VwGH vom 08.09.2009, 2009/17/0095
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, über die Beschwerde des JK in W, vertreten durch Mag. Josef Schartmüller, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Theresianumgasse 29, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-KO-08-0044, betreffend Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers in einem Verfahren nach SPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers in einem Berufungsverfahren gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom wegen Übertretung des § 82 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes gemäß § 51a Abs 1 VStG abgewiesen.
1.2. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mit dem oben genannten Straferkenntnis wegen einer am begangenen Verwaltungsübertretung nach dem Sicherheitspolizeigesetz (aggressives Verhalten) für schuldig befunden worden sei und mit einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 70,-- belegt worden sei. Die Behörde erster Instanz habe ihren Bescheid im Wesentlichen auf die Anzeige und das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gestützt und bei der Strafbemessung auf die allseitigen Verhältnisse des Beschwerdeführers Bedacht genommen und keinen Erschwerungsgrund, sondern den Milderungsgrund der Unbescholtenheit herangezogen.
1.3. Mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzlichen Aufgaben wahrnahm, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert.
1.4. Nach Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers in seinem mit der Berufung verbundenen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wurde im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung den ihm zur Last gelegten Sachverhalt bestreite "und damit die Verwirklichung der ihm vorgeworfenen Verwaltungsübertretung der Ordnungsstörung".
Im Anschluss an die Darstellung des Inhalts des § 51a Abs. 1 VStG wies die belangte Behörde darauf hin, dass sich die Bestimmung an § 41 StPO orientiere (Anm: nunmehr § 61 Abs. 2 StPO) und verwies weiters auf § 452 Z 7 StPO sowie § 63 Abs. 1 und § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO. Bei der Beurteilung der Interessen der Verwaltungsrechtspflege sei vor allem auf die zweckentsprechende Verteidigung Bedacht zu nehmen. Als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers seien besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei (wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohenden Strafe) zu berücksichtigen (Hinweise auf Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2, 245f, Fasching, Kommentar, Ergänzungsband, § 64 ZPO Anm 10 und MGA ZPO, 14. Auflage, § 64 E 5). Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten seien jedoch im Beschwerdefall nicht gegeben, es sei dem Beschwerdeführer lediglich die Verwaltungsübertretung des aggressiven Verhaltens gegenüber eingeschrittenen Beamten gemäß § 82 Abs. 1 SPG vorgeworfen worden und lediglich eine Strafe von EUR 70,-- verhängt worden.
Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Argumente lägen im Bereiche der Sachverhaltsermittlung und der Beweiswürdigung. Sie beträfen jedoch nicht schwierige Rechtsfragen. Diese Argumente würden im Rechtsmittelverfahren überprüft, in welchem jedoch kein Anwaltszwang bestehe. Es werde ohnedies ein objektives Rechtsmittelverfahren vor der belangten Behörde durchgeführt.
Der Antrag sei somit mangels Interesses der Verwaltungsrechtspflege abzuweisen gewesen.
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
1.6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 51a Abs. 1 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"§ 51a. (1) Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat der unabhängige Verwaltungssenat auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, daß diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Verwaltungsrechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist."
2.2. Die Voraussetzungen der Mittellosigkeit und des "Interesses der Verwaltungsrechtspflege" müssen kumulativ vorliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/02/0012).
§ 51a VStG, der die sich aus Art. 6 EMRK ergebenden Anforderungen an das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich der Gewährung der Verfahrenshilfe im nationalen Recht umsetzen soll, ist schon im Hinblick auf die gebotene verfassungskonforme Interpretation im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auszulegen (vgl. darüber hinaus den ausdrücklichen Verweis auf die Erfordernisse des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Novelle zum VStG BGBl. Nr. 358/1990, 1090 BlgNR 17. GP, 18).
Nach der Rechtsprechung des EGMR sind bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Beigebung eines Verfahrenshelfers im Zusammenhang mit dem Kriterium der "zweckentsprechenden Verteidigung" primär die Bedeutung und Schwere des Delikts und die Schwere der drohenden Sanktion zu berücksichtigen (vgl. das Urteil des EGMR vom , Nr. 12744/87, Quaranta, § 33). Darüber hinaus ist insbesondere die Komplexität des Falles ausschlaggebend, wobei auf die Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art (hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung) Bedacht zu nehmen ist (vgl. neuerlich EGMR , Nr. 12744/87, § 34).
2.3. Die belangte Behörde hat daher an sich zutreffend darauf abgestellt, ob dem Beschwerdeführer eine schwerwiegende Sanktion drohte und ob der vorliegende Fall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht birgt.
Sie hat dies unter Hinweis auf den Charakter der Übertretung nach § 82 Abs. 1 SPG und die geringe Strafe sowie den konkret vorliegenden Sachverhalt verneint.
Dieser Beurteilung kann nicht entgegen getreten werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/02/0498, betreffend eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO, sowie die von der belangten Behörde genannten hg. Erkenntnisse vom , Zl. 97/09/0055, und vom , Zl. 2005/11/0094).
Die Beschwerde zeigt nicht auf, in welcher Weise der Beschwerdeführer sich in einer besonderen Situation befände, auf Grund derer ungeachtet des eher minder gravierenden Charakters der Übertretung und der niedrigen verhängten Geldstrafe das Interesse der Verwaltungsrechtspflege die Beigebung eines Verteidigers erforderlich machte bzw. mit der vorliegenden Bestrafung für ihn eine besondere Rechtsfolge verbunden wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/0327). Auch die in der Beschwerde im Hinblick auf die in der hg. Rechtsprechung als möglicher Grund für die Beigebung eines Verfahrenshelfers anerkannten "persönlichen Gründe" liegen nicht vor, weil die in der Beschwerde angesprochenen Umstände sich auf die Situation des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Tatbegehung beziehen und nicht auf seine allgemeine Fähigkeit, seine Sache zu vertreten. Die "persönlichen Umstände" im Sinne der hg. Rechtsprechung müssten jedoch solche sein, die eine zweckentsprechende Verteidigung der Rechte des Beschuldigten im Verfahren ohne Beigebung eines Verteidigers nicht als gewährleistet erscheinen ließen.
Der bloße Umstand, dass auch eine Bestrafung nach § 82 Abs. 1 SPG eine Subsumtion des Sachverhalts unter die Norm erfordert, lässt schließlich die Rechtsfrage noch nicht zu einer schwierigen im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR bzw. der genannten hg. Erkenntnisse werden.
Die Hinweise auf Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 gehen schon deshalb fehl, weil der genannte Autor an der zitierten Stelle lediglich prozessökonomische Überlegungen zur Abklärung des (für die Erledigung des Verfahrenshilfeantrags) entscheidungsrelevanten Sachverhalts (insbesondere im Zusammenhang mit möglichen Verzögerungsmaßnahmen eines Antragstellers) anstellt. Von einer generellen Notwendigkeit, den Antragsteller vor der Entscheidung über den Antrag nach § 51a Abs. 1 VStG zu laden, kann daher keine Rede sein. Im Beschwerdefall lagen die für die Entscheidung des Falles erforderlichen Sachverhaltselemente der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vor.
Soweit in der Beschwerde auf (Fucik in) Rechberger, Kommentar zur ZPO, § 63 Rz 5 und 6, verwiesen wird, ist darauf aufmerksam zu machen, dass das Fehlen der Mutwilligkeit allein nach § 51a VStG auch im Lichte des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und der hiezu ergangenen Rechtsprechung noch nicht notwendiger Weise zur Bewilligung der Verfahrenshilfe führt. Die im Vorstehenden dargestellten Beurteilungsgrundsätze sind vielmehr auch in Fällen anzuwenden, in denen nicht von einer mutwilligen Erhebung der Beschwerde gesprochen werden kann.
Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.
Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am