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VwGH vom 28.05.2015, Ra 2015/22/0009

VwGH vom 28.05.2015, Ra 2015/22/0009

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG- 2014/17/1377-4, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei:

N S M, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte ist marokkanischer Staatsangehöriger und reiste 2006 in Österreich ein. Am beantragte er die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (richtig: eines Aufenthaltstitels) "Familienangehöriger" zwecks Nachzugs zu seiner Ehefrau N. B.

Mit Bezug auf ein damals noch aufrechtes Aufenthaltsverbot wies die Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck diesen Antrag zurück.

Mit Bescheid vom hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Aufenthaltsverbot auf.

Unter Hinweis darauf gab das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck statt und erteilte gemäß § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) den begehrten Aufenthaltstitel.

Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligte über einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft und eine alle Risken abdeckende Krankenversicherung verfüge. Er habe seine Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A1 des europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachgewiesen. Seine Ehefrau erziele ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.173,76. Die Mietzahlungen für die eheliche Wohnung würden von der Schwiegermutter des Mitbeteiligten übernommen. Somit kämen anrechenbare EUR 274,06 als Wert der "vollen freien Station" im Sinn des § 293 ASVG zusätzlich zum durchschnittlichen Monatseinkommen von EUR 1.173,96 hinzu, wodurch dieses auf EUR 1.447,82 steige. Somit sei der Unterhalt gesichert.

Gemäß § 21a Abs. 1 NAG hätten Drittstaatsangehörige Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis habe mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß § 21a Abs. 6 oder 7 NAG bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welcher diese schriftlich bestätige, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfüge. Diesen Nachweis habe der Mitbeteiligte erbracht. Er habe im Übrigen anlässlich der Beschwerdeverhandlung seine Deutschkenntnisse ausreichend unter Beweis gestellt.

Gemäß § 47 Abs. 2 NAG sei Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden seien, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des ersten Teiles des NAG erfüllten. Im gegenständlichen Fall sei daher dem Mitbeteiligten als Familienangehörigem einer österreichischen Staatsbürgerin der Aufenthaltstitel zu erteilen.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Bundesministerin für Inneres; die Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist demnach auch berechtigt.

§ 11 Abs. 5 NAG lautet:

"Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (Abs. 2 Z 15 oder 18), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage."

Somit gelten Mietbelastungen bis zur Höhe des in § 292 Abs. 3 ASVG genannten "Wert(s) der vollen freien Station" durch das Richtsatzeinkommen gedeckt und erfordern keine zusätzlichen Unterhaltsmittel.

Der Rechtsirrtum des Verwaltungsgerichts liegt nun darin, dass es bei der Berechnung des erforderlichen Familieneinkommens diesen "Wert der vollen freien Station" dem tatsächlichen monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen mit der Begründung hinzugezählt hat, dass der Mitbeteiligte und seine Ehefrau keine Miete zahlen müssten, weil die Mietaufwendungen von der Schwiegermutter des Mitbeteiligen getragen würde. Somit reiche das Einkommen der Ehefrau zum Unterhalt auch des Mitbeteiligten aus, obwohl es unter dem Richtsatz liege.

Ein Umkehrschluss, dass der Betrag des § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG die notwendigen Unterhaltsmittel in Höhe der in Betracht kommenden Richtsätze des § 293 ASVG dann schmälere, wenn etwa gar kein Mietaufwand anfällt, ist jedoch unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/21/0164 bis 0166). In gleicher Weise hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2013/22/0009, ausgeführt, dass eine Anrechnung auf das notwendige Einkommen bei Unterschreitung der Mietkosten bis zur Höhe des Wertes der vollen freien Station nicht vorgesehen ist. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt.

Für das fortzusetzende Verfahren wird darauf hingewiesen, dass die Unterschreitung eines vorgegebenen Mindesteinkommens nicht ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben darf und somit eine individuelle Prüfung dahingehend vorzunehmen ist, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreitens der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/21/0002). Dabei wird der Umstand, dass keine Mietaufwendungen anfallen, zu berücksichtigen sein.

Zu Unrecht bemängelt die Revisionswerberin jedoch, dass das Verwaltungsgericht rechtsirrig den Sprachnachweis als erbracht angesehen habe.

§ 21a Abs. 1 NAG bestimmt:

"Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein."

§ 9b der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) lautet:

" § 9b. (1) Kenntnisse der deutschen Sprache zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau im Sinne des § 21a Abs. 1 NAG entsprechen dem A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen, Berlin u.a., Langenscheidt 2001).

(2) Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 21a Abs. 1 NAG gelten allgemein anerkannte Sprachdiplome oder Kurszeugnisse von folgenden Einrichtungen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
Österreichisches Sprachdiplom Deutsch;
2.
Goethe-Institut e.V.;
3.
Telc GmbH;
4.
Österreichischer Integrationsfonds.

(3) Aus dem Sprachdiplom oder Kurszeugnis muss hervorgehen, dass der Fremde über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest auf A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt. Andernfalls gilt der Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse als nicht erbracht."

Der Mitbeteiligte hat eine Bestätigung des ÖSD (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch) vorgelegt, demzufolge er am Prüfungszentrum BFI Tirol die Prüfung A1 Grundstufe Deutsch 1 bestanden habe. Bei der schriftlichen Prüfung habe der Mitbeteilige 62 Punkte von 75 erreicht, bei der mündlichen Prüfung 23 von 25. Die Gesamtbeurteilung laute auf "gut bestanden". Die Ansicht der Revisionswerberin, dass diese Bestätigung nicht als allgemein anerkanntes Sprachdiplom oder Kurszeugnis zu werten sei, ist verfehlt. Die vom Mitbeteiligten vorgelegte Bestätigung wurde nämlich von einem Prüfzentrum des ÖSD und damit von einer im § 9b Abs. 2 NAG-DV genannten Einrichtung ausgestellt. Weiters entspricht gemäß § 9b Abs. 1 NAG-DV das A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen den geforderten Kenntnissen zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau im Sinn des § 21a Abs. 1 NAG. Das ÖSD wurde im Rahmen der Ermächtigung des § 21a Abs. 6 NAG mittels der bereits wiederholt genannten Durchführungsverordnung des Bundesministers für Inneres zum NAG als zur Ausstellung eines Nachweises über ausreichende Deutschkenntnisse berechtigt festgelegt. Die in der nunmehrigen Amtsrevision der Bundesministerin für Inneres erkennbaren Zweifel an der Richtigkeit der Bestätigung des ÖSD entbehren einer nachvollziehbaren Begründung.

Die vorgelegte Bestätigung entspricht somit vollauf den Anforderungen des § 21a NAG. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist es nicht von Bedeutung, ob der schriftliche Nachweis mit "Sprachdiplom" oder "Bestätigung" überschrieben ist. Warum die Bestätigung über den Hinweis auf "A1 Grundstufe Deutsch 1" hinaus noch einen Hinweis auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen enthalten müsste, ist nicht nachvollziehbar, ist doch diese Niveaubezeichnung dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen entnommen.

Wegen der zuvor dargelegten Verkennung der Rechtslage war jedoch das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am