VwGH vom 27.10.2014, 2012/04/0065
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der Z GmbH in K, vertreten durch die Heller Gahler Rechtsanwaltspartnerschaft in 1030 Wien, Marokkanergasse 21, gegen den Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Wien vom , Zl. VKS - 13650/11, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (weitere Partei: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. W GmbH Co KG in W, vertreten durch die Heid Schiefer Rechtsanwälte OG in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 88/2-4, und 2. H GmbH in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid in seinen Spruchpunkten 1. und 3. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
In ihrem Anfechtungsumfang betreffend Spruchpunkt 2. wird die Beschwerde abgewiesen.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
2 . Aus dem angefochtenen Bescheid ergeben sich die folgenden, unbestritten gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen:
Die erstmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Auftraggeberin) führte als Auftraggeberin ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich nach den vergaberechtlichen Bestimmungen für Sektorenauftraggeber zur Vergabe des Betriebes der Autobuslinie X in W. Der Zuschlag sollte auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis erfolgen. Die Frist für die Abgabe der Angebote endete am .
Nach den der bestandsfesten Ausschreibung zugrunde liegenden allgemeinen Eignungsanforderungen der Auftraggeberin hatten die Bieter ihre technische Leistungsfähigkeit wie folgt nachzuweisen:
"1.2.3 Technische Leistungsfähigkeit:
Keine besonderen Anforderungen, sofern in der öffentlichen Bekanntmachung oder in der Ausschreibung keine anders lautenden Festlegungen getroffen sind. Der Bieter hat folgende Nachweise zu erbringen und nachstehende Eignungskriterien zu erfüllen:
1. Eignungskriterium und Nachweis
Der Bieter hat auf Aufforderung mittels Vorvertrag oder durch Kopien der Zulassungsscheine nachzuweisen, dass er zum Zeitpunkt der Leistungserbringung über die im Wageneinsatzplan (Beilage zum Leistungsverzeichnis) geforderte Anzahl Fahrzeuge + Reservefahrzeug verfügen wird, welche den im Leistungsverzeichnis unter Pkt. IV angeführten Kriterien entsprechen.
(...)"
Nach der Beilage zum Leistungsverzeichnis hatte ein Bieter den Nachweis über die Verfügbarkeit von sechs Fahrzeugen und einem Reservefahrzeug, jeweils geeignet für den Linienverkehr, zu erbringen.
Zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit laut Punkt 1. legte die Zweitmitbeteiligte mit ihrem Angebot zunächst das schriftliche Angebot eines Fahrzeuglieferanten über die Lieferung von sechs Fahrzeugen zu Leistungsbeginn vor. Über - nach Angebotsöffnung am ergangener - Aufforderung der Auftraggeberin reichte die Zweitmitbeteiligte ein Angebot desselben Fahrzeuglieferanten datiert vom über sieben Stück Niederflur-Stadtlinienbusse mit Liefertermin Juni 2012 nach.
Mit Schreiben der Auftraggeberin vom wurde die Zweitmitbeteiligte als präsumtive Zuschlagsempfängerin bekannt gegeben. Das Angebot der Beschwerdeführerin war an zweiter Stelle gereiht.
3. Gegen diese Zuschlagsentscheidung richtete sich der fristgerechte Nachprüfungsantrag der Beschwerdeführerin samt Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Antragsbegründend führte die Beschwerdeführerin aus, die präsumtive Zuschlagsempfängerin erfülle nicht die technische Leistungsfähigkeit laut den ausgeschriebenen Eignungskriterien. Sie verfüge weder über die geforderte Anzahl an Bussen noch über die erforderliche Fachkompetenz und könne die vorgeschriebene jährliche Kilometerleistung nicht nachweisen. Zudem sei von einer spekulativen Preisgestaltung der präsumtiven Zuschlagsempfängerin auszugehen, weil deren Angebot 10% unter dem sorgfältig kalkulierten Angebot der Beschwerdeführerin liege, obwohl die präsumtive Zuschlagsempfängerin über keinerlei Infrastruktur vor Ort oder in der näheren Umgebung verfüge.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung abgewiesen (Spruchpunkt 1.), die zunächst mit Beschluss vom erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben (Spruchpunkt 2.) und ferner ausgesprochen, die Beschwerdeführerin habe die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen (Spruchpunkt 3.).
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde - soweit hier von Belang - unter Zugrundelegung der oben unter Punkt 2. dieses Erkenntnisses wiedergegebenen Feststellungen in rechtlicher Hinsicht aus, die präsumtive Zuschlagsempfängerin habe über Aufforderung mittels Vorvertrag oder Kopien der Zulassungsscheine nachzuweisen gehabt, dass sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung über die im Wageneinsatzplan geforderte Anzahl geeigneter Fahrzeuge und ein Reservefahrzeug verfügen werde. Sie habe ein verbindliches, inhaltlich unbedenkliches Angebot einer Niederlassung eines großen europäischen Erzeugers vorgelegt und damit - auch wenn die Ausschreibung ein Angebot als möglichen Nachweis für die Leistungsfähigkeit nicht ausdrücklich nenne - einen ausreichenden Nachweis betreffend die Verfügbarkeit der Fahrzeuge in der erforderlichen Anzahl erbracht.
Die präsumtive Zuschlagsempfängerin verfüge über den erforderlichen Standort und auch über die geforderten Referenzen. Die Voraussetzungen für eine vertiefte Angebotsprüfung lägen nicht vor, weil die Differenz zwischen den Angeboten der präsumtiven Zuschlagsempfängerin und der zweitgereihten Bieterin nur rund 10% betrage, wobei die Personal- und sonstigen Kosten 13% bzw. 10% voneinander abwichen, die Abweichung der Fahrzeugkosten betrage weniger als 4%. Dieser Vergleich biete keinen Anlass für den Verdacht des Vorliegens einer Preisspekulation.
5. Gegen diesen Bescheid in seinem gesamten Umfang richtet sich die verfahrensgegenständliche Beschwerde mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei - die Abweisung der Beschwerde.
6. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6.1. Im vorliegenden Fall sind folgende Bestimmungen des BVergG 2006, BGBl. I Nr. 17/2006, maßgebend:
"Zeitpunkt des Vorliegens der Eignung
§ 230. Unbeschadet der Regelung des § 188 Abs. 1 muss die Befugnis, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit spätestens
beim offenen Verfahren zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung,
(...)
vorliegen.
Ausscheiden von Angeboten
§ 269. (1) Vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung hat der Sektorenauftraggeber auf Grund des Ergebnisses der Prüfung im Oberschwellenbereich folgende Angebote auszuscheiden:
(...)
2. Angebote von Bietern, deren Befugnis, finanzielle, wirtschaftliche oder technische Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit nicht gegeben ist;
(...)"
6.2 . Gemäß § 230 Z 1 BVergG 2006 muss (unbeschadet der hier nicht relevanten Regelung des § 188 Abs. 1 BVergG) beim offenen Verfahren (u.a.) die Leistungsfähigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung vorliegen. Wird diese Bestimmung nicht erfüllt und haftet daher dem Angebot ein Mangel an, so ist zu unterscheiden, ob im genannten Zeitpunkt die Leistungsfähigkeit - als solche - fehlt (in diesem Fall läge ein unbehebbarer Mangel vor) oder ob es bloß am Nachweis der - im maßgeblichen Zeitpunkt an sich bereits bestehenden - Leistungsfähigkeit mangelt (dabei handelte es sich um einen behebbaren Mangel; vgl. zum gleichlautenden § 69 Z 1 BVergG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/04/0203, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/04/0017, und die dort dargestellte Vorjudikatur).
6.3. Nach dem festgestellten Wortlaut der Ausschreibung ist die technische Leistungsfähigkeit - fallbezogen die Tatsache, dass ein Bieter zum Zeitpunkt der Leistungserbringung über die im Wageneinsatzplan (Beilage zum Leistungsverzeichnis) geforderte Anzahl Fahrzeuge plus Reservefahrzeug verfügen werde - auf Aufforderung durch Vorlage eines Vorvertrages oder durch Kopien der Zulassungsscheine nachzuweisen. Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen, hier des BVergG 2006, zu lesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/04/0136, dort in Bezug auf § 32 GewO 1994). Bei gesetzeskonformer Interpretation der Ausschreibungsbedingungen im Sinne des § 230 Z 1 BVergG, der das Vorliegen der Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung verlangt, musste die Zweitmitbeteiligte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Angebotsöffnung zwar nicht schon tatsächlich über die erforderlichen Fahrzeuge verfügen, sondern (bloß) einen - über Aufforderung vorzulegenden - Nachweis für die Verfügbarkeit dieser Fahrzeuge zu Leistungsbeginn besitzen. Durch das über Aufforderung der Auftraggeberin nach Angebotsöffnung vorgelegte "verbindliche Angebot" eines Fahrzeuglieferanten vom über die geforderte Anzahl geeigneter Fahrzeuge mag nachgewiesen sein, dass die Zweitmitbeteiligte nunmehr die laut Ausschreibung geforderte technische Leistungsfähigkeit erbringe. Die Beschwerde verweist jedoch zutreffend darauf, dass diese vom - somit von einem nach Angebotsöffnung liegenden Zeitpunkt - datierte Urkunde entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde nicht geeignet ist, das Vorliegen der technischen Leistungsfähigkeit der Zweitmitbeteiligten für den gemäß § 230 Z 1 BVergG relevanten Zeitpunkt der Angebotsöffnung zu belegen (vgl. auch das bereits oben zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2009/04/0203). Angesichts dieser rechtlichen Beurteilung kann die Frage, ob ein "verbindliches Angebot" dem in den Ausschreibungsbedingungen als Nachweis vorgesehenen Vorvertrag gleichzuhalten ist, dahinstehen.
7. Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus diesem Grund in dem im Spruch angeführten Umfang wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, wobei die Rechtswidrigkeit des Spruchpunktes 1. auf die Entscheidung über den Pauschalgebührenersatz (Spruchpunkt 3.) durchschlägt.
Hingegen war die Beschwerde, soweit sie die mit Spruchteil 2. verfügte Aufhebung der einstweiligen Verfügung betrifft, im Hinblick auf § 31 Abs. 6 WVRG 2007 gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, weil die einstweilige Verfügung auch bei Wegfall des über den Nachprüfungsantrag absprechenden Bescheides nicht wieder auflebt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/04/0201, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am