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VwGH vom 09.09.2016, Ra 2016/02/0137

VwGH vom 09.09.2016, Ra 2016/02/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Dr. Köller, Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-2952/001-2015, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Amstetten; mitbeteiligte Partei: H in L, vertreten durch Mag. Ludwig Redtensteiner, Rechtsanwalt in 3340 Waidhofen/Ybbs, Unterer Stadtplatz 27),

1. zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

2. den Beschluss gefasst:

Der Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom wurde der Mitbeteiligte als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft einer arbeitnehmerschutzrechtlichen Übertretung nach § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG i.V.m. § 17 Abs. 1 AM-VO schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

In der Begründung gibt das Verwaltungsgericht den Inhalt des bekämpften Bescheides sowie den der Beschwerde im Wesentlichen wörtlich wieder und hält zuletzt fest, dass seitens des Verwaltungsgerichts dem Vorbringen des Mitbeteiligten in seiner Beschwerde dahingehend zu folgen sei, als gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen nur Maßnahmen ergriffen werden müssten, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten ließen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/02/0293). Zusammenfassend könne gesagt werden, dass den Mitbeteiligten "auch nach Meinung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich aufgrund des eingerichteten umfassenden Kontroll- und Maßnahmensystems im gegenständlichen Verfahren jedenfalls keine subjektive Verschuldenskomponente" treffe, weshalb dem Antrag auf Stattgebung des Rechtsmittels und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens Folge gegeben werden könne.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz mit dem Antrag, es wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Der Mitbeteiligte brachte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision ein. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht brachte ebenfalls eine Revisionsbeantwortung ein, in der sie dem Vorbringen in der Amtsrevision vollinhaltlich zustimmte und den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts stellte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt und damit in der Sache über die dem Mitbeteiligten vorgeworfene Verwaltungsübertretung entschieden. Der Verwaltungsgerichtshof hält nicht an der - im vereinzelt gebliebenen hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/02/0045, zum Ausdruck gebrachten - Rechtsansicht fest, dass eine derartige Einstellung in Beschlussform zu ergehen hätte, zumal mit der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 50 VwGVG über die Beschwerde "in der Sache selbst" entschieden wird; hingegen bezieht sich die in § 28 Abs. 1 VwGVG angesprochene, durch Beschluss vorzunehmende Einstellung des Verfahrens auf das (Beschwerde )Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, etwa im Fall einer Zurückziehung der Beschwerde (in diesem Sinne zur Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens als meritorische Entscheidung auch Faber , Verwaltungsgerichtsbarkeit, Rz 69 zu Art. 130 B-VG; Kolonovits/Muzak/Stöger , Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz 1216; Götzl/Gruber/Reisner/Winkler , Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, Rz 8 zu § 28 und Rz 2 zu § 50 VwGVG; Schmied/Schweiger , Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz, 111).

5 Die Amtsrevision richtet sich im Wesentlichen gegen die dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegende Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Mitbeteiligte ein ausreichendes, zur Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens taugliches Kontrollsystem eingerichtet habe. Die revisionswerbende Partei bringt diesbezüglich vor, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach ein taugliches Kontrollsystem gerade auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen habe und es kein Vertrauen darauf geben könne, dass auch eingewiesene, laufend geschulte und ordnungsgemäß ausgerüstete Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten.

Die Revision ist zulässig und berechtigt:

6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entlastet schlichtes "Vertrauen" darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, den Arbeitgeber nicht (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2016/02/0051, m. w.N.). Das entsprechende Kontrollsystem hat gemäß der ständigen hg. Judikatur auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen (vgl. etwa das vorzitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/02/0045).

7 Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten. Vielmehr ist es für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden (vgl. erneut den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2016/02/0051, mwN).

8 Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, vermag auch das Hinzutreten eines - allenfalls auch krassen - Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zu einem Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/02/0020).

9 Zwar lässt sich weder dem Akteninhalt noch der Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten entnehmen, dass ein derartiges Kontrollsystem im Sinne der dargelegten hg. Rechtsprechung unter Beweis gestellt wurde. Dennoch ist dem Verwaltungsgerichtshof eine abschließende Beurteilung verwehrt, weil das angefochtene Erkenntnis die Mindestanforderungen an die ordnungsgemäße Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 leg cit den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung 1. in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, 2. in der Beweiswürdigung, 3. in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei über die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/03/0076).

11 Den genannten Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof mangels entsprechender Feststellungen nicht nachvollziehbar, welche vom Mitbeteiligten getroffenen Maßnahmen im Sinne eines wirksamen Kontrollsystems das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. Weiters fehlt eine nachvollziehbare rechtliche Beurteilung dahingehend, wie das Verwaltungsgericht zu dem Schluss kommt, dass die mitbeteiligte Partei "keine subjektive Verschuldenskomponente" treffe und im vorliegenden Fall ein funktionierendes Kontrollsystem bestanden habe.

12 Da der Verwaltungsgerichtshof somit im vorliegenden Fall mangels ordnungsgemäßer Begründung des angefochtenen Erkenntnisses gehindert ist, seine Rechtskontrollaufgabe iSd § 41 Abs. 1 VwGG wahrzunehmen, war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Soweit die Bezirkshauptmannschaft Amstetten - als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht - in ihrer Revisionsbeantwortung der Revision "vollinhaltlich zustimmt" und selbst den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses stellt, ist festzuhalten, dass der in der Revisionsbeantwortung vom gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses - der Sache nach als Revision der belangten Behörde zu verstehen - verspätet ist, sodass dieser Antrag gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/02/0099).

Wien, am