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VwGH vom 22.09.2011, 2009/18/0157

VwGH vom 22.09.2011, 2009/18/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des P J, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/127.386/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, in dem er sich als Staatsangehöriger Kenias ausgegeben habe. Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am einen auf diese Ehe gestützten Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt. Die Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid im asylrechtlichen Verfahren habe er zurückgezogen und dem Bundesasylamt schriftlich bekannt gegeben, dass er nigerianischer Staatsangehöriger sei, sowie einen am in seinem Heimatland ausgestellten nigerianischen Reisepass vorgelegt.

Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 15, § 249 (richtig: § 269) Abs. 1 dritter Fall StGB sowie (des Vergehens) der schweren Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 Z. 4 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am einem Polizeibeamten, der seine Personalien habe aufnehmen wollen, durch Faustschläge eine Schädelprellung zugefügt habe. Auch nachdem er von zwei Beamten überwältigt und festgenommen worden sei, habe der Beschwerdeführer im Streifenwagen wild um sich geschlagen und versucht, die Beamten mit den Beinen zu treten.

Durch das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten habe der Beschwerdeführer seine besondere Gefährlichkeit deutlich zum Ausdruck gebracht, die zweifellos auch ein Grundinteresse der Gesellschaft insoweit berühre, als tätliche Angriffe auf rechtmäßig handelnde Staatsorgane und deren vorsätzliche Verletzung eine manifeste Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Der Beschwerdeführer habe auch keinerlei Bedenken gehabt, gegenüber den Asylbehörden falsche Angaben über seine persönlichen Verhältnisse zu machen, was die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet eines geordneten Asyl- und Fremdenwesens zusätzlich gefährde. Seine wahre Identität habe er erst zu einem Zeitpunkt bekannt gegeben, als er auf Grund der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin damit rechnen habe können, in den Besitz eines Aufenthaltstitels zu gelangen. Mit dem Einbringen eines Asylantrages sei es dem Beschwerdeführer somit ausschließlich darum gegangen, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Inland zu erlangen. Die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG lägen daher vor.

Der Beschwerdeführer halte sich seit etwa sechseinhalb Jahren im Bundesgebiet auf und lebe mit seiner österreichischen Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter im gemeinsamen Haushalt. Dennoch sei die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig, weil der Beschwerdeführer durch seine strafbaren Handlungen nicht nur ein hohes Aggressionspotenzial nachhaltig unter Beweis gestellt habe, sondern darüber hinaus auch deutlich gemacht habe, dass er keine Bedenken habe, gegenüber österreichischen Behörden falsche Angaben zu machen. Er könne sich nicht auf eine allfällige berufliche Integration berufen, weil er bislang noch keiner Beschäftigung nachgegangen sei, obwohl er seit der Eheschließung freien Zugang zum Arbeitsmarkt gehabt habe. Die Bindungen zu seinen Angehörigen würden dadurch erheblich relativiert, dass er zum Zeitpunkt der Eheschließung nur im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen gewesen sei. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass er zu seinem Heimatland nach wie vor Kontakt habe. Die zweifellos gegebenen familiären und privaten Interessen des Beschwerdeführers müssten jedoch gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten.

II.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Ausgehend von den Feststellungen hinsichtlich der aufrechten Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin hat die belangte Behörde zu Recht den Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG herangezogen. Nach dieser Bestimmung ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0831, mwN).

Die belangte Behörde bejahte die Erfüllung dieses Gefährdungsmaßstabes im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer "durch seine strafbaren Handlungen nicht nur sein hohes Aggressionspotenzial nachhaltig unter Beweis gestellt" habe, sondern darüber hinaus auch falsche Angaben gegenüber österreichischen Behörden gemacht habe.

Die Beschwerde bringt vor, die im Jahr 2002 gemachten falschen Angaben im Asylverfahren könnten nicht mehr zur Begründung eines Aufenthaltsverbotes herangezogen werden. Bei seinem (der Verurteilung zugrunde liegenden) Fehlverhalten handle es sich um ein singuläres Ereignis, das von der belangten Behörde angenommene "Aggressionspotenzial" liege nicht vor. (Bereits in der Berufung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer zuvor nie wegen Gewalt- oder anderer Delikte aufgefallen sei, eine Neigung zu Gewalt sei ihm daher nicht zu unterstellen.) Er lebe seit 2002 in Österreich, sei seit Dezember 2004 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und Vater einer im Juli 2006 geborenen (österreichischen) Tochter, verfüge seit Juli 2005 über Niederlassungsbewilligungen und lebe in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen; sowohl seine Ehefrau als auch er seien derzeit berufstätig. Bereits in seiner Stellungnahme vom habe er mitgeteilt, dass er "aus dem AlVG-Bezug bei der Wr. GKK sozialversichert" sei und die Bezugsbestätigung des AMS vom übermittelt, worin ihm ein Arbeitslosengeld ab bescheinigt werde. Für einen Arbeitslosengeldbezug sei eine vorhergehende Beschäftigung von mindestens 52 Wochen Grundvoraussetzung, sodass sich daraus zwangsläufig ergebe, dass er nicht - wie von der belangten Behörde festgestellt - bisher keiner Beschäftigung nachgegangen sei. Die belangte Behörde hätte, weil dies entscheidungswesentlich sei, Erhebungen über seine Integration am Arbeitsmarkt anstellen müssen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Es ist nicht ersichtlich, woraus die belangte Behörde ableitet, der Beschwerdeführer habe sein "hohes Aggressionspotenzial nachhaltig " unter Beweis gestellt. Aus dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers ist fallbezogen auch nicht ohne weiteres dessen "besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft" ersichtlich.

Die Angabe falscher Daten im Asylverfahren lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits über sechs Jahre zurück und der Beschwerdeführer hat seinen Fehler gegenüber dem Bundesasylamt gleichzeitig mit der Beendigung des Asylverfahrens selbst aufgeklärt (vgl. zur Angabe falscher Daten in Asylverfahren die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0067). Warum dieser viele Jahre zurückliegende Sachverhalt nach wie vor eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen soll oder diese Annahme unter Bedachtnahme auf das der Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten verstärken könnte, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.

Sollte sich weiter herausstellen, dass der Beschwerdeführer neben seinen familiären Interessen (Ehefrau und Tochter sind österreichische Staatsbürgerinnen) zusätzlich auf eine Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt verweisen kann, was die belangte Behörde trotz entsprechender Hinweise im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend geprüft hat kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Gesamtbetrachtung bei umfassender Würdigung der privaten Interessen des Beschwerdeführers und der entgegenstehenden öffentlichen Interessen zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-68433