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VwGH vom 07.04.2017, Ra 2016/02/0072

VwGH vom 07.04.2017, Ra 2016/02/0072

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Dr. Köller, Dr. Lehofer, Dr. N. Bachler und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des M P in G, vertreten durch Mag. Dr. Christoph Zauhar, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 41.9-2436/2015-13, betreffend Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am stellte der Revisionswerber bei der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von einem allgemeinen Fahrverbot gemäß § 45 Abs. 2 StVO. Begründend führte er dazu aus, dass er jeden Tag mit seinem Sohn, der an Autismus erkrankt sei, mit dem Taxi nach E. zu einer Einrichtung "T." fahren müsse. Der Weg von seinem Wohnort nach E. führe im kürzesten Fall über das Gemeindegebiet W. durch eine näher bezeichnete Straße, welche teilweise durch ein Fahrverbot beschränkt sei. Eine Umgewöhnung auf eine andere Strecke gestalte sich aufgrund der Erkrankung des Sohnes als überaus schwierig, wobei mit Aggressionsanfällen zu rechnen sei, was eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit bedeuten würde.

2 Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung den Antrag des Revisionswerbers ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass weder aufgrund der Stellungnahme der Amtsärztin noch unter Berücksichtigung der vorgelegten Facharztbefunde angenommen werden könne, dass eine bestimmte Fahrtstrecke für die Beförderung des Sohnes des Revisionswerbers "maßgeblich" sein könne.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

In diesem Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht fest, dem Gutachten der medizinischen Sachverständigen zufolge leide der Sohn des Revisionswerbers an einer autistischen Störung, Schlafstörungen sowie einer Hyperaktivitätsstörung und einem Entwicklungsrückstand unklarer Ausprägung nach Frühgeburt und Hirnblutung sowie Schwerhörigkeit und Erblindung des linken Auges. Tagsüber werde der Sohn des Revisionswerbers in einer sozialtherapeutischen Einrichtung in E. betreut, die Fahrten dorthin würden sich nach den Berichten des Familienentlastungsdienstes äußerst schwierig gestalten. Er sei während dieser Fahrten äußerst unruhig, zeige autoaggressives Verhalten, schnalle sich ab, sodass diese Fahrten bereits jetzt nur noch in Begleitung des Vaters möglich seien. Den vorgelegten medizinischen Befunden zufolge sei der Sohn des Revisionswerbers zeitlich, örtlich und situativ desorientiert, eine Kontaktstörung sowie deutliche Aufmerksamkeitsstörungen seien gegeben. Der Antrieb sei gesteigert, er sei unruhig, fahrig und rastlos, zeige stereotype Bewegungen sowie repetitive Verhaltensmuster. Zusätzliche Gefährdungsmomente bestünden durch das Abschnallen, sodass angenommen werden könne, dass diese Verhaltensweisen unabhängig von der jeweiligen Fahrtstrecke aufträten. Auf Antrag des Revisionswerbers sei am in Anwesenheit der medizinischen Sachverständigen eine mündliche Gutachtenserörterung durchgeführt worden. Dabei habe eruiert werden können, dass der Revisionswerber mit seinem Sohn schon seit einigen Jahren über das betreffende Fahrverbot mit einem Taxi zur Betreuungseinrichtung in E. fahre. Auf dieser Fahrt sei er als Betreuungsperson im Taxi anwesend, aber selbst dies gestalte sich seinen eigenen Angaben zufolge meist sehr schwierig. Aus seiner subjektiven Sicht heraus sei jede Veränderung, somit auch jede Veränderung der Fahrtstrecke, für seinen Sohn problematisch. Er selbst habe auch eingestanden, dass solche Fahrten aufgrund der gesundheitlichen Symptomatik seines Sohnes eine grundsätzliche Problematik darstellten, weil nicht vorhersehbar sei, aus welchen Gründen sich die beschriebenen aggressiven Verhaltensweisen seines Sohnes ergäben. Die medizinische Sachverständige habe im Wesentlichen auf ihre schriftlich erstatteten, gutachterlichen Äußerungen verwiesen und habe resümiert, dass aus medizinischer Sicht die Wahl einer anderen, annähernd gleich langen Wegstrecke für den Sohn des Revisionswerbers keine Nachteile ergeben würde, zumal grundsätzlich Autofahrten eine große Stresssituation für ihn darstellten.

In rechtlicher Hinsicht schlussfolgerte das Verwaltungsgericht, dass sich unter sorgfältiger Wertung des beim Sohn des Revisionswerbers vorliegenden gesundheitlich beeinträchtigten Zustandes jede Fahrt mit einem PKW als grundsätzlich problematisch darstelle. Wenngleich der Revisionswerber vermeine, dass geänderte Wegstrecken eine höhere Aggressionssymptomatik hervorrufen würden, habe dies aus den schlüssigen medizinischen Äußerungen der beigezogenen Sachverständigen nicht erwiesen werden können. Vielmehr habe sich die Frage einer grundsätzlich sicheren Transportfähigkeit ergeben, die auf jegliche Fahrten mit einem PKW aufgrund der aggressiven Verhaltensweisen des Sohnes des Revisionswerbers für nicht gewährleistet erachtet werden könne. Somit könne zusammengefasst davon ausgegangen werden, dass eine Änderung der Fahrtstrecke, die gleichzeitig keine wesentliche Verlängerung der Fahrtdauer bewirke, nicht zu mehr oder gravierenderen Aggressionsanfällen als bisher beim Sohn des Revisionswerbers führe.

4 Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision zulassen und gemäß § 42 Abs. 2 VwGG das angefochtene Erkenntnis aufheben oder das angefochtene Erkenntnis abändern und die beantragte Ausnahmebewilligung erteilen. Weiters beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie den Zuspruch von Kostenersatz. Die Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Der gegenständlich maßgebliche § 45 StVO lautet

auszugsweise wie folgt:

"§ 45. Ausnahmen in Einzelfällen.

(1) Die Behörde kann auf Antrag durch Bescheid die Benützung von Straßen mit einem Fahrzeug oder einer Ladung mit größeren als den zulässigen Maßen und Gewichten bewilligen, wenn das Vorhaben im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft liegt, sich anders nicht durchführen läßt und keine erheblichen Erschwerungen des Verkehrs und keine wesentlichen Überlastungen der Straße verursacht. Antragsberechtigt sind der Fahrzeugbesitzer oder die Person, für welche die Beförderung durchgeführt werden soll. Liegt bereits eine entsprechende kraftfahrrechtliche Bewilligung vor, so ist eine Bewilligung nach diesem Absatz nicht erforderlich.

(2) In anderen als in Abs. 1 bezeichneten Fällen kann die Behörde Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung der Straßen gelten, auf Antrag bewilligen, wenn ein erhebliches persönliches (wie zB auch wegen einer schweren Körperbehinderung) oder wirtschaftliches Interesse des Antragstellers eine solche Ausnahme erfordert, oder wenn sich die ihm gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen ließen und weder eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, noch wesentliche schädliche Einwirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe zu erwarten sind.

(...)"

7 Die vorliegende Revision ist zulässig, weil - wie in der Revision aufgezeigt - hg. Rechtsprechung zu der Frage fehlt, ob auch eine schwere Erkrankung, die nicht beim Antragsteller selbst vorliegt, ein erhebliches persönliches Interesse des Antragstellers i.S.d. § 45 Abs. 2 StVO darstellen kann. Sie ist auch berechtigt.

8 Vorauszuschicken ist, dass die Frage, wann ein erhebliches persönliches Interesse im Sinne von § 45 Abs. 2 StVO vorliegt, eine Frage der Umstände des Einzelfalles ist. Ein solches Interesse kann unter anderem auch dadurch begründet werden, dass eine schwere Erkrankung des Kindes des Antragstellers vorliegt und dieses vom Antragsteller betreut wird (vgl. in diesem Sinne etwa , wonach die Betreuung von drei minderjährigen Kindern unter anderem ein berücksichtigungswürdiges persönliches Interesse der Antragstellerin im Sinne des § 45 Abs. 4 StVO darstellen kann; vgl. in diesem Sinne auch Pürstl, StVO, § 45 Anm. 4).

9 Gemäß der ständigen hg. Rechtsprechung ist bei der Prüfung der erforderlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO 1960 ein strenger Maßstab anzulegen und eine solche daher nur bei Vorliegen von gravierenden, die antragstellende Partei außergewöhnlich hart treffenden Gründen zu erteilen (vgl. etwa ).

10 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber sein Interesse an der Ausnahmegenehmigung im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund der Erkrankung seines Sohnes eine Umgewöhnung auf eine andere Fahrtstrecke erschwert werde und mit Aggressionsanfällen seines Sohnes zu rechnen sei, wobei er als Betreuungsperson seines Sohnes bei den Fahrten anwesend sein müsse.

11 Sowohl im Verfahren vor der belangten Behörde als auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurden diesbezüglich Stellungnahmen von Sachverständigen eingeholt. Das Verwaltungsgericht gründete seine Beurteilung, wonach nicht erwiesen werden könne, dass geänderte Wegstrecken eine höhere Aggressionssymptomatik hervorrufen würden, auf die "schlüssigen medizinischen Äußerungen der beigezogenen Sachverständigen". Diese seien für das Verwaltungsgericht logisch und nachvollziehbar und seien aus diesem Grund der vorliegenden Entscheidung vorbehaltlos zugrunde gelegt worden.

12 Diese Stellungnahme der Amtssachverständigen, auf die sich das Verwaltungsgericht bei seiner Begründung gestützt hat, stellt jedoch keine ausreichende Entscheidungsgrundlage für den vorliegenden Fall dar:

Die amtsärztliche Stellungnahme der medizinischen Sachverständigen besteht im Wesentlichen aus einer Zusammenfassung bestehender Berichte und Befunde, welche sich jedoch nicht mit der hier wesentlichen Frage auseinandersetzen, ob aufgrund der Krankheiten des Sohnes des Revisionswerbers eine Änderung von Gewohnheiten zu vermehrten Aggressionsanfällen führen könnte. So ist insbesondere der der Stellungnahme zugrundeliegende Befundbericht Dris. L. eine reine Beschreibung des Zustandes des Sohnes des Revisionswerbers. Auch der psychiatrische Befundbericht, auf den die Amtssachverständige Bezug nimmt, stellt lediglich den Gesundheitszustand aus psychiatrischer Sicht dar, trifft darüber hinaus jedoch keine Aussagen zu der hier zu behandelnden Frage. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Verhaltensweisen des Sohnes des Revisionswerbers unabhängig von der jeweiligen Fahrtstrecke auftreten, und die Wahl der Fahrstrecke keinerlei Einfluss auf sein Verhalten hat, wurden in der amtsärztlichen Stellungnahme nicht angeführt. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass zu keinem Zeitpunkt eine persönliche Begutachtung des Sohnes des Revisionswerbers durch die Amtssachverständige stattgefunden hat und der aktuelle Gesundheitszustand nicht erhoben wurde. Die Stellungnahme der Amtssachverständigen erweist sich schon aus diesem Grund als nicht schlüssig.

13 Weiters blieb es zwar im Verfahren unbestritten, dass allgemein die Beförderung in einem Kfz für den Sohn des Revisionswerbers eine Stresssituation darstellt; dies lässt jedoch per se noch nicht den Schluss zu, dass die Wahl der Fahrtstrecke keinerlei weitere Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes bewirken kann. Die grundsätzlichen Schwierigkeiten betreffend die Beförderung des Sohnes schließen einen derartigen Einfluss nämlich nicht aus und stellen ebenfalls keine nachvollziehbare Begründung für die gegenständlich relevante Frage der Auswirkungen der Änderung der Strecke auf den Gesundheitszustand des Sohnes dar.

14 Es hat somit im Ergebnis keine ausreichend begründete gutachterliche Auseinandersetzung mit der für das vorliegende Verfahren wesentlichen Frage stattgefunden, ob der Sohn des Revisionswerbers aufgrund seines Krankheitsbildes auf eine Änderung der Fahrtstrecke reagiert und in welchem Ausmaß eine solche Änderung allenfalls seinen Gesundheitszustand beeinträchtigt, mag auch sonst die Beförderung mittels Kfz für den Sohn des Revisionswerbers generell schwierig sein.

15 Mangels nachvollziehbarer Feststellungen, ob bei Benutzung einer geänderten Fahrtstrecke mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung für den Sohn des Revisionswerbers zu rechnen ist, sodass von einem erheblichen persönlichen Interesse des Revisionswerbers im Sinne des § 45 Abs. 2 StVO gesprochen werden kann, ist das angefochtene Erkenntnis mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet, weshalb es wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

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Fundstelle(n):
HAAAE-68385