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VwGH vom 19.05.2015, Ra 2015/21/0001

VwGH vom 19.05.2015, Ra 2015/21/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des U H in G, vertreten durch Mag. Tanja Moosbrugger, Rechtsanwältin in 6840 Götzis, Dr.- A. Heinzle-Straße 34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. G307 2012564- 1/2E, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom wurde gegen den Revisionswerber, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen.

Am stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom gemäß § 69 Abs. 2 FPG abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet ab. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision (u.a.) im Ergebnis zutreffend geltend, dass dem BVwG "die Regelungen der §§ 39 ff SMG offensichtlich nicht geläufig" seien und dass es diese "krass falsch" verstanden habe. Schon deshalb ist die Revision entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des BVwG zulässig; sie ist auch berechtigt.

Dem gegen den Revisionswerber erlassenen Aufenthaltsverbot liegt zugrunde, dass er vom Landesgericht Feldkirch mit Urteil vom wegen eines Deliktes nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt wurde. Mit Beschluss des genannten Gerichtes vom wurde der Vollzug dieser Freiheitsstrafe gemäß § 39 Abs. 1 SMG bis aufgeschoben. Unter einem wurden gemäß § 39 Abs. 2 SMG mehrere gesundheitsbezogene Maßnahmen, insbesondere eine stationäre Entzugs- und Substitutionsbehandlung sowie eine ambulante psychosoziale Nachbetreuung, bestimmt und gemäß § 39 Abs. 3 SMG die Vorlage von entsprechenden Bestätigungen über deren Absolvierung durch den Revisionswerber aufgetragen.

Im angefochtenen Erkenntnis ging das BVwG davon aus, dass sich der Revisionswerber in der Zeit vom bis in der Justizanstalt Feldkirch in Haft befunden habe. Danach habe er sich ab Ende Juli 2013 bis "" (gemeint: ) erfolgreich einer stationären Drogentherapie unterzogen und anschließend die posttherapeutische Beratung regelmäßig besucht. Aus den dazu vorgelegten Bestätigungen, die das BVwG laut den Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung seiner Entscheidung zugrunde legte, ergibt sich, dass der Revisionswerber im gesamten Beobachtungszeitraum drogenfrei war.

Ungeachtet dessen unterstellte das BVwG, der voraussichtliche Haftantritt zur Verbüßung des Rests der über ihn verhängten Freiheitstrafe in der Dauer von 16 Monaten und 8 Tagen sei am . Bei dem vom Strafgericht gewährten Strafaufschub handle es sich nämlich "bloß um eine temporäre Maßnahme". Dem entsprechend ging das BVwG dann in der weiteren Begründung davon aus, dass es in Bezug auf die vom Revisionswerber eingegangene Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und deren beiden Kindern zu einer "temporären Trennung" durch den "neuerlichen, rund 16-monatigen Haftantritt im März 2015" kommen werde. Auch mit einer Einstellungszusage sei wegen des zeitlich nahen Haftantritts wohl nicht zu rechnen. Auch bei der folgenden Gesamtabwägung der wechselseitigen Interessen wertete das BVwG dann den "Umstand des neuerlichen Haftantritts" zum Nachteil des Revisionswerbers. Schließlich hielt das BVwG dem Revisionswerber auch im Rahmen der Erstellung der Gefährdungsprognose entgegen, dass er den "Großteil seiner Strafe noch gar nicht verbüßt" habe, sodass "nicht einmal" von der "Grundvoraussetzung des Wohlverhaltens in Freiheit" ausgegangen werden könne.

Gemäß § 39 Abs. 1 SMG ist unter bestimmten, dort näher genannten Voraussetzungen ein von der Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen abhängiger Aufschub des Strafvollzuges für die Dauer von höchstens zwei Jahren zu gewähren. Der Aufschub ist nach § 39 Abs. 4 SMG zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme, zu der er sich bereit erklärt hatte, nicht unterzieht oder es unterlässt, sich ihr weiterhin zu unterziehen, oder wegen bestimmter Straftaten neuerlich verurteilt wird; außer der Vollzug der Freiheitsstrafe erschiene zur Verhinderung weiterer Straftaten nicht geboten. Ist der Aufschub nicht nach § 39 Abs. 4 SMG zu widerrufen oder hat sich ein an ein Suchtmittel gewöhnter Verurteilter sonst mit Erfolg einer gesundheitsbezogenen Maßnahme unterzogen, so hat das Gericht gemäß § 40 Abs. 1 SMG die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen. Bei einer erfolgreichen Therapie ist die verhängte Freiheitsstrafe bzw. deren Rest daher nach Ablauf der Frist, für die der Aufschub gewährt wurde, nicht zu vollziehen, sondern bedingt nachzusehen (vgl. idS schon das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/18/0419).

Das verkannte das BVwG, indem es trotz der angenommenen Prämisse, der Revisionswerber habe die vom Strafgericht bestimmten gesundheitsbezogenen Maßnahmen (bisher) erfolgreich absolviert, der maßgeblichen Begründung seiner Entscheidung zugrunde legte, er habe jedenfalls noch den Rest der Freiheitsstrafe von etwa 16 Monaten nach Ablauf des gewährten Strafaufschubs ab Ende März 2015 zu verbüßen. Damit belastete das BVwG das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Im Übrigen stellte das BVwG die dem Revisionswerber zur Last liegende und den Grund für die seinerzeitige Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildende Straftat im angefochtenen Erkenntnis nur insoweit fest, als lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt wurden. Das reicht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose. Dazu genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom heutigen Tag, Ra 2014/21/0057, zu verweisen. Im Übrigen scheint das BVwG im angefochtenen Erkenntnis (siehe Seite 7 vorletzter Absatz) die im Bescheid des BFA vertretene Meinung zu teilen, dass eine die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigende positive Gefährdungsprognose nur dann in Betracht komme, wenn die diesbezüglich maßgebliche Verurteilung getilgt sei. Diese Auffassung hat keine Grundlage im Gesetz.

Schließlich ist in Bezug auf die Nichtdurchführung einer Verhandlung durch das BVwG noch Folgendes zu bemängeln:

Der Revisionswerber hatte zur Begründung des Aufhebungsantrages und sinngemäß auch in der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vorgebracht, er lebe mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit Dezember 2013 in einer Lebensgemeinschaft. Er kümmere sich auch um deren minderjährige Kinder. Eine Abschiebung würde die bereits entstandenen emotionalen Bindungen zerstören. Im Gegensatz dazu habe er zu seiner in Deutschland wohnhaften 17- jährigen Tochter keinen emotionalen Bezug mehr. Außerdem habe er eine konkrete "Arbeitszusage" bei einem näher genannten Unternehmen in Hohenems, das ihn bei einer "Legalisierung" seines Aufenthalts sofort beschäftigen würde.

Demgegenüber traf das BVwG eine negative Feststellung zum Bestehen einer Lebensgemeinschaft seit Dezember 2013; von einem gemeinsamen Haushalt könne erst seit , dem Zeitpunkt der Meldung des Revisionswerbers an der Wohnadresse seiner Lebensgefährtin, ausgegangen werden. Das BVwG habe auch nicht feststellen können, dass zu den beiden Kindern seiner Lebensgefährtin eine starke emotionale Beziehung gegeben sei und zu seiner Tochter in Deutschland keine Bindungen mehr bestünden. Das sei lediglich behauptet bzw. nur in den Raum gestellt worden. Es habe ebenfalls nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber über eine Arbeitsplatzzusage verfüge, weil eine diesbezügliche Bescheinigung nicht vorliege.

Angesichts dessen hätte das BVwG, das die oben erwähnten, vom Revisionswerber vorgebrachten und für ihn sprechenden Tatsachen nicht als erwiesen ansah, nicht von einem iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen, was in der Revision der Sache nach ebenfalls zu Recht geltend gemacht wird. Demzufolge hätte das BVwG gemäß der sich aus § 24 Abs. 1 VwGVG und Art. 47 Abs. 2 der Grundrechte-Charta ergebenden Verpflichtung verhandeln müssen. Außerdem ist in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei Entscheidungen betreffend aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinzuweisen (vgl. zum Ganzen etwa Punkt 4. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , Ra 2014/21/0052; siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0121, mwN).

Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. In den dort angeführten Pauschalbeträgen ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodass das Mehrbegehren auf deren gesonderten Zuspruch abzuweisen war.

Wien, am