VwGH vom 19.04.2012, 2009/18/0465
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der S H A in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/382.880/2009, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei erstmals am mit einem Touristenvisum nach Österreich eingereist und habe das Bundesgebiet wieder am verlassen. Zuletzt sei sie am mit einem bis gültigen Visum C nach Österreich gereist und habe am einen Asylantrag gestellt, welcher im Instanzenzug vom Asylgerichtshof am rechtskräftig abgewiesen worden sei. Bis dahin habe die Beschwerdeführerin über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Vorschriften verfügt und sei danach im Bundesgebiet verblieben. Einen Aufenthaltstitel habe sie nie gehabt, weshalb sie sich nun unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. In einem solchen Fall könnten Fremde ausgewiesen werden, wenn der Ausweisung nicht die Bestimmung des § 66 FPG entgegenstehe.
Die Beschwerdeführerin halte sich seit sieben Jahren im Bundesgebiet auf und verfüge jedenfalls über massive inländische familiäre Bindungen zu ihrem Ehemann sowie zu zwei Töchtern, wobei sich die Kinder ebenfalls unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Mit der vorliegenden Maßnahme sei ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten.
Eine Legalisierung ihres Aufenthalts könne die Beschwerdeführerin nur vom Ausland aus erwirken. Sie habe sich somit über die für sie maßgeblichen fremdenrechtlichen Bestimmungen hinweggesetzt. Damit habe sie das hoch zu veranschlagende maßgebliche öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens derart beeinträchtigt, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände könne ihr weiterer Aufenthalt auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Ausweisung sei unzulässig, weil ihr Ehemann türkischer Staatsangehöriger und schon seit Jahrzehnten im österreichischen Arbeitsmarkt integriert sei. Die Beschwerdeführerin könne daher das Aufenthaltsrecht unter anderem aus dem ARB 1/80 ableiten, dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Feststellung ihres Aufenthaltsrechts durch die Behörden sei daher nur deklarativ.
Dem steht schon entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine Genehmigung im Sinn des Art. 7 ARB 1/80 erhielt, zu ihrem Ehemann zu ziehen. Eine derartige Erlaubnis kann weder aus dem ihr erteilten Visum C (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0158) noch aus der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/19/0056) abgeleitet werden. Damit kann die Beschwerdeführerin aber aus dem Assoziationsabkommen und den auf dieser Grundlage erlassenen Beschlüssen keine Ansprüche auf Familiennachzug geltend machen.
Die Beschwerdeführerin bestreitet auch nicht, nach Ablauf des zuletzt gültigen Visums einen Asylantrag gestellt zu haben, der am rechtskräftig abgewiesen wurde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie sonst über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügen würde. Gegen die Annahme der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, bestehen daher keine Bedenken.
Die Beschwerdeführerin wendet sich auch unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG gegen den angefochtenen Bescheid und bringt dazu vor, seit dem Jahr 2002 in Österreich zu sein und mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt zu wohnen. Sie hätten zwei Kinder im Alter von sechs und eineinhalb Jahren, welche beide in W geboren seien. Die Beschwerdeführerin sei in Österreich aufrecht krankenversichert. Ihr Ehemann verfüge über ausreichendes Einkommen, um seinen Unterhaltspflichten nachkommen zu können. Es bestünden daher entsprechende inländische familiäre Bindungen und Beziehungen, die eine Ausweisung für nicht geboten erscheinen ließen.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Auch eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG darf im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn deren Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0040, mwN).
Auch hier liegt - ebenso wie im genannten Erkenntnis 2009/18/0040 - ein besonderer Nachzugsfall insofern vor, als nicht die übrige Familie zu einem hier in Österreich lebenden und rechtmäßig aufhältigen Zusammenführenden nachkommen möchte, sondern der Ehemann der Beschwerdeführerin bereits rechtmäßig in Österreich lebt und die beiden Kinder hier geboren sind.
Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid zwar fest, dass die Beschwerdeführerin über familiäre Bindungen zu ihren beiden Töchtern - im erstinstanzlichen Bescheid ist noch von Söhnen die Rede - und ihrem Ehemann verfügt. Sie traf jedoch infolge Verkennung der oben dargestellten Rechtslage keine Feststellungen zur Situation der Kinder und führte auch keine Ermittlungen durch, wer für die Kinder im Alter von sechs und eineinhalb Jahren obsorgepflichtig ist und ob diese auf die Pflege und Fürsorge der Beschwerdeführerin angewiesen sind. Auch wenn sie sich nach den - insoweit nicht bekämpften - Feststellungen im angefochtenen Bescheid unrechtmäßig in Österreich aufhalten, wurde nicht festgestellt, dass auch sie ausgewiesen worden wären. Trifft es zu, dass die Kinder der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren wurden und ihr gesamtes Leben in Österreich verbrachten, der Beschwerdeführerin zudem die Obsorge für die Kinder zukommt und diese auf die Pflege und Fürsorge ihrer Mutter angewiesen sind und zudem das Bundesgebiet nicht verlassen müssen stellt die Ausweisung unter dem Blickwinkel des Art. 8 Abs. 2 EMRK einen unzulässigen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin dar.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese in dem Pauschalsatz bereits enthalten ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-68801