VwGH vom 27.03.2015, 2012/02/0196
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom , Zl. KUVS-1941- 1943/8/2011, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:
Ing. H M, vertreten durch die Wiedenbauer Mutz Winkler Pramberger Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Gabelsbergerstraße 5), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee wurde die mitbeteiligte Partei als handelsrechtlicher Geschäftsführer und daher als gemäß § 9 Abs. 1 VStG Verantwortlicher der M. GmbH schuldig erkannt, er habe es zu verantworten, dass am drei bestimmte Arbeitnehmer auf einer näher bezeichneten Baustelle auf einem Flachdach in einer Höhe von 24 Metern beschäftigt gewesen seien. Obwohl Absturzgefahr bestanden habe, seien keine Absturzsicherungen, Schutzeinrichtungen oder Abgrenzungen angebracht gewesen, auch seien die Arbeitnehmer nicht mit einer persönlichen Schutzausrüstung gemäß § 30 BauV sicher angeseilt gewesen. Die mitbeteiligte Partei habe dadurch § 130 Abs. 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG iVm § 87 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV übertreten, weshalb je Arbeitnehmer eine Geldstrafe von EUR 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 4 Tage) verhängt wurde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.
In der Begründung gab die belangte Behörde den Verfahrensgang, die Stellungnahme des Arbeitsinspektorats vom sowie die protokollierten Aussagen der mitbeteiligten Partei, des einschreitenden Arbeitsinspektionsorgans, sowie des Montageleiters der M. GmbH in den mündlichen Verhandlungen vom und wieder und führte aus, es sei unstrittig, dass die im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses näher bezeichneten Arbeitnehmer ungesichert auf dem Dach gearbeitet hätten. Es sei davon auszugehen, dass diese zur Tatzeit bei der K. Alu-Montagebetrieb KG (im Folgenden: K. KG) beschäftigt gewesen seien und dass die K. KG von der M. GmbH als Subunternehmer beauftragt worden sei, die Attika zu errichten.
Wenngleich seitens des Arbeitgebers diesen Arbeitnehmern keine ausreichende Sicherheitsunterweisung erteilt worden sei bzw. auch keine ausreichende (intakte) Schutzausrüstung, sondern ihnen die persönliche Schutzausrüstung von der M. GmbH zur Verfügung gestellt worden sei und auch die Sicherheitsunterweisung durch einen Mitarbeiter der M. GmbH erfolgt sei, ändere dies nichts daran, dass diese Arbeitnehmer bei der K. KG beschäftigt gewesen seien. Der M. GmbH komme somit keine Arbeitgebereigenschaft zu und es sei daher nicht ausreichend erwiesen, dass gegenständlich von einer Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 3 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz - AÜG auszugehen sei. Im Ergebnis sei daher die Verantwortung der mitbeteiligten Partei, wonach die Arbeitnehmer der K. KG ein eigenständiges Gewerk ohne Mitwirkung von Arbeitnehmern der M. GmbH ausgeführt hätten, nicht zu widerlegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 - ArbIG erhobene Amtsbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige "Zurückweisung" der Beschwerde begehrte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Eingangs ist anzumerken, dass auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden sind.
Der beschwerdeführende Bundesminister wendet sich gegen die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht, der M. GmbH sei keine Arbeitgebereigenschaft zugekommen und es sei auch nicht hinreichend erwiesen, dass gegenständlich von einer Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 3 AÜG auszugehen sei. Bei dem vorliegenden Sachverhalt handle es sich sehr wohl um eine Überlassung im Sinne des § 9 ASchG bzw. § 3 AÜG, wobei die K. KG Überlasserin und die M. GmbH Beschäftigerin im Sinne dieser Bestimmungen gewesen sei.
In ihrem Berufungsvorbringen habe die mitbeteiligte Partei geltend gemacht, dass am zwischen der M. GmbH und der K. KG ein Werkvertrag über die Attikamontage abgeschlossen worden sei; diese sei jedoch nicht aktenkundig. Aus der Kopie eines "Verhandlungsprotokolls" zwischen der mitbeteiligten Partei und der K. KG ergebe sich demgegenüber ein vereinbarter Festpreis von EUR 24.645,70 für die Arbeiten. Dieser Betrag entspreche nicht einmal einem Drittel jenes Preises, mit dem die M. GmbH laut dem Leistungsverzeichnis beauftragt worden sei, nämlich EUR 80.992,63. Da sowohl von den Mitarbeitern der M. GmbH, als auch der K. KG in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden sei, dass das zu montierende Material von der M. GmbH zur Verfügung gestellt worden sei, müsse wohl davon ausgegangen werden, dass der an die K. KG weiter gegebene Teilbetrag von EUR 24.645,70 ausschließlich die Lohnanteile beinhalte, somit im Hinblick auf das Kriterium des § 4 Abs. 2 Z 2 AÜG die Arbeitsleistungen ausschließlich mit dem Material der M. GmbH erbracht worden seien. Aus den angeführten Gesamtumständen ergebe sich unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Interessenlagen, dass im vorliegenden Fall die Aspekte einer Arbeitskräfteüberlassung bei Weitem überwögen.
Selbst wenn die Behauptung der mitbeteiligten Partei, es habe sich bei der K. KG um ein Subunternehmen der M. GmbH gehandelt, zutreffe, würde dies das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung keineswegs ausschließen. Eine solche liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwischen Unternehmer und Subunternehmer nämlich schon dann vor, wenn eine der Ziffern des § 4 Abs. 2 AÜG anwendbar wäre oder - sollte der Tatbestand keiner der vier Ziffern des § 4 Abs. 2 ÄUG zur Gänze erfüllen - dann, wenn die Gesamtbeurteilung des Sachverhalts im Sinne des § 4 Abs. 1 AÜG dies ergebe.
Damit habe sich die belangte Behörde aber überhaupt nicht auseinander gesetzt. Sie habe lediglich festgestellt, dass nicht hinreichend erwiesen sei, dass gegenständlich von einer Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 3 AÜG auszugehen sei, doch könne der Bescheidbegründung nicht entnommen werden, wie die Behörde zu dieser Feststellung gelangt sei, welche Erwägungen bei der Beweiswürdigung maßgeblich gewesen seien, und von welchen rechtlichen Überlegungen sie ausgegangen sei.
§ 9 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. 450/1994 lautet auszugsweise:
"§ 9. (1) Eine Überlassung im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung gestellt werden, um für sie und unter deren Kontrolle zu arbeiten. Überlasser ist, wer als Arbeitgeber Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung an Dritte verpflichtet. Beschäftiger ist, wer diese Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einsetzt.
(2) Für die Dauer der Überlassung gelten die Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes. (...)"
§§ 3 und 4 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz - AÜG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Stammfassung BGBl. Nr. 196/1988 lauten:
"§ 3. (1) Überlassung von Arbeitskräften ist die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte.
(2) Überlasser ist, wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet.
(3) Beschäftiger ist, wer Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt.
(4) Arbeitskräfte sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. Arbeitnehmerähnlich sind Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind.
§4. (1) Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend.
(2) Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber
1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder
2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder
3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder
4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet."
Nach § 9 ASchG liegt eine Überlassung iSd Gesetzes dann vor, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung gestellt werden, um für sie und unter deren Kontrolle zu arbeiten. Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß § 4 Abs. 1 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend.
Nach § 4 Abs. 2 AÜG liegt Arbeitskräfteüberlassung insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen und eine der vier Ziffern der Bestimmung zur Gänze erfüllt ist. Dann bedarf es keiner Gesamtbeurteilung des Sachverhalts iSd § 4 Abs. 1 AÜG (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2010/09/0161 bis 0163).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung nicht entscheidend, ob und welche Rechtsbeziehung zwischen dem Beschäftiger (Auftraggeber) und der Arbeitskraft, aber auch zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0250). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt oder nicht, ist - unabhängig von der zivilrechtlichen Form, in die das Arbeitsverhältnis gekleidet ist - die Beurteilung sämtlicher für und wider ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis im konkreten Fall sprechender Umstände, die nicht isoliert voneinander gesehen werden dürfen, sondern in einer Gesamtbetrachtung nach Zahl, Stärke und Gewicht zu bewerten sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0147, mwN).
Die belangte Behörde hat keinerlei Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage das von ihr erzielte rechtliche Ergebnis basiert. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich die belangte Behörde in irgendeiner Form mit den vorgelegten Unterlagen auseinander gesetzt und diese in ihre Überlegungen miteinbezogen hätte. Von der belangten Behörde wäre aber insbesondere zu klären gewesen, ob eine persönliche Arbeitspflicht und eine Weisungsunterworfenheit der Arbeitnehmer bestanden hat, ob die Arbeit mit Mitteln des Arbeitgebers durchgeführt worden ist und ob eine Eingliederung in die Organisation des Unternehmens (M. GmbH) stattgefunden hat.
Die rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde im Zusammenhang mit der Verneinung der Arbeitgebereigenschaft der mitbeteiligten Partei erschöpfen sich zur Gänze in Rechtsbehauptungen ohne konkrete Tatsachenfeststellungen, weshalb der angefochtene Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0076).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am