TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 22.09.2011, 2009/18/0121

VwGH vom 22.09.2011, 2009/18/0121

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der SS in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/2.895/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin, eine mazedonische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei im Besitz eines vom bis gültigen Schengenvisums C gewesen und am nach Österreich gelangt. Sie habe am einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht und eine Familiengemeinschaft mit ihrer Schwiegertochter, einer österreichischen Staatsbürgerin, angestrebt. In der Folge seien ihr Niederlassungsbewilligungen als begünstigte Drittstaatsangehörige und zuletzt - mit Gültigkeit vom bis - als "Angehörige" erteilt worden. Am (richtig: ) habe die Beschwerdeführerin einen Verlängerungsantrag eingebracht.

Vom Landeshauptmann von Wien ("MA 35") als Titelbehörde sei festgestellt worden, dass die Zusammenführende die zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung an die Beschwerdeführerin notwendigen finanziellen Mittel nicht habe nachweisen können. Nach erfolgtem Parteiengehör sei mit Schreiben vom eine Aktenübermittlung gemäß § 25 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG an die erstinstanzliche Behörde (Bundespolizeidirektion Wien) erfolgt, die die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom ausgewiesen habe, wogegen Berufung erhoben worden sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter anderem aus, die Beschwerdeführerin habe die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger von Österreicher/EU-Bürger/Schweizer" als Aufenthaltstitel beantragt. Sie sei Angehörige ihrer österreichischen Schwiegertochter als "Zusammenführende" im Sinn des § 47 Abs. 3 iVm Abs. 1 NAG. Unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 2 Z. 4, Abs. 5 und Abs. 6 NAG vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass die von der Schwiegertochter der Beschwerdeführerin abgegebene Haftungserklärung nicht tragfähig sei.

Die Zusammenführende sei mit dem Sohn der Beschwerdeführerin verheiratet, beziehe ein monatliches Kinderbetreuungsgeld (bei 31 Tagen) in der Höhe von EUR 638,29 und sei gegenüber zwei minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig. Keine Unterhaltspflicht bestehe gegenüber ihrem Ehemann, weil dessen Einkommen ausreichend sei. Das nicht pfändbare Existenzminimum gemäß § 291 (richtig: § 291a) Exekutionsordnung - EO betrage für die Zusammenführende und die minderjährigen Kinder EUR 847,00; für die Beschwerdeführerin seien zusätzlich EUR 726,00 erforderlich. Der maßgebliche Richtsatz nach § 293 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG, der der Beschwerdeführerin eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen könnte, liege aber (für 2008) bei EUR 747,00. Diesen Betrag könne die finanzielle Leistungsfähigkeit der Zusammenführenden bei Weitem nicht erreichen. Insgesamt wäre für die Beschwerdeführerin, die Zusammenführende und deren Kinder monatlich ein Betrag von EUR 1.594,00 erforderlich. Daran ändere auch die Einbeziehung der der Beschwerdeführerin angeblich zustehenden Rente in der Höhe von EUR 80,00 pro Monat nichts.

Das von der Beschwerdeführerin im Titelverfahren erstattete Vorbringen sei insoweit nicht zielführend, als der Schwiegersohn (richtig: Sohn) der Beschwerdeführerin nicht Zusammenführender sei und ein Abstellen auf sein Einkommen ex lege nicht stattfinde. Eine Anrechnung der alle zwei Monate gebührenden Familienbeihilfe auf die Einkünfte der Zusammenführenden sei deshalb nicht möglich, weil diese Beihilfe ausschließlich für die Kinder zur Deckung deren Bedürfnisse zur Verfügung stehe. Das Sparguthaben (der Zusammenführenden) in der Höhe von EUR 3.000,00 sei überdies zum Nachweis eigener Unterhaltsmittel nicht geeignet.

Schließlich vertrat die belangte Behörde mit näherer Begründung die Ansicht, dass mit der Ausweisung zwar ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden sei, dieser Eingriff jedoch zulässig sei, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 461/08-10, ablehnte und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG (in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

§ 11 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 5 NAG idF BGBl. I Nr. 157/2005 lautet:

"§ 11. (…)

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

(…)

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

(…)

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

(…)"

§ 47 Abs. 1, 2 und 3 NAG idF BGBl. I Nr. 99/2006 lautet:

"§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.

(3) Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird;

(…)

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende

jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

(…)"

2. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Antrag der Beschwerdeführerin als Verlängerungsantrag nach § 47 Abs. 3 NAG zu beurteilen und deren Schwiegertochter als Zusammenführende gemäß § 47 Abs. 3 letzter Satz NAG "unbeschadet eigener Unterhaltsmittel" jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben hatte, wobei andererseits aber mit dieser Haftungserklärung auch in zulässiger Weise der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel des Nachziehenden erbracht werden durfte.

Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Verwaltungsakten lediglich eine Ablichtung der ersten Seite des im September 2007 von der Beschwerdeführerin gestellten Verlängerungsantrages, jedoch weder den vollständigen Antrag noch die diesem beigelegenen Unterlagen und auch keine Haftungserklärung der Zusammenführenden beinhalten.

3.1. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG, wonach der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG führen dürfe, nicht gegeben sei, und die nach § 47 Abs. 3 NAG geforderten Voraussetzungen nicht vorlägen.

3.2. Die Beschwerde macht zunächst geltend, dass das Sparguthaben der Zusammenführenden - nach den Feststellungen der belangten Behörde beträgt dieses Sparguthaben EUR 3.000,00 - monatlich auf die Bewilligungsdauer aliquot anzurechnen gewesen wäre. Bei einer Bewilligungsdauer von einem Jahr hätte dies bereits monatliche Unterhaltsleistungen von EUR 250,00 netto zur Folge gehabt.

Dieses Vorbringen ist insofern berechtigt, als nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Spareinlagen als taugliche Unterhaltsmittel zu berücksichtigen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0027, mwN) und es nach der Aktenlage keine konkreten Hinweise dafür gibt, dass das Sparguthaben der Zusammenführenden nicht zur Verfügung stünde. Die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, das Sparguthaben sei zum Nachweis eigener Unterhaltsmittel nicht geeignet, blieb im angefochtenen Bescheid ebenso unbegründet wie die allgemeine Formulierung im erstinstanzlichen Bescheid, Sparbücher mit einer einmaligen Einlage könnten nicht zu den eigenen Mitteln gerechnet werden.

3.3. Ebenso zutreffend rügt die Beschwerdeführerin, dass die belangte Behörde das Einkommen ihres Sohnes nicht berücksichtigt hat.

Hinsichtlich der Grundsätze zur Beurteilung der Tragfähigkeit einer Haftungserklärung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0637, verwiesen. Es gibt im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Sohn und der Schwiegertochter der Beschwerdeführerin kein Konsens bestehen könnte, mit dem den "Haushaltsrichtsatz" übersteigenden Einkommen diese zu unterstützen. Vielmehr findet sich in den Verwaltungsakten - Unterlagen über die später erfolgten Antragstellungen liegen nicht vor - auch eine Erklärung des Sohnes der Beschwerdeführerin vom , dieser zur Deckung ihrer Bedürfnisse Unterhalt zu gewähren und ihr eine ortsübliche Unterkunft zur Verfügung zu stellen.

3.4. Ausgehend davon ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Schwiegertochter der Beschwerdeführerin ein monatliches Kinderbetreuungsgeld (bei 31 Tagen) in der Höhe von EUR 638,29 bezieht (zur Berücksichtigung des Kinderbetreuungsgeldes bei der Berechnung des "Haushaltseinkommens" vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0754, mwN). Das Einkommen des Sohnes der Beschwerdeführerin beträgt monatlich ca. EUR 1.786,00 (14 mal jährlich; Feststellungen dazu, ob es sich dabei um einen Brutto- oder Nettobetrag handelt, wurden von der belangten Behörde nicht getroffen). Das Sparguthaben der Schwiegertochter weist eine Höhe von EUR 3.000,00 auf; aufgeteilt auf ein Jahr ergebe dies einen monatlichen Betrag von EUR 250,00. Schließlich verfügt die Beschwerdeführerin - wovon die belangte Behörde im Ergebnis letztlich selbst ausgeht - über eine Eigenpension aus ihrem Heimatland in der Höhe von monatlich EUR 80,00.

Die Summe der genannte Beträge ist aber ausreichend, um sowohl den notwendigen Unterhalt der Schwiegertochter und des Sohnes der Beschwerdeführerin (von EUR 1.120,00 gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG idF BGBl. I Nr. 101/2007) sowie den Steigerungsbetrag für die beiden Enkelkinder (insgesamt von EUR 156,58 gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG) sicherzustellen, als auch der Beschwerdeführerin den erforderlichen Betrag von EUR 747,00 (gemäß § 293 Abs. 1 lit. b ASVG) pro Monat zu verschaffen.

Bei diesem Ergebnis muss auf das weitere Beschwerdevorbringen betreffend die geltend gemachte Unterstützungsleistung der Tochter der Beschwerdeführerin in der Höhe von EUR 150,00 nicht mehr eingegangen werden.

Hingegen hat die belangte Behörde bei der Berechnung die Familienbeihilfe zutreffend nicht berücksichtigt (vgl. erneut das hg. Erkenntnis, Zl. 2007/18/0754, mwN).

Da die belangte Behörde die oben dargestellte Rechtslage verkannte, traf sie in weiterer Folge auch keine näheren Feststellungen zum Einkommen des Sohnes der Beschwerdeführerin und unterließ die nach § 11 Abs. 5 NAG geforderte Berechnung anhand der gesetzmäßig festzustellenden Beträge.

4. Unter Hinweis auf die vorstehenden Ausführungen erübrigt es sich, auf das gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung gerichtete Beschwerdevorbringen oder auf die im hg. Beschluss vom , EU 2011/0004-0008, aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen einzugehen.

5. Wegen des unter 3. aufgezeigten Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

6. Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am