VwGH vom 20.10.2011, 2009/18/0351
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des MD in W, vertreten durch Mag. Andre Zankl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1586/04, betreffend Feststellung nach § 51 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 51 iVm § 50 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Guinea einer Bedrohung unterliege.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der aus Guinea stammende Beschwerdeführer sei im Oktober 1991 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Er habe in weiterer Folge einen Asylantrag gestellt, der in zweiter Instanz mit Bescheid vom abgewiesen worden sei. Nach Behebung dieses Bescheides "durch das Höchstgericht" sei sein Asylantrag neuerlich mit Bescheid vom "negativ beschieden" worden.
Im Instanzenzug sei der Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom rechtskräftig ausgewiesen worden.
Den hier gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer mit seiner Zugehörigkeit zum Volk der Mandika begründet. Sein Bruder hätte - so die belangte Behörde weiter in Wiedergabe des Vorbringens - für die Präsidentschaft kandidieren wollen; er wäre aber im Juni 1991 verhaftet worden. Der Beschwerdeführer wüsste nicht, wo sich seine Familie befände, und er hätte zu dieser auch keinen Kontakt. Er nehme an, dass sich seine Angehörigen in Haft befänden oder nicht mehr am Leben wären. Er wäre bei einer Rückkehr in sein Heimatland in Gefahr, verhaftet oder umgebracht zu werden. Es hätte sich die Situation in seinem Heimatland seit damals (gemeint: seit seiner Ausreise aus Guinea) nicht geändert. Es wäre immer noch Conte der Präsident dieses Landes.
Am habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde in ihren Erwägungen weiter - neuerlich einen Asylantrag eingebracht und dazu ausdrücklich ausgeführt, er könnte aus den bereits im Jahr 1991 angegebenen Gründen nicht in seine Heimat zurückkehren. Er habe keine neuen Fluchtgründe vorzutragen. Dieser Asylantrag sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom im Instanzenzug rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden.
Im Rahmen seiner hier gegenständlichen Berufung habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, zwar keine neuen Fluchtgründe angegeben zu haben. Jedoch läge sein erster Asylantrag bereits über zehn Jahre zurück. Vor dem Hintergrund seiner Fluchtgeschichte und seiner Fluchtgründe wäre daher seiner Auffassung zufolge die Situation Guineas neu zu bewerten.
Es stelle sich die politische Situation in Guinea derzeit anders dar, als sie noch den Asylverfahren des Beschwerdeführers zu Grunde gelegen sei. Dennoch sei nicht erkennbar, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Guinea unzulässig sei. Ein Generalstreik, der die Absetzung des Staatspräsidenten Conte zum Ziel gehabt habe, sei Anfang 2007 niedergedrückt worden. Conte habe letztlich aber zugestimmt, einen Premierminister zu ernennen. Dem neu geführten Kabinett habe kein Minister der vorherigen Regierung Contes angehört. Im Jänner 2008 sei die Fortsetzung des 2007 unterbrochenen Generalstreiks angekündigt und der Rücktritt Präsident Contes gefordert worden. Im Juni 2008 habe die Polizei gestreikt; daraufhin hätten auch Lehrer und Ärzte gestreikt. Noch im Juni 2008 sei ein neues Kabinett vorgestellt worden, dem erstmals auch Vertreter der Opposition angehört hätten. Am sei Präsident Conte gestorben. Unmittelbar darauf sei es zu einem Militärputsch gekommen. In weiterer Folge sei ein "Nationalrat für Demokratie und Entwicklung" gebildet worden, an dessen Spitze als Staatsoberhaupt "ein Militär" stehe. Dieser Nationalrat solle Guinea bis zur Neuwahl, die für das Jahr 2010 geplant sei, regieren.
Es seien keine Gründe im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG erkennbar, die eine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers erkennen ließen. Sein Vorbringen im Asylverfahren sei bereits durch die Asylbehörden als unglaubwürdig bzw. nicht ausreichend befunden worden, um eine Bedrohungssituation als gegeben erachten zu können. Der Beschwerdeführer habe keine Umstände darlegen können, die auf eine Bedrohungssituation im Sinn des § 50 FPG hätten schließen lassen können.
Unter Berücksichtigung darauf, dass sich der Beschwerdeführer ausschließlich auf sein Asylverfahren und die seither erfolgten politischen Veränderungen bezogen habe, sei davon auszugehen, dass den Beschwerdeführer keine aktuelle Gefahr im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG treffe.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 FPG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iSd § 50 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FPG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mit konkreten, die Person des Fremden betreffenden, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG im Verfahren gemäß § 51 FPG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.
Den Fremdenpolizeibehörden steht, sofern nicht bereits ein neues Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes eingeleitet wurde, nach der hier noch maßgeblichen Rechtslage vor dem FrÄG 2009 die Kompetenz zur Abänderung eines das Refoulementverbot betreffenden "negativen" Ausspruches der Asylbehörde zu, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt - behauptetermaßen - wesentlich geändert hat, sodass die Entscheidung hinsichtlich des im Bescheid genannten Staates anders zu lauten hat. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, an den die für eine neuerliche Entscheidung positive Prognose anknüpfen kann. Hingegen wäre beim Fehlen einer solchen Sachverhaltsänderung ein bei der Fremdenpolizeibehörde eingebrachter Antrag auf Feststellung nach § 51 Abs. 1 zweiter Satz FPG wegen entschiedener Sache (als unzulässig) zurückzuweisen, wenn insoweit bereits die Entscheidung der Asylbehörde über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht (vgl. zum Ganzen etwa das das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0438, mwN).
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde mit dem Vorbringen, sie habe es "ganz klar verabsäumt", auf die geänderte politische Situation einzugehen. Diese stelle sich im Vergleich zu den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen noch wesentlich drastischer dar. Insofern legt der Beschwerdeführer aber nicht dar, welche Feststellungen die belangte Behörde im Falle ergänzender Erhebungen hätte treffen und weshalb diese zu einem anderen Bescheid hätten führen können. Soweit der Beschwerdeführer auf den Inhalt eines Reports von Amnesty International aus dem Jahr 2009 verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass allein damit in keiner Weise - wovon auch schon die belangte Behörde zutreffend ausgegangen ist - ein Bezug zum Beschwerdeführer hergestellt wird. Vielmehr hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren selbst geltend gemacht, die ihn betreffende Bedrohungssituation hätte sich aus der Präsidentschaft des (damaligen) guineischen Präsidenten Conte ergeben. Dazu hat allerdings die belangte Behörde unbestritten ausgeführt, dieser sei verstorben, und des Näheren auch dargelegt, inwieweit sich seitdem die politischen Gegebenheiten in maßgeblicher Weise verändert hätten. Aus welchen Gründen aber auch unter den nunmehrigen politischen Verhältnissen eine Verfolgung oder Bedrohung des Beschwerdeführers erfolgen sollte, wird in der Beschwerde - ebenso wie im Verwaltungsverfahren - nicht näher ausgeführt.
Der Beschwerdeführer weist noch darauf hin, er habe bereits anlässlich seiner ersten Vernehmung am dargelegt, dass er vor seiner Flucht in Guinea einen Menschen aus Notwehr getötet hätte und deswegen befürchte, in Guinea verfolgt und getötet zu werden, und darüber hinaus in Guinea über ihn die Todesstrafe verhängt werden könnte. Es ist ihm entgegenzuhalten, dass er Derartiges im hier gegenständlichen Verwaltungsverfahren nicht (mehr) geltend gemacht hat. Die diesbezüglichen Ausführungen widersprechen daher den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot und stehen überdies den Angaben des Beschwerdeführers gegenüber der Behörde erster Instanz vom entgegen, wonach er selbst ausgeführt hat, in seinem Heimatland nicht strafrechtlich verfolgt zu werden. Auch kann anhand der Ausführungen des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Geschehnisse und seines erstmaligen Geltendmachens derselben nicht davon ausgegangen werden, es hätte sich bei diesen Umständen um solche gehandelt, die nicht schon im Asylverfahren Berücksichtigung gefunden hätten.
Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-68668