VwGH vom 20.03.2013, 2012/01/0079

VwGH vom 20.03.2013, 2012/01/0079

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des H in I, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Z. Ia-26.937/34-2012, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß "§ 10 Abs. 1 Z. 1. StbG 1985 iVm § 31 Abs. 1 FrG 1997" ab (Spruchpunkt 1.); ebenso wies sie das Ansuchen des minderjährigen Sohnes des Beschwerdeführers, R.K.H., auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ab (Spruchpunkt 2.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer halte sich seit dem im Bundesgebiet auf. Mit Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom sei der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, mit Spruchpunkt II. dieses Bescheides seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklärt sowie mit Spruchpunkt III. dem Beschwerdeführer für den Fall des Eintritts der Rechtskraft der Spruchpunkte I. und II. eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von drei Monaten erteilt worden.

Nach Einbringung einer gegen Spruchpunkt I. des erwähnten Bescheides gerichteten Berufung habe der Beschwerdeführer seinen Asylantrag mit Wirksamkeit vom zurückgezogen.

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck habe dem Beschwerdeführer - auf Initiative des damaligen Bundesministers - mit Bescheid vom eine bis gültige humanitäre Aufenthaltserlaubnis erteilt; einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 10 Abs. 4 FrG 1997 habe der Beschwerdeführer dabei nicht gestellt.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom sei dem Beschwerdeführer eine befristete Niederlassungsbewilligung erteilt und diese in der Folge laufend verlängert worden.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet habe im Zeitraum zwischen der Zurückziehung seines Asylantrages () und der Erteilung des ersten Aufenthaltstitels () auf keinem gültigen Aufenthaltstitel oder einer sonstigen asyl- oder fremdenrechtlichen Grundlage beruht. Weder die Zustimmung des Bundesministers für Inneres zur Erteilung der humanitären Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 90 FrG noch der Umstand, dass der Bundesminister für Inneres - für den Fall der (schließlich erfolgten) Zurückziehung des Asylantrages - dem Beschwerdeführer die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels in Aussicht gestellt habe, habe die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Legalisierung des Aufenthalts des Beschwerdeführers begründet. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sei erst mit der Erlassung des Bescheides (vom ) durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft Innsbruck der Aufenthalt des Beschwerdeführers nach der Zurückziehung seines Asylantrages wieder rechtmäßig gewesen.

Der Beschwerdeführer könne sich daher erst ab dem auf einen durchgehenden (ununterbrochenen) rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich berufen, sodass sein Verleihungsantrag - mangels eines zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Entscheidungszeitpunkt - gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG abzuweisen gewesen sei. Gemäß § 18 StbG sei auch der Erstreckungsantrag des minderjährigen Sohnes des Beschwerdeführers abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung "in seinem Recht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten", behauptet. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der gegenständlich maßgeblichen Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ("rechtmäßig und ununterbrochen") Verleihungsvoraussetzung ist, dass der Verleihungswerber zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde einen - unter Berücksichtigung der Unterbrechungstatbestände des § 15 Abs. 1 StbG - durchgehenden (eben "ununterbrochenen") legalen Aufenthalt im Bundesgebiet vorweisen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0316, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; vgl. etwa auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/01/0001, vom , Zl. 2009/01/0063, vom , Zl. 2012/01/0063, sowie zuletzt vom , Zl. 2011/01/0279).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das Erfordernis des rechtmäßigen (und ununterbrochenen) zehnjährigen Aufenthalts ausgesprochen, dass für Zeiten vor dem In-Kraft-Treten des NAG die Rechtmäßigkeit auch mit Aufenthaltstiteln nach dem Fremdengesetz 1997 oder nach dem Aufenthaltsgesetz nachgewiesen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0520, unter Hinweis auf das erwähnte hg. Erkenntnis vom ; sowie das erwähnte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/01/0063).

2. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat der - zu diesem Zeitpunkt durch die Jugendwohlfahrt Tirol vertretene - Beschwerdeführer mit Eingabe beim Bundesasylamt vom seinen "Asylantrag" zurückgezogen; dies war nach dem damals geltenden AsylG 1997 zulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0473). Entgegen der im Verwaltungsverfahren vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung galt die Zurückziehung des Asylantrages (während des Berufungsverfahrens) nicht als Zurückziehung der Berufung (diese Rechtsfolge wurde erst durch die Neufassung des § 23 Abs. 3 AsylG im Zuge der am in Kraft getretenen AsylG-Novelle 2003 normiert; vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/20/0345), weshalb die mit dem erstinstanzlichen Asylbescheid rechtskräftig ausgesprochene befristete Aufenthaltsberechtigung mangels Rechtskraft des Spruchpunktes I. keine Wirksamkeit entfalten konnte.

3. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Zeitraum vom bis ist nach dem bis in Geltung gestandenen Fremdengesetz 1997 (FrG) zu beurteilen (vgl. abermals das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/01/0063).

Gemäß § 10 Abs. 4 FrG konnte die Behörde Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes in den dort genannten Fällen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.

Gemäß § 31 Abs. 1 leg. cit. hielten sich Fremde ua. rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund eines Aufenthaltstitels zum Aufenthalt berechtigt waren (Z. 2).

3.1. Die Beschwerde räumt ein, dass es sich bei der dem Beschwerdeführer mit Wirksamkeit vom erteilten Aufenthaltserlaubnis "unzweifelhaft … um einen Erstaufenthaltstitel" handelt. Die Besonderheit dieses Titels liege allerdings darin, dass damit "nach dem Willen des Gesetzgebers" ein illegaler Aufenthalt saniert werde, indem der Aufenthaltstitel bis zum Beginn des illegalen Aufenthalts zurückwirke.

Dem ist entgegen zu halten, dass dem Gesetz eine Rückwirkung der Aufenthaltserlaubnis nach § 10 Abs. 4 FrG nicht zu entnehmen ist; die dem Beschwerdeführer erteilte Aufenthaltserlaubnis vermochte daher eine Aufenthaltsberechtigung nur pro futuro zu entfalten.

3.2. Aus dem Beschwerdevorbringen, wonach gemäß § 14 Abs. 4 letzter Satz FrG der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt werden kann, lässt sich für den Beschwerdeführer - abgesehen davon, dass er eine entsprechende Antragstellung im Verwaltungsverfahren nicht behauptet hat - schon deshalb nichts gewinnen, weil diese Bestimmung lediglich auf "Erstniederlassungsbewilligungen" im Sinne des § 19 FrG abstellte, zu denen die gegenständliche Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht zählte (vgl. die ua. nach "Aufenthaltserlaubnis" und "Niederlassungsbewilligung" differenzierende Definition der Aufenthaltstitel in § 7 FrG).

3.3. Soweit die Beschwerde auf den Begriff des Hauptwohnsitzes bzw. auf die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Z. 3 StbG verweist und damit argumentiert, der Beschwerdeführer habe in Österreich durchgehend einen Wohnsitz ("animus domiciliandi") begründet, ist ihr zu entgegnen, dass es nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG ("rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten") in der hier maßgeblichen Fassung nach der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 nicht mehr auf den Hauptwohnsitz, sondern auf den durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet in der erforderlichen Mindestdauer, zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde, ankommt; aus § 15 Abs. 1 Z. 3 StbG ergibt sich (lediglich), dass eine tatsächliche Anwesenheit des Fremden im Bundesgebiet im Umfang von mindestens vier Fünftel des Zeitraumes erforderlich ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/01/0003, sowie vom , Zl. 2010/01/0047, jeweils mwN).

3.4. Der Hinweis der Beschwerde auf das Europäische Übereinkommen über Staatsangehörigkeit (BGBl. III Nr. 39/2000) geht schon deshalb ins Leere, weil anlässlich der Ratifikation dieses Staatsvertrages beschlossen wurde, dass dieses Übereinkommen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Das Übereinkommen ist demnach vom Verwaltungsgerichtshof für die Überprüfung des angefochtenen Bescheides nicht heranzuziehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/01/0008, sowie vom , Zl. 2009/01/0003, mwN).

4. Nach dem Gesagten kann daher der Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe erst (wieder) ab dem über einen durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt, nicht entgegen getreten werden.

5. Die belangte Behörde hat demnach das Vorliegen eines zehnjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zutreffend verneint und demgemäß zu Recht sowohl den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers als auch (nach Maßgabe des § 18 StbG) den Erstreckungsantrag des minderjährigen Sohnes des Beschwerdeführers abgewiesen.

6. Die Beschwerde war sohin - im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunkts - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am