VwGH vom 18.04.2017, Ra 2016/02/0061

VwGH vom 18.04.2017, Ra 2016/02/0061

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und den Hofrat Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-42/001-2015, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Baden; mitbeteiligte Partei: S in B, vertreten durch Mag. Gerhard Bauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom wurde dem Mitbeteiligten als handelsrechtlichem Geschäftsführer und somit dem gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufenen der N(...) GmbH angelastet, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin am auf einer näher bezeichneten Baustelle den Bestimmungen des § 87 Abs. 3 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) zuwidergehandelt habe, weil ein namentlich näher genannter Arbeitnehmer bei Dacharbeiten auf dem ca. 30 Grad steilen Dach des bestehenden Bauwerkes ohne geeignete Schutzeinrichtungen, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhinderten, beschäftigt worden sei, obwohl die Absturzhöhe ca. 6 Meter betragen habe. Der Arbeitnehmer sei auch nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz gesichert gewesen. Gemäß § 87 Abs. 3 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) wurden über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 700,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 15 Stunden verhängt und ihm ein Kostenbeitrag zum Verwaltungsstrafverfahren vorgeschrieben.

2 In der Begründung dieses Straferkenntnisses verwies die Behörde ua. auf die Strafanzeige sowie eine im Verfahren abgegebene Stellungnahme des Arbeitsinspektorates St. Pölten, wonach das vorgeworfene Tatgeschehen auf der gegenständlichen Baustelle aufgrund einer Verständigung der Polizeiinspektion Eichgraben über einen Arbeitsunfall von der Arbeitsinspektorin festgestellt worden sei; der Arbeitnehmer habe am Dach des Einfamilienhauses Montagearbeiten ausgeführt, sei dabei ca. 6 Meter abgestürzt und habe sich schwer verletzt. Schutzmaßnahmen seien jedenfalls sowohl bei den Vorbereitungsarbeiten, wie auch bei den eigentlich durchzuführenden Arbeiten zu treffen. Bei keinem Arbeitsschritt sei es zulässig, dass ein Arbeitnehmer ungesichert Dacharbeiten verrichte. Die N(...) GmbH als Arbeitgeberin hätte zumindest im Arbeitsbereich der Arbeitnehmer geeignete Schutzeinrichtungen zur Verfügung stellen müssen, die den Absturz von Menschen, Materialen und Geräten verhindert hätten. Die Behörde schließe sich den "inhaltlichen Ausführungen und rechtlichen Schlussfolgerungen des Arbeitsinspektorates St. Pölten" vollinhaltlich an.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der gegen dieses Straferkenntnis gerichteten Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit Folge, als die verhängte Geldstrafe mit EUR 166,-- neu festgesetzt und der Kostenbeitrag zum Verwaltungsstrafverfahren entsprechend herabgesetzt wurden. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass in der Höhe der verhängten Ersatzfreiheitsstrafe keine Änderung eintrete, vom Mitbeteiligten ein Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren nicht zu leisten und die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 Begründend führt das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Beschwerdeinhaltes samt einer zur Beschwerde ergangenen Stellungnahme des Arbeitsinspektorates St. Pölten, sowie nach Darlegung des aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens festgestellten Sachverhaltes aus, der Sachverhalt sei vom Mitbeteiligten nicht in Abrede gestellt worden; es sei lediglich das Verschulden als Arbeitgeber bestritten worden, weil keine Verletzung von Sorgfaltspflichten vorgelegen sei. Dazu sei auszuführen, dass der Arbeitnehmer ohne Schutzausrüstung 6 Meter vom Dach abgestürzt und daher das Kontrollsystem der N(...) GmbH nicht ausreichend gewesen sei, um einen derartigen Arbeitsunfall zu verhindern. Den Mitbeteiligten treffe als Geschäftsführer das Verschulden, weil der Arbeitnehmer bei den Arbeiten am Dach nicht gesichert gewesen sei. Er habe daher das Tatbild der angelasteten Verwaltungsübertretung in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht. Das Verwaltungsgericht sehe allerdings das Verschulden als gering an, "insbesondere deshalb, weil es bei der großen Anzahl von 100 bis 150 Baustellen pro Jahr unter verschiedensten Bedingungen noch nie zu einem Arbeitsunfall gekommen sei und das vorhandene Gerüst bzw. Dachfanggitter aufgrund der besonderen Gegebenheiten nicht verwendet werden" habe können. Auch die persönliche Schutzausrüstung sei vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt und bei den Arbeiten am Vortag (des angelasteten Tatzeitpunktes) verwendet worden. Da Erschwerungsgründe nicht vorlägen, könne mit der im Gesetz vorgesehenen Mindeststrafe das Auslangen gefunden werden. Die persönlichen Verhältnisse des Mitbeteiligten laut seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (monatliches Einkommen von EUR 3.000,-- brutto 12 Mal jährlich, als wesentliches Vermögen ein Einfamilienhaus im Hälfteeigentum, belastet mit EUR 20.000,-- Kredit, keine weiteren persönlichen Verbindlichkeiten, sowie Sorgepflichten für zwei Kinder) seien berücksichtigt worden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben, in eventu dieses gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahingehend abändern, dass die Beschwerde des Mitbeteiligten abgewiesen und das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom bestätigt werde.

6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 § 87 Abs. 3 BauV, BGBl. Nr. 340/1994 in der Fassung

BGBl. II Nr. 77/2014, lautet:

"Arbeiten auf Dächern

Allgemeines

§ 87. (...)

(3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern, wie insbesondere Dachfanggerüste (§ 88). Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Wenn Arbeiten auf Dächern gleichzeitig oder aufeinanderfolgend sowohl an der Dachfläche als auch an der Traufe durchgeführt werden, müssen solche Schutzeinrichtungen verwendet werden, die sowohl für die Arbeiten an der Dachfläche als auch für die Arbeiten an der Traufe wirksam sind.

(...)"

8 Gemäß § 161 BauV, BGBl. Nr. 340/1994 in der Fassung BGBl. II Nr. 121/1998, sind Übertretungen dieser Verordnung nach § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG zu bestrafen.

9 Gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2013, begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von EUR 166,-- bis 8.324,--, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von EUR 333,-- bis 16.659,-- zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

10 Die vorliegende Amtsrevision rügt in den Gründen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Das Verwaltungsgericht habe die verhängte Strafe auf die Mindeststrafe herabgesetzt, obwohl die verfahrensgegenständliche Übertretung der BauV zu einem schweren Arbeitsunfall geführt habe, sodass die Schädigung oder Gefährdung der Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene, hoch gewesen sei. Milderungsgründe seien vom Verwaltungsgericht nicht bezeichnet worden. In Fällen, in denen ein geeignetes Kontrollsystem nicht eingerichtet worden sei, könne von einem geringen Verschulden nicht gesprochen werden. Es liege eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Frage vor, ob die Mindeststrafe verhängt werden dürfe, wenn die Tat schwere Folgen nach sich gezogen habe, bzw. ob bei Vorliegen eines unzureichenden Kontrollsystems von geringem Verschulden ausgegangen werden und die Mindeststrafe verhängt werden dürfe.

11 Die vorliegende Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht bei der verfahrensgegenständlichen Verhängung der Mindeststrafe gemäß § 130 Abs. 5 ASchG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.

12 Vorauszuschicken ist, dass es sich bei der Frage der Strafbemessung im Allgemeinen um eine einzelfallbezogene Abwägung handelt, welche keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG darstellt. Dieser Grundsatz besitzt solange Gültigkeit, als die Strafbemessung in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. z.B. , mwN).

13 Im Revisionsfall geht das Verwaltungsgericht von der Verwirklichung des dem Mitbeteiligten vorgeworfenen Tatbestandes aus, bejaht jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung der Mindeststrafe von EUR 166,-- gemäß § 130 Abs. 5 ASchG.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt die Verhängung der Mindeststrafe regelmäßig nur dann in Betracht, wenn entweder die mit der Tat verbundene Schädigung oder Gefährdung der Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sehr gering war, die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe überwiegen, das Verschulden entsprechend gering ist oder die in § 19 Abs. 2 letzter Satz VStG angeführten persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten die Verhängung der Mindeststrafe rechtfertigen (vgl. etwa , mwN).

15 Diese Voraussetzungen liegen gegenständlich nicht vor:

16 Die Bestimmungen der BauV dienen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der auf einer Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer (vgl. § 1 Abs. 1 BauV iVm § 2 Abs. 3 dritter Satz ASchG); der der gegenständlichen Bestrafung zugrundegelegte § 87 Abs. 3 BauV zielt dabei konkret auf den Schutz von Arbeitnehmern vor Unfällen bei Arbeiten auf Dächern der in dieser Verordnungsbestimmung genannten Art ab. Angesichts der Tatsache, dass dem Revisionsfall gerade der Absturz eines Arbeitnehmers von einem solchen Dach - über eine Höhe von etwa 6 Metern - zugrundeliegt, kann jedenfalls nicht davon gesprochen werden, dass die mit der angelasteten Tat verbundene Schädigung oder Gefährdung der Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sehr gering gewesen sei; dies unabhängig davon, ob dieser Arbeitsunfall schwere oder aber auch nur leichte Folgen nach sich gezogen hat, weil es nach der dargestellten hg. Rechtsprechung nicht erst auf die Schädigung, sondern bereits auf die Gefährdung der Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, ankommt und in Anbetracht des gegenständlichen Sachverhaltes von einer sehr geringen Gefährdung jedenfalls nicht die Rede sein kann.

17 Wenn das Verwaltungsgericht zur Begründung der Verhängung der Mindeststrafe ein geringes Verschulden des Mitbeteiligten annimmt, ist dazu auf die ständige hg. Rechtsprechung hinzuweisen, wonach bei Fehlen eines funktionierenden Kontrollsystems zur Verhinderung von Übertretungen von einem geringfügigen Verschulden nicht gesprochen werden kann (vgl. z.B. , vom , 92/18/0461, oder bereits vom , 91/19/0225, jeweils mwN). Ausgehend von der Feststellung im angefochtenen Erkenntnis, dass gegenständlich ein ausreichendes Kontrollsystem nicht eingerichtet war, durfte das Verwaltungsgericht daher nicht vom Vorliegen eines geringen Verschuldens des Mitbeteiligten ausgehen.

18 Darüberhinaus liegt auch ein die Verhängung der Mindeststrafe rechtfertigendes Überwiegen von Milderungsgründen gegenüber Erschwerungsgründen nicht vor: Weder die Tatsache, dass ein vorhandenes Gerüst nicht habe verwendet werden können, bzw. dass die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung am Vortag des Unfalles verwendet worden sei, noch das Faktum, dass es, wie das Verwaltungsgericht ausführt, "bei der großen Anzahl von 100 bis 150 Baustellen pro Jahr unter verschiedensten Bedingungen noch nicht zu einem Arbeitsunfall gekommen" ist, stellen dem Mitbeteiligten im Rahmen der gegenständlichen Strafzumessung zurechenbare Milderungsgründe dar (vgl. zur Frage der "relativen Unbescholtenheit" etwa , oder auch vom , 2001/03/0218, jeweils mwN).

19 Dass schließlich die in § 19 Abs. 2 letzter Satz VStG angeführten persönlichen Verhältnisse des Mitbeteiligten die Verhängung der Mindeststrafe rechtfertigen würden, hat das Verwaltungsgericht weder ausgeführt, noch ist dies angesichts der dem angefochtenen Erkenntnis zugrundegelegten persönlichen Verhältnisse des Mitbeteiligten ersichtlich.

20 Aus den angeführten Gründen erweist sich das angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016020061.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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