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VwGH vom 04.07.2016, Ra 2016/04/0023

VwGH vom 04.07.2016, Ra 2016/04/0023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der B Gesellschaft m.b.H. in M, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-123/009/12783/2015-9, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: Stadt Wien, Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund in 1030 Wien, Thomas Klestil Platz 7/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Vorgeschichte

1 Nach den insoweit unstrittigen Feststellungen des angefochtenen Beschlusses führt die mitbeteiligte Auftraggeberin ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages betreffend Infusions- und Spritzenpumpen für das Krankenhaus Nord durch.

2 Die Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgte in Österreich am , die EU-weite Bekanntmachung am . Als Ende der Angebotsfrist wurde in der Ausschreibung der , 10.00 Uhr, festgelegt.

3 Mit einer ersten Berichtigung zu dieser Ausschreibung erfolgte am eine Verlängerung der Angebotsfrist auf .

4 Danach erfolgten eine zweite Berichtigung der Ausschreibung (am , Abänderung der Ausschreibungsunterlagen mit Verlängerung der Angebotsfrist), eine Rückfragebeantwortung auf Bieterfragen sowie eine dritte Berichtigung mit Verlängerung der Angebotsfrist.

5 Vom bis zum war vor der Wiener Schlichtungsstelle ein Schlichtungsverfahren gemäß § 6 Wiener Vergaberechtsschutzgesetz 2014 (WVRG 2014) anhängig.

6 Am brachte die Revisionswerberin einen Nachprüfungsantrag beim Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) ein und bekämpfte darin die Ausschreibung und (als sonstige Festlegungen während der Angebotsfrist) die zweite Berichtigung sowie die Rückfragebeantwortung. Angefochtener Beschluss

7 Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes wurde der Antrag auf Nichtigerklärung der Ausschreibung gemäß § 13 Abs. 7 iVm § 23 Abs. 2 Z 2 WVRG 2014 als verspätet zurückgewiesen (I.).

Die Revisionswerberin wurde gemäß den §§ 15 und 16 WVRG 2014 verpflichtet, die entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen (II.), und die Revision wurde für nicht zulässig erklärt (III.).

8 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Ausschreibung sei bereits mit bestandfest geworden. Bei der ersten Berichtigung handle es sich nämlich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung. Diese Berichtigung ändere nichts daran, dass die Ausschreibung als solche bis spätestens sieben Tage vor Ablauf der in der Ausschreibung selbst festgelegten Angebotsfrist (Ende ) angefochten habe werden können (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0119). Dabei sei der Tag des Ablaufs der Angebotsfrist (der ) nicht mitzurechnen (§ 32 Abs. 2 AVG). Das Verwaltungsgericht hielt fest, "dass gegenständlich ab der Ausschreibung bis zum Ablauf der Angebotsfrist mehr als 17 Tage liegen, somit zur rechtzeitigen Einbringung eines Nachprüfungsantrages sieben volle Tage vor diesem fristauslösenden Ereignis zu liegen haben" und spricht damit die Frist des § 24 Abs. 4 erster Satz WVRG 2014 an.

Am sei die Frist durch das anhängig gewordene Schlichtungsverfahren bis zum gehemmt worden. Die Anfechtungsfrist (die drei verbliebenen Tage dieser Frist) sei am weitergelaufen. Die Frist habe daher am geendet. Die Ausschreibung sei mit diesem Tag bestandfest geworden.

Der erst am eingebrachte Nachprüfungsantrag

erweise sich daher als verspätet.

Revision

9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

10 Die Revision wendet sich nicht gegen die im Einzelfall vorgenommene Fristberechnung durch das Verwaltungsgericht. Sie bringt vielmehr vor, es gebe keine Rechtsprechung zur Frage, ob die Frist für die Anfechtung einer Ausschreibung gemäß § 24 Abs. 4 WVRG 2014 stets anhand der in der ursprünglichen Bekanntmachung festgelegten Angebotsfrist zu messen sei. Im Unterschied zum hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0119, sei die Ausschreibung vorliegend zu keiner Zeit bestandskräftig geworden. Diese Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung für sämtliche Vergabeverfahren in Österreich.

11 Die mitbeteiligte Auftraggeberin erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Grundsätzlich

12 Die vorliegende Rechtssache wirft die grundsätzliche Rechtsfrage auf, ob die Frist für die Anfechtung einer Ausschreibung gemäß § 24 Abs. 4 WVRG 2014 stets anhand der in der ursprünglichen Bekanntmachung festgelegten Angebotsfrist zu messen ist oder ob - wie vorliegend - eine Berichtigung, die die Verlängerung der Angebotsfrist zum Gegenstand hat, auch die Anfechtungsfrist der Ausschreibung verlängert.

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. Rechtslage

14 Gemäß § 24 Abs. 4 erster Satz WVRG 2014, LGBl. Nr. 37/2013, können Anträge auf Nachprüfung der Ausschreibungsunterlagen bis spätestens sieben Tage vor Ablauf der Angebotsfrist eingebracht werden, sofern diese Frist mehr als 17 Tage beträgt.

Bisherige Rechtsprechung

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2010/04/0119, zum Verhältnis der Ausschreibung zu deren Berichtigung im Zusammenhang mit § 24 Abs. 4 WVRG 2014 ausgeführt:

"Fraglich ist daher allein, welche Auswirkungen die im Juli 2010 erfolgte Berichtigung (durch welche die bekämpften Festlegungen nicht betroffen waren) auf die bestandsfest gewordene Ausschreibung hat. § 90 Abs. 1 BVergG 2006 bestimmt, dass eine Berichtigung vorzunehmen ist, wenn eine Änderung der Ausschreibung erforderlich ist. Im Zuge dessen ist erforderlichenfalls auch die Angebotsfrist zu verlängern. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, ist eine Berichtigung der Ausschreibung nur insoweit zulässig, als es dadurch nicht zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung kommt; diesfalls wäre nämlich die Ausschreibung wegen Vorliegens zwingender Gründe zu widerrufen (...). Durch die Berichtigung wird somit die Ausschreibung nicht zur Gänze neu gefasst, sondern nur - in bestimmten Punkten - abgeändert. Vor diesem Hintergrund ist aber nicht davon auszugehen, dass mit einer Berichtigung und einer damit verbundenen Verlängerung der Angebotsfrist die bereits eingetretene Bestandskraft der Ausschreibung zur Gänze wieder beseitigt wird. Vielmehr besteht eine Anfechtungsmöglichkeit nur hinsichtlich des Inhalts der Berichtigung, die eine sonstige Festlegung während der Angebotsfrist gemäß § 2 Z 16 lit. a sublit. aa BVergG 2006 und somit eine - eigenständige - gesondert anfechtbare Entscheidung darstellt (...). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können diese unterschiedlichen, gesondert anfechtbaren Entscheidungen auch voneinander abgegrenzt werden."

16 Im Erkenntnis vom , 2012/04/0154, hat der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung weiter präzisiert:

"Die Berichtigung einer Ausschreibung stellt eine sonstige Festlegung während der Angebotsfrist gemäß § 2 Z 16 lit. a sublit. aa BVergG 2006 und somit eine - eigenständige - gesondert anfechtbare Entscheidung dar (...). Dass die Berichtigung der Ausschreibung im Fall der Nichtanfechtung - oder auch im Fall einer erfolglosen Anfechtung - bestandsfest wird und damit die Ausschreibung insoweit unanfechtbar modifiziert, ändert nichts daran, dass Rechtswidrigkeiten der Berichtigung nicht zum Gegenstand des die früher ergangene Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahrens gemacht werden dürfen, zumal diese jeweils gesondert anfechtbaren Entscheidungen voneinander abgrenzbar sind (...). Vielmehr können diese Rechtswidrigkeiten - auch wenn sie auf dem Inhalt der berichtigten Ausschreibungsbedingungen gründen - nur im Rahmen einer gesonderten Anfechtung der Berichtigung geltend gemacht werden. Prüfgegenstand eines die Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahrens ist demgegenüber die Ausschreibung unter Ausklammerung allfälliger Berichtigungen."

Verlängerung der Angebotsfrist durch eine bestandfeste Berichtigung

17 Vorliegend ist unstrittig, dass die erste Berichtigung, mit der die Angebotsfrist der Ausschreibung verlängert wurde, nicht angefochten wurde. Somit wurde mit dieser Berichtigung die Ausschreibung insoweit unanfechtbar modifiziert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/04/0154).

18 Weiters wurde durch diese erste Berichtigung die Angebotsfrist zu einem Zeitpunkt verlängert, zu dem die Ausschreibung selbst noch nicht bestandfest war. Somit stellt sich vorliegend nicht - wie im zitierten Erkenntnis 2010/04/0119 - die Frage, ob mit dieser Berichtigung die bereits eingetretene Bestandskraft der Ausschreibung wieder beseitigt wurde. Angesichts dieser Unterschiede lässt das zitierte Erkenntnis keine Rückschlüsse auf die hier zu beantwortende Frage zu, ob eine vor Eintritt der Bestandskraft erfolgte Verlängerung der Angebotsfrist auch die Anfechtungsfrist verlängert.

19 Anders als in der dem Erkenntnis 2010/04/0119 zugrunde liegende Konstellation besteht im vorliegenden Fall - in dem die Ausschreibung noch nicht bestandfest geworden ist und die Anfechtungsfrist somit noch nicht abgelaufen war - kein Anlass, von der in § 24 Abs. 4 WVRG 2014 zum Ausdruck kommenden Grundregel abzuweichen, dass die Anfechtungsfrist für die Ausschreibung an den Ablauf der Angebotsfrist anknüpfen soll (und dem Bieter somit für die Überprüfung der Ausschreibungsunterlagen auf allfällige Probleme hin bis zu - im Regelfall - sieben Tage vor Ablauf der Angebotsfrist Zeit bleiben soll). Umgekehrt hätte die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung für den Fall einer (wohl nicht abweichend zu behandelnden) zulässigen Verkürzung der Angebotsfrist zur Folge, dass in bestimmten zeitlichen Konstellationen die Ausschreibung noch nach Ablauf der Angebotsfrist bzw. nach Angebotsöffnung angefochten werden könnte, was dem Ziel einer effizienten Abwicklung von Vergabeverfahren zuwiderlaufen würde.

20 Dem steht auch die Aussage im hg. Erkenntnis vom , 2012/04/0154, nicht entgegen, wonach Prüfungsgegenstand eines die Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahrens die Ausschreibung unter Ausklammerung allfälliger Berichtigungen ist. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Maßgeblichkeit der Berichtigung für den Prüfungsgegenstand (dieser ist die von der Verlängerung der Angebotsfrist nicht betroffene Ausschreibung), sondern darum, ob sich die durch eine Berichtigung vor Eintritt der Bestandskraft der Ausschreibung verlängerte Angebotsfrist auf die Anfechtungsfrist auswirkt, was im Hinblick auf die oben dargelegten Erwägungen zu bejahen ist. Ergebnis

21 Da das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Auffassung vertreten hat, dass die erste Berichtigung keine Auswirkungen auf die Frist zur Nachprüfung der Ausschreibung der mitbeteiligten Auftraggeberin (nach § 24 Abs. 4 WVRG 2014) habe und daher der Nachprüfungsantrag der Revisionswerberin verspätet gewesen sei, hat es den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

22 Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Aufwandersatz

23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am