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VwGH vom 11.10.2012, 2012/01/0123

VwGH vom 11.10.2012, 2012/01/0123

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Vollzugsdirektion (Direktion für den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen) in 1070 Wien, Kirchberggasse 33, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz vom , Zl. Vk 108/12-4, betreffend Strafvollzug (weitere Partei:

Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: A W in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit (seit ) rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom wurde der Mitbeteiligte (M) unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 206 Abs. 1 StGB - unter Bedachtnahme auf die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom - zu einer Freiheitsstrafe von dreiundzwanzig Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs. 3 StGB ein Strafenteil von fünfzehn Monaten und zehn Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Das Gericht hat im Strafurteil nicht ausgesprochen, dass eine Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest (§ 156b StVG) für einen bestimmten Zeitraum nicht in Betracht komme (vgl. § 266 StPO idF BGBl. I Nr. 64/2010).

Mit Strafvollzugsanordnung vom ordnete das Landesgericht Salzburg den Vollzug der unbedingt verhängten Freiheitsstrafe von 7 Monaten und 20 Tagen (ohne Abzug einer Anrechnung) an.

Einem nach dieser Aufforderung zum Strafantritt gestellten Antrag um Aufschub des Strafvollzuges gab das Landesgericht Salzburg mit Beschluss vom Folge; M wurde gemäß § 6 Abs. 1 Z. 2 lit. a Strafvollzugsgesetz (StVG) Strafaufschub bis zum gewährt.

Am beantragte M die Bewilligung des Vollzuges des unbedingt verhängten Teiles der Freiheitsstrafe von 7 Monaten und 20 Tagen in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes (EÜH).

Mit Bescheid vom lehnte der Leiter der Justizanstalt Salzburg diesen Antrag des M ab.

Dagegen erhob M das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom hat die belangte Behörde (Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz) über diese Beschwerde des M wie folgt entschieden:

"Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:

Der Antrag des A W vom auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 40 Hv 93/10s-48, verhängten (unbedingten Teil) Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Monaten und zwanzig Tagen in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes wird gemäß §§ 156b ff StVG iVm der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den Vollzug von Strafen und der Untersuchungshaft durch elektronisch überwachten Hausarrest (HausarrestV BGBl. II Nr. 279/10) bewilligt.

Zugleich werden ihm die sich aus der einen Bestandteil dieses Bescheides bildenden Einverständniserklärung (Anlage 1, ON 2 der Aktenübersicht EüH) ergebenden Pflichten als Bedingungen seiner Lebensführung während des elektronisch überwachten Hausarrestes auferlegt; über das bei Beginn der Durchführung des elektronisch überwachten Hausarrestes zugrunde zu legende Aufsichtsprofil, einschließlich der für die psychotherapeutische Behandlung erforderlichen Vollzugslockerung (Ausgang), hat der Anstaltsleiter zu entscheiden.

Dem Antragsteller wird gemäß §§ 156b Abs 2, 156d Abs 2 StVG iVm § 3 Z 11 HausarrestV aufgetragen, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen und dem Anstaltsleiter monatlich über den Verlauf derselben eine Bescheinigung vorzulegen.

A W hat gemäß §§ 156b, 156d Abs 2 StVG iVm der HausarrestV die mit dem elektronisch überwachten Hausarrest verbundenen Kosten mit einem Betrag iHv EUR 22,00 (in Worten: zweiundzwanzig Euro) pro angefangenen Kalendertag zu ersetzen."

Begründend führte die belangte Behörde - nach Darstellung des Verfahrensverlaufes und der Rechtslage - aus, sie lege den nachfolgend festgestellten Sachverhalt ihrer Entscheidung zugrunde. Die 2003 geborene CBS sei die Tochter von M und der P; mit P sei der M seit seinem achten bzw. neunten Lebensjahr bekannt. Engerer Kontakt zwischen M und der P habe nur bestanden, weil P und W - die Lebensgefährtin des M - eine enge Freundschaft verbinde. P sei die Patentante des Sohnes von M und W. Die Kinder der P kenne M von klein auf. P sei alleinerziehend. Abgesehen von Übernachtungen der W und des Patenkindes habe es bis Dezember 2008 (bei der P) kaum Übernachtungen von erwachsenen Gästen gegeben. Im Dezember 2008 sei es bei der P zu zwei Übernachtungen des M mit seiner Lebensgefährtin W und seinem Sohn gekommen. Im Zuge dieser Übernachtungen hätten die (abgeurteilten) Tathandlungen des M stattgefunden; M habe das Schlafzimmer der Kinder betreten und sich zu CBS ins Bett gelegt. Am habe CBS sich ihrer Mutter (P) anvertraut, die dann die Kinderklinik im Landeskrankenhaus Salzburg aufgesucht habe. P habe im Jänner 2009 den Kontakt zu W und M endgültig abgebrochen. Nach den Vorfällen habe sich CBS etwa fünf- bis sechsmal (zuletzt im Juni/Juli 2009) vor anderen Kindern ausgezogen und demonstriert, was M mit ihr gemacht habe. Aus diesem Grund habe P das Mädchen (CBS) vorerst aus dem Kindergarten genommen; im Herbst 2009 habe CBS "normal eingeschult" werden können. Seit Jänner 2009 bestehe zwischen M und seiner Familie und der P und deren Kindern kein Kontakt mehr. M lebe mit seiner Lebensgefährtin W und dem (2004 geborenen) gemeinsamen Sohn in einer Drei-Zimmer-Wohnung an der bezeichneten Anschrift. Die Wohnung sei für den EÜH geeignet. Der M arbeite als selbständiger Meldekontrollor in den angegebenen Bundesländern; er überprüfe im Auftrag von Gemeinden Beherbergungsbetriebe auf Einhaltung der Meldepflicht für Gäste; er verdiene (im Außendienst) monatlich netto ca EUR 2.000,-- zwölfmal jährlich. Die Lebensgefährtin W habe (auch als gesetzliche Vertreterin des Sohnes) die Zustimmung zum EÜH erteilt. Aufgrund seiner Beschäftigung sei der M kranken- und unfallversichert.

Der M habe im Strafverfahren die Tat geleugnet; die Angaben der Mutter (P) führe er auf einen Konflikt mit seiner Lebensgefährtin W zurück. Mit seiner Verurteilung habe der M "sich abgefunden"; er sei "innerlich bereit, die Strafe zu verbüßen". Abgesehen von der zum Vollzug anstehenden Verurteilung sei der M gerichtlich unbescholten.

Die Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) reiche - nach Ansicht der belangten Behörde - zur Annahme der begründeten Befürchtung eines Missbrauchs (der Vollzugsform) nicht aus, weil der Äußerung keine aktuelle Befundaufnahme mit dem M zugrunde liege. Die BEST sehe in der Einstellung (des M) zum abgeurteilten Tatgeschehen den einzigen Risikofaktor, da die fehlende Auseinandersetzung den M nicht in die Lage versetze, sein eigenes Risiko zu erkennen bzw. allfälligen Wiederholungen mit tauglichen Mitteln zuvorzukommen. Die Annahme der verleugnenden Einstellung stehe mit dem Bericht von NEUSTART Salzburg nicht in Einklang; aufgrund persönlich geführter Gespräche mit M und seiner Lebensgefährtin habe NEUSTART Salzburg die "Schlussfolgerung einer innerlichen Abfindung mit der Tatsache der Verurteilung konstatiert". Damit in Einklang stehe die Zustimmung des M, eine psychotherapeutische Behandlung zu absolvieren.

Der aus der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs (von Unmündigen) resultierende Risikofaktor werde durch die Unbescholtenheit vor der Tat, das lange Wohlverhalten danach und die "bekundete Bereitschaft zur Auseinandersetzung" so weit gemindert, dass durch die Weisung (psychotherapeutische Aufarbeitung) ein Missbrauch der Vollzugsform mit Grund nicht zu befürchten sei. Dazu komme, dass die enge Beziehung der Familien des M und der Mutter der CBS, wodurch die abgeurteilten Taten begünstigt bzw. mitbegünstigt worden seien, seit Jänner 2009 getrennt sei; die beinahe familiären Nahebeziehungen der Familien scheide als Risikofaktor aus.

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, dass im vorliegenden Fall auf Grund aller für die Risikoprognose bedeutsamen Merkmale - im Zusammenhang mit der erteilten Weisung - ein Missbrauch der Vollzugsform nicht mit Grund angenommen werden könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Vollzugsdirektion (§ 121 Abs. 5 StVG).

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der M hat sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl Nr. 144/1969 (StVG), in der am in Kraft getretenen und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 64/2010 lauten:

"Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest Grundsätze des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten

Hausarrest

§ 156b. (1) Der Vollzug der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests bedeutet, dass der Strafgefangene sich in seiner Unterkunft aufzuhalten, einer geeigneten Beschäftigung (insbesondere einer Erwerbstätigkeit, einer Ausbildung, der Kinderbetreuung, gemeinnütziger Arbeit oder einer vergleichbaren der Wiedereingliederung dienenden Tätigkeit) nachzugehen und sich angemessenen Bedingungen seiner Lebensführung außerhalb der Anstalt (Abs. 2) zu unterwerfen hat. Dem Strafgefangenen ist es untersagt, die Unterkunft außer zur Ausübung seiner Beschäftigung, zur Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfs, zur Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Hilfe oder aus sonstigen in den Bedingungen genannten Gründen zu verlassen. Er ist durch geeignete Mittel der elektronischen Aufsicht zu überwachen und soweit zu betreuen, als dies zur Erreichung des erzieherischen Strafzwecks erforderlich ist.

(2) Die Bedingungen sollen eine den Zwecken des Strafvollzugs dienende Lebensführung sicherstellen und insbesondere die in der Unterkunft zu verbringenden Zeiten sowie die Beschäftigungszeiten, welche tunlichst der Normalarbeitszeit zu entsprechen haben, festlegen. Die Bundesministerin für Justiz ist ermächtigt, durch Verordnung Richtlinien für die Gestaltung der Bedingungen der Lebensführung außerhalb der Anstalt sowie über die Art und die Durchführung der elektronischen Überwachung, einschließlich der Festlegung jener Justizanstalten, die über Einrichtungen zur elektronischen Aufsicht zu verfügen haben, zu erlassen.

(3) Der Strafgefangene hat die mit Verordnung der Bundesministerin für Justiz festzusetzenden Kosten des elektronischen Hausarrests zu ersetzen. Diese Verpflichtung entfällt, soweit durch ihre Erfüllung der zu einer einfachen Lebensführung notwendige Unterhalt des Strafgefangenen und der Personen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, gefährdet wäre. Die Kosten sind monatlich im Nachhinein bis zum Fünften des Folgemonats zu entrichten. Die Verpflichtung zum Kostenersatz bildet einen gesonderten Ausspruch der Bewilligung (§ 156d Abs. 2).

(4) Die §§ 1 bis 3, 4 bis 20, 22, 26, 27, 30 Abs. 1, 32a, 35, 36 Abs. 1, 64 Abs 2 letzter Satz, 72, 99, 99a, 102 Abs. 1, 102a, 103 Abs. 4 bis Abs. 6, 104 bis 106, 107, 108, 109 Z 1, 4 und 5, 110, 113 bis 116a, 118, 119 bis 122, 123, 126 Abs. 2 Z 4, 133, 144 Abs. 2, 145, 146 Abs. 1, 147, 148, 149 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5, 152, 152a, 153, 154 Abs. 2, 156 Abs. 1 erster Satz, 156a, 179, 179a, 180 und 180a gelten sinngemäß.

Bewilligung und Widerruf

§ 156c. (1) Der Vollzug einer zeitlichen Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests ist auf Antrag des Strafgefangenen oder auf Grund eines schon vor Strafantritt zulässigen Antrags des Verurteilten zu bewilligen, wenn

1. die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt oder nach sinngemäßer Anwendung des § 145 Abs. 2 voraussichtlich nicht übersteigen wird,

2. der Rechtsbrecher im Inland


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a.
über eine geeignete Unterkunft verfügt,
b.
einer geeigneten Beschäftigung nachgeht,
c.
Einkommen bezieht, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann,
d.
Kranken- und Unfallversicherungsschutz genießt,
3.
die schriftliche Einwilligung der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen vorliegt, und
4.
nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs. 2) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird.

(2) Die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest ist zu widerrufen, wenn

1. eine für ihre Anordnung notwendige Voraussetzung wegfällt, wobei § 145 Abs. 3 sinngemäß gilt,

2. der Strafgefangene eine Anordnung oder eine ihm auferlegte Bedingung entweder in schwerwiegender Weise oder trotz einer förmlicher Mahnung nicht einhält,

3. der Strafgefangene länger als einen Monat mit der Zahlung des Kostenbeitrags in Verzug ist, wobei eine neuerliche Bewilligung nicht in Betracht kommt, bevor der rückständige Kostenbeitrag entrichtet worden ist,

4. der Strafgefangene erklärt, die Bedingungen nicht mehr einhalten zu können, oder

5. gegen den Strafgefangenen der dringende Verdacht besteht, eine vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung während des elektronisch überwachten Hausarrests oder eine vorsätzliche oder fahrlässige gerichtlich strafbare Handlung, deren Aburteilung nach Abs. 1 Z 4 einer Bewilligung des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest entgegenstehen würde, begangen zu haben oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen zu wollen.

Zuständigkeit und Verfahren

§ 156d. (1) Die Entscheidungen über die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest und den Widerruf stehen dem Leiter der Justizanstalt zu, in der die Freiheitsstrafe im Zeitpunkt der Antragstellung vollzogen wird oder in der sie zu vollziehen wäre, wenn die Unterkunft des Strafgefangenen oder Verurteilten im Sprengel desjenigen Landesgerichtes gelegen ist, in dem auch die Justizanstalt liegt, und diese über Einrichtungen zur elektronischen Überwachung verfügt (§ 156b Abs. 2). Wird der Strafgefangene in einer anderen Anstalt angehalten, kommt die Entscheidung über die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest der Vollzugsdirektion zu, die im Falle der Genehmigung des Antrags zugleich die erforderliche Strafvollzugsortsänderung zu verfügen hat. § 135 Abs. 2 erster Satz letzter Halbsatz und zweiter Satz sowie Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Zugleich mit der Bewilligung des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests sind dem Strafgefangenen die Bedingungen seiner Lebensführung außerhalb der Anstalt (§ 156b Abs. 2) sowie der von ihm zu entrichtende Betrag des Kostenersatzes (§ 156b Abs. 3) aufzuerlegen und ihm erforderlichenfalls Betreuung durch eine in der Sozialarbeit erfahrene Person (§ 29c Bewährungshilfegesetz in der Fassung BGBl. I Nr. 64/2010) zu gewähren.

(3) Wurde der Rechtsbrecher wegen einer im § 52a Abs. 1 StGB genannten strafbaren Handlung verurteilt, so ist vor Entscheidung zur Prüfung der Voraussetzungen des § 156c Abs. 1 Z 4 eine Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter einzuholen.

(4) Kann über den Antrag eines Verurteilten nicht innerhalb der Frist des § 3 Abs. 2 entschieden werden, so ist die Anordnung des Strafvollzuges bis zur rechtskräftigen Entscheidung vorläufig zu hemmen, wenn der Antrag nicht offenbar aussichtslos ist. Wird dem Antrag stattgegeben, hat sich die Aufnahme auf die in den §§ 131 Abs. 1 sowie 132 Abs. 4 und 7 vorgesehenen Maßnahmen zu beschränken."

Die Amtsbeschwerde macht (u.a. auch) geltend, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass nach Äußerung der BEST der M zu einer Tätergruppe gehöre, von der nicht angenommen werden könne, dass keine Präferenzstörung im Sinne einer Pädosexualität vorliege. Der M sei ausgebildeter Pflegevater und habe als solcher naturgemäß Kontakt zu Kindern. Die offen dargestellte Vorliebe des M für Kinder (inklusive des Erlernens des Berufes des Pflegevaters) sei bei Vorliegen (möglicherweise unbewusster) pädosexueller Neigungen nach Äußerung der BEST ein Risikofaktor. Aus dem Bericht des Vereines NEUSTART Salzburg könne nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass der M tatsächlich die Verantwortung für seine Handlungen übernehme und bereit sei, sich mit diesen "Teilen seiner Persönlichkeit auseinanderzusetzen".

Mit diesen Ausführungen zeigt die Amtsbeschwerde im Ergebnis eine mangelhaft begründete Prognosebeurteilung der belangten Behörde auf.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 156c Abs. 1 Z. 4 StVG bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/01/0243, vom , Zl. 2011/01/0226, und vom , Zl. 2011/01/0258) stellt die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests missbrauchen, eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist.

Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall die Grundlagen ihrer Prognosebeurteilung unzureichend erhoben und derart ihren Beurteilungsspielraum überschritten.

Insoweit die belangte Behörde den Annahmen der BEST, der M verleugne seine Taten und es bestehe keine Verantwortungsübernahme bei ihm, den Bericht von NEUSTART Salzburg (vom ) gegenüberstellte, ist zu erwidern, dass dieser Bericht keine diesen Annahmen der BEST widersprechende Ausführungen enthält, sondern "bezüglich einer eventuellen Rückfallgefahr auf das einzuholende Gutachten der BEST verwiesen wird". Auch hat die belangte Behörde unberücksichtigt gelassen, dass in dem genannten Bericht von NEUSTART Salzburg unter "Erhebungen zur Person" festgehalten wurde, M" bestreitet die Tat vehement; der Vorwurf sei allein darauf zurückzuführen, dass die Mutter des Opfers sich nach einem Konflikt mit Frau W an der ganzen Familie rächen wollte". In diesem Zusammenhang wurde auch nicht gewürdigt, dass im Bericht von NEUSTART Salzburg die Äußerung der Lebensgefährtin (W), die im gemeinsamen Haushalt wohnt und zum Vollzug durch EÜH die Einwilligung gab, festgehalten wurde, wonach W "von der Unschuld ihres Lebensgefährten überzeugt sei; andernfalls hätte sie ihn nach Bekanntwerden des Verdachtes verlassen". Die belangte Behörde hat den Bericht von NEUSTART Salzburg somit nur unvollständig berücksichtigt.

Der Argumentation der belangten Behörde zuwider mag der M sich zwar mit der Tatsache seiner Verurteilung abgefunden haben, er leugnet aber - wie das dem Bericht von NEUSTART Salzburg ausdrücklich zu entnehmen ist - seine Tat vehement. Entgegen der Würdigung der belangten Behörde werden die Annahmen der BEST durch den Bericht von NEUSTART Salzburg demnach bestätigt.

Zu dem von der BEST bei M konstatierten Risikofaktor einer "möglicherweise auch unbewussten pädosexuellen Neigung" und auch zu der Annahme der BEST, der M sei nicht in der Lage, sein eigenes Risiko zu erkennen, bzw. entsprechende allfällige Wiederholungen mit tauglichen Mitteln zuvorzukommen, enthält der angefochtene Bescheid keine Begründung.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel (Begründungs- und Feststellungsmängel) führen zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei deren Unterlassung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Wien, am