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VwGH 31.05.2012, 2012/02/0051

VwGH 31.05.2012, 2012/02/0051

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §62 Abs4;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;
RS 1
Die Berufungsbehörde ist berechtigt, auch Tatort und Tatzeit, die im erstinstanzlichen Erkenntnis unrichtig wiedergegeben sind, im Zuge des Berufungsverfahrens zu berichtigen, wenn das Versehen für die Partei ohne weiters erkennbar war und der richtige Tatort und die richtige Tatzeit innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist dem Beschuldigten vorgehalten worden sind.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 82/03/0184 E RS 1

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2012/02/0055 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des B.G. in L., Italien, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2012/15/0061-1, betreffend Übertretung kraftfahrrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft R. vom wurden dem Beschwerdeführer als Fahrer eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Sattelzugfahrzeuges und eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Anhängers insgesamt fünf Übertretungen der EG-VO 561/2006 i.V.m. § 134 Abs. 1 KFG 1967 zur Last gelegt. Dabei wurden dem Beschwerdeführer unterschiedliche Übertretungen dieser Verordnung betreffend die einzuhaltenden Lenk- und Ruhezeiten mit der Maßgabe angelastet, dass sich sämtliche Zeitangaben in diesem Straferkenntnis auf die UTC-Zeit beziehen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. den §§ 24, 51, 51c und 51e VStG der Berufung Folge gegeben und das Straferkenntnis behoben.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, es seien sowohl in der Strafverfügung als auch im angefochtenen Straferkenntnis die in MEZ erhobenen und ausgewerteten Zeitangaben übernommen worden, aber - offenbar in der irrigen Ansicht, dass die Zeitauswertung in UTC erfolgt sei - als UTC zur Last gelegt worden. Sohin seien unrichtige Zeitangaben vorgeworfen worden.

Bei der UTC-Zeit handle es sich um eine koordinierte Weltzeit. Die UTC-Zeit habe in ihrer Funktion die mittlere Greenwitchzeit abgelöst. Die Zeitzonen würden als positive oder negative Abweichungen von der UTC-Zeit angegeben werden. So entspreche z.B. UTC plus 1 der mitteleuropäischen Zeit (MEZ) und UTC plus 2 der mitteleuropäischen Sommerzeit (MESZ). Zum Zeitpunkt der Kontrolle am habe in Österreich die MEZ, also UTC plus 1, gegolten.

Es seien dem Beschwerdeführer sohin im Straferkenntnis unrichtige Zeitangaben vorgeworfen worden. Die in der gegenständlichen Form vorgehaltenen Verwaltungsübertretungen seien vom Beschwerdeführer zwar nach den vorgelegten Aufzeichnungen begangen worden, allerdings in der Zeitzone MEZ und nicht in UTC.

Der Umstand, dass sich sämtliche Tatzeiten auf die Lokalzeit, somit auf die MEZ bezögen, sei bereits Gegenstand der Anzeige gewesen. Diese Anzeige sei dem Beschwerdeführer von der seinerzeitigen Rechtshilfebehörde am elektronisch zur Verfügung gestellt worden. Ferner habe der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom ausdrücklich auf die gewährte Akteneinsicht vom repliziert.

Das Zurkenntnisbringen der Anzeige an den Rechtsvertreter des Beschuldigten (Beschwerdeführers) im Wege der Akteneinsicht, verbunden mit dem Auftrag zur Abgabe einer Stellungnahme, stelle eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG dar. Insofern sei dem Beschwerdeführer innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist der richtige zeitliche Bezugsrahmen zur Last gelegt worden, weshalb Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten und das Verwaltungsstrafverfahren daher auch noch nicht einzustellen gewesen sei.

Dieser Fehler (betreffend die Zeitangabe) habe auch nicht durch die belangte Behörde saniert werden können, sei doch die Tatzeit bzw. seien die konkreten Zeiträume, auf die sich die angelasteten Übertretungen bezögen, elementare Bestandteile der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG und sohin Schranke für die Kompetenz der Berufungsinstanz im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschiften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Beschwerdeführer hat zur Gegenschrift eine Äußerung abgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG verpflichtet die belangte Behörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden, wobei sie berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid - im Verwaltungsstrafverfahren allerdings unter Beachtung des geltenden Verschlimmerungsverbotes - nach jeder Richtung abzuändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/02/0281, m.w.N.).

Wie aus der dargelegten Begründung des angefochtenen Bescheides zu ersehen ist, geht die belangte Behörde selbst davon aus, dass trotz der nach § 66 Abs. 4 AVG erfolgten Aufhebung des Straferkenntnisses dieses Verwaltungsstrafverfahren mangels noch nicht eingetretener Verfolgungsverjährung (noch) nicht einzustellen sei. Es bestehe daher nach Auffassung der belangten Behörde eine Fortsetzungsmöglichkeit des Strafverfahrens in erster Instanz aufgrund der so durchgeführten Aufhebung. Für den Beschwerdeführer ist daher aufgrund der derart erfolgten Aufhebung des Straferkenntnisses weiterhin eine Beschwer aufgrund dieser Berufungsentscheidung gegeben.

Insoweit die belangte Behörde in der Gegenschrift einwendet, es stehe dem Beschwerdeführer als Beschuldigten nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einstellung des Verfahrens nach § 45 VStG zu, weshalb es der Beschwerde von vornherein an der Beschwer fehle und diese daher unzulässig sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht nur die mangelnde Einstellung des Verfahrens nach § 45 VStG, sondern auch die unterlassene inhaltliche Entscheidung über seine Berufung geltend macht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Berufungsbehörde berechtigt, auch Tatort und Tatzeit, die im erstinstanzlichen Straferkenntnis unrichtig wiedergegeben sind, im Zuge des Berufungsverfahrens zu berichtigen, wenn das Versehen für die Partei ohne weiteres erkennbar war und der richtige Tatort und die richtige Tatzeit innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist dem Beschuldigten vorgehalten worden sind (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 2. Auflage, S. 983 unter E 139 zitierte hg. Judikatur).

Wie ferner vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/02/0360, m. w.N.) ausgeführt wird, haben Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Zeit und Ort in der Verfolgungshandlung dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt werden.

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Berichtigung der Tatzeiten von UTC auf MEZ in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt oder sich der Gefahr einer Doppelbestrafung aussetzen würde, sind für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu ersehen. Die richtigen Tatzeiten (in MEZ) wurden jedoch dem Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde selbst ausführt - innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist im Zuge einer Akteneinsicht durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vorgehalten.

Weshalb es daher der belangten Behörde verwehrt gewesen sein sollte, die Tatzeiten (von UTC auf MEZ) durch entsprechende Änderung des Spruches des Straferkenntnisses richtig zu stellen, vermag die belangte Behörde im Lichte der vorzitierten hg. Judikatur nicht einsichtig darzulegen.

Fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für eine ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Erledigung und wäre daher ein Abspruch über die dem Bescheid zugrundeliegenden Sachanträge des Beschwerdeführers zu tätigen gewesen, ist der Bescheid der Berufungsbehörde mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren, Band I, 2. Auflage, S. 1286 unter E 236 zitierte hg. Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Da eine Teilaufhebung des angefochtenen Bescheides (ausgenommen die vorgenommene Aufhebung des Straferkenntnisses durch die Berufungsbehörde) - wie in der Beschwerde beantragt wird - mangels Trennbarkeit vom gleichfalls in der Beschwerde geltend gemachten Recht auf inhaltliche Entscheidung der Berufung nicht möglich ist, war spruchgemäß zu entscheiden. Aufgrund dieses Ergebnisses erübrigt es sich auch, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §62 Abs4;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;
Schlagworte
Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der
Berufungsgründe beschränkte Parteistellung
Berufungsverfahren Befugnisse der Berufungsbehörde hinsichtlich
Tatbestand und Subsumtion
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2012020051.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAE-67909