VwGH vom 20.06.2017, Ra 2016/01/0153

VwGH vom 20.06.2017, Ra 2016/01/0153

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des M A in W, vertreten durch Dr. Manfred Schlögl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W192 2129433-1/3E, betreffend § 5 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Vorgeschichte

1 Der Revisionswerber ist syrischer Staatsangehöriger und reiste aus der Türkei kommend nach Griechenland und danach über Mazedonien und Serbien nach Slowenien ein, wo er am einen Asylantrag stellte. Danach reiste er nach Österreich ein, wo er am einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Slowenien für die Prüfung seines Antrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des Revisionswerbers gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Slowenien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

In diesem Bescheid wird zu Slowenien unter anderem Folgendes festgestellt:

"3. Dublin-Rückkehrer

Wenn es im Asylverfahren eines Dublin-Rückkehrers bereits eine negative finale Entscheidung gibt, wird der Rückkehrer in ein geschlossenes Zentrum gebracht und muss erneut einen Asylantrag stellen. Dann wird der Antragsteller üblicherweise in ein offenes Zentrum verlegt. Läuft das Verfahren noch, wird der AW im Asylheim untergebracht und das Verfahren fortgesetzt (JRS 9.2011).

Verlässt ein AW das Asylheim ohne Ankündigung für mehr als drei Tage, gilt das als Zurückziehung des Antrags und sein Verfahren wird beendet (EDAL ).

Bei zurückgezogenem Antrag oder eingestelltem Verfahren ist ein Folgeantrag möglich, dieser muss aber neue Elemente enthalten (Art. 56, Law on International Protection)."

Angefochtenes Erkenntnis

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen (A.) und die Revision für unzulässig erklärt (B.).

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass BFA habe am ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Slowenien gestellt, dem die slowenischen Behörden mit Schreiben vom ausdrücklich zugestimmt hätten.

5 Sodann werden im angefochtenen Erkenntnis die im Bescheid enthaltenen Feststellungen zur Lage in Slowenien (gekürzt) nochmals wiedergegeben.

6 Es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber im Falle einer Überstellung nach Slowenien Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

7 Beim Revisionswerber liege eine krankheitswertige psychische Störung vor; weiters psychische Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen wegen schädlichen Gebrauchs. Der Revisionswerber sei auf antidepressive Medikation eingestellt worden und es würden regelmäßig stabilisierende Gespräche geführt. Eine stationäre Behandlung wegen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung sei in Österreich nicht erforderlich gewesen. Die gesundheitliche Beeinträchtigung sei nicht lebensgefährdend.

8 Der Revisionswerber habe in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte, ein Bruder lebe in Deutschland. Beim Revisionswerber sei nach Beurteilung durch Betreuungseinrichtungen und Personen in seinem Umfeld ein "hohes Potential" und Integrationswilligkeit gegeben.

9 Eine den Revisionswerber konkret betreffende Bedrohungssituation in Slowenien sei nicht ausreichend glaubhaft vorgebracht worden. Das Vorbringen, er sei während des Aufenthalts in Slowenien von Polizeibeamten geschlagen worden, sei nicht glaubhaft. Auch habe der Revisionswerber bei der Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin auf entsprechende Nachfrage selbst angegeben, "dass man ihn eher vorgeschoben und er einen Klaps auf die Schulter bekommen habe".

10 Die Gesamtsituation des Asylwesens in Slowenien ergebe sich aus den Länderfeststellungen des Bescheides des BFA. Deren Richtigkeit sei der Revisionswerber in der Beschwerde nicht belegt entgegengetreten. Soweit der Revisionswerber die Novelle zum slowenischen Asylgesetz vom anspreche, bringe diese keine Gefahr einer Grundrechtsverletzung gegenüber dem Revisionswerber mit sich. Ein derartiger Eingriff könne aus der in dieser Novelle normierten Beschleunigung von Asylverfahren und dem Wegfall einer Finanzhilfe nicht abgeleitet werden. Demgegenüber seien die noch am Entwurf der Novelle vorgesehenen Regelungen, wonach die Anträge von Asylwerbern, die aus anderen EU-Ländern nach Slowenien einreisten, abgelehnt werden und wonach die Beschwerde gegen eine Ablehnung keine aufschiebende Wirkung habe, aus dem Gesetzestext gestrichen worden.

11 Das Vorbringen über fehlende Kapazitäten zur Unterbringung von Asylwerbern in Slowenien sei bloß spekulativ. Eine Gefährdung des Revisionswerbers sei daraus nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ableitbar.

12 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, vorliegend liege die Zuständigkeit in Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO, da der Revisionswerber in Slowenien einen Asylantrag gestellt habe und die Republik Slowenien offensichtlich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO in die Prüfung dieses Antrags eingetreten sei. Die Tatsache, dass der Revisionswerber zuvor nach Griechenland eingereist gewesen sei, schade der Zuständigkeit von Slowenien nicht, da eine Überstellung nach Griechenland auf Grund der amtsbekannten systemischen Mängel im dortigen Asylwesen nicht in Betracht komme.

13 Im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK führte das BVwG fallbezogen aus, es sei kein konkretes Vorbringen glaubhaft gemacht worden, das geeignet wäre, anzunehmen, dass der rechtliche und faktische Standard des slowenischen Asylverfahrens eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte erkennen ließe. Aus den Feststellungen zum slowenischen Asylverfahren ergebe sich eindeutig, dass Asylwerbern dort ein rechtsstaatliches Asylverfahren offen stehe, in welchem die Voraussetzungen der Asylgewährung und des Rückschiebungsschutzes im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, definiert seien.

14 Im laufenden Verfahren werde ein Dublin-Rückkehrer im Asylheim untergebracht und das Verfahren fortgesetzt. Verlasse ein Asylwerber das Asylheim ohne Ankündigung für mehr als drei Tage, gelte das als Zurückziehung des Antrags und sein Verfahren werde beendet. Ein Folgeantrag sei jedoch möglich, dieser müsse aber neue Elemente enthalten. Auch bei Zugrundelegung der Behauptung des Revisionswerbers, es gelte sein Verlassen des Asylheims als Zurückziehung seines Antrags, wäre daraus nicht ableitbar, dass er im Falle einer Überstellung nach Slowenien mit einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte rechnen müsse, da den Länderfeststellungen über die Ausgestaltung des Asylsystems in Slowenien zu entnehmen sei, dass in diesem Staat der nonrefoulement-Grundsatz respektiert werde. Es bestünden somit keine Anhaltspunkte dafür, dass über einen etwaigen Folgeantrag unter Verletzung dieses Grundsatzes entschieden werde.

15 Auch weise die in der Zustimmungserklärung der slowenischen Behörden vom bezeichnete Rechtsgrundlage des Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO darauf hin, dass diese davon ausgingen, dass das Verfahren über den Antrag des Revisionswerbers noch anhängig sei. Für die Annahme, dass der Revisionswerber nach Rückstellung nicht entsprechend versorgt und untergebracht werde, ergäben sich aus den Länderberichten und aus dem Revisionsvorbringen keine Anhaltspunkte.

16 Bezüglich der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Revisionswerbers sei nicht hervorgekommen, dass sich dieser in dauernder stationärer Behandlung befände oder auf Dauer nicht reisefähig sei. Dem BVwG lägen keine Hinweise vor, dass beim Revisionswerber eine Erkrankung vorliege, die typischerweise in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK falle bzw. eine Überstellung nach Slowenien unzumutbar erscheinen lasse. Sollte der Revisionswerber in Slowenien einer medizinischen Versorgung bedürfen, sei festzuhalten, dass eine adäquate medizinische Versorgung bestehe. Des Weiteren bestünden für das BVwG keine Zweifel, dass der Revisionswerber unter möglichster Schonung der Person überstellt werde, wofür die zuständige Fremdenpolizeibehörde Sorge und Verantwortung tragen werde und etwaige Überstellungseinschränkungen zu berücksichtigen habe. Anlässlich einer Abschiebung würden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

17 Zur möglichen Verletzung von Art. 7 GRC sowie Art. 8 EMRK führte das BVwG fallbezogen aus, es lebten keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten des Revisionswerbers im Bundesgebiet und lägen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich vor.

18 Nach § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG habe eine mündliche Verhandlung unterbleiben können. Es habe sich kein Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Revisionswerber zu erörtern.

19 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das BVwG habe nicht festgestellt, ob der Revisionswerber wegen Verlassens der Asylunterkunft ohne Ankündigung für mehr als drei Tage eine Zurückziehung des Antrages und Beendigung des Verfahrens in Slowenien bewirkt habe und ob er im Falle seiner Überstellung einen Zugang zu einem inhaltlichen Asylverfahren habe oder lediglich einen Folgeantrag mit neuen Gründen stellen könne. Nach Auffassung des Revisionswerbers würde seine Überstellung nach Slowenien bedeuten, dass er keinen Zugang zu einem Asylverfahren hätte; eine Überstellung nach Slowenien mit dem Wissen durchzuführen, dass seine Asylgründe inhaltlich nicht geprüft würden, sei unzulässig. Es sei Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sicherzustellen, dass die Fluchtgründe eines Antragstellers im Rahmen eines ordentlichen inhaltlichen Asylverfahrens geprüft würden.

20 Die Revision ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Rechtslage

21 § 5 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, lautet:

"Zuständigkeit eines anderen Staates

§ 5. (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."

22 Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180 vom , S. 31 (Dublin III-VO), lautet auszugsweise:

"Artikel 1

Gegenstand

Diese Verordnung legt die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen (im Folgenden ‚zuständiger Mitgliedstaat').

Artikel 2

Definitionen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

...

d) ‚Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz' die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen oder Urteile der zuständigen Behörden in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß der Richtlinie 2013/32/EU und der Richtlinie 2011/95/EU mit Ausnahme der Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß dieser Verordnung;

...

Artikel 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen

Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

...

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

...

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines

Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat ..., nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

...

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab."

23 Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180 vom , S. 60 (Verfahrens-RL), lautet auszugsweise:

"Artikel 28

Verfahren bei stillschweigender Rücknahme des Antrags oder Nichtbetreiben des Verfahrens

(1) Besteht Grund zu der Annahme, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde entweder entscheidet, die Antragsprüfung einzustellen oder, sofern die Asylbehörde den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU als unbegründet ansieht, den Antrag abzulehnen.

Die Mitgliedstaaten können insbesondere dann davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stillschweigend zurückgezogen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, wenn er nachweislich

...

b) untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort oder Ort

seiner Ingewahrsamnahme ohne Genehmigung verlassen und nicht innerhalb einer angemessenen Frist die zuständige Behörde kontaktiert hat, oder seinen Melde- und anderen Mitteilungspflichten nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist, es sei denn, der Antragsteller weist nach, dass dies auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.

Die Mitgliedstaaten können Fristen oder Leitlinien für die Anwendung dieser Bestimmungen festsetzen.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft wird.

Die Mitgliedstaaten können eine Frist von mindestens neun Monaten vorschreiben, nach deren Ablauf das Verfahren nicht wieder eröffnet werden darf beziehungsweise der neue Antrag als Folgeantrag behandelt und nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft werden kann. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass das Verfahren des Antragstellers nur ein Mal wieder eröffnet werden darf.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betreffende Person nicht entgegen dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung abgeschoben wird.

Die Mitgliedstaaten können der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt gestatten, in dem sie eingestellt wurde.

(3) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Verordnung (EU) Nr. 604/2013.

...

Artikel 40

Folgeanträge

...

(2) Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind."

24 Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl. L 180 vom , S. 96 (Aufnahme-RL), lautet auszugsweise:

"Artikel 19

Medizinische Versorgung

(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Antragsteller die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst.

(2) Die Mitgliedstaaten gewähren Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung."

Grundsätzlich

25 In ihrem Zulässigkeitsvorbringen spricht die Revision die grundsätzliche Rechtsfrage an, inwieweit die Asylbehörden (und damit auch das BVwG) im Rahmen eines "Dublin-Verfahrens" nach § 5 AsylG 2005 verpflichtet sind, die nationalen Regelungen eines zuständigen Mitgliedstaates der Europäischen Union im Hinblick auf Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK zu untersuchen.

26 Dabei geht es in der vorliegenden Rechtssache um die (festgestellte) Regelung (der Republik Slowenien), dass das Verlassen der Asylunterkunft ohne Ankündigung für mehr als drei Tage als Zurückziehung des Antrags gelte und das Asylverfahren beendet werde. In diesem Fall sei nur ein Folgeantrag möglich, der neue Elemente enthalten müsse.

27 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das im Dublin-System vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/01/0090, mwN).

28 Nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom in der Rechtssache C-578/16 PPU, C.K. und andere gegen Slowenien, ECLI:EU:C:2017:127, ist Art. 4 GRC dahingehend auszulegen, dass die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Dublin III-VO, auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestehen, nur unter Bedingungen vorgenommen werden darf, die es ausschließen, dass mit seiner Überstellung eine tatsächliche und erwiesene Gefahr verbunden ist, dass er eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieses Artikels erleidet (Tenor).

29 Wie das Urteil des EuGH C.K. zeigt, das den Gesundheitszustand einer Asylwerberin betrifft, kann Art. 4 GRC im Hinblick auf die individuelle Lage des Betroffenen Bedeutung haben.

30 So nennt auch § 5 Abs. 3 AsylG 2005 "besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, (...) die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen".

31 Was die allgemeine Lage im zuständigen Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) anlangt, ist auf die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 hinzuweisen.

Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005

32 § 5 Abs. 3 AsylG 2005 normiert für den Fall, dass nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder offenkundig sind, die Vermutung gilt, dass der Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) Schutz vor Verfolgung findet.

33 Mit § 5 Abs. 3 AsylG 2005 wurde eine gesetzliche "Beweisregel" geschaffen, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig macht, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" im nach dem Dublin-System zuständigen Mitgliedstaat von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung ist jedoch unter näher bezeichneten Voraussetzungen widerlegbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/18/0113 bis 0120, mwN auf die bisherige hg. Rechtsprechung).

34 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 - dort: in Bezug auf Ungarn - dann als erschüttert erachtet, wenn sich die Lage im anderen Mitgliedstaat durch den in jüngerer Zeit stattgefundenen massiven Zustrom von Asylwerbern geändert hat und infolgedessen für den betroffenen Fremden ein "real risk" einer dem Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC widersprechenden Behandlung in diesem Mitgliedstaat besteht, wofür es aber über den - als notorisch anzusehenden - erhöhten Zustrom von Asylwerbern hinaus konkreter Hinweise bedarf. Diese für eine Widerlegung der Sicherheitsvermutung sprechenden strengen Kriterien hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf Slowenien als nicht erfüllt angesehen, zumal auch keine Anhaltspunkte im Hinblick auf eine notorische Lageänderung vorgelegen seien (vgl. zu allem das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/19/0027, mwN).

35 Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann.

36 Die Beurteilung, ob festgestellte Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/18/0053, mwN).

37 Hinzu kommt folgender unionsrechtlicher Hintergrund:

Unionsrechtlicher Hintergrund

Prinzip des gegenseitigen Vertrauens

38 Der EuGH hat im Urteil vom in den verbundenen Rechtssachen C-411/10, N. S., und C-493/10, M.E. u.a, ECLI:EU:C:2011:865, im Zusammenhang mit der Verordnung EG Nr. 343/2003 (Dublin-II VO), ausgeführt, dass die "Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen ... Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht." (Rn. 78 bis 80). Nur wenn ernsthaft zu befürchten wäre, "dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar" (Rn. 86).

39 Diese Sichtweise wurde in Art. 3 Abs. 2 zweiter Unterabsatz der Dublin-III VO ausdrücklich verankert. Sie fußt auf dem grundsätzlichen Prinzip des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie es der EuGH beschreibt: "Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet." (Urteil des EuGH, N.S., Rn. 83).

40 Auf diese Rechtsprechung verweist der EuGH im Urteil C.K. und betont, dass sich die Dublin III-VO hinsichtlich der den Asylbewerbern gewährten Rechte in wesentlichen Punkten von der Dublin II-VO unterscheidet (Rn. 62, mit Verweis auf das Ghezelbash, C-63/15, EU:C:2016:409, Rn. 34). Der EuGH hält fest, dass der Unionsgesetzgeber zum einen in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO die auf das Urteil vom , N. S. zurückgehende Rechtsprechung kodifiziert und zum anderen in den Erwägungsgründen dieser Verordnung hervorgehoben hat, dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung an die Rechtsprechung des EGMR und an Art. 4 GRC gebunden sind (Rn. 63). Daraus folgt die Verpflichtung, einen besonders ernsten Gesundheitszustand eines Asylwerbers nach den Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK, insbesondere dem Urteil des EGMR vom , Beschwerde Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, zu berücksichtigen (vgl. Rn. 66 ff).

41 Im Hinblick auf die allgemeine Lage im Mitgliedstaat in diesem Zusammenhang (nämlich im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen und die verfügbare Versorgung im zuständigen Mitgliedstaat) hebt der EuGH (unter Verweis auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Dublin III-VO, im Einklang mit den Art. 17 bis 19 der Aufnahme-RL den Asylbewerbern die erforderliche medizinische Versorgung und Hilfe zu gewähren) hervor, dass aufgrund des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten eine starke Vermutung dafür besteht, dass die den Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten gebotene medizinische Behandlung angemessen sein wird (Rn. 70). An anderer Stelle betont der EuGH, dass die fragliche Auslegung voll und ganz den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wahrt, "denn sie berührt keineswegs die Existenz einer Vermutung für die Einhaltung der Grundrechte in allen Mitgliedstaaten, sondern stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten den im vorliegenden Urteil behandelten Ausnahmefällen gebührend Rechnung tragen" (Rn. 95).

42 Damit ändert diese Rechtsprechung nichts am Prinzip des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten, vielmehr hält der EuGH fest, dass die Rechtsprechung des EuGH im Urteil N.S. und das darin angeführte Prinzip des gegenseitigen Vertrauens in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO ausdrücklich verankert (kodifiziert) wurde.

43 Daher ist bei der Prüfung der allgemeinen Lage im zuständigen Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens maßgeblich. In der Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 findet sich dieses Prinzip wieder.

44 Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten, das nach der Rechtsprechung des EuGH den "Daseinsgrund der Union" berührt (vgl. Urteil N.S., Rn. 83), bestärkt die Sichtweise, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann.

Prüfung der Rechts- und Sachlage

45 Im zitierten Urteil Ghezelbash hat der EuGH darauf hingewiesen, dass der in der Dublin III-VO vorgesehene wirksame Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen auch die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen sollte, in den der Antragsteller überstellt wird. Mit dieser Prüfung soll nur kontrolliert werden, welche Lage in dem Mitgliedstaat herrscht, an den der Antragsteller überstellt wird, und insbesondere sichergestellt werden, dass die Überstellung des Antragstellers nicht aus den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Gründen unmöglich ist (vgl. Rn. 39 und 40).

Prüfung des Antrages nach Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO

46 Zur Verpflichtung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz durch den zuständigen Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) hat der PPU, Shiraz Baig Mirza, ECLI:EU:C:2016:188, bereits entschieden, dass Art. 18 Abs. 2 der Dublin III-VO im Fall der Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, nicht vorschreibt, dass das Verfahren zur Prüfung ihres Antrags in dem Stadium wieder aufgenommen wird, in dem es eingestellt worden war (Tenor, 3.).

47 Weiter führt der EuGH im Urteil Mirza (vgl. Rn. 66) aus:

"Dass Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin-III-Verordnung verlangt, dem Antragsteller das Recht einzuräumen, eine abschließende Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz zu beantragen, sei es im Rahmen des eingestellten Verfahrens oder im Rahmen eines neuen Verfahrens, in dem sein Antrag nicht als Folgeantrag behandelt wird, soll"

nach der Begründung des EuGH

"nämlich gewährleisten, dass die Prüfung seines Antrags den in der Richtlinie 2013/32 für Erstanträge in erster Instanz vorgesehenen Anforderungen entspricht. Dagegen soll diese Bestimmung weder vorschreiben, in welcher Weise das Verfahren in einer solchen Situation wieder aufzunehmen ist, noch dem zuständigen Mitgliedstaat die Möglichkeit nehmen, den Antrag für unzulässig zu erklären".

48 Nach dieser Rechtsprechung gewährleistet Art. 18 Abs. 2 der Dublin III-VO, dass die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz im zuständigen Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) den in der Verfahrens-RL (für Erstanträge in erster Instanz) vorgesehenen Anforderungen entspricht.

49 Im Hinblick auf Art. 18 Abs. 2 der Dublin III-VO hat der Verwaltungsgerichtshof - in Bezug auf die vorgebrachte Befürchtung, dass Ungarn die Dublin III-VO nicht anwende - ausgeführt, dass die Dublin III-VO in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt; die dort enthaltenen Zuständigkeitskriterien und Verfahrensbestimmungen können nicht von den Mitgliedstaaten abweichend geregelt werden. Aus der in Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Verpflichtung zur Prüfung jedes Antrags auf internationalen Schutz ergibt sich die Verpflichtung zu einer Einzelfallprüfung (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/18/0296).

50 Es ist daher davon auszugehen, dass der zuständige Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) aufgrund seiner unionsrechtlichen Verpflichtungen eine Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vornimmt, welche den in der Verfahrens-RL (für Erstanträge in erster Instanz) vorgesehenen Anforderungen entspricht. Verlassen der Asylunterkunft nach Art. 28 Verfahrens-RL

51 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung, wonach das Verlassen der Asylunterkunft ohne Ankündigung für mehr als drei Tage als Zurückziehung des Antrags gilt und das Asylverfahren beendet wird, in Art. 28 der Verfahrens-RL ihre Grundlage findet.

52 Nach Abs. 1 dieser Regelung können die Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stillschweigend zurückgezogen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, wenn er (unter anderem) nachweislich untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort oder Ort seiner Ingewahrsamnahme ohne Genehmigung verlassen und nicht innerhalb einer angemessenen Frist die zuständige Behörde kontaktiert hat, es sei denn, der Antragsteller weist nach, dass dies auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Nach Abs. 2 dieser Regelung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Abs. 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag (nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 der Verfahrens-RL) geprüft wird. Diese Möglichkeit können die Mitgliedstaaten nach Abs. 2 zweiter Unterabs. mit einer Frist von mindestens neun Monaten begrenzen.

53 Nach diesen klaren Vorgaben der Verfahrens-RL ist es daher unionsrechtkonform, einem Asylwerber nach Verstreichen der in Art. 28 Abs. 2 zweiter Unterabs. genannten Frist lediglich die Möglichkeit eines Folgeantrages, der neue Elemente enthalten muss, zu eröffnen (vgl. Art. 40 Abs. 2 der Verfahrens-RL).

54 Entscheidend ist, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 Abs. 2 dritter Unterabs. sicherstellen, dass die betreffende Person nicht entgegen dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung abgeschoben wird.

Keine Widerlegung der Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3

AsylG 2005

55 Fallbezogen bedeutet dies Folgendes:

56 Da die Dublin III-VO in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt und deren Art. 18 Abs. 2 gewährleistet, dass die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz (im zuständigen Mitgliedstaat) den in der Verfahrens-RL (für Erstanträge in erster Instanz) vorgesehenen Anforderungen entspricht, kann vor dem Hintergrund des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten keine Rede davon sein, dass durch die festgestellte Regelung betreffend das Verlassen der Asylunterkunft die Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegt worden wäre.

57 Aus diesem Grund sind auch die in der Revision gerügten Feststellungsmängel sowie die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung zur Zuständigkeit Sloweniens nicht gegeben. Wie die Revision selbst ausführt, hat das BVwG zur festgestellten Regelung betreffend das Verlassen der Asylunterkunft festgehalten, dass daraus nicht ableitbar ist, dass der Revisionswerber im Fall einer Überstellung nach Slowenien mit einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte rechnen müsse. Den Länderfeststellungen über die Ausgestaltung des Asylsystems in Slowenien sei zu entnehmen, dass dieser Staat den Non-Refoulement-Grundsatz respektiere. Somit bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass über einen etwaigen Folgeantrag unter Verletzung dieses Grundsatzes entschieden würde.

58 Soweit die Revision rügt, die dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderinformationen seien veraltet, und auf das im März 2016 verabschiedete "neue Asylgesetz" verweist, ist festzuhalten, dass mit dem Vorbringen, wonach sich die Situation für Flüchtlinge in Slowenien wesentlich verschlechtert habe und der Zugang zu Asyl wesentlich verschärft worden sei, vor dem Hintergrund der Kriterien für die Widerlegung der Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sowie des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedsstaaten nicht die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels konkret dargetan wird (vgl. aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2015/01/0194, wonach eine Verletzung der Vorgabe, der Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrundezulegen, einen Verfahrensmangel darstellt, bei dem die Relevanz in konkreter Weise darzulegen ist).

59 Zum Vorbringen des Revisionswerbers, er sei in Slowenien von der Polizei geschlagen worden und die Polizisten hätten ihm "sein ganzes Geld sowie Wertgegenstände" abgenommen, weshalb ihm im Falle der Rückkehr nach Slowenien die Gefahr von Misshandlungen und Folter drohe, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen nach Ausweis der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zum einen Teil eine Steigerung darstellt und zum anderen Teil bereits vom BFA wie auch nunmehr vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis als nicht glaubwürdig eingestuft wurde. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2014/01/0187). Dass dem Bundesverwaltungsgericht ein derartiger krasser Fehler der Beweiswürdigung unterlaufen wäre, wird nicht aufgezeigt. Zudem ist auf die bereits vom BFA getroffene Feststellung hinzuweisen, wonach der Revisionswerber jedenfalls die Möglichkeit habe, sich im Falle allfälliger Übergriffe von Polizeiangehörigen in Slowenien an die dortigen Behörden zu wenden und gegen unrechtmäßig handelnde Polizeiangehörige eine Beschwerde oder Anzeige einzubringen.

60 Die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 kann nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden. Für eine solche Änderung der Rechts- und Sachlage in Slowenien liegen nach dem Obgesagten keine Anhaltspunkte vor. Zur individuellen Lage des Revisionswerbers

61 Im Hinblick auf seine individuelle Lage bringt der Revisionswerber vor, er sei auf Grund seiner Jugend und der Schwere seiner Traumatisierung besonders vulnerabel. Junge alleinstehende Männer seien als Asylsuchende besonders schutzbedürftig, wenn eine extreme psychische Belastung bis hin zu Suizidalität hinzutrete.

62 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2017/20/0039, mwN unter anderem auf das Urteil des EGMR vom , Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; vgl. zu Art. 4 GRC das Urteil des EuGH C.K., Rn. 68 mit Verweis auf EGMR Paposhvili).

63 Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Probleme des Revisionswerbers vermag die Revision nicht darzulegen, dass die durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC geschützten Rechte des Revisionswerbers im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung des EGMR bei einer Überstellung nach Slowenien verletzt würden.

64 So stellt das BVwG fest, eine stationäre Behandlung des Revisionswerbers sei in Österreich nicht erforderlich, die gesundheitliche Beeinträchtigung sei nicht lebensgefährdend. Weiters stellt das BVwG fest, die Fremdenpolizeibehörde habe bei der Durchführung einer Abschiebung im Fall von bekannten Erkrankungen des Drittstaatsangehörigen durch geeignete Maßnahmen dem Gesundheitszustand Rechnung zu tragen. So würden bei einer schweren psychischen Erkrankung und insbesondere bei Selbstmorddrohungen geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung getroffen. Sollte der Revisionswerber in Slowenien einer medizinischen Versorgung bedürfen, bestehe eine adäquate medizinische Versorgung.

65 Die von der Revision geäußerten Bedenken betreffend die medizinische Betreuung des Revisionswerbers in Slowenien gründen sich dagegen auf die slowenische Regelung des Verlassens der Asylunterkunft, die weiter oben bereits behandelt wurde. Verhandlungspflicht

66 Die Revision rügt weiter, das BVwG habe die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde nicht ausreichend geklärt sei. So habe der Revisionswerber in der Beschwerde moniert, er habe in Slowenien keine Möglichkeit, sein Asylverfahren weiter "fortzutreiben", und sei in Slowenien misshandelt worden. Es sei dem Revisionswerber auch keine Möglichkeit eingeräumt worden, zu dem erhobenen Vorwurf der mangelnden Glaubwürdigkeit Stellung zu nehmen. Der Revisionswerber habe zudem in der Beschwerde seiner Auffassung nach neues asylrelevantes Vorbringen erstattet.

67 Ausgehend vom oben angeführten Maßstab der Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegt wird, zeigt die Revision mit diesem Vorbringen keine Verletzung der Verhandlungspflicht am Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht in Dublin-Verfahren (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/19/0072) auf.

68 Das BVwG konnte von einer Verhandlung absehen, da es sich in den für die Beurteilung der Zulässigkeit der Überstellung im Dublin-Verfahren maßgeblichen Kriterien tragend auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides des BFA stützen und auf dieser Grundlage zulässigerweise annehmen konnte, dass das vom Revisionswerber erstattete Beschwerdevorbringen keine der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das BFA anhaftenden Ermittlungsmängel aufzeigen konnte.

Ergebnis

69 Die Revision war aus diesen Erwägungen gemäß § 42

Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

70 Der Revisionswerber hat die Durchführung einer mündlichen

Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt. Der hier entscheidungswesentliche Sachverhalt ist (nach dem Obgesagten) jedoch geklärt. In der Revision wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Die Entscheidung konnte daher gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Wien, am

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