VwGH vom 09.09.2009, 2004/10/0116
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie den Senatspräsidenten Dr. Novak und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der M in F, vertreten durch Dr. Georg Peterlunger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Kajetanerplatz/Schanzlgasse 8, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 3/01-S/29.217/5-2004, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheiten der Sozialhilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung (BH) vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Sozialhilfe unter Berufung auf die §§ 6, 8 und 29 des Salzburger Sozialhilfegesetzes abgewiesen.
Nach der Begründung habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe nicht vorlägen, da nach dem Übergabevertrag vom eine vertragliche Verpflichtung der Übernehmer Franz und Anna E. zur Bezahlung der Seniorenheimkosten der Beschwerdeführerin bestehe.
Gegen diesen Bescheid wurde mit Briefpapier einer namentlich genannten Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungs GmbH, vertreten durch deren Geschäftsführer, namens der rubrizierten Klientin (Beschwerdeführerin) Berufung erhoben.
Über Auftrag der BH wurde dieser in weiterer Folge eine mit datierte schriftliche Vollmacht der Beschwerdeführerin vorgelegt.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wies daraufhin die BH die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 63 Abs. 5 und 64a AVG als unzulässig zurück.
Nach der Begründung sei die am erhobene Berufung von keinem befugten Vertreter eingebracht worden und daher als unzulässig zurückzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Wirksamkeit einer durch einen Vertreter vorgenommenen fristgebundenen Verfahrenshandlung das Vorliegen einer entsprechenden Bevollmächtigung durch den Vertretenen zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlung erforderlich. Diese Voraussetzung sei im gegenständlichen Fall erstmals am erfüllt worden. Erfolge die Begründung des Vollmachtsverhältnisses zur Vertretung bei einer fristgebundenen Verfahrenshandlung erst nach Fristablauf, so bewirke dies nicht die Rechtswirksamkeit der von dem noch nicht Bevollmächtigten seinerzeit gesetzten Verfahrenshandlung. Da in den Verwaltungsverfahrensgesetzen eine dem § 38 ZPO vergleichbare Regelung nicht getroffen sei, komme die nachträgliche Genehmigung einer bis dahin von einem Scheinvertreter gesetzten fristgebundenen Verfahrenshandlung nicht in Frage.
Mit Schriftsatz vom stellte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin im Namen seiner Klientin den Antrag, die Berufung gegen den Bescheid der BH vom der Berufungsbehörde zur Entscheidung vorzulegen. Aus den nun vorgelegten Unterlagen gehe eindeutig hervor, dass die Steuerberatungs- und Wirtschaftstreuhandgesellschaft bereits zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels gegen den "Pflegegeldbescheid" vertretungsbefugt gewesen sei.
Dem Vorlageantrag war ein an die genannte Gesellschaft gerichtetes Schreiben der Beschwerdeführerin vom mit folgendem Wortlaut angeschlossen:
"Sehr geehrter Herr Dr. H.!
Als Steuerberater von Anna und Franz E., welchen ich meine Liegenschaft übergeben habe, ersuche ich Sie, auch mich im Hinblick auf den nun vorliegenden Pflegebescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung im Zuge der Ergreifung eines Rechtsmittels dagegen meine diesbezüglichen Interessen zu vertreten.
Hochachtungsvoll
(Beschwerdeführerin)"
Ferner wurde folgende eidesstättige Erklärung vom vorgelegt:
"Ich, (Beschwerdeführerin), geb. ..., wohnhaft in ..., erkläre hiemit an Eides Statt, dass ich die Fa. Wirtschaftstreuhand- und C. Steuerberatungs GmbH, vertreten durch die Person Dr. H., unmittelbar nach Erhalt des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung betreffend meines Pflegegeldes beauftragt und damit bevollmächtigt habe, gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel einzubringen.
In der Folge wurde ich aufgefordert eine schriftliche Vertretungsvollmacht zu unterzeichnen und habe ich diese nach Erhalt am unterfertigt.
Tatsächlich habe ich jedoch, wie bereits erwähnt, die Fa. Wirtschaftstreuhand- und C. Steuerberatungs GmbH bereits kurz nach Erhalt des genannten Pflegebescheides mit meiner Vertretungsvollmacht betraut.
Diesbezüglich verweise ich auf mein Schreiben vom . (Beschwerdeführerin)"
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die im Namen der Beschwerdeführerin eingebrachte Berufung gegen den Bescheid der BH vom gemäß §§ 8, 10 Abs. 1, 63 Abs. 5, 64a und 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und der anzuwendenden Rechtsgrundlagen vertrat die belangte Behörde in ihrer Begründung die Auffassung, nach einschlägiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bedürfe eine Vollmacht der Annahme durch den Bevollmächtigten. Eine konkludente Vollmachtserteilung sei als nicht ausreichend anzusehen. Werde ein Vollmachtsverhältnis erst nach Vornahme einer Verfahrenshandlung rechtsgültig begründet, so sei eine Sanierung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gleichfalls nicht möglich.
Die von Dr. H. eingebrachte Berufung sei zumindest "im Namen" der Beschwerdeführerin erhoben worden. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der Einschreiter bei der Einbringung der Berufung im Ergebnis im Sinne des § 10 Abs. 1 AVG auf eine ihm erteilte Vollmacht berufen habe. Dabei obliege es der Behörde gemäß § 10 Abs. 2 AVG in diesem Zusammenhang auftretende Zweifel einer Klärung zuzuführen. Dieser Vollzugsvorgabe sei durch Kontaktaufnahme mit dem "Einschreiter" am im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG unverzüglich von Amts wegen entsprochen worden. Die BH sei somit zumindest von der Möglichkeit ausgegangen, dass ein gültiges Vollmachtsverhältnis zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels der Berufung gegen den Sozialhilfebescheid (und nicht Pflegegeldbescheid) noch nicht begründet gewesen sei. Die BH habe durch die Nachreichung der (erst) mit datierten Vollmacht ihre Zweifel bestätigt gesehen. Da eine Sanierung dieses Mangels nicht habe angenommen werden können, sei die Berufung gemäß § 64a AVG im Rahmen der Berufungsvorentscheidung als unzulässig zurückgewiesen worden.
Die Behörde erster Instanz sei in ihrer Rechtsansicht zu bestätigen, da ein Vollmachtsverhältnis rechtsgültig erst durch die ausdrückliche, nicht bloß konkludente Annahme der Vollmacht durch den Bevollmächtigten begründet werde. Diese Voraussetzung sei im Beschwerdefall erstmals am erfüllt worden. Das mit datierte Schreiben der Beschwerdeführerin erfülle diese Voraussetzungen nicht. Das bloße Ersuchen der Beschwerdeführerin, gerichtet an Dr. H., im Hinblick auf den vorliegenden (richtig) Sozialhilfebescheid im Zuge der Ergreifung eines Rechtsmittels dagegen ihre diesbezüglichen Interessen zu vertreten, reiche hiezu nicht aus. Auch die vorgelegte eidesstättige Erklärung der Beschwerdeführerin bringe einzig zum Ausdruck, die erwähnte Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungs GmbH, vertreten durch Dr. H., unmittelbar nach Erhalt des Bescheides der BH betreffend ihres Pflegegeldes (richtig: Antrages auf Gewährung von Sozialhilfe) "beauftragt" und damit bevollmächtigt zu haben, gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel einzubringen. Die Tatsache der erfolgten, zudem schriftlichen Annahme, werde nicht geltend gemacht und sei auch aus dem diesbezüglich vorgelegten Schriftstück in keiner Weise erkennbar. Aus einer bloßen Auftragserteilung sei keinesfalls die rechtsgültige Begründung eines Vollmachtsverhältnisses abzuleiten. Genau deshalb, nämlich zu Zwecken der nachfolgenden Möglichkeit zur Annahme, sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, eine "schriftliche Vertretungsvollmacht" zu unterfertigen, was erst am erfolgt sei. Mangels einer allenfalls im Sinne des § 10 Abs. 1 AVG vor der Behörde mündlich erteilten Vollmacht sei vom rechtsgültigen Bestand des Vollmachtsverhältnisses erst ab der urkundlichen Vollmachtserteilung und vor allem deren Annahme auszugehen. Dies sei definitiv erstmals am erfolgt. Das Vollmachtsverhältnis sei somit erst nach Vornahme der Verfahrenshandlung der Einbringung des Rechtsmittels der Berufung mittels Berufungsschreiben vom rechtsgültig begründet worden. Die Berufung sei daher entgegen der Vorgabe des § 63 Abs. 5 AVG nicht seitens der Partei eingebracht worden und deshalb als unzulässig zu beurteilen und gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 10 AVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet auszugsweise:
"§ 10. (1) Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen, Bevollmächtige haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ein, so ersetzt die Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.
(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.
(3) ..."
Dem angefochtenen Bescheid liegt im Wesentlichen die Auffassung zu Grunde, ein Vollmachtsverhältnis werde rechtsgültig erst durch die ausdrückliche, nicht bloß konkludente Annahme der Vollmacht durch den Bevollmächtigten begründet. Diese Voraussetzung sei im Beschwerdefall erstmals mit der mit datierten schriftlichen Vollmacht, somit nach Ablauf der Berufungsfrist, erfüllt.
Damit ist die belangte Behörde aus folgenden Erwägungen nicht im Recht:
Das Vollmachtsverhältnis kommt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Machtgebers gegenüber dem Vertreter zustande. Der Machtgeber kann seinen Willen, Vertretungsbefugnis einzuräumen, entweder ausdrücklich oder auch nur schlüssig erklären. Da die Bevollmächtigung gemäß § 10 Abs. 2 AVG an keine Form gebunden ist, kann sie in Ermangelung gegenteiliger Sondervorschriften auch mündlich vorgenommen werden (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 10 Rz 6 ff).
Gemäß § 10 Abs. 2 letzter Satz AVG hat die Behörde die Behebung etwaiger Mängel der "Vollmacht" unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG von Amts wegen zu veranlassen. In Entsprechung eines solchen Verbesserungsauftrages kann eine (fehlerfreie) Vollmachtsurkunde nicht nur nachgereicht, sondern auch (bei einer mündlichen Bevollmächtigung im Innenverhältnis) erst im Nachhinein errichtet werden. Eine solche nachträgliche Beurkundung kann etwa durch ein Schreiben der Partei vorgenommen werden, mit dem diese das Bestehen einer Vollmacht des Einschreiters zur Erhebung einer Berufung bestätigt. Entscheidend ist nämlich nicht die - möglicherweise nach der Setzung der Verfahrenshandlung liegende - Datierung der Bevollmächtigungsurkunde, sondern, dass das Vollmachtsverhältnis tatsächlich im Zeitpunkt der Setzung der Verfahrenshandlung durch den Vertreter bereits bestanden hat, da der Zweck der §§ 10 und 13 Abs. 3 AVG darin gelegen ist, eine den rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechende Durchsetzung der materiellen Rechte der Partei zu gewährleisten, ohne durch Formvorschriften die Durchsetzung dieser Rechte in größerem Maß als unbedingt erforderlich einzuschränken. Dabei ist nur der Mangel des Nachweises, nicht aber jener der Bevollmächtigung selbst behebbar (vgl. auch dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 10 Rz 9).
Im Beschwerdefall kann jedenfalls im Hinblick auf die eidesstättige Erklärung der Beschwerdeführerin vom kein Zweifel darüber bestehen, dass diese ihren Rechtsvertreter noch innerhalb der Berufungsfrist mündlich bevollmächtigt hat, gegen den Bescheid der BH Berufung zu erheben. Dass im Fall einer mündlichen Bevollmächtigung die Vollmachtsurkunde erst im Nachhinein errichtet wird, kann dem Vertretenen nicht zum Nachteil gereichen, ist doch in einem solchen Fall nicht die nach Setzung der Verfahrenshandlung erfolgte Datierung der Vollmachtsurkunde entscheidend, sondern der Umstand, dass das Vollmachtsverhältnis tatsächlich im Zeitpunkt der Setzung der Verfahrenshandlung durch den Vertreter bereits bestanden hat.
Da das Vollmachtsverhältnis durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Machtgebers gegenüber dem Vertreter zustande kommt, ist eine ausdrückliche schriftliche Annahme der Vollmacht durch den Bevollmächtigten - wie die belangte Behörde meint - nicht erforderlich (vgl. neuerlich Hengstschläger/Leeb, AVG § 10 Rz 11).
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am