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VwGH vom 21.03.2006, 2004/11/0051

VwGH vom 21.03.2006, 2004/11/0051

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-KR-02-0008, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (Mitbeteiligter: J in R, vertreten durch Dr. Helmut Malek, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Dinstlstraße 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Krems vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG der B. GmbH zu verantworten, dass namentlich genannte Arbeitnehmer dieser Gesellschaft als Lenker von Kraftfahrzeugen, die zum gewerblichen Einsammeln und Transport von Müll gebaut seien und dazu verwendet würden und deren höchstzulässiges Gesamtgewicht 3,5 t übersteige, gegen näher genannte Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (im Folgenden auch kurz: Verordnung) verstoßen hätten. Die insgesamt 11 Verwaltungsübertretungen sind im Straferkenntnis durch die Dauer der Lenkzeiten und der Lenkpausen konkretisiert. Über den Mitbeteiligten wurden deshalb gemäß § 28 Abs. 1a des Arbeitszeitgesetzes (AZG) 11 Geldstrafen zu jeweils EUR 72,-- verhängt.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge, hob das erstinstanzliche Straferkenntnis auf und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG ein. In ihren Sachverhaltsfeststellungen ging sie davon aus, dass die im Straferkenntnis genannten Arbeitnehmer zu den dort angeführten Zeiten mit Müllsammelfahrzeugen im örtlichen Bereich der "Standortgemeinde" (der Arbeitgeberin) bzw. der angrenzenden Gemeinden gefahren seien. In der rechtlichen Beurteilung gelangte die belangte Behörde zur Ansicht, dass es sich bei diesen Fahrten um das Besorgen der Müllabfuhr gehandelt habe und dass diese Beförderungen unter die Ausnahmebestimmung des Art. 4 Z. 6 der Verordnung fielen. Da das dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Verhalten daher nach Ansicht der belangten Behörde keine Verwaltungsübertretung dargestellt habe, sei das Strafverfahren einzustellen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde und des Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Ausdrücklich unbekämpft bleibt in der vorliegenden Beschwerde die Ansicht der belangten Behörde, es handle sich gegenständlich um Müllabfuhr im Sinne des Art. 4 Z. 6 der Verordnung. Deshalb sei allerdings, so der beschwerdeführende Bundesminister in der vorliegenden Amtsbeschwerde, das dem Mitbeteiligten angelastete Verhalten noch nicht straflos. Vielmehr hätte das Verhalten nach den Bestimmungen des AZG sanktioniert werden müssen, weil dieses, anders als die Verordnung, keine Ausnahme für die Müllabfuhr vorsehe. Die belangte Behörde hätte den Sachverhalt daher unter § 14a Abs. 1 und § 15 Abs. 1 AZG subsumieren und die Bestrafung des Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1a AZG bestätigen müssen.

In ihrer Gegenschrift hält die belangte Behörde dem Beschwerdevorbringen entgegen, dass die in Rede stehende, von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar anzuwendende Verordnung Vorrang vor den nationalen Rechtsvorschriften habe. Ausgehend von Art. 4 Z. 6 der Verordnung könne das dem Mitbeteiligten angelastete Verhalten daher nach Ansicht der belangten Behörde nicht als tatbildmäßig angesehen werden.

Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen der

genannten Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 lauten:

"Abschnitt I

Definitionen

Art. 1. Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

1. 'Straßenverkehr': jede Fortbewegung eines zur Personen- oder Güterbeförderung benutzten leeren oder beladenen Fahrzeugs auf Straßen, zu denen die Öffentlichkeit Zugang hat:

...

Abschnitt II

Geltungsbereich

Art. 2. (1) Diese Verordnung gilt für innergemeinschaftliche Beförderungen im Straßenverkehr im Sinne von Artikel 1 Nummer 1.

...

Art. 4. Diese Verordnung gilt nicht für Beförderungen mit


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1.
...
6.
Fahrzeugen, die von den zuständigen Stellen für Kanalisation, Hochwasserschutz, der Wasser-, Gas und Elektrizitätswerke, der Straßenbauämter, der Müllabfuhr, des Telegraphen- und Fernsprechdienstes, des Postsachenbeförderungsdienstes, von Rundfunk und Fernsehen oder für die Erkennung von Rundfunk- und Fernsehübertragungen oder - empfang eingesetzt werden;
..."
Nach den unbedenklichen (mit den im Akt befindlichen Tachographenschaublättern übereinstimmenden) Feststellungen der belangten Behörde erfolgten die dem angelasteten Verhalten zu Grunde liegenden Fahrten im Rahmen der Müllabfuhr der Gemeinde, in der die Arbeitgeberin, deren verantwortlicher Beauftragter der Mitbeteiligte ist, ihren "Standort" (offenbar gemeint: Sitz) hat bzw. der daran angrenzenden Gemeinden. Es handelte sich daher um Straßenverkehr im österreichischen Bundesgebiet und somit um eine innergemeinschaftliche Beförderung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (vgl. Grillberger, Arbeitszeitgesetz, 2. Aufl. (2001), S. 112). Die belangte Behörde hat daher zu Recht geprüft, ob auch die weiteren von der Verordnung normierten Voraussetzungen erfüllt waren. Dass sie dabei zum Ergebnis gelangte, die gegenständlichen Fahrten fielen gemäß Art. 4 Z 6 der Verordnung nicht in deren Geltungsbereich, wird vom beschwerdeführenden Bundesminister nicht beanstandet (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/11/0066, mit Hinweis auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften).
Soweit die belangte Behörde gegen das Beschwerdevorbringen und damit gegen die Bestrafung des Mitbeteiligten nach - innerstaatlichen - Vorschriften den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ins Treffen führt, ist zunächst festzuhalten, dass ein solcher Anwendungsvorrang schon gedanklich nur bei einem Sachverhalt in Betracht kommen kann, der überhaupt vom Geltungsbereich einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift erfasst ist. Der hier zu beurteilende Sachverhalt der Beförderung im Rahmen der Müllabfuhr fällt aber, wie bereits erwähnt wurde, auch nach Ansicht der belangten Behörde nicht in den Geltungsbereich der hier einschlägigen Verordnung.
Klammert daher das Gemeinschaftsrecht (stillschweigend oder - wie im Fall des Art. 4 der vorliegenden Verordnung - ausdrücklich) bestimmte Sachverhalte vom sachlichen Geltungsbereich aus, so kommt der von der belangten Behörde angesprochene "Konfliktfall" zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht und somit auch ein "Anwendungsvorrang" schon von vornherein nicht in Betracht. Vielmehr handelt es sich beim vorliegenden Sachverhalt der Müllabfuhr um einen von der Verordnung ungeregelten Bereich, den der nationale Gesetzgeber ausfüllen kann. Der Verordnung ist nämlich keine Vorschrift zu entnehmen, die es den Mitgliedstaaten untersagen würde, für die Müllabfuhr arbeitszeitrechtliche Regelungen zu schaffen. Vielmehr ergibt sich Gegenteiliges aus den einleitenden Erwägungen der Verordnung, nach denen die Festlegung von für die Arbeitnehmer günstigeren Bestimmungen nicht beeinträchtigt werden soll (siehe dazu auch Grillberger, aaO, Seite 110 ff. unter Bezugnahme auf Art. 11 erster Satz der Verordnung). Zweifellos liegt ein erweiterter Anwendungsbereich von arbeitszeitrechtlichen Vorschriften (hier auf den Einsatz von Fahrzeugen im Rahmen der Müllabfuhr) im Interesse der Arbeitnehmer. Der beschwerdeführende Bundesminister wendet daher im Beschwerdefall zu Recht ein, die belangte Behörde hätte die Strafbarkeit des Mitbeteiligten auch nach den in der Beschwerde näher genannten Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes beurteilen müssen.
Die belangte Behörde meint in der Gegenschrift weiters, dass es ihr - selbst wenn der Mitbeteiligte nach dem AZG strafbar wäre -

verwehrt gewesen sei, den Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses abzuändern, weil dies einerseits zu einer nach Ansicht der belangten Behörde unzulässigen Änderung des Tatbestandes ("Übertretungs- und Strafnorm") geführt hätte. Andererseits wäre damit ihres Erachtens eine unzulässige reformatio in peius verbunden gewesen, weil das AZG im Verhältnis zur Verordnung nur geringere Lenkzeiten zulasse und Lenkpausen schon nach kürzerer Zeit verlange.


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Mit dem erstgenannten Einwand verkennt die belangte Behörde ihre Aufgabe, gemäß § 66 Abs. 4 AVG (der im Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 24 VStG anzuwenden ist) die Tatanlastung unter den richtigen Tatbestand zu subsumieren. Dass dies im gegenständlichen Fall für den Mitbeteiligten nicht zwingend zu einer Verschlechterung gegenüber dem erstinstanzlichen Straferkenntnis führt, ergibt sich schon daraus, dass auch bei gebotener Richtigstellung der verletzten Rechtsvorschrift weiterhin die im erstinstanzlichen Straferkenntnis zitierte Strafnorm (§ 28 Abs. 1a AZG) und damit derselbe Strafrahmen wie im Erstbescheid zur Anwendung kommt. Die richtige Subsumtion des Sachverhalts durch die belangte Behörde führt daher im Beschwerdefall nicht zwingend zu einer höheren Bestrafung des Mitbeteiligten und zu einem Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.
Wien, am