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VwGH vom 12.04.2018, Ra 2016/04/0067

VwGH vom 12.04.2018, Ra 2016/04/0067

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der B G in F, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. LVwG-2/82/10-2016, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Revisionswerberin zur Last gelegt, sie habe es als gewerberechtliche Geschäftsführerin einer bestimmt bezeichneten gastgewerblichen Betriebsanlage zu verantworten, dass diese genehmigte Betriebsanlage ohne Vorliegen der hiefür erforderlichen Genehmigung "jedenfalls seit , festgestellt am ", geändert worden sei, indem Abbruch-, Aushub- und Fundierungsmaßnahmen für die Herstellung von Zu- und Umbaumaßnahmen vorgenommen worden seien, die gemäß § 81 GewO 1994 zumindest anzeigepflichtig seien, weil sie der baulichen Änderung und Erweiterung der Betriebsanlage dienten und zumindest abstrakt geeignet seien, das Leben und die Gesundheit von Kunden der Betriebsanlage zu gefährden, weil durch die Maßnahmen die bestehende Fluchtwegsituation geändert werde, was im Brandfall zu einer Kundengefährdung führen könne.

2 Sie habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 begangen, weshalb über sie gemäß § 366 GewO 1994 eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 400,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 32 Stunden) verhängt werde.

3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid mit einigen Maßgaben. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, ab habe das gastgewerbliche Unternehmen, deren Geschäftsführerin die Revisionswerberin sei, die verfahrensgegenständlichen Arbeiten an der Betriebsanlage vorgenommen. Mit am bei der Gewerbebehörde eingelangtem Schriftsatz sei diese Betriebsanlagenänderung angezeigt worden. Nach Durchführung einer Verhandlung betreffend die angezeigten Änderungen, habe die Betriebsanlageninhaberin die Anzeige zurückgezogen und ein Genehmigungsverfahren angestrengt. Die gewerbebehördliche Genehmigung der Änderungen gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 sei am erteilt worden.

5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die bis zum Einlangen der Anzeige durchgeführten baulichen Maßnahmen seien Vorbereitungsarbeiten für eine Betriebsanlagenänderung gewesen, die wegen der geänderten Fluchtwegsituation geeignet sei, die in § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen zu berühren. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei den durchgeführten Maßnahmen um genehmigungspflichtige Änderungen im Sinne des § 81 Abs. 1 GewO 1994 oder um anzeigepflichtige Änderungen im Sinne des § 81 Abs. 2 GewO 1994 gehandelt habe. Die gewerberechtliche Genehmigungspflicht ergebe sich nämlich aus § 74 Abs. 2 GewO 1994, sodass die Feststellung, dass die Maßnahmen die dort normierten Interessen berühren würden, ein Tatbestandsmerkmal des § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 bilde, jedoch nicht, ob ein Fall der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 81 Abs. 2 GewO 1994 vorliege.

6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, dieses wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

7 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 4.1. Die Revisionswerberin bringt - neben verschiedenen Verfahrensmängeln - zur Begründung der Zulässigkeit vor, die Revision sei entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung abgewichen sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne es nicht dahingestellt bleiben, ob die verfahrensgegenständlichen Baumaßnahmen genehmigungspflichtig oder (bloß) anzeigepflichtig im Sinne des § 81 Abs. 2 GewO 1994 seien, weil im Falle eines Verstoßes gegen die Anzeigepflichten eine Übertretung gemäß § 368 GewO 1994 vorliege. § 366 Abs. 1 Z 3 erster Fall GewO 1994 begehe hingegen, wer "eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung ändert". Bei Vorliegen eines der Tatbestände des § 81 Abs. 2 GewO 1994 entfalle das Erfordernis einer Genehmigung, sodass § 366 Abs. 1 Z 3 erster Fall GewO 1994 nicht verwirklicht sein könne.

10 4.2. Die Revision ist wegen dieses Vorbringens zulässig

und auch berechtigt.

11 4.3. Die Rechtslage:

12 Die in der vorliegenden Rechtssache relevanten Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 125/2013 lauten:

"8. Betriebsanlagen

§ 74. ...

(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der

Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der

Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise,

wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der

nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes,

BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung,

unterliegenden mittätigen Familienangehörigen oder des nicht den

Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes,

BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung,

unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn

oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes

gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte

der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses

Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g

angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub,

Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

3. die Religionsausübung in Kirchen, den Unterricht in

Schulen, den Betrieb von Kranken- und Kuranstalten oder die

Verwendung oder den Betrieb anderer öffentlichen Interessen

dienender benachbarter Anlagen oder Einrichtungen zu beeinträchtigen,

4. die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des

Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr wesentlich

zu beeinträchtigen oder

5. eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der

Gewässerherbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist.

(...)

§ 81. (1) Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

(2) Eine Genehmigungspflicht nach Abs. 1 ist jedenfalls in folgenden Fällen nicht gegeben:

(...)

7. Änderungen, die das Emissionsverhalten der Anlage zu den

Nachbarn nicht nachteilig beeinflussen und die auf Grund der besonderen Situation des Einzelfalles erwarten lassen, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden Auflagen Gefährdungen des Lebens oder der Gesundheit von Personen vermieden und Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 3 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden,

(...)

(3) Der Ersatz solcher gleichartiger Maschinen, Geräte oder Ausstattungen gemäß Abs. 2 Z 5, wegen deren Verwendung die Anlage einer Genehmigung bedurfte, sowie Änderungen gemäß Abs. 2 Z 7, Z 9 und Z 11 sind der zur Genehmigung der Anlage zuständigen Behörde vorher anzuzeigen. Das ersetzte Gerät, die ersetzte Maschine, die ersetzte Ausstattung oder die dem Nachweis der Gleichartigkeit dienenden Belege sind bis zur Erlassung des Bescheides gemäß § 345 Abs. 6 aufzubewahren.

(...)

§ 366. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu EUR 3.600 zu bestrafen ist, begeht, wer

(...)

3. Eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche

Genehmigung ändert oder nach der Änderung betreibt (§§ 81f)

(...)

§ 368. Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 1 090 Euro zu bestrafen ist, begeht, wer andere als in den §§ 366, 367 und 367a genannte Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder der Bescheide, die auf Grund der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnungen ergangen sind, nicht einhält."

13 4.4. § 81 Abs. 1 und § 81 Abs. 2 GewO 1994 stehen zueinander in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. So normiert § 81 Abs. 1 GewO 1994 als allgemeine Regel die Genehmigungspflicht von Änderungen einer gewerblichen Betriebsanlage. § 81 Abs. 2 GewO 1994 nennt Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel (vgl. ).

14 4.5. Die Revision verweist zu Recht darauf, dass dem Wortlaut des Gesetzes zufolge eine Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 begeht, wer "eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung ändert". Ob eine Änderung eine Genehmigung erfordert, regelt § 81 GewO 1994, wobei gemäß § 81 Abs. 2 GewO 1994 bei Vorliegen eines der dort genannten Tatbestände "eine Genehmigungspflicht nach Abs. 1 jedenfalls (...) nicht gegeben ist". Das Erfordernis einer Genehmigungspflicht entfällt sohin, sofern einer der Tatbestände des § 81 Abs. 2 GewO 1994 erfüllt ist. Damit kann bei Erfüllung eines Ausnahmetatbestandes auch bei Vorliegen einer Anzeigepflicht im Sinne des § 81 Abs. 3 GewO 1994 der Tatbestand des § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994, der die Vornahme einer Änderung ohne die erforderliche Genehmigung sanktioniert, nicht verwirklicht sein. Dies ergibt sich unzweideutig aus dem Gesetzeswortlaut. Die Nichterfüllung des Anzeigegebots des § 81 Abs. 3 GewO 1994 ist nach § 368 GewO 1994 zu bestrafen (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 81 Rz 34, und die dort zitierte Judikatur).

15 Es ist daher der Revision darin zuzustimmen, dass bei der Beurteilung eines Sachverhalts in Hinblick auf die Anwendbarkeit des Straftatbestandes des § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 auch zu prüfen ist, ob dieser Sachverhalt unter einen Ausnahmetatbestand des § 81 Abs. 2 GewO 1994 zu subsumieren ist, weil in einem solchen Fall das Erfordernis der Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage, das eine Tatbestandsvoraussetzung des § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 bildet, nicht vorliegt.

16 4.6. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und jene Feststellungen nicht getroffen, die für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes des § 81 Abs. 2 GewO 1994 notwendig wären. Bereits aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet (sekundärer Feststellungsmangel).

17 An diesem Ergebnis vermag die Erwähnung eines nachträglich durchgeführten Genehmigungsverfahrens nichts zu ändern, zumal aus den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses nicht hervorgeht, dass das Genehmigungsverfahren ausschließlich die verfahrensgegenständlichen Baumaßnahmen umfasst.

18 4.7. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ro 2015/04/0002, stützt entgegen der Argumentation des Verwaltungsgerichts die gegenteilige Rechtsansicht nicht. In diesem Erkenntnis legte der Verwaltungsgerichtshof dar, dass Sachverhalte, die nicht einmal die Annahme einer abstrakten Eignung zur Beeinträchtigung der in § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen rechtfertigen, auch nicht dem Anzeigegebot des § 81 Abs. 3 GewO 1994 unterliegen. Damit wird zu der verfahrensgegenständlichen Rechtsfrage nicht Stellung genommen. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass das zitierte Erkenntnis mehrere Verwaltungsübertretungen jeweils wegen der Unterlassung der Anzeige gemäß § 81 Abs. 3 GewO 1994 zum Gegenstand hatte, die gemäß § 368 GewO 1994 bestraft worden waren.

19 4.8. Das angefochtene Erkenntnis ist aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040067.L00

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