VwGH vom 12.12.2017, Ra 2015/22/0149
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom , 1. VGW-151/070/27045/2014 (hg. Ra 2015/22/0150), betreffend Ausstellung einer Anmeldebescheinigung, und 2. VGW- 151/070/27046/2014 (hg. Ra 2015/22/0149), betreffend Ausstellung einer Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. A T, und 2. N T, beide in W, beide vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.
Begründung
1.1. Mit den angefochtenen Erkenntnissen sprach das - auf Grund von Säumnisbeschwerden zuständig gewordene - Verwaltungsgericht über die am bei der belangten Behörde gestellten Anträge der Mitbeteiligten dahingehend ab, dass
die Erstmitbeteiligte (Tochter der Zweitmitbeteiligten), eine deutsche Staatsangehörige, gemäß § 51 Abs. 1 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) auf Grund der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom seit dem zum gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalt im Bundesgebiet für mehr als drei Monate berechtigt sei und ihr gemäß § 53 Abs. 1 NAG eine Anmeldebescheinigung auszustellen sei, und
die Zweitmitbeteiligte, eine Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, gemäß § 54 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Z 3 NAG auf Grund des Art. 21 AEUV seit dem zum gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalt im Bundesgebiet für mehr als drei Monate berechtigt sei und ihr für die Dauer der beabsichtigten Ausbildung der Erstmitbeteiligten in Österreich gemäß § 54 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers für die Dauer von fünf Jahren auszustellen sei.
1.2. Das Verwaltungsgericht ging dabei von folgenden Feststellungen aus:
Die Erstmitbeteiligte sei in Deutschland geboren und habe dort gemeinsam mit der allein obsorgeberechtigten Zweitmitbeteiligten im Familienverband gelebt. Die Zweitmitbeteiligte verfüge in Deutschland weiterhin über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit Berechtigung zur Erwerbstätigkeit.
Im September 2013 seien die Mitbeteiligten gemeinsam legal nach Österreich eingereist (Meldung eines Hauptwohnsitzes seit dem ) und hätten am persönlich bei der belangten Behörde zum Zweck der Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate einen Antrag gemäß § 53 NAG auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung (für die Erstmitbeteiligte) und einen Antrag nach § 54 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Z 3 NAG auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers (für die Zweitmitbeteiligte) gestellt.
Die Erstmitbeteiligte besuche seit der Einreise nach Österreich ein Bundesrealgymnasium in Wien und habe im Schuljahr 2014/2015 die siebente Klasse absolviert. Sie plane, nach der Matura ein Psychologiestudium zu inskribieren. Die Zweitmitbeteiligte arbeite seit der Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) am durch das Arbeitsmarktservice Wien unselbständig als Heimhilfe und erziele aus dieser Vollzeitbeschäftigung ein Einkommen von EUR 1.886,-- netto monatlich. Bis zur Aufnahme der Beschäftigung hätten die Mitbeteiligten von Ersparnissen gelebt und keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch genommen.
Die Mitbeteiligten lebten in einer von der Zweitmitbeteiligten angemieteten Wohnung im gemeinsamen Haushalt. Sie verfügten über eine in Österreich leistungspflichtige alle Risken abdeckende Krankenversicherung. An finanziellen Mitteln seien Spareinlagen von rund EUR 2.000,-- sowie das Einkommen der Zweitmitbeteiligten vorhanden. Im Hinblick auf die Höhe dieses Einkommens bestehe kein Anspruch auf Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Der Aufenthalt der Mitbeteiligten könne daher zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen.
Gründe im Sinn des § 55 Abs. 3 NAG, aus denen den Mitbeteiligten das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht (mehr) zustehen sollte, seien nicht gegeben.
1.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, die Säumnisbeschwerde sei jeweils zulässig und berechtigt, die Zuständigkeit daher auf das Verwaltungsgericht übergegangen.
Was den Antrag der Erstmitbeteiligten betreffe, so sei diese im September 2013 in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts im Sinn des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 mit der Zweitmitbeteiligten nach Österreich eingereist, um eine Vollzeitausbildung an einer öffentlichen höheren Schule zu absolvieren. Sie lebe im gemeinsamen Haushalt mit der Zweitmitbeteiligten, die auch den Lebensunterhalt finanziere, und verfüge auf Grund deren Einkommens von rund EUR 1.900,-- netto monatlich sowie der Ersparnisse von rund EUR 2.000,-- über ausreichende Existenzmittel. Auf die Herkunft der Mittel (von der Zweitmitbeteiligten) komme es nicht an, die Ausübung einer eigenen Erwerbstätigkeit durch die Erstmitbeteiligte wäre mit dem Schulbesuch nicht vereinbar. Die Erstmitbeteiligte verfüge im Wege der Zweitmitbeteiligten auch über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz. Es sei daher davon auszugehen, dass die Erstmitbeteiligte weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müsse und ihr Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe. Folglich seien die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 NAG erfüllt, die Erstmitbeteiligte sei daher seit dem zum Aufenthalt für mehr als drei Monate im Inland berechtigt und habe Anspruch auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung nach § 53 NAG.
Was den Antrag der Zweitmitbeteiligten anbelange, so sei diese nicht als Familienangehörige im Sinn des Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 anzusehen, weil ihr durch die Erstmitbeteiligte kein Unterhalt gewährt werde, sodass sie nicht als Berechtigte im Sinn des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu erachten sei. Da jedoch der Erstmitbeteiligten ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 zukomme, sei (zwangsläufig) auch der Zweitmitbeteiligten ein Aufenthaltsrecht zuzugestehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 21 AEUV und zur Richtlinie 2004/38 würde nämlich dem Aufenthaltsrecht eines minderjährigen Unionsbürgers jede praktische Wirksamkeit genommen, wenn dem für ihn tatsächlich sorgenden Elternteil ein gemeinsamer Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verwehrt würde. Obzwar diese Judikatur zu Unionsbürgern im Kleinkindalter ergangen sei, wohingegen die Erstmitbeteiligte bereits volljährig sei, komme ihr auch hier Relevanz zu, liege ihr doch der Gedanke zugrunde, dass der Schulbesuch von Kindern bestmöglich gewährleistet werden müsse, weshalb auch den Eltern das Aufenthaltsrecht nicht versagt werden dürfe. Wenngleich grundsätzlich vermutet werde, dass ein bereits volljähriges Kind, das eine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat absolviere, in der Lage sei, für seinen Unterhalt selbst zu sorgen, könne sich das abgeleitete Aufenthaltsrecht eines Elternteils auch über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus verlängern, wenn das Kind weiterhin der Anwesenheit und Fürsorge durch einen Elternteil bedürfe, um die Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können. Dies sei hier der Fall, zumal die erst vor kurzem volljährig gewordene Erstmitbeteiligte im gemeinsamen Haushalt mit der Zweitmitbeteiligten lebe und weiterhin deren finanzieller und auch emotionaler Unterstützung bedürfe, um die Schulausbildung fortsetzen zu können. Für die Erstmitbeteiligte sei es daher, um in den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte zu kommen, unabdingbar, dass auch die Zweitmitbeteiligte in Österreich aufenthaltsberechtigt sei. Folglich sei die Zweitmitbeteiligte seit dem zum Aufenthalt im Bundesgebiet für mehr als drei Monate berechtigt und habe Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 54 in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Z 3 NAG.
1.4. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zulässig sei; der Fall sei durch die Rechtsprechung des EuGH "gelöst".
2.1. Gegen diese Erkenntnisse wendet sich die Revision der Bundesministerin für Inneres, deren Zulässigkeit im Wesentlichen damit begründet wird, dass der gegenständliche Fall durch die Rechtsprechung nicht "gelöst" sei und die angefochtenen Erkenntnisse der Judikatur des EuGH widersprächen.
Die belangte Behörde schloss sich den Revisionsausführungen an.
2.2. Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw. als unbegründet abzuweisen.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt hat und von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen ist.
4. Zum Antrag der Erstmitbeteiligten:
4.1. § 51 NAG regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten (vgl. die Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 141).
Demnach sind gemäß § 51 Abs. 1 NAG auf Grund der Richtlinie EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind (Z 1), für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung an einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3).
Mit den soeben genannten Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern in Österreich werden die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2004/38 aufgezählten Voraussetzungen entsprechend umgesetzt (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 141).
Nach § 53 Abs. 1 NAG ist bei Vorliegen der Voraussetzungen (unter anderem) des § 51 NAG von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.
4.2. Vorliegend ist die Erstmitbeteiligte als deutsche Staatsangehörige im September 2013 in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts im Sinn des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 mit ihrer Mutter (der Zweitmitbeteiligten) nach Österreich eingereist, um eine Vollzeitausbildung an einer öffentlichen höheren Schule zu absolvieren. Es ist daher zu prüfen, ob die Erstmitbeteiligte den - hier in Betracht kommenden -
Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 bzw. 3 NAG erfüllt.
Im Rahmen dieser Prüfung ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Wie der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen ist, genügt für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen - etwa dem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers - stammen können (vgl. Zhu und Chen, C-200/02, Rn. 30 ff; , Singh u.a., C-218/14, Rn. 73 ff mwN).
Vorliegend werden - nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen - die Aufwendungen der Mitbeteiligten in Österreich allein aus dem Arbeitseinkommen der Zweitmitbeteiligten finanziert; an weiteren Mitteln sind bloß Spareinlagen von EUR 2.000,-- vorhanden. Im Hinblick auf die Höhe des Einkommens der Zweitmitbeteiligten besteht kein Anspruch auf eine bedarfsorientierte Mindestsicherung und kann der Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen.
4.3. Der Bejahung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel durch das Verwaltungsgericht liegt freilich die Annahme zugrunde, dass der Zweitmitbeteiligten ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt. Wie in der Folge zu zeigen sein wird (Punkt 5.), erweist sich diese Annahme jedoch als unrichtig und kommt der Zweitmitbeteiligten tatsächlich kein Aufenthaltsrecht zu.
Ohne ein Aufenthaltsrecht kann aber die Zweitmitbeteiligte ihre unselbständige Erwerbstätigkeit in Österreich nicht (weiter) ausüben. Folglich darf auch das daraus erzielte Einkommen nicht im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel berücksichtigt werden.
Dem steht der Umstand, dass das Arbeitsmarktservice Wien der Zweitmitbeteiligten am eine Bestätigung nach § 3 Abs. 8 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG ausgestellt hat, nicht entgegen, ist doch darin kein im gegenständlichen Verfahren bindender Abspruch über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts zu erblicken.
4.4. Ob die Erstmitbeteiligte auch dann, wenn der Zweitmitbeteiligten kein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt, über ausreichende Existenzmittel - etwa auf Grund einer außerhalb Österreichs ausgeübten Erwerbstätigkeit der Zweitmitbeteiligten (nach den Feststellungen hat diese eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit Berechtigung zur Erwerbstätigkeit in Deutschland) - verfügt, wurde bislang nicht geprüft.
Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren den Parteien zu diesem Themenbereich die Erstattung eines ergänzenden Vorbringens zu ermöglichen und nach allfälliger ergänzender Beweisaufnahme die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, um das Vorliegen ausreichender Existenzmittel beurteilen zu können.
Sollte sich ergeben, dass die in § 51 Abs. 1 NAG bzw. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wäre der Erstmitbeteiligten ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu verwehren, wobei dem auch Art. 21 AEUV nicht entgegensteht (vgl. Alokpa u.a., C-86/12, Rn. 30 f).
4.5. Der Revision war daher Folge zu geben und das (die Erstmitbeteiligte betreffende) angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
5. Zum Antrag der Zweitmitbeteiligten:
5.1. Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 (Ehegatte oder eingetragener Partner), Z 2 (Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie (...)) oder Z 3 (Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihm von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird) genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt und haben Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte.
Mit dieser Regelung wird Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 umgesetzt. Dabei entspricht der in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG definierte Kreis der begünstigten Angehörigen (im Wesentlichen) den in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie vorgesehenen Angehörigen (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 141, 144).
5.2. Vorliegend kommt im Hinblick darauf, dass die drittstaatsangehörige Zweitmitbeteiligte die Mutter der Erstmitbeteiligten ist, von den soeben genannten Tatbeständen nur jener des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG (entspricht Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38) in Betracht. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass es sich beim Angehörigen des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers um einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie handeln muss, dem von diesem "Unterhalt (tatsächlich) gewährt" wird.
Zum Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass sich die Eigenschaft als Familienangehöriger, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger "Unterhalt gewährt", aus einer tatsächlichen Situation ergibt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird. Indessen kann sich beim Vorliegen der umgekehrten Situation, in der also dem Aufenthaltsberechtigten von einem Drittstaatsangehörigen Unterhalt gewährt wird, dieser nicht auf die Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem der Aufenthaltsberechtigte "Unterhalt gewährt", im Sinn der Richtlinie 2004/38 berufen (vgl. etwa Iida, C-40/11, Rn. 55; siehe auch ).
Wie den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, haben die Mitbeteiligten ihren Lebensunterhalt seit der Einreise nach Österreich zunächst aus Ersparnissen und seit der Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit durch die Zweitmitbeteiligte im Jahr 2014 im Wesentlichen aus deren Einkommen finanziert. Folglich wurde nicht der Zweitmitbeteiligten von der Erstmitbeteiligten tatsächlich Unterhalt gewährt, sondern umgekehrt der Erstmitbeteiligten von der Zweitmitbeteiligten. Im Hinblick darauf kann aber die Zweitmitbeteiligte nicht als Familienangehörige im Sinn des Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 angesehen werden, da ihr durch die Erstmitbeteiligte kein Unterhalt gewährt wird. Sie ist daher nicht als Berechtigte im Sinn des § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Z 3 NAG bzw. des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu erachten.
5.3. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht der Zweitmitbeteiligten ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht auch nicht auf der Grundlage von Art. 21 AEUV zu.
Zwar sollen nach der Rechtsprechung des EuGH dann, wenn Art. 21 AEUV und die Richtlinie 2004/38 dem minderjährigen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat verleihen, dieselben Vorschriften auch dem für das Kind tatsächlich sorgenden Elternteil erlauben, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten. Würde nämlich dem das Sorgerecht wahrnehmenden drittstaatsangehörigen Elternteil nicht erlaubt, sich mit dem minderjährigen Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, so würde dem Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers jede praktische Wirksamkeit genommen, zumal der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein minderjähriges Kind notwendigerweise voraussetzt, dass sich die tatsächlich sorgende Person bei ihm aufhalten darf (vgl. EuGH Zhu und Chen, Rn. 45 f; Alokpa u.a., Rn. 28 f; , Marin, C-165/14, Rn. 51 f).
Dieser zu minderjährigen Unionsbürgern ergangenen Rechtsprechung kommt freilich in einem Fall (wie hier), in dem der Unionsbürger bereits die Volljährigkeit erlangt hat, keine Relevanz zu. Wie der EuGH im Zusammenhang mit Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom (nun Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom ) ausgesprochen hat, endet das Recht auf Aufenthalt, das der - die Sorge für ein Kind wahrnehmende - Elternteil (nach den genannten Bestimmungen) genießt, grundsätzlich mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, sofern dieses nicht weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge dieses Elternteils bedarf, um seine Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können (vgl. Teixeira, C- 480/08, Rn. 86 f). Ob das volljährige Kind weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge eines Elternteils im soeben aufgezeigten Sinn bedarf, stellt eine Tatsachenfrage dar, die nach den jeweiligen Umständen des Falls zu beurteilen ist ( Alarape u.a., C-529/11, Rn. 30).
Vorliegend wurden keine konkreten Gründe vorgebracht, aus denen die bereits im Juli 2013 volljährig gewordene Erstmitbeteiligte weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge der Zweitmitbeteiligten bedürfte. Soweit das Verwaltungsgericht argumentiert, die Erstmitbeteiligte benötige weiterhin eine finanzielle und emotionale Unterstützung durch die Zweitmitbeteiligte, übersieht es, dass die weitere finanzielle Unterstützung keineswegs ein Aufenthaltsrecht der Zweitmitbeteiligten erfordert, können doch entsprechende Zuwendungen auch aus dem Ausland (etwa aus Deutschland, wo die Zweitmitbeteiligte über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit Berechtigung zur Erwerbstätigkeit verfügt) erfolgen. Die Aufrechterhaltung einer emotionalen Beziehung ist auf Grund der verfügbaren Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) für volljährige Personen - im Gegensatz zu Kleinkindern (vgl. etwa ; , 2011/21/0277) - ebenso problemlos möglich. Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, auf Grund derer einem Aufenthaltsrecht der Erstmitbeteiligten die praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn der drittstaatsangehörigen Zweitmitbeteiligten nicht erlaubt würde, sich mit ihr gemeinsam in Österreich aufzuhalten.
5.4. Der Zweitmitbeteiligten steht auch kein Aufenthaltsrecht auf Grundlage der - subsidiär zu prüfenden (vgl. etwa EuGH, Alokpa u.a., Rn. 33) - Bestimmung des Art. 20 AEUV zu.
Zwar gibt es laut der Rechtsprechung des EuGH ganz besondere Sachverhalte, in denen - obwohl das für das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen geltende abgeleitete Recht nicht eingreift und der betreffende Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt hat - einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger dieses Unionsbürgers ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, da sonst die Unionsbürgerschaft ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde, wenn sich der Unionsbürger infolge einer solchen Weigerung de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm die Unionsbürgerschaft verleiht, verwehrt würde (vgl. etwa Zambrano, C-34/09, Rn. 42 ff; , Dereci u.a., C-256/11, Rn. 65 f; , Ymeraga u.a., C-87/12, Rn. 36).
Vorliegend ist freilich eine solche besondere Fallkonstellation nicht gegeben, wurde doch nicht behauptet bzw. ist auch nicht ersichtlich, dass die Unionsbürgerschaft der Erstmitbeteiligten ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde, weil sich diese bei Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für die Zweitmitbeteiligte zum Verlassen der Union faktisch gezwungen sähe. Vielmehr ist nach den getroffenen Feststellungen ein gemeinsamer Verbleib der Mitbeteiligten im Gebiet der Union im Hinblick darauf, dass die Erstmitbeteiligte deutsche Staatsangehörige ist und auch die Zweitmitbeteiligte eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit Berechtigung zur Erwerbstätigkeit in Deutschland hat, als gesichert anzusehen.
5.5. Nicht zuletzt ist auch aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 (wonach die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist bzw. beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen können) ein Aufenthaltsrecht der Zweitmitbeteiligten nicht abzuleiten.
Wie der EuGH bereits zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 judiziert hat, zielt die genannte Regelung auf die Kinder eines Unionsbürgers ab, die in einem Mitgliedstaat seit einem Zeitpunkt wohnen, zu dem dieser Bürger dort als Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht hatte (vgl. etwa EuGH Teixeira, Rn. 37, 45, 74; ; Ibrahim u.a., C-310/08, Rn. 29, 39), und dient die Bestimmung der Erleichterung der Integration des Wanderarbeitsnehmers und seiner Familie im Aufnahmemitgliedstaats zur Verwirklichung des Ziels der Freizügigkeit der Arbeitskräfte (vgl. Baumbast u.a., C-413/99, Rn. 50, 59, 63).
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Anwendung der aufgezeigten Bestimmung schon deshalb nicht erfüllt, weil es sich bei der Zweitmitbeteiligten um keine Unionsbürgerin, der als Wanderarbeitnehmerin ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukäme bzw. zugekommen sei, sondern um eine Drittstaatsangehörige handelt, und folglich der Erstmitbeteiligten auf Grundlage dieser Regelung ein Aufenthaltsrecht im Inland nicht zusteht.
5.6. Insgesamt ergibt sich daher, dass der Zweitmitbeteiligten kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt und sie schon deshalb keinen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 54 Abs. 1 NAG hat. Der Revision war deshalb stattzugeben und das (die Zweitmitbeteiligte betreffende) angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Besondere Rechtsgebiete Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.