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VwGH 28.12.2015, Ra 2015/21/0240

VwGH 28.12.2015, Ra 2015/21/0240

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §30 Abs2;
RS 1
Nichtstattgebung - Erkenntnis betreffend § 22a Abs. 3 BFA-VG - Das Bundesverwaltungsgericht sprach zu einer Schubhaftbeschwerde des aus Pakistan stammenden und dorthin ausgewiesenen Mitbeteiligten in einem Bescheidspruchpunkt aus, gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG werde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlägen. Ein eingeholtes pakistanisches Ersatzreisedokument war mittlerweile ungültig geworden. Insoweit ist eine kurzfristige Abschiebung des Mitbeteiligten daher ohnehin nicht möglich, weshalb schon deshalb im - hier allein zur Debatte stehenden vorläufigen - Unterbleiben seiner Festnahme entgegen der Ansicht des BFA (des Revisionswerbers) kein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG erblickt werden kann. Wenn das BFA weiter vorbringt, es werde in Zukunft zur neuerlichen Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes für den Mitbeteiligten kommen, so läge vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles jedenfalls hierin (der Neuausstellung) eine wesentliche Sachverhaltsänderung, sodass der nunmehr angefochtene Spruchpunkt einer neuerlichen Festnahme oder Inschubhaftnahme des Mitbeteiligten nicht entgegen stünde. Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher nicht stattzugeben. (Hier:

Das BFA macht in seinem Antrag nach § 30 Abs. 2 VwGG als unverhältnismäßige Beeinträchtigung seiner Interessen geltend, dass es an den angefochtenen Ausspruch gebunden sei und den Mitbeteiligten ohne Änderung der Sach- und Rechtslage aktuell weder festnehmen noch in Schubhaft nehmen dürfe; der Mitbeteiligte halte sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und es bestehe erhebliche Fluchtgefahr.)
Normen
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
RS 1
Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in Hinblick auf Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der VwGH nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des VwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in einer vom VwG für zulässig erklärten (ordentlichen) Revision hat der Revisionswerber - unter den nachgenannten Voraussetzungen - von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe zur Zulässigkeit der Revision anzusprechen. Diesbezüglich genügt es, wenn in der Revision auf eine zutreffende und ausreichende Zulässigkeitsbegründung des VwG in erkennbarer Weise Bezug genommen wird. Eine vom VwG als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage führt - mag die Annahme auch zutreffend sein - umgekehrt dann nicht zur Zulässigkeit der Revision, wenn diese Rechtsfrage in der Revision überhaupt nicht aufgegriffen wird. Auf eine Rechtsfrage, die das VwG bei der Zulassung der ordentlichen Revision als grundsätzlich angesehen hat, ist nämlich vom VwGH nicht einzugehen, wenn diese Rechtsfrage in der Revision nicht angesprochen wird (Hinweis B , Ro 2014/07/0093, und , Ro 2017/17/0005). Eine nähere Darlegungspflicht besteht insbesondere dann, wenn sich der Revisionswerber zwar auf die Gründe, aus denen das VwG die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (Hinweis B , Ro 2016/21/0010). Ihre Grundsätzlichkeit vorausgesetzt können solche ergänzend ins Treffen geführten Rechtsfragen die Zulässigkeit der ordentlichen Revision somit auch dann begründen, wenn die vom VwG ins Treffen geführten Zulässigkeitsgründe nicht gegeben sind (Hinweis B , Ro 2016/12/0010, 0011 und 0013).
Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs1a;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
FrÄG 2015;
VwGVG 2014 §35;
VwRallg;
RS 2
Mit dem mit dem FrÄG 2015 eingefügten und seit geltenden § 22a Abs. 1a BFA-VG 2014 wurde ausdrücklich angeordnet, dass (ua) für Beschwerden in Schubhaftsachen die für (Maßnahmen-)Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG 2014, somit auch § 35 VwGVG 2014, gelten.
Normen
RS 3
Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (Hinweis B , Ra 2016/06/0059). Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (Hinweis B , Ra 2016/02/0011). Das gilt für den Fall der (selbständigen) Bekämpfung einer Kostenentscheidung sinngemäß auch in Bezug auf die zugrunde liegenden Aussprüche in der Hauptsache, von denen bei Geltendmachung einer Unrichtigkeit der Entscheidung im Kostenpunkt auszugehen gewesen wäre.
Normen
RS 4
Nach der gefestigten Rechtsprechung des VwGH ist im Verwaltungsverfahren das sogenannte "Überraschungsverbot" zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren (vgl. E , Ro 2014/03/0066; E , 2002/18/0053). Die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze sind auch für das Verfahren vor dem VwG maßgeblich, weil von den VwG auf dem Boden des § 17 VwGVG 2014 sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG zu beachten sind (vgl. E , Ro 2014/03/0066).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2016/07/0040 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der gegen Punkt A.II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W140 2116569-1/5E, betreffend § 22a Abs. 3 BFA-VG erhobenen Revision (mitbeteiligte Partei: A, geboren 1961, im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten durch Mag. Kevin Fredy Hinterberger, per Adresse Deserteurs- und Flüchtlingsberatung in 1010 Wien, Schottengasse 3a/1/59) die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Erkenntnis vom erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über eine Schubhaftbeschwerde des aus Pakistan stammenden und dorthin ausgewiesenen Mitbeteiligten. Dabei sprach es unter Spruchpunkt A.II aus, gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG werde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlägen. Dem lag der Sache nach die Annahme zugrunde, die pakistanischen Behörden würden eine Abschiebung des Mitbeteiligten nach Pakistan nicht gestatten. Eine Revision gegen diesen Spruchpunkt erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

Mit der dagegen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erhobenen außerordentlichen Revision wird der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden. Dazu macht das BFA geltend, dass es an den angefochtenen Ausspruch gebunden sei und den Mitbeteiligten ohne Änderung der Sach- und Rechtslage aktuell weder festnehmen noch in Schubhaft nehmen dürfe. Das stelle eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der vom BFA wahrzunehmenden Interessen dar, weil sich der Mitbeteiligte unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und erhebliche Fluchtgefahr bestehe; insofern bestehe ein massives öffentliches Interesse, ihn zum Zweck der - entgegen der Ansicht des BVwG möglichen - Abschiebung festzunehmen und anzuhalten.

Das BFA räumt in diesem Zusammenhang allerdings selbst ein, dass ein im September 2015 für den Mitbeteiligten eingeholtes pakistanisches Ersatzreisedokument mittlerweile ungültig geworden ist. Insoweit ist eine kurzfristige Abschiebung des Mitbeteiligten daher ohnehin nicht möglich, weshalb schon deshalb im - hier allein zur Debatte stehenden vorläufigen - Unterbleiben seiner Festnahme entgegen der Ansicht des BFA kein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG erblickt werden kann. Wenn das BFA aber weiter vorbringt, es werde in Zukunft zur neuerlichen Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes für den Mitbeteiligten kommen, so läge vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles jedenfalls hierin (der Neuausstellung) eine wesentliche Sachverhaltsänderung, sodass der nunmehr angefochtene Spruchpunkt einer neuerlichen Festnahme oder Inschubhaftnahme des Mitbeteiligten nicht entgegen stünde.

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher nicht stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ro 2016/21/0004

Ro 2015/21/0042

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revisionen des A M in S, vertreten durch Mag. Sarah Abel, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Rainbergstraße 3c, und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W140 2116569-1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision des A M, protokolliert zu Ro 2015/21/0042, und die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, protokolliert zu Ro 2016/21/0004, (jeweils) gegen den sie belastenden Teil von Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses werden zurückgewiesen.

Der Bund hat A M für die Revisionsbeantwortung, soweit sie auch zum Verfahren Ro 2016/21/0004 erstattet wurde, Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird über Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, protokolliert zu Ra 2015/21/0240, in seinem Spruchpunkt A.II. und in seinem Spruchpunkt A.III., soweit der Kostenersatzantrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 A M (im Folgenden: Mitbeteiligter), ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise am einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem wurde die Ausweisung des Mitbeteiligten nach Pakistan verfügt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Ein Wiederaufnahmeantrag blieb erfolglos.

2 Für den Mitbeteiligten wurde von der pakistanischen Botschaft am ein bis gültiges sogenanntes "Heimreisezertifikat" ausgestellt. Nachdem der Mitbeteiligte seine für den geplante Abschiebung vereitelt hatte, wurde er am festgenommen und gegen ihn in der Folge mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet. Diese Abschiebung in den Herkunftsstaat Pakistan sollte auf dem Luftweg am erfolgen.

3 Die gegen den genannten Bescheid und gegen die darauf gegründete Anhaltung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Das BVwG stellte jedoch gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Davon ausgehend wies es die Anträge der Parteien auf Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.). Weiters wurden die Anträge des Mitbeteiligten auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers und auf Befreiung von der Eingabegebühr als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkte A.IV. und A.V.). Anschließend sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG betreffend die Spruchpunkte A.I., A.II., A.IV. und A.V. nicht zulässig, betreffend Spruchpunkt A.III. jedoch zulässig sei (Spruchpunkte B.I. und B.II.).

4 Vorauszuschicken ist, dass die Spruchpunkte A.I., A.IV. und A.V. vom Mitbeteiligten letztlich unbekämpft blieben (siehe dazu den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2015/21/0229). Gegen Spruchpunkt A.III. des Erkenntnisses vom richten sich die ordentlichen Revisionen des Mitbeteiligten (protokolliert zu Ro 2015/21/0042) und des BFA (protokolliert zu Ro 2016/21/0004). Gegen Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses erhob das BFA überdies (im selben Schriftsatz) eine außerordentliche Revision (protokolliert zu Ra 2015/21/0240). Der Mitbeteiligte erstattete (ebenfalls in einem einheitlichen Schriftsatz) sowohl zur ordentlichen als auch zur außerordentlichen Revision des BFA eine Revisionsbeantwortung. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens zu Ra 2015/21/0240 über die Revisionen Folgendes erwogen:

5 Die beiden ordentlichen Revisionen, die zunächst in Behandlung zu nehmen sind, erweisen sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig:

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in einer vom Verwaltungsgericht für zulässig erklärten (ordentlichen) Revision hat der Revisionswerber - unter den nachgenannten Voraussetzungen - von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe zur Zulässigkeit der Revision anzusprechen. Diesbezüglich genügt es, wenn in der Revision auf eine zutreffende und ausreichende Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes in erkennbarer Weise Bezug genommen wird. Eine vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage führt - mag die Annahme auch zutreffend sein - umgekehrt dann nicht zur Zulässigkeit der Revision, wenn diese Rechtsfrage in der Revision überhaupt nicht aufgegriffen wird. Auf eine Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht bei der Zulassung der ordentlichen Revision als grundsätzlich angesehen hat, ist nämlich vom Verwaltungsgerichtshof nicht einzugehen, wenn diese Rechtsfrage in der Revision nicht angesprochen wird (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2014/07/0093, Rz 7, und zuletzt den hg. Beschluss vom , Ro 2017/17/0005, Rz 9, jeweils mwN). Eine nähere Darlegungspflicht besteht insbesondere dann, wenn sich der Revisionswerber zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Ro 2016/21/0010, Rz 8, mwN). Ihre Grundsätzlichkeit vorausgesetzt können solche ergänzend ins Treffen geführten Rechtsfragen die Zulässigkeit der ordentlichen Revision somit auch dann begründen, wenn die vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten Zulässigkeitsgründe nicht gegeben sind (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2016/12/0010, 0011 und 0013, Rz 16).

8 Das BVwG begründete die im Spruchpunkt A.III. getroffene Entscheidung ausgehend von dem in den Spruchpunkten A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses erzielten Ergebnis damit, dass die Beschwerde zum Teil erfolgreich gewesen sei, sodass keiner der Parteien Aufwandersatz zustehe. Diese Auffassung stützte das BVwG auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerbestimmung des § 35 VwGVG, nämlich zu § 79a AVG, wonach der in diesen Bestimmungen normierte Anspruch auf Aufwandersatz für die obsiegende Partei nur bei gänzlichem Obsiegen bestehe und eine analoge Anwendung des den Fall des teilweisen Obsiegens für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof regelnden § 50 VwGG nicht in Betracht komme. Diese Judikatur scheine - so das BVwG mit näherer Begründung - grundsätzlich auch auf die aktuelle Rechtslage übertragbar. Insoweit werde die Revision zugelassen, weil zur Frage des teilweisen Obsiegens im Schubhaftbeschwerdeverfahren zur aktuellen Rechtslage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.

9 Darauf geht die ordentliche Revision des Mitbeteiligten allerdings nicht ein. Sie sieht eine grundsätzliche Rechtsfrage vielmehr darin, dass es noch keine Rechtsprechung dazu gebe, ob § 35 VwGVG auf das Schubhaftbeschwerdeverfahren anzuwenden sei. Dabei lässt der Mitbeteiligte aber den mit dem FrÄG 2015 eingefügten und seit geltenden § 22a Abs. 1a BFA-VG außer Acht, womit ausdrücklich angeordnet wurde, dass (u.a.) für Beschwerden in Schubhaftsachen die für (Maßnahmen-)Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG, somit auch § 35 VwGVG, gelten. Insoweit besteht daher eine eindeutige Rechtslage, die keiner weiteren Klärung bedarf, was nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Zulässigkeit einer Revision entgegensteht (vgl. etwa den Beschluss vom , Ra 2016/21/0076, Rz 11, mwN). Soweit die Revision des Mitbeteiligten in der Zulässigkeitsbegründung weiters noch das mit Erhebung einer Schubhaftbeschwerde verbundene Kostenrisiko anspricht, das bei einem Asylwerber zur gravierenden Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts führen könne, ist ihm zu erwidern, dass sich damit im Zusammenhang stehende Fragen im vorliegenden Fall nicht stellen, weil dem Mitbeteiligten kein Kostenersatz auferlegt wurde. Damit lässt sich die Revisionszulässigkeit daher ebenfalls nicht begründen, weil der vorliegende Fall nicht von deren Lösung abhängt (vgl. zu dieser Voraussetzung etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2015/22/0004, Rz 9, mwN).

10 In der Amtsrevision des BFA gegen Spruchpunkt A.III. wird zunächst eingeräumt, dass die vom BVwG getroffene Kostenentscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht, wonach ein Aufwandersatz nur bei gänzlichem Obsiegen einer Partei stattfinde, und es wird weiters zugestanden, dass dies auch für die aktuelle Rechtslage nach § 35 VwGVG zu gelten habe. Damit wird die Zulässigkeit der Revision aber nicht dargetan, weil dies vorausgesetzt hätte, dass das BFA der vom BVwG zu der als grundsätzlich erachteten Rechtsfrage vertretenen Auffassung argumentativ entgegentritt (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2016/07/0038, Rz 16, mwN, wonach die Rechtsfrage nach dem Revisionsvorbringen vom Verwaltungsgericht unrichtig gelöst worden sein muss). Daran anschließend führt das BFA aus, der bekämpfte Spruchpunkt A.III. baue darauf auf, dass die Beschwerde des Mitbeteiligten teilweise erfolgreich gewesen sei. Es "schlägt sich" aber die (mit außerordentlicher Revision geltend gemachte) Rechtswidrigkeit des mit Spruchpunkt A.II. vorgenommenen negativen Fortsetzungsausspruches auf die Kostenentscheidung "durch". Demzufolge ergebe sich bei Aufhebung dieses Spruchpunktes durch den Verwaltungsgerichtshof ein Abweichen von seiner Rechtsprechung zur Berechtigung von Aufwandersatz bei vollständigem Obsiegen. Damit verkennt das BFA, dass Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, der festgestellte Sachverhalt ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2016/06/0059, Rz 6, mwN). Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/02/0011). Das gilt für den vorliegenden Fall der (selbständigen) Bekämpfung einer Kostenentscheidung sinngemäß auch in Bezug auf die zugrunde liegenden Aussprüche in der Hauptsache, von denen bei Geltendmachung einer Unrichtigkeit der Entscheidung im Kostenpunkt auszugehen gewesen wäre.

11 Beiden ordentlichen Revisionen gelingt es somit nicht, ihre Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzutun, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen waren. Da der Mitbeteiligte in der auch insofern erstatteten Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit dieser Revision des BFA hingewiesen hatte, gebührt ihm hierfür gemäß §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 auch der Ersatz von halbem Schriftsatzaufwand.

12 Hingegen ist die vom BFA auch erhobene außerordentliche Revision gegen Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses (protokolliert zu Ra 2015/21/0240) - wie nachstehend gezeigt werden wird - wegen Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig und auch berechtigt:

13 Das BVwG begründete den mit dem genannten Spruchpunkt getroffenen negativen Fortsetzungsausspruch unter Bezugnahme auf mehrere in dem angefochtenen Erkenntnis vom auszugsweise wörtlich zitierte Medienberichte vom damit, dass Pakistan das mit der Europäischen Union geschlossene Rücknahmeabkommen ausgesetzt habe. Der pakistanische Außenminister habe den Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Großbritanniens) einen "offenkundigen Missbrauch" des Abkommens vorgeworfen. Flugzeuge "mit abgeschobenen Migranten" dürften daher vorerst nicht mehr in Pakistan landen. Die am erstmals in den Medien "auftauchende" Aussetzung des Rücknahmeabkommens mit der Europäischen Union habe sich - so das BVwG dazu im Rahmen der Beweiswürdigung - nunmehr insofern manifestiert, als diese Aussetzung aufgrund der einheitlichen Medienberichterstattung "zum jetzigen Zeitpunkt vorerst als gesichert" anzusehen sei. Angesichts dessen folgerte das BVwG dann rechtlich, "zum aktuellen Zeitpunkt" könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Sicherungszweck der gegenständlichen Schubhaft realisiert werden könne. Es lägen daher die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vor.

14 Dem hält die Amtsrevision im Wesentlichen entgegen, das BVwG hätte dem BFA zu den aufgrund der erwähnten Medienberichte als notorisch angesehenen Tatsachen Parteiengehör einräumen müssen. In einer so ermöglichten Stellungnahme hätte das BFA zunächst geltend machen können, in den zitierten Quellen seien auch deutliche Hinweise darauf zu finden, dass es für die Suspendierung des Rücknahmeabkommens keine offizielle Bestätigung gegeben habe. Insofern seien die herangezogenen Belegstellen unvollständig. Außerdem hätte es für die Kündigung und dem entsprechend auch für eine vorübergehende Suspendierung nach Art. 20 Abs. 4 des Abkommens einer förmlichen Notifikation bedurft, die bisher nicht erfolgt sei. Überdies sei unberücksichtigt gelassen worden, dass für den Mitbeteiligten ein gültiges Heimreisezertifikat vorgelegen sei, in dem sich die Rücknahmebereitschaft Pakistans ausdrücklich "manifestiert" habe. Das BFA habe in Vorbereitung der für geplanten "Frontex-Rückführung", für die auch der Mitbeteiligte vorgesehen gewesen sei, in den Monaten davor laufend Kontakt mit der pakistanischen Botschaft in Wien gehabt. Dabei seien alle benötigten Ersatzreisedokumente ausgestellt worden und es habe bislang keine Probleme oder Veränderungen in der Kooperation mit dieser Botschaft gegeben. Dem entsprechend habe dann die gemeinsam mit anderen Staaten organisierte "Frontex-Abschiebung" auch tatsächlich stattgefunden und es seien insgesamt 19 pakistanische Staatsangehörige, von Seiten Österreichs vier Personen, in ihren Heimatstaat verbracht worden. Lediglich zwei aus Österreich kommende Personen seien wegen behaupteter organisatorischer Mängel von den pakistanischen Behörden nicht übernommen worden. Es seien somit entgegen der Annahme des BVwG Abschiebungen nach Pakistan grundsätzlich weiter möglich gewesen.

15 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Verwaltungsverfahren das sogenannte "Überraschungsverbot" zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich sind, weil von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG zu beachten seien (siehe das Erkenntnis vom , Ra 2014/21/0058, mwN).

16 Gegen diese Grundsätze hat das BVwG aber verstoßen, indem es die Annahme der Unzulässigkeit der Fortsetzung der gegen den Mitbeteiligten vollzogenen Schubhaft ausschließlich auf Umstände - Unmöglichkeit der Abschiebung wegen einseitiger Aussetzung des Rücknahmeübereinkommens durch Pakistan und des vorläufig bestehenden Verbots der Landung von aus EU-Mitgliedstaaten kommenden Flugzeugen mit "Migranten" in Pakistan - stützte, die im Verfahren noch nicht vorgekommen waren und zu denen vom BVwG auch kein Parteiengehör eingeräumt worden war. Entgegen der Meinung des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung ist es aber - wie mit dem in Rz 14 wiedergegebenen Revisionsvorbringen dargetan wurde - nicht ausgeschlossen, dass das BVwG bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

17 Daher waren Spruchpunkt A.II. und demzufolge auch die darauf aufbauende Kostenentscheidung im Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses, soweit damit der Aufwandersatzantrag des BFA abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am

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Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §30 Abs2;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015210240.L00
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Fundstelle(n):
CAAAE-68031

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