VwGH vom 21.11.2011, 2009/18/0179
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des K K in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/44.742/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1992 nach Österreich eingereist, seither durchgehend im Bundesgebiet aufhältig und verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Er habe vier Jahre Volksschule und fünf Jahre Hauptschule im Bundesgebiet besucht.
Am sei der Beschwerdeführer vom Jugendgerichtshof Wien gemäß § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4, § 130 und § 15 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er zusammen mit einem Mittäter im Dezember 2001 gewerbsmäßig in mehreren Angriffen in Geschäften Kleidungsstücke und Schuhe gestohlen bzw. zu stehlen versucht habe.
Diese Strafe habe den Beschwerdeführer jedoch nicht davon abhalten können, neuerlich einschlägig straffällig zu werden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom sei der Beschwerdeführer gemäß § 127, § 129 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er am nach einem Einbruch in eine Wohnung einen Computer mit Flachbildschirm und eine Tastatur gestohlen sowie sich am als Tankwart einen ihm anvertrauten Bargeldbetrag in der Höhe von etwa EUR 2.500,-- angeeignet habe.
Zuletzt sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (vom ) gemäß § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4, § 129 Z. 1, § 130 sowie § 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Juni 2008 in insgesamt neun Angriffen gewerbsmäßige Einbruchsdiebstähle verübt und dabei diverse - im angefochtenen Bescheid näher beschriebene - Gegenstände gestohlen bzw. zu stehlen versucht habe.
Der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand sei somit verwirklicht. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, insbesondere das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität, dar, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich des § 66 FPG - (auch) im Grunde des § 60 Abs. 1 iVm § 56 Abs. 1 FPG gegeben seien. Das wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Eine Verhaltensprognose zu Gunsten des Beschwerdeführers könne schon deshalb nicht gestellt werden, weil er zuletzt seine von hoher krimineller Energie gekennzeichneten Straftaten in einer Vielzahl von Angriffen in einem sehr kurzen Zeitraum und zudem gewerbsmäßig gesetzt habe.
Der Beschwerdeführer lebe seit 1992 durchgehend im Bundesgebiet. Im Inland befänden sich auch seine Mutter sowie seine beiden Brüder, die alle über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten. Daher sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, jedoch dringend geboten und somit im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Ungeachtet des mehr als 16-jährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet könne er sich nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen. Diese werde entscheidend dadurch gemindert, dass die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert werde. Auch von einer beruflichen Integration könne nicht ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer in den letzten Jahren Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen habe. Einer Beschäftigung sei er nur sporadisch und bei ständig wechselnden Arbeitgebern nachgegangen. Die familiären Bindungen seien insofern zu relativieren, als er - eigenen Angaben zufolge - vor seiner Inhaftierung weder mit seiner Mutter noch mit seinen Brüdern im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Seit seiner Entlassung aus der Haft am wohne der Beschwerdeführer bei einem seiner Brüder.
Den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stünden die genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen, insbesondere jene an der Einhaltung der strafrechtlichen Normen, gegenüber. Die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers (und seiner Familie) wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
Auch die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des § 61 FPG stünden der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht "von klein auf" im Inland aufgewachsen sei.
II.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , B 354/09-3, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der darüber nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, unbestritten. In Anbetracht der rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.
Die Beschwerde bringt zunächst mit Hinweis auf Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG vor, die belangte Behörde sei unzuständig und es müsse ein unabhängiges Tribunal entscheiden.
Die Richtlinie 2003/109/EG - soweit hier relevant - wurde durch § 56 FPG im innerstaatlichen Recht umgesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur in Fällen einer - durch § 56 Abs. 1 FPG bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ermöglichten - Aufenthaltsbeendigung sowohl bei Fremden, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" verfügen, als auch bei Fremden, die einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" innehaben, keine Bedenken hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde erkannt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0603, und vom , Zl. 2007/18/0868). Es besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung, sich dem entgegenstehend zu äußern. Ferner ist allein aus der langjährigen Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers keine Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates abzuleiten (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0897, mwN).
Im Übrigen unterliegen fremdenpolizeiliche Maßnahmen wie vorliegend die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK.
Die Beschwerde wendet sich auch nicht gegen die von der belangten Behörde "im Grunde des § 60 Abs. 1 iVm § 56 Abs. 1 leg. cit." erstellte Gefährdungsprognose. Angesichts der wiederholten Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verbrechen (§ 56 Abs. 2 Z. 1 FPG) sowie wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung beruht wie eine andere von ihm begangene strafbare Handlung, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten (§ 56 Abs. 2 Z. 2 FPG), der teilweise gewerbsmäßig ausgeführten Tathandlungen, des deutlich gesteigerten Unrechtsgehaltes sowie der zahlreichen Angriffe innerhalb kurzer Zeit, die dem Urteil vom August 2008 zugrunde lagen, begegnet diese Ansicht der belangten Behörde keinen Bedenken.
Auch wenn der Beschwerdeführer auf seine Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung und seine "intensive Inanspruchnahme der Bewährungshilfe" hinweist, ist der seit seiner Haftentlassung am vergangene Zeitraum von etwa eineinhalb Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides angesichts seines bereits zweimaligen einschlägigen Rückfalls viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können. Ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu prüfen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0430, mwN). Die Fremdenpolizeibehörde hat ihre Beurteilung auch eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0221, mwN).
Entgegen der Beschwerdeansicht ist der Beschwerdeführer auch nicht als "von klein auf in Österreich aufgewachsen" anzusehen, weil diese Wendung nach ständiger hg. Rechtsprechung für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0144, mwN), und der Beschwerdeführer unbestritten erst im Alter von sechs Jahren nach Österreich gelangt ist.
Die Beschwerde wendet sich unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gegen den angefochtenen Bescheid und verweist in diesem Zusammenhang auf den langen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie seine familiären Bindungen zu seiner Mutter und seinen Brüdern samt deren Familien, zu denen er einen sehr engen und regelmäßigen Kontakt pflege. Er beherrsche die bosnische Sprache gut, habe seine prägendsten Jahre aber in Österreich verlebt, hier die Volks- und Hauptschule absolviert sowie eine Lehre begonnen, diese jedoch abgebrochen. Seit seiner Haftentlassung (am ) wohne er bei einem seiner Brüder und habe eine geringfügige Beschäftigung angenommen. Sein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis befinde sich in Österreich, in Bosnien habe er überhaupt keine Anknüpfungspunkte mehr, weil seine gesamte Familie in Österreich lebe.
Diese Umstände hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Interessenabwägung ausreichend berücksichtigt. Zu Recht hat sie der aus dem etwa 16-jährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierenden Integration infolge des gravierenden strafbaren Verhaltens kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Die familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Mutter und seinen Brüdern wird durch seine Volljährigkeit relativiert. Der diesbezüglich geltend gemachte Verfahrensmangel der Behörde erster Instanz geht bereits mangels Relevanzdarstellung ins Leere. Soweit der Beschwerdeführer auf seine geringfügige Beschäftigung sowie eine Kursbesuchsbestätigung des bfi verweist, widerspricht dieses Vorbringen dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG). Unstrittig ist der Beschwerdeführer nicht nachhaltig in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert. Weitere zu berücksichtigende Umstände, wie beispielsweise das Bestehen einer Kernfamilie (vgl. § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG), wurden nicht vorgebracht.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer - somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - selbst dann als dringend geboten erscheinen lässt, wenn man berücksichtigt, dass sich die gesamte Familie des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhält. Eigenen Angaben zufolge beherrscht der Beschwerdeführer die bosnische Sprache gut. Die mit der Wiedereingliederung in seinem Heimatland verbundenen Schwierigkeiten auf Grund fehlender verwandtschaftlicher Beziehungen in Bosnien hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Dass er im Fall seiner Rückkehr nach Bosnien in eine existenzbedrohende oder ausweglose Situation geraten könnte, wurde während des Verwaltungsverfahrens nicht vorgebracht und widerspricht daher dem Neuerungsverbot. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass ihn seine Familie nicht auch in Bosnien finanziell unterstützen könnte.
Auch der Beschwerdehinweis auf das Urteil des EGMR vom , Nr. 1638/08 (Maslov gegen Österreich) ist nicht zielführend, weil der Beschwerdeführer seine Straftaten im Alter von 17, 22 und 23 Jahren verübt hat. Er wurde somit als Erwachsener zweimal in einschlägiger Weise neuerlich straffällig und hat sein kriminelles Verhalten an Intensität noch gesteigert, indem er wiederholt in gewerbsmäßiger Begehungsweise Einbruchsdiebstähle verübt hat. Die von Maslov im Alter von 14 bzw. 15 Jahren verübten Vermögensdelikte - insofern lag dort ein anderer Sachverhalt vor - hat der EGMR hingegen als Ausdruck jugendlicher Delinquenz gewertet.
Zu der Verfahrensrüge, der Beschwerdeführer hätte von der belangten Behörde (mündlich) befragt werden müssen, ist anzumerken, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am