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VwGH vom 28.05.2008, 2007/15/0279

VwGH vom 28.05.2008, 2007/15/0279

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Judenburg Liezen gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom , GZ RV/0063- G/06, betreffend Familienbeihilfe ab August 2005 (mitbeteiligte Partei: R S, vertreten durch Rechtsanwälte Lang & Schulze-Bauer, 8280 Fürstenfeld, Realschulstraße 2a), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte stellte am einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ab August 2005 für ihren am geborenen Sohn Alexander. Das beschwerdeführende Finanzamt wies den Antrag ab, da gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, nur dann der Anspruch auf Familienbeihilfe zustehe, wenn sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet befinde und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhielten. Die mitbeteiligte Partei habe bekannt gegeben, dass sie sich für längere Zeit in den USA aufhalten werde. Ihr Sohn Alexander sei in New York geboren worden. Es bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Die Mitbeteiligte erhob Berufung. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei Österreich. Sie habe im Juni 2004 (im Verfahren betreffend ihren Familienbeihilfenanspruch für den im Jahr 2003 geborenen Sohn Erik) angegeben, dass sie in die USA verreise. Zu diesem Zeitpunkt habe sie aber noch keine Angaben über den nächsten Aufenthalt in Österreich geben können. Somit sei die Familienbeihilfe für ihren Sohn Erik eingestellt worden. Sie habe weitere zwei Monate in Österreich verbracht. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei in den Jahren 2004 und 2005 in Österreich gewesen. Ihr Sohn Alexander besitze die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie habe ihren Hauptwohnsitz in W (Steiermark), sie halte sich mit ihren zwei Kindern auch in F (Steiermark), teilweise in G (Steiermark) und in Wien auf. Sie pflege einen sehr engen Kontakt mit ihrer Familie: Nach ihrer Planung werde für die nächsten Jahre der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich liegen. Ihr Ehemann sei in den USA beschäftigt und verbringe viel Zeit mit Geschäftsreisen, sodass sie mit den Kindern viel in Österreich sei. Im Übrigen schließe sie nicht aus, ihren Wohnsitz endgültig nach Österreich zu verlegen.

Aus einer Vorhaltsbeantwortung vom ergibt sich, dass der Mitbeteiligten in dem im Alleineigentum ihres Vaters stehenden Gebäude in W (Steiermark) zwei Zimmer und zwei Badezimmer (sowie die Mitbenützung der restlichen Räume) zur Verfügung stünden. In dem im Alleineigentum ihres Schwiegervaters stehenden Gebäude in F stünden ihr zwei Zimmer und ein Badezimmer (sowie ebenfalls die Mitbenützung der restlichen Räume) zur Verfügung. Die Mitbeteiligte legte Pläne der Wohnbereiche in W und F sowie eine Ablichtung ihrer bis gültigen "permanent resident card" ("Greencard") vor. Weiters wurden u. a. eine Kopie der Heiratsurkunde über die standesamtliche Trauung ("Affidavit, License and Certificate of Marriage"), ausgestellt vom Staat New York, eine Kopie des Trauungsscheines über die kirchliche Trauung in der Pfarre F (Steiermark), eine Kopie des Mietvertrages für eine Wohnung in New York für die Zeit ab vorgelegt. Zur Dauer der Österreichaufenthalte gab die Mitbeteiligte an, dass sie sich "ein paar Mal" (bis zu vier Mal) im Jahr in Österreich aufhalte, wobei die Länge eines Aufenthaltes variiere (ein bis drei Monate). Sie sei in den USA nicht erwerbstätig.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das beschwerdeführende Finanzamt die Berufung ab. Die mitbeteiligte Partei sei seit 1999 nicht in Österreich erwerbstätig, aber auch nicht in den USA. Alleiniger Familienerhalter sei somit der Ehemann. Dieser sei seit dem Jahr 1999 nicht mehr in Österreich erwerbstätig, seit nicht mehr in Österreich gemeldet und verfüge über keinen Wohnsitz im Inland. Die Mitbeteiligte und ihr Ehemann hätten in den USA eine Wohnung gemietet, die der Familie als Wohnsitz diene. Die Erfahrungen des täglichen Lebens würden zeigen, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Regelfall dort gelegen sei, wo sich der gemeinsame Wohnsitz eines Ehepaares befinde. Der gemeinsame Wohnsitz sei aber in den USA und nicht in Österreich. Dass sich die Mitbeteiligte anlässlich von Besuchen bei ihren Eltern einen guten Teil des Jahres mit Unterbrechungen im Inland aufhalte, werde vom Finanzamt nicht bestritten. Der Wohnsitz der Mitbeteiligten und ihrer Familie in den USA sei jedoch als Mittelpunkt der Lebensinteressen anzusehen. Das Finanzamt gelangte zum Ergebnis, dass im Streitzeitraum weder der Mittelpunkt der Lebensinteressen der mitbeteiligten Partei noch ein ständiger Aufenthalt der Kinder in Österreich gelegen sei.

Im Vorlageantrag führte die Mitbeteiligte ergänzend aus, dass ihre Lebenssituation und ihre Lebensumstände in der Begründung der Berufungsvorentscheidung nicht richtig dargestellt worden seien. Sie halte sich sehr oft in Österreich auf, da sie eine engere persönliche und wirtschaftliche Beziehung in diesem Staat habe als in den USA. Ihre Inlandsaufenthalte seien keine gelegentlichen Urlaubsaufenthalte oder vorübergehende Aufenthalte. Sie besitze noch immer einen Pkw in Österreich, welcher ganzjährig angemeldet sei. Sie und ihr Ehemann hätten unterschiedliche Wohnsitze und unterschiedliche Mittelpunkte ihrer Lebensinteressen, dies sei auch schon vor der Eheschließung gegeben gewesen. Sie und ihre Kinder hätten den Hauptwohnsitz in W. Es stünden auch Räumlichkeiten in F zur Verfügung.

Von einem Mitarbeiter des beschwerdeführenden Finanzamtes wurden am auf Ersuchen der belangten Behörde weitere Erhebungen durchgeführt. Aus dem Erhebungsbericht ergibt sich, anlässlich der Erhebungen in W sei die Mitbeteiligte nicht angetroffen worden. Ihre Mutter sei anwesend gewesen und habe angegeben, die Tochter sei in den USA. Bei den zwei Zimmern im Wohnhaus in W handle es sich um keine Gästezimmer. Es hätten sich Kleidungsstücke der Mitbeteiligten und ihrer Kindern in den Schränken befunden. Die Zimmer seien jedoch offensichtlich schon längere Zeit nicht bewohnt worden. Der finanzieller Aufwand (Strom, Rundfunkgebühren etc.) für die Benützung der beiden Zimmer werde nicht von der Mitbeteiligten getragen, sondern vom Hauseigentümer. Die Mutter der Mitbeteiligten habe zwei Telefonnummern genannt; dabei habe es sich jeweils um amerikanische Anschlüsse gehandelt. Die Mutter habe keine genauen Angaben darüber machen können, wann sich die Mitbeteiligte zuletzt in Österreich aufgehalten habe. Nachbarn hätten bei ihrer Befragung den Anschein erweckt, dass die Mitbeteiligte schon längere Zeit im Ausland lebe.

Der Erhebungsbericht wurde der mitbeteiligten Partei mit dem Ersuchen um Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Mit Eingabe vom führte sie aus, dass sie sich mit ihren beiden Kindern nicht ausschließlich in W, sondern auch großteils in F und G, sowie in anderen Teilen Europas aufhalte. Ihr älterer Sohn Erik habe sich einige Verletzungen in Österreich zugezogen und auch ärztliche Behandlung in Österreich in Anspruch nehmen müssen. Nach wie vor besitze sie ihren eigenen Pkw, der auch auf ihren Namen angemeldet sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Die Mitbeteiligte verfüge seit Jahren über drei Wohnsitze, nämlich einen in den USA und zwei in Österreich. Zudem verbringe sie in nicht unerheblichem Maß Zeit auch in anderen Teilen der Welt. Die im Wesentlichen selben Verhältnisse habe das Finanzamt bereits bei früheren Überprüfungen festgestellt und sei daher seinerzeit zur Ansicht gelangt, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Mitbeteiligten in Österreich liege. Die belangte Behörde verweise auf die Niederschrift vom . Die nunmehrigen Feststellungen würden in allen entscheidenden Punkten die damaligen bestätigen und sogar einen insgesamt "wohl" länger als damals dauernden und überwiegenden Aufenthalt in Österreich ergeben, wofür auch die Tatsachen sprächen, dass auf die Mitbeteiligte ganzjährig ein Pkw in Österreich zugelassen sei und sich ihr Sohn Erik mehrmals nach Verletzungen in Österreich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde des Finanzamtes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 idF vor der mit BGBl. I Nr. 100/2005 vorgenommenen Neufassung lautete:

"Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

Eine Person kann zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, an ein bestimmtes Land binden. Der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer verheirateten Person wird regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein. Diese Annahme setzt allerdings im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen, voraus. Bei von der Familie getrennter Haushaltsführung kommt es auf die Umstände der Lebensführung, wie etwa eine eigene Wohnung, einen selbständigen Haushalt, gesellschaftliche Bindungen, aber auch auf den Pflichtenkreis einer Person und hier insbesondere auf ihre objektive und subjektive Beziehung zu diesem an (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 93/15/0145, Slg 7061/F).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde unterliegt insoweit der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes, als zu beurteilen ist, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, sie also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Sinne der Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen (vgl. beispielsweise wie viele das hg. Erkenntnis vom , 2005/14/0091).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde hält einer Überprüfung unter diesen Gesichtspunkten nicht stand.

Die belangte Behörde stützt ihre Annahme, der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Mitbeteiligten liege in Österreich, auf folgende Umstände: Die Mitbeteiligte verfüge über eine Wohnsitz in den USA und zwei Wohnsitze in Österreich. Sie verbringe nicht unerhebliche Zeit auch in anderen Teilen der Welt. Die Verhältnissen entsprächen jenen, die sich aus der Niederschrift vom ergäben; für einen im Vergleich zu den der Niederschrift zu Grunde liegenden Verhältnissen noch länger dauernden Aufenthalt in Österreich spreche, dass die Mitbeteiligte ganzjährig einen Pkw in Österreich zum Verkehr zugelassen habe und sich ihr Sohn Erik mehrmals nach Verletzungen in Österreich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen.

Bei der Niederschrift vom handelt es sich um eine solche über die Aussage der Mitbeteiligten. In dieser Aussage bringt die Mitbeteiligte zum Ausdruck, dass ihr Ehemann im Jahr 2003 noch mit Hauptwohnsitz im Haushalt seiner Eltern gemeldet gewesen ist, wo auch ein Wohnsitz der Mitbeteiligten gelegen ist. Hiezu ist darauf zu verweisen, dass sich die Verhältnisse, soweit diese Ausführungen über die melderechtlichen Verhältnisse als Vorbringen betreffend das tatsächliche Bestehen eines (gemeinsamen) Wohnsitzes in Österreich zu verstehen sind, sich in der Folge geändert haben. Das Finanzamt hat in der Berufungsvorentscheidung ausgeführt, dass der Ehemann der Mitbeteiligten keinen Wohnsitz mehr in Österreich hat, er aber gemeinsam mit der Mitbeteiligten eine Wohnung in den USA bewohnt; diesen Ausführungen hat die Mitbeteiligte im weiteren Verfahren nicht widersprochen. Unzutreffend sind daher die Ausführungen der belangten Behörde, es wäre keine Änderung der Verhältnisse eingetreten, ist doch für den im Beschwerdefall zu beurteilenden Zeitraum maßgebend, dass von den drei Wohnsitzen der Mitbeteiligten nur einer der gemeinsame Wohnsitz mit ihrem Ehemann ist und sich dieser in den USA befindet. Dazu kommt, dass die Mitbeteiligte in den USA von ihrem Sohn entbunden worden ist. Befindet sich der gemeinsame Familienwohnsitz in den USA, kommt dem Umstand, dass die Mitbeteiligte uU mehr als sechs Monate im Jahr an den Wohnsitzen in Österreich bei ihren Eltern und Schwiegereltern verbracht hat, für sich allein nicht mehr die wesentliche Bedeutung zu. Feststellungen darüber, dass die Wohnung in den USA sich nicht für eine vierköpfige Familie eigne, wie dies die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift ausführt, hat die belangte Behörde nicht getroffen. Nicht von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Sohn Erik mehrmals in Österreich ärztlich behandelt worden ist und die Mitbeteiligte, wie sie in ihrem Vorlageantrag ausführt, "noch immer" ein Kfz in Österreich hält.

Im Übrigen ist es auch nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde auf Grund der vagen Angaben der mitbeteiligten Partei (in der Berufung: Sie verbringe "sehr viel Zeit in Österreich"; im Vorlageantrag: Sie sei "sehr oft in Österreich"; in der Vorhaltsbeantwortung vom : Sie halte sich "ein paar Mal (bis zu vier Mal) im Jahr in Österreich auf. Die Länge eines Aufenthalts variiert (ein bis drei Monate)") zu der Feststellung gelangt ist, dass sich die mitbeteiligte Partei nun länger als sechs Monate im Jahr in Österreich aufhalte.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am