VwGH vom 28.01.2016, Ra 2015/21/0199

VwGH vom 28.01.2016, Ra 2015/21/0199

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A E in G, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. I405 1425266-2/21E, betreffend Versagung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 bekämpft, als unzulässig zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, gemäß seinen Angaben ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste spätestens im Juni 2011 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag vollinhaltlich ab und wies den Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom in den Punkten Asyl und subsidiärer Schutz keine Folge. Im Übrigen verwies es gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

In der Folge stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete. Dazu brachte er vor, an einer Augenkrankheit zu leiden, wobei zahlreiche Operationen und Therapien erforderlich seien, um ein Erblinden zu vermeiden. In Nigeria wäre seine Krankheit nicht heilbar und Erblindung die Folge.

Dem genannten Antrag angeschlossen war u.a. ein Bericht der Universitäts-Augenklinik Graz vom , wonach der Revisionswerber an beiden Augen an einem primären Offenwinkelglaukom ("Grüner Star") leide. Wörtlich heißt es dann in diesem Bericht:

"Das Glaukom ist eine Erkrankung, im Rahmen derer es durch einen individuell zu hohen Augeninnendruck zur irreversiblen Schädigung der Nervenfasern führt, wodurch Ausfälle im Gesichtsfeld bis hin zur vollständigen Erblindung entstehen können. Bei (Revisionswerber) liegen nun trotz seines jungen Alters bereits fortgeschrittene Gesichtsfeldausfälle vor.

Dementsprechend ist die Augeninnendrucksenkung die einzig bewiesene Therapie des Glaukoms. Diese wurde bei (Revisionswerber) über Jahre medikamentös durchgeführt, letztlich war aber beidseits eine operative Intervention (in seinem Falle eine sogenannte Trabekulektomie) notwendig.

Die weitere regelmäßige Betreuung ist quoad visum von eminenter Bedeutung, soll eine funktionell einigermaßen ansprechende Sehkraft erhalten bleiben."

Das BFA traf bezüglich des genannten Antrags keine Entscheidung. Mit Bescheid vom sprach es allerdings aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG werde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde außerdem die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Das BFA stellte u.a. fest, dass der Revisionswerber an einem Glaukom leide. Dabei handle es sich aber - so das BFA im Rahmen seiner Erwägungen zur Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers - um eine durchaus häufige Erkrankung, die auch in Nigeria durch die weitere Einnahme von entsprechenden Augentropfen behandelbar sei. Auf Grund der sich aus den "Länderfeststellungen" (solche Feststellungen waren in dem Bescheid vom allerdings nicht enthalten) eindeutig entnehmbaren Versorgungslage seien allgemeine Medikamente tatsächlich auch für den Revisionswerber in Nigeria erhältlich. Unter Verweis auf den "Länderbericht" sei (somit) davon auszugehen, dass in Nigeria die medizinische Versorgung im Wesentlichen sichergestellt sei und entsprechende Fachärzte praktizierten. Sollte der Revisionswerber tatsächlich medizinische Versorgung benötigen, so wäre diese somit im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria gegeben.

Der Revisionswerber erhob Beschwerde. In dieser brachte er zusammengefasst vor, dass in Nigeria "fortgeschrittener Glaukom" nicht behandelt werde. Im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria drohe ihm daher Erblindung, zumal er als Rückkehrer auch nicht Zugang zu medizinischer Betreuung habe. In ganz Nigeria gebe es nur ein "Augenspital" im islamisch dominierten Norden, in Kano, was für den christlich orientierten Revisionswerber "unmöglich zu erreichen" sei.

Nachdem ein erstes in Erledigung dieser Beschwerde ergangenes Erkenntnis des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2014/22/0202, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden war, übermittelte das BVwG dem Revisionswerber ein "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" für Nigeria. Es wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, hiezu Stellung zu nehmen, und außerdem wurde er aufgefordert, diverse Fragen insbesondere zu seinen Verhältnissen in Österreich zu beantworten.

In dem genannten, 67-seitigen Informationsblatt war unter Punkt 23. unter der Überschrift "Medizinische Versorgung" u. a. Folgendes festgehalten:

"Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik, die vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird (IOM 8.2013).

Öffentliche (staatliche Krankenhäuser): Diese umfassen die allgemeinen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und die Fachkliniken. Die Gebühren sind moderat, doch einigen Krankenhäusern fehlt es an Ausrüstung und ausreichenden Komfort. Es treten oftmals Verzögerungen auf und vielfach werden Untersuchungen aufgrund der großen Anzahl an Patienten nicht sofort durchgeführt. Private Krankenhäuser: Hierbei handelt es sich um Standard-Krankenhäuser. Diese Krankenhäuser verfügen nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und müssen Patienten für Labortests und Röntgenuntersuchungen oftmals an größere Krankenhäuser überweisen. Diese Krankenhäuser sind im Allgemeinen teuer (IOM 8.2013).

Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In einigen der Privatkliniken in den großen Städten ist der Standard besser (AA ). Es besteht keine umfassende Liste der Krankenhäuser und Ausstattungen, aber zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria sind gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen. Verschiedene Krankenhäuser in Nigeria haben sich auf unterschiedliche Krankheiten spezialisiert und Patienten suchen diese Krankenhäuser entsprechend ihrer Erkrankung auf. Allgemeine Krankenhäuser in Nigeria behandeln Patienten mit verschiedenen Krankheiten, verfügen jedoch üblicherweise über Fachärzte wie etwa Kinderärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Gynäkologen zur Behandlung bestimmter Krankheiten. ...

...

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im informellen Sektor gilt. ... Gemäß einem Bericht von 2013 vom Health Policy Project (HPP) erreicht das nigerianische Krankenversicherungswesen momentan nur gerade fünf Millionen Menschen. ... Hilfsorganisationen, die für notleidende Patienten die Kosten übernehmen, sind nicht bekannt. Aufwändigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/AIDS, sind zwar möglich, können vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden (AA ). Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 10.2013b).

Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA ). Wenn ein Heimkehrer über eine medizinische Vorgeschichte verfügt, sollte er möglichst eine Überweisung von dem letzten Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, vorlegen. ...

Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein (IOM 8.2013). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA ). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 11.2011).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA ).

Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen

Landesteilen Nigerias. ... Trotzdem bleibt die Qualität der

Produkte auf dem freien Markt zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25 % aller verkauften Medikamente), die auf Grund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt wirken (AA )."

Mit Eingabe vom beantwortete der zu diesem Zeitpunkt inhaftierte Revisionswerber die an ihn gestellten Fragen. Dabei gab er u.a. an, in einer Partnerschaft mit Frau L. aus Tschechien zu leben. Am sei ein gemeinsamer Sohn geboren worden, der derzeit mit seiner Mutter in Tschechien, genauer Ort unbekannt, wohne. Außerdem legte der Revisionswerber einen Befund der Ambulanz der Universitäts-Augenklinik Graz vom vor, in dem einerseits eine "Glaukomtherapie" beschrieben wird und andererseits - nach der Beurteilung "stabiler Befund" - eine Kontrolle in drei Monaten an der Glaukomambulanz, bei Verschlechterung sofortige Kontrolle, angeordnet wird.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das BVwG die Beschwerde gegen den oben erwähnten Bescheid des BFA vom gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG als unbegründet ab. Außerdem erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Das BVwG verwies auf vier strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers und weiters darauf, dass er sich seit erneut (wegen des Verdachts der Begehung des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 SMG) in Untersuchungshaft befinde. Es sei gegen ihn auch schon ein bis gültiges Rückkehrverbot erlassen worden. Dass der Revisionswerber in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Familienleben führe oder jemals geführt habe, habe nicht festgestellt werden können, ebenso wenig, dass er über Familienangehörige oder Verwandte in Österreich bzw. in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verfüge; er sei ledig und verfüge über keine engeren sozialen Bindungen in Österreich. Es hätten aber auch keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden können; der Revisionswerber sei im Gegenteil mehrfach straffällig geworden und befinde sich aktuell in Untersuchungshaft. Er leide seit zehn Jahren an einem Glaukom, welches medikamentös mit Augentropfen behandelt und periodisch kontrolliert werde. Umstände, wonach eine Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 50 FPG in seinen Heimatstaat Nigeria unzulässig wäre, hätten nicht festgestellt werden können. (Insbesondere) sei die Grundversorgung in Nigeria einschließlich einer medizinischen Basisversorgung in der Regel gewährleistet.

Dem Vorbringen des Revisionswerbers, er habe eine Lebensgefährtin und einen Sohn in Tschechien, könne - so das BVwG weiter - nicht gefolgt werden. Die dazu erstatteten Angaben fänden in den eingeholten ZMR-Auszügen keine Deckung. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Revisionswerber diese Beziehung, welche - ausgehend von der behaupteten Geburt des gemeinsamen Sohnes im Mai 2015 - bereits zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung im September 2014 hätte bestehen müssen, in seiner Beschwerde mit keinem Wort erwähnt habe. Im Übrigen stünde das behauptete Familienleben auch bei Wahrunterstellung im Hinblick auf die - im Einzelnen näher dargestellten - näheren Umstände des Falles einer Rückkehrentscheidung "per se nicht entgegen". Was das Privatleben des Revisionswerbers anlange, so seien keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in Österreich hervorgekommen; vielmehr sei er wiederholt straffällig geworden. Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG sei das BFA daher - so das BVwG zusammenfassend - zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem Verbleib überwiege, weshalb durch eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege.

Das BFA sei (daher) auch zu Recht davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen nicht zu erteilen sei. Umstände, die zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 führen könnten, lägen nicht vor. Schließlich seien auch im Hinblick auf die vom BFA gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 50 FPG getroffene Feststellung keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria unzulässig wäre. Insoweit er seine Augenkrankheit ins Treffen führe, sei bereits im Erkenntnis vom ausgeführt worden, dass seine chronische Erkrankung (Glaukom) im Hinblick auf Art. 3 EMRK keine Relevanz zu entfalten vermöge; es handle sich weder um eine lebensbedrohliche Erkrankung noch um einen sonstigen "außergewöhnlichen Umstand", der ein Abschiebungshindernis im Sinn von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 darstellen könnte. Die Beschwerden des Revisionswerbers seien unzweifelhaft auch in Nigeria durch die Weitereinnahme von entsprechenden Augentropfen weiter behandelbar, dies gehe aus den getroffenen Länderfeststellungen hervor, wonach allgemeine Medikamente tatsächlich für den Revisionswerber auch in Nigeria erhältlich seien. Außerdem handle es sich beim Revisionswerber um einen erwachsenen, jungen, gesunden arbeitsfähigen Mann, womit angenommen werden könne, dass der notwendige Lebensunterhalt mit anzunehmender Sicherheit in der Heimat durch die Aufnahme einer entsprechenden Erwerbstätigkeit bestritten werden könne. Eine individuelle besondere Gefährdung bestehe nicht.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

1. Das BVwG sprach aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Diese - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindende (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Beurteilung ist nur insoweit zutreffend, als es um die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 geht. Diesbezüglich zeigt die Revision nämlich nicht einmal ansatzweise eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, weshalb sie insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen war.

2. Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt.

2.1. Das BVwG erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung. Im Rahmen der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG verwies es zutreffend insbesondere auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers, die das öffentliche Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet im großen Maß verstärken.

In Bezug auf die gegenläufigen privaten Interessen des Revisionswerbers blieb die besagte Abwägung allerdings unvollständig. Unter dem Blickwinkel eines schützenswerten Privatlebens (zum Familienleben siehe noch unten unter Punkt 2.3.) beschäftigte sich das BVwG zwar mit der Integration des Revisionswerbers in Österreich. In diesem Zusammenhang unberücksichtigt blieb jedoch seine unstrittige Augenerkrankung, bezüglich derer durchgehend geltend gemacht worden war, sie bedürfe andauernder Behandlung, ansonsten drohe Erblindung; die erforderliche Behandlung sei in Nigeria jedoch nicht möglich.

Dieses Vorbringen wird auch in der Revision aufrechterhalten. Träfe es zu, so würde das die privaten Interessen des hier offenkundig in einer adäquaten Behandlung stehenden Revisionswerbers an einem weiteren Verbleib in Österreich nicht unmaßgeblich verstärken, was in die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG hätte miteinbezogen werden müssen (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/18/0146 bis 0152, Punkt III.4.3. der Entscheidungsgründe; siehe auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , E 332/2015, Punkte III.3.2. und 3.3. der Entscheidungsgründe). Gegebenenfalls könnte im Übrigen auch nicht - anders als vom BVwG zum Ausdruck gebracht - davon ausgegangen werden, es seien bezüglich des Revisionswerbers "keine Umstände einer besonderen Vulnerabilität" hervorgekommen, und es handle sich bei ihm um einen gesunden arbeitsfähigen Mann, der in Nigeria problemlos einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne.

2.2. Mit der Augenerkrankung des Revisionswerbers hat sich das BVwG, wie eben erwähnt, im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG überhaupt nicht auseinandergesetzt. Allerdings wurde sie anlässlich der in Verbindung mit der Rückkehrentscheidung zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG angesprochen, und zwar dergestalt, dass bereits in dem über den Antrag auf internationalen Schutz endgültig absprechenden Erkenntnis vom die Irrelevanz dieser Erkrankung im Hinblick auf Art. 3 EMRK erkannt worden sei. Dabei gab das BVwG im nunmehr angefochtenen Erkenntnis auch noch die seinerzeitigen Überlegungen wieder, wonach die "Beschwerden" des Revisionswerbers auch in Nigeria durch die Weitereinnahme von entsprechenden Augentropfen weiter behandelbar seien und dass "allgemeine Medikamente" für den Revisionswerber auch in Nigeria, wie aus den getroffenen Länderfeststellungen ersichtlich, erhältlich seien.

Zwar kam - ausgehend von unveränderten Verhältnissen - eine Neubeurteilung des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers im Hinblick auf Art. 3 EMRK bzw. im Rahmen der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG über die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Herkunftsstaat im Verhältnis zur Entscheidung vom über die Versagung von Asyl und von subsidiärem Schutz nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0119, Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe). Die bloße Wiedergabe der seinerzeit dazu angestellten Überlegungen bietet jedoch keine ausreichende Basis für die nunmehr gebotene Bewertung im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK bzw. § 9 BFA-VG. Einer solchen Bewertung hätten jedenfalls eigenständige Feststellungen im Rahmen des aktuellen Verfahrens voranzugehen, wobei es allerdings, wie der Vollständigkeit halber angefügt sei, angesichts des Vorbringens des Revisionswerbers nicht mit der bloßen Bemerkung, dieser leide an einem durch Augentropfen behandelbaren Glaukom und mit der Übernahme von Auszügen aus der ihm vorgehaltenen "Länderinformation" getan wäre. In dieser "Länderinformation" finden sich zwar allgemeine Ausführungen zum Thema "Medizinische Versorgung" in Nigeria, das wird der konkreten Situation des Revisionswerbers aber nicht gerecht. Vielmehr bedürfte es zunächst einmal spezifischer Feststellungen dazu, welcher Maßnahmen es konkret bedarf, um sein Augenleiden adäquat zu behandeln bzw. allenfalls eine Erblindung zu verhindern. In einem zweiten Schritt wäre dann zu klären, inwieweit diese Maßnahmen (Betreuung und/oder Medikamente) für den Revisionswerber - mit welcher Wahrscheinlichkeit - auch in Nigeria zugänglich wären und gegebenenfalls, wäre nicht von uneingeschränkter Zugänglichkeit auszugehen, welche Folgen im Einzelnen das Unterbleiben der einen oder anderen Maßnahme für den Revisionswerber konkret nach sich zöge. Erst dann läge eine tragfähige Grundlage für eine Bewertung im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung vor.

2.3. Unter Bezugnahme auf die behaupteten familiären Verhältnisse des Revisionswerbers ging das BVwG letztlich davon aus, dass sie keinesfalls ("per se nicht") einer Rückkehrentscheidung entgegenstünden. Das ist in dieser Allgemeinheit aber nicht zutreffend, weil im Falle eines ausgeprägten privaten Interesses an einem Weiterverbleib in Österreich allenfalls auch nur schwache familiäre Bindungen ins Gewicht fallen könnten; ein Eingriff in das Privatleben und ein Eingriff in das Familienleben wären gesamthaft und nicht isoliert, je für sich, zu bewerten.

Vor diesem Hintergrund kommt es hier allenfalls auch darauf an, ob die Behauptungen des Revisionswerbers zu einer Lebensgemeinschaft und einem daraus entspringenden Kind zutreffen. Dieses Vorbringen durfte das BVwG nicht allein im Hinblick auf den (späten) Zeitpunkt seiner Erstattung sowie im Hinblick darauf, dass es mit verschiedenen ZMR-Auskünften nicht in Einklang zu bringen sei, für unglaubwürdig erachten. Mit Recht weist die Revision darauf hin, dass das BVwG nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Geboten gewesen wäre insbesondere eine Einvernahme des Revisionswerbers, zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, wobei ein Eindruck von seiner persönlichen Glaubwürdigkeit hätte gewonnen werden können.

2.4. Nach dem Gesagten ist es insgesamt nicht ausgeschlossen, dass das BVwG bei Vornahme einer vollständigen Interessenabwägung, beruhend auf einer einwandfreien Tatsachengrundlage, in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und damit auch in Bezug auf die Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Das angefochtene Erkenntnis war daher in diesem Umfang samt den auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung aufbauenden Absprüchen nach § 52 Abs. 9 und § 55 FPG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben (zum Umfang der Aufhebung siehe etwa das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0119).

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am