungsstätte auf näher bezeichneten Grundstücken der beschwerdeführenden Marktgemeinde eine Fläche von 18,1 ha umfasse. Damit erfülle das Vorhaben keinen Tatbestand des Anhangs 1 des UVP-G 2000. Der einschlägige Tatbestand der Z. 25 lit. a UVP-G 2000 setze nämlich eine Flächeninanspruchnahme von mindestens 20 ha voraus.

Ebenso nicht zur Anwendung gelange Anhang 1 Z. 25 lit. c des UVP-G 2000. Dieser Tatbestand normiere zwar einerseits mit 10 ha einen geringeren Schwellenwert, verlange jedoch andererseits, dass sich das geplante Vorhaben in einem schutzwürdigen Gebiet der Kategorie A oder E (für Nassbaggerung und Torfgewinnung der Kategorie C) befinde. Das geplante Vorhaben der mitbeteiligten Partei befinde sich jedoch zur Gänze außerhalb solcher Schutzgebiete: Sowohl das als schutzwürdige Gebiet der Kategorie A geltende Landschaftsschutzgebiet "Ybbsfeld-Forstheide" als auch das Natura 2000 Gebiet "Niederösterreichische Alpenvorlandflüsse", die beide westlich des geplanten Abbaugebietes situiert seien, würden physisch nicht berührt werden. Vorhaben, die in der Nähe eines schutzwürdigen Gebietes der Kategorie A gelegen seien, und auf dieses nur von außen einwirken, seien nicht unter den Tatbestand der Z. 25 lit. c UVP-G 2000 subsumierbar.

Auch aus dem Unionsrecht lasse sich Gegenteiliges nicht ableiten. Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26, vom , S. 1 (im Folgenden: UVP-RL) schreibe den Mitgliedstaaten vor, dass bei der Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III der Richtlinie zu berücksichtigen seien. Die in Anhang III enthaltenen Standortkriterien seien durch Anhang 2 des UVP-G 2000 abgedeckt. Damit werde auch der von der Beschwerdeführerin herangezogenen, in Anhang III Z. 2 der Richtlinie normierten Vorgabe, wonach die ökologische Empfindlichkeit der geographischen Räume, die durch Projekte möglicherweise beeinträchtigt werden, unter Berücksichtigung unter anderem der Belastbarkeit der Natur - und hier wiederum unter besonderer Beachtung von ausgewiesenen Schutzgebieten - beurteilt werden muss, vollständig entsprochen.

Die belangte Behörde führte weiters aus, dass sie sich nicht dazu veranlasst sehe, eine Vorabentscheidung des EuGH zur Frage einzuholen, ob Anhang II Z. 2 lit. a der UVP-RL durch Anhang 1 Z. 25 lit. a und c des UVP-G 2000 ausreichend umgesetzt sei: Zum einen aus den oben bereits dargelegten Überlegungen zu Anhang 1 Z. 25 lit. c UVP-G 2000 und zum anderen, da nicht zu erkennen sei, dass der Schwellenwert von 20 ha in Anhang 1 Z. 25 lit. a UVP-G 2000 unionsrechtswidrig sei. Der österreichische Gesetzgeber hätte sich für ein System der Schwellenwerte und Kriterien entschieden und dies in vielfacher Hinsicht mit Einzelfallprüfungen kombiniert. Diese Kombinationslösung sei als richtlinienkonform anzusehen und sei auch von der Europäischen Kommission in dem gegen Österreich geführten Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2006/2268 nicht beanstandet worden.

Im gegenständlichen Fall seien jedoch sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung der Kumulierungsbestimmung des § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 gegeben, da sich westlich der Ybbs, in ca. 250 Meter Entfernung eine weitere Materialgewinnungsstätte befinde, die gemeinsam mit dem gegenständlichen Projekt den Schwellenwert des Anhangs 1 Z. 25 lit. a UVP-G 2000 überschreite. In einer Einzelfallprüfung sei deshalb zu überprüfen gewesen, ob auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine UVP für das geplante Vorhaben durchzuführen sei.

Im angefochtenen Bescheid werden die in der durchgeführten Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 eingeholten Gutachten wiedergegeben.

Das vom Amtssachverständigen für Umweltmedizin erstattete Gutachten lautet auszugsweise:

"… Auf Grund epidemiologischer Studien geht man davon aus, dass pro 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft tagesmittelbezogene Immissionszunahme in einer exponierten Bevölkerung die Morbidität (Erkrankungshäufigkeit) um etwa 3 % und die Mortalität (Häufigkeit der Sterbefälle) um etwa 0,7 % ansteigt.

Auch ist in Hinblick auf die betreffende Beurteilungssituation noch erwähnenswert, dass für den gesunden Anrainer (ohne Vorerkrankungen) durch einen Betrieb mit einer Zusatzbelastung in der vorhin erwähnten Größenordnung (5 %ige Überschreitung = 2,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) kein relevant erhöhtes Risiko zu erkranken bzw. zu sterben besteht.

So ist eine Zunahme der Morbidität im Ausmaß von 0,75 % bzw. eine Zunahme der Mortalität um etwa 0,175 % in Bezug auf das Gesamtkollektiv (gesunde Personen ohne Vorerkrankungen ausgenommen) in epidemiologischer Sicht nicht nachweisbar (liegen im Toleranz/Trennschärfebereich) und erlangen daher in diesem Zusammenhang keine relevante medizinische Bedeutung und dies bedeutet schließlich, dass die in diesem Zusammenhang diskutierte Immissionssituation aus umwelthygienischer Sicht noch als positiv beurteilt werden könnte."

Im Hinblick auf dieses Gutachten führte die belangte Behörde aus, dass der Amtssachverständige für Umweltmedizin das Vorhaben hinsichtlich Feinstaub als grenzwertig positiv beurteile, da sich die Zahl der Überschreitungen des Tagesmittelwertes von PM10 im betreffenden Fall mit 24 knapp an der zulässigen Grenze von 25 bewege. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte inhaltliche Kritik am umweltmedizinischen Gutachten sei unbegründet. Die Aussagen des Amtssachverständigen würden von der Beschwerdeführerin missinterpretiert und auch rechnerisch falsche Schlüsse gezogen. Der Amtssachverständige führe lediglich aus, dass eine Zunahme der Morbidität im Ausmaß von 0,75 % bzw. eine Zunahme der Mortalität im Ausmaß von 0,175 % in Bezug auf das Gesamtkollektiv in epidemiologischer Sicht nicht nachweisbar seien und daher in diesem Zusammenhang keine relevante medizinische Bedeutung erlangten. Daraus ziehe der Amtssachverständige den Schluss, dass die gegenständliche Immissionssituation noch als positiv eingestuft werden könne. Es handle sich bei der Mortalitäts- und Morbiditätsrate um statistische Größen in der Epidemiologie, die die Krankheitshäufigkeit bzw. die Sterberate bezogen auf eine Gesamt- oder Teilpopulation beschrieben.

Zum Gutachten des Amtssachverständigen für Naturschutz führte die belangte Behörde (unter anderem) aus, dieses erweise sich als fundiert und gut begründet. Das geplante Abbauvorhaben werde zur Wirkkulisse der bestehenden Abbaufelder keinen relevanten Beitrag leisten. Der Amtssachverständige begründe dieses Ergebnis mit der Lage des geplanten Abbauvorhabens. Durch die Einhaltung eines 50 m breiten Streifens zur Oberkante des Steilhanges - das geplante Vorhaben befinde sich auf einer Hochterrasse - entstehe ein gewisser Geländepuffer zum Europaschutzgebiet. Zudem erfolge eine Abschirmung durch Maßnahmen, die dem Stand der Technik entsprächen (Begrenzungswall) sowie eine Abtiefung der Grubensohle im Zuge der Ausbeutung, wodurch ein relativ hoher Geländeriegel zwischen Grubenrand und Steilabfall zur Ybbs entstehe.

Dass sich die Ausführungen des Amtssachverständigen auf die Hangwälder konzentrierten und andere Lebensraumtypen sowie signifikante Arten außer Acht blieben, lasse sich damit erklären, dass dem Lebensraum Schlucht- und Hangmischwälder bei der gegenständlichen Begutachtung eine Schlüsselfunktion zukomme, da sie als Indikator für Effekte, die aus Summationswirkungen resultieren, dienten. Der Amtssachverständige hätte sich deshalb auf diesen Lebensraumtyp beschränkt, weil zum einen lediglich in Bezug auf die Schlucht- und Hangmischwälder ein Wirkungszusammenhang bestehe und zum anderen weil das Habitatpotential in Bezug auf Fledermausarten bzw. Eremit (eine in der FFH-Richtlinie angeführte Käferart) direkt mit dem Zustand der Schlucht- und Hangmischwälder verbunden sei. Der Amtssachverständige weise auch darauf hin, dass sich die Stabilität der Aussage durch eine gesonderte Betrachtung der Fledermäuse und des Eremiten nicht ändern würde.

Zum Amtssachverständigengutachten für Forsttechnik führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, auch die Ausführungen dieses Amtssachverständigen seien schlüssig und nachvollziehbar. Für die im Nahebereich der geplanten Anlage gelegenen Waldflächen seien nur Zusatzbelastungen in irrelevantem Ausmaß zu erwarten. Daraus könnten auch bloß irrelevante Zusatzbelastungen hinsichtlich der Depositionsgrenzwerte für Calciumoxid und Magnesiumoxid der

2. Durchführungsverordnung gegen forstschädliche Luftverunreinigungen abgeleitet werden. Die Aussage des Amtssachverständigen, dass kumulative Effekte im Vorhabensgebiet nicht gänzlich ausgeschlossen werden könnten, begründe - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - noch keine UVP-Pflicht. Bei der Einzelfallprüfung sei entscheidend, ob zu erwarten ist, dass auf Grund der Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Die erheblichen Auswirkungen müssen somit wahrscheinlich und nicht bloß möglich sein.

Auf Basis der in der Einzelfallprüfung nach § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 eingeholten Gutachten aus den Fachbereichen Geologie und Geohydrologie, Lärmtechnik, Naturschutz, Luftreinhaltung, Umweltmedizin sowie Forstwirtschaft komme die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit keinen erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei. Für die von der mitbeteiligten Partei geplante Materialgewinnungsstätte sei somit keine UVP nach dem UVP-G 2000 durchzuführen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Rechtslage:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000, BGBl. Nr. 697/1993 in der Fassung BGBl. I Nr. 77/2012 (UVP-G 2000), lauten:

"§ 3. …

(2) Bei Vorhaben des Anhangs 1, die die dort festgelegten Schwellenwerte nicht erreichen oder Kriterien nicht erfüllen, die aber mit anderen Vorhaben in einem räumlichen Zusammenhang stehen und mit diesen gemeinsam den jeweiligen Schwellenwert erreichen oder das Kriterium erfüllen, hat die Behörde im Einzelfall festzustellen, ob auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist. (…) Bei der Entscheidung im Einzelfall sind die Kriterien des Abs. 4 Z 1 bis 3 zu berücksichtigen, Abs. 7 ist anzuwenden. (…)

(7) Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhangs 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Hat die Behörde eine Einzelfallprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen, so hat sie sich dabei hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung zu beschränken. Die Entscheidung ist in erster und zweiter Instanz jeweils innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung haben der Projektwerber/die Projektwerberin, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung sind die mitwirkenden Behörden und das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. (…) Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. (…)

Anhang 1


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Bergbau
 
 
Z 25
a) Entnahme von mineralischen Rohstoffen im Tagbau (Lockergestein - Nass- oder Trockenbaggerung, Festgestein im Kulissenabbau mit Sturzschacht, Schlauchbandförderung oder einer in ihren Umweltauswirkungen gleichartigen Fördertechnik) oder Torfgewinnung mit einer Fläche* von mindestens 20 ha;
 
c) Entnahme von mineralischen Rohstoffen im Tagbau (Lockergestein - Nass- oder Trockenbaggerung, Festgestein im Kulissenabbau mit Sturzschacht, Schlauchbandförderung oder einer in ihren Umweltauswirkungen gleichartigen Fördertechnik) oder Torfgewinnung in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A oder E und für Nassbaggerung und Torfgewinnung auch Kategorie C, mit einer Fläche* von mindestens 10 ha;

"

2. Die beschwerdeführende Marktgemeinde erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im "Recht auf Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit" verletzt.

Zu diesem Beschwerdepunkt ist anzumerken, dass die beschwerdeführende Marktgemeinde als Standortgemeinde der in Rede stehenden Materialgewinnungsstätte berechtigt ist, Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 iVm Art. 131 Abs. 2 B-VG zu erheben und dabei die Einhaltung des objektiven Rechts geltend zu machen (vgl. zum Beschwerderecht der Standortgemeinde im Feststellungsverfahren - noch zur Rechtslage vor der UVP-G-Novelle 2004, mit welcher der Standortgemeinde eine Berechtigung zur Beschwerdeerhebung eingeräumt wurde - den hg. Beschluss vom , Zl. 2003/03/0087, und zum Beschwerderecht im Genehmigungsverfahren nach § 19 Abs. 3 UVP-G 2000 das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/04/0005).

3. Zunächst behauptet die beschwerdeführende Marktgemeinde als "Grundrechtsverletzung" von ihr näher angeführte Verstöße gegen Unionsrecht:

3.1. So bringt die beschwerdeführende Marktgemeinde vor, das Maß der Öffentlichkeitsbeteiligung sei nach der Richtlinie 2003/35/EG zu beurteilen. Der Bescheid verstoße insbesondere gegen Art. 2 der genannten Richtlinie.

Zu diesem Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass sich der von der Beschwerde angeführte Artikel 2 der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten - Erklärung der Kommission, ABl. L 156 vom S. 17 (Richtlinie 2003/35/EG), auf die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Programmen, die aufgrund der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vorschriften auszuarbeiten sind, bezieht. Der angefochtene Bescheid hat dagegen eine Materialgewinnungsstätte zum Gegenstand, bei der es sich nicht um einen Plan oder ein Programm im obigen Sinne handelt (vgl. zum Begriff des Planes oder Programmes in Abgrenzung zur Genehmigung eines Projektes das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom in den verbundenen Rechtssachen C-105/09 und C-110/09, Terre wallone ASBL, Inter-Environnement Wallonie ASBL gegen Region Wallonne). Inwieweit der angefochtene Bescheid gegen andere Bestimmungen der Richtlinie 2003/35/EG verstoßen sollte, wird durch die Beschwerde nicht dargetan.

3.2. Die Beschwerde führt weiter aus, die Umweltpolitik der Europäischen Union ziele auf ein hohes Schutzniveau ab. Art. 191 AEUV fordere "Erhaltung und Schutz der Umwelt, sowie Verbesserung ihrer Qualität". Der vorliegende Bescheid verstoße dagegen.

Mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen wird nicht dargetan, worin der behauptete Verstoß überhaupt liegen solle, sodass damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt wird.

3.3. Soweit die beschwerdeführende Marktgemeinde vorbringt, der angefochtene Bescheid verstoße gegen die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 206 vom , S. 7 (Richtlinie 92/43/EWG), weil das Vorhaben an ein näher bezeichnetes Natura 2000-Gebiet angrenze, genügt es darauf hinzuweisen, dass Gegenstand des angefochtenen Bescheides alleine die Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 ist, dass für das beantragte Vorhaben keine UVP durchzuführen ist.

Die Richtlinie 92/43/EWG wurde in Niederösterreich durch das NÖ Naturschutzgesetz 2000, LGBl. 5500 (NÖ NSchG 2000), umgesetzt (vgl. den Umsetzungshinweis in § 37 Abs. 1 Z. 1 NÖ NSchG 2000; vgl. zur Naturverträglichkeitsprüfung in § 10 leg. cit. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/10/0096) und ist daher im naturschutzrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. idS zum Oö. NSchG 2001 das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/04/0235, mwN).

3.4. Die beschwerdeführende Marktgemeinde behauptet weiters, Anhang II Z. 2 lit. a der UVP-RL sei durch die Schwellenwerte des Anhangs 1 Z. 25 lit. a und c UVP-G 2000 nicht ausreichend umgesetzt. Die Umsetzung beschränke sich darauf, dass in Z. 25 lit. a ein Schwellenwert von 20 ha, somit lediglich 5 ha weniger als in Anhang I Z 19 der UVP-RL festgelegt, sowie für schutzwürdige Gebiete der Kategorie A und E ein Schwellenwert von 10 ha festgelegt werde. Die übrigen Kriterien des Anhangs III der UVP-RL seien im UVP-G 2000 nicht berücksichtigt worden.

Es kann im Beschwerdefall dahinstehen, ob dieses Vorbringen überhaupt zutrifft (vgl. zur Vereinbarkeit des vergleichbaren Schwellenwertes nach Anhang 1 Z. 26 des UVP-G 2000 das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/04/0081; vgl. zur Vereinbarkeit von Schwellenwerten und zum Spielraum der Mitgliedstaaten das Urteil des EuGH im Urteil vom in der Rechtssache C-244/12, Salzburger Flughafen GmbH, insbesondere die Randnrn. 30 ff).

Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall ohnedies eine Einzelfallprüfung des beantragten Vorhabens nach § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 durchgeführt und in diesem Sinne in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Salzburger Flughafen GmbH" im Einzelfall bereits geprüft, ob das betreffende Projekt möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat.

3.5. Die beschwerdeführende Marktgemeinde behauptet darüber hinaus einen weiteren Verstoß gegen die UVP-RL. Die Richtlinie sehe im Anhang III den Standort der Projekte als Auswahlkriterium vor. Demnach müsse die ökologische Empfindlichkeit der geographischen Räume, die durch die Projekte "möglicherweise" beeinträchtigt werden, unter Berücksichtigung von ausgewiesenen Schutzgebieten beurteilt werden. Der angefochtene Bescheid sei hingegen der Ansicht, dass eine Verpflichtung zur UVP nur dann bestehe, wenn "erhebliche Auswirkungen wahrscheinlich" seien. Das sei unzutreffend im Lichte des Art. 3 Abs. 2 EUV und des Art. 191 AEUV über die Ziele der Umweltpolitik der EU. Der Bescheid gehe weiters davon aus, dass die Kausalität zwischen Vorhaben und Auswirkungen nachzuweisen sei, was ebenso nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche.

Nach der Rechtsprechung des EuGH wird der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten (hinsichtlich der Festlegung von Schwellenwerten oder Kriterien, um zu bestimmen, ob ein solches Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss) durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen (vgl. das Urteil "Salzburger Flughafen GmbH", Randnr. 29, mwN).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde eine Einzelfallprüfung des Vorhabens nach § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 durchgeführt und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass mit keinen erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei.

Es ist nicht zu sehen, dass diese Untersuchung der Auswirkung des geplanten Vorhabens mit der hier maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG, welcher inhaltlich mit Art. 2 Abs. 1 der UVP-RL übereinstimmt (vgl. auch die Entsprechungstabelle in Anhang VI der UVP-RL), nicht im Einklang gestanden ist.

3.6. Aus den dargelegten Erwägungen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, der Anregung der beschwerdeführenden Marktgemeinde auf Anrufung des EuGH zu folgen.

4. Die beschwerdeführende Marktgemeinde wendet sich auch gegen die Einzelfallprüfung nach § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 und macht geltend, die belangte Behörde hätte durch die Feststellung, durch die Zunahme der Sterblichkeit im Ausmaß von 0,175 % und die Zunahme der Erkrankungen im Ausmaß von 0,75 % sei mit keinen erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen, die Vorgaben in § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 unrichtig beurteilt. Das Gutachten des Amtssachverständigen, auf das sich die Behörde stütze, enthalte keine Hinweise auf Fachmeinungen oder Literatur und benenne auch nicht das Gesamtkollektiv, auf das sich seine Aussage beziehen solle. Wenn der Amtssachverständige die Einwohner von Amstetten gemeint hätte, wären dies 205,28 zusätzlich erkrankte Personen und 47,90 verstorbene Personen. Auf die Standortgemeinde bezogen wären dies 3,54 zusätzlich verstorbene und 15,15 zusätzlich erkrankte Personen. Diese Zahlen seien als erheblich schädlich im Sinne des § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 anzusehen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Unschlüssigkeit des von der belangten Behörde herangezogenen Gutachtens für Umweltmedizin auf. In diesem Gutachten wird im Ergebnis ausgeführt, dass die festgestellte Zunahme der Morbidität bzw. Mortalität in epidemiologischer Sicht nicht nachweisbar sei und daher keine relevante medizinische Bedeutung erlange. Diesen Aussagen tritt die Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen.

5. Zu der behaupteten Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht im Hinblick auf die Belastung durch Löschkalk enthält die Beschwerde im Hinblick auf das im angefochtenen Bescheid behandelte Vorhaben (Abbau von Sand und Kies) sowie die Aussagen des forsttechnischen Amtssachverständigen, es seien nur Zusatzbelastungen in irrelevantem Ausmaß zu erwarten, aus denen auch bloß irrelevante Zusatzbelastungen hinsichtlich Calciumoxid und Magnesiumoxid abgeleitet werden könnten, keine ausreichend konkrete Relevanzdarstellung.

Insoweit die Beschwerde eine vorgreifende Beweiswürdigung der Behörde behauptet, weil die Behörde (in der Beschwerde nicht näher genannten) Beweisanträgen auf Ergänzung des naturschutzkundlichen Gutachtens nicht nachgekommen sei, ist Folgendes festzuhalten:

Die Beschwerde begründet die Notwendigkeit dieser Beweisanträge damit, dass das Entstehen des Geländeriegels, der das Europaschutzgebiet vom beantragten Vorhaben abschirme, ungewiss sei. Der Amtssachverständige für Naturschutz hat aber - wie im angefochtenen Bescheid wiedergegeben - in nachvollziehbarer Weise begründet, dass die Abschirmung des Projekts zum Europaschutzgebiet durch den in Rede stehenden Geländeriegel nur sukzessive entstehe und daher nicht von Anfang an in vollem Ausmaß gegeben sei und die Unbedenklichkeit in Hinblick auf das Europaschutzgebiet weiters mit der Einhaltung eines Geländepuffers sowie der Errichtung eines Begrenzungswalls begründet (S. 41). Im Hinblick auf diese nicht als unschlüssig zu erkennenden sachverständigen Aussagen ist auch die diesbezügliche Darstellung der Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht ausreichend.

6. Aus diesen Erwägungen war die sich als unbegründet erweisende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

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Normen
31985L0337 UVP-RL Art2 Abs1;
31992L0043 FFH-RL;
62012CJ0244 Salzburger Flughafen VORAB;
AVG §8;
B-VG Art131 Abs2;
EURallg;
NatSchG NÖ 2000 §10;
NatSchG NÖ 2000 §37 Abs1 Z1;
UVPG 2000 §3 Abs2;
UVPG 2000 §3 Abs7;
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2013:2012040127.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAE-68877