VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/22/0078

VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/22/0078

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des B J, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 151/069/33490/2014-7, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in der Angelegenheit der Erteilung einer Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber reiste am illegal ein und stellte einen Asylantrag. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde er wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmittel zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Auf Grund dieser Verurteilung erließ die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt gegen den Revisionswerber, dessen Asylverfahren offen war, ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot.

Am heiratete der Revisionswerber in Wien eine deutsche Staatsangehörige. Am beantragte er die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Ehemann der deutschen Staatsangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe. Dieser Antrag blieb unerledigt, weshalb er Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht erhob.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht Wien die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurück. Dies stützte es im Wesentlichen darauf, dass der Landeshauptmann von Wien rechtmäßig gemäß § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vorgegangen sei und am den Akt an die Fremdenpolizeibehörde zum Zweck einer möglichen Aufenthaltsbeendigung übermittelt habe, wovon der Revisionswerber in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Fremdenpolizeibehörde habe in der Folge mit Schreiben vom mitgeteilt, dass das Rückkehrverbot einen absoluten Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 1 NAG darstelle und daher massive Bedenken gegen die Ausstellung einer Aufenthaltskarte bestünden. Somit habe der Landeshauptmann von Wien den Antrag des Revisionswerbers insofern erledigt, als er in Verneinung des Aufenthaltsrechts des Revisionswerbers das gegenständliche Verfahren wegen Rechtskraft einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach § 55 Abs. 6 NAG eingestellt habe.

Letztlich erklärte das Verwaltungsgericht die Revision für unzulässig, weil keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen gewesen sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision; eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Diese Bestimmung ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sinngemäß anzuwenden.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

§ 55 NAG lautete in der vor dem gültigen Fassung:

Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die zuständige Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 66 FPG), hat die Fremdenpolizeibehörde dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Dem Verwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass ein Verfahren auf Ausstellung einer Dokumentation (hier nach § 54 NAG) dann einzustellen ist, wenn eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft erwachsen ist, nachdem die zuständige Fremdenpolizeibehörde (nun das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) gemäß § 55 Abs. 3 NAG befasst wurde. Nach zulässiger Einstellung des Verfahrens kann der Behörde nicht mehr eine Säumnis vorgeworfen werden.

Im vorliegenden Fall ging das Verwaltungsgericht jedoch zu Unrecht von der Zulässigkeit einer Einstellung nach § 55 Abs. 6 NAG aus. Die Fremdenpolizeibehörde hat nämlich nicht nach Befassung durch die Niederlassungsbehörde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen, sondern auf die schon vorher erfolgte Erlassung eines Rückkehrverbotes verwiesen. Abgesehen davon, dass das damals noch vorgesehene Rückkehrverbot keine aufenthaltsbeendende Maßnahme darstellt, wurde damit nicht darüber abgesprochen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit in dem Ausmaß vorliegen, dass dem Revisionswerber sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht mehr zukommt.

Vorliegend hätte die Fremdenpolizeibehörde die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG oder eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG prüfen müssen; diese Bestimmungen sind gemäß § 1 Abs. 2 FPG von der Anwendbarkeit auf Asylwerber nicht ausgeschlossen. Da die Voraussetzungen für eine (als solche nicht anfechtbare; vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/22/0282) Einstellung des Verfahrens somit nicht vorlagen, wurde der Landeshauptmann von Wien säumig und es hätte das Verwaltungsgericht Wien die Säumnisbeschwerde nicht zurückweisen dürfen. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass die Bestimmung des § 55 NAG damals eine dem § 25 NAG nachgebildete Hemmung des Ablaufs der Entscheidungsfrist nicht vorgesehen hat.

Der angefochtene Beschluss war somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am