VwGH 21.03.2016, Ra 2015/19/0257
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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RS 1 | Der Unterscheidung zwischen Sachverständigengutachten oder bloßem Rechercheergebnis kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil - wenngleich beide Fälle grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegen - für von Privaten vorgenommene Erkundigungen im Herkunftsstaat und darauf basierenden Berichten und Stellungnahmen Besonderheiten gelten, die bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen. So handelt es sich bei letzteren um keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG, sondern um ein Beweismittel eigener Art, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinn des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann. Bei dessen Würdigung ist aber stets zu berücksichtigen, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise der ermittelnden Privatperson sich einer Kontrolle weitgehend entziehen und sie im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Darauf ist in der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen. So ist die Stellungnahme einer Vertrauensperson kein Sachverständigengutachten, sondern ein sonstiges Beweismittel (Hinweis E vom , Ra 2015/18/0100). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des R (geboren 1989), vertreten durch Mag. Percy Hirsch, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Maximilianstraße 6, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W171 2114363- 1/3E, betreffend AsylG 2005, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom , mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 sowie § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, als unbegründet ab.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist.
Der belangten Behörde wurde die außerordentliche Revision sowie der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zugestellt und Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Da die belangte Behörde keine Interessen geltend gemacht hat, welche durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung berührt werden, bedarf dieser Beschluss gemäß § 30 Abs. 2 VwGG keiner weiteren Begründung.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrat Mag. Eder, Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des R S in S, vertreten durch Mag. Percy Hirsch, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Maximilianstraße 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W171 2114363-1/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen aus, dass er Verfolgung von Angehörigen eines Motorradfahrers befürchte, der in Grosny mit seinem Auto kollidiert und in der Folge verstorben sei, ohne dass dies die Schuld des Revisionswerbers gewesen sei. Zudem habe der Revisionswerber Probleme, weil er sich vor einigen Jahren taufen habe lassen, seine Mutter Russin sei und er die tschetschenische Sprache nicht beherrsche.
2 Der Revisionswerber legte in der Folge eine Bestätigung einer Präfektur in Grosny vor, wonach er seit April 2011 in Grosny, an der Adresse U. P. gewohnt habe. Mit E-Mail vom ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Prof. M um eine Echtheitsprüfung dieses Dokuments. In einem mit "Anfragenbeantwortung" betitelten Schreiben vom führte dieser aus, dass er mit oben genanntem E-Mail zum Sachverständigen bestellt worden sei. Seine Qualifikation als Sachverständiger ergebe sich aus seinen seit 1996 bestehenden vielfältigen beruflichen, wirtschaftlichen und persönlichen Verbindungen zur Russischen Föderation, den besonderen Landeskenntnissen sowie seiner seit 2004 ausgeübten Funktion als Obmann der "Ö Gesellschaft". Seine besondere Integrität ergebe sich ferner aus seiner Tätigkeit als Gerichtssachverständiger.
Laut Angaben des Sachverständigen seien für die Befundaufnahme unter anderem "Erhebungen bei Mitarbeitern der UMFS der Tschetschenischen Republik sowie des Meldeamtes der Stadt Grozny", "Bewohner bzw. Nachbarn der angegebenen Wohnadresse" und "Erhebungen eines als Ermittlungshelfer betrauten und in den GUS-Staaten tätigen konzessionierten Detektivbüros mit Zentrale in MD- 2001 Chisinau" zur Verfügung gestanden. Der Ermittlungshelfer zeichne sich durch seine besondere Landeskenntnis und Sorgfalt aus und wisse abzuwägen, wie Ermittlungen geführt werden müssten, um die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Durchführung zu wahren.
Das Gutachten lautet (auszugsweise) wie folgt:
"Zur Echtheit des Dokuments (...)
Im Dokument (...) wird der Wohnsitz des ASt (... Anm.: des Revisionswerbers) in Grosny, ul. P (...) bestätigt.
Die Befundaufnahme ergab, dass es sich bei der Dokumentkopie um eine Fälschung handelt. Dies erscheint deshalb abgesichert, da die Unterschrift der Leiterin der Territorialpräfektur (...), gefälscht ist, sowie deshalb, da unter der Dokumentennummer (...) ebendort ein anderes Dokument registriert ist.
Zum Wohnsitz des ASt
Die Befundaufnahme ergab, dass der ASt unter der untersuchungsgegenständlichen Adresse weder jemals registriert war, noch dort länger- oder kurzfristig gelebt hat.
Unter der angegebenen Adresse ist dzt. ein (...) mit seiner Familie wohnhaft, dem der ASt gänzlich unbekannt ist. Auch befragten Nachbarn war der Name des ASt unbekannt.
Ferner ergab die Befundaufnahme, dass für (den Revisionswerber) in der Tschetschenischen Republik nie ein Personaldokument (Reisepass, Interner Pass; Führerschein) ausgestellt wurde."
3 Das BFA wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nach den §§ 55 und 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.
4 Dies begründete es im Wesentlichen damit, dass die Angaben zum Fluchtgrund unglaubhaft seien, weil eine Recherche ergeben habe, dass es sich bei der vom Revisionswerber vorgelegten Meldebestätigung um eine "Totalfälschung" handle und er offenbar niemals in Grosny gelebt habe. Diesem - wiedergegebenen - Gutachten sei jedenfalls "Folge zu leisten", weil es sich dabei um ein Gutachten im engeren Sinn handle, das in sich schlüssig und nachvollziehbar sei. Der Revisionswerber sei dem Gutachten nicht substantiiert entgegengetreten.
5 In der dagegen erhobenen Beschwerde machte der Revisionswerber unter anderem geltend, dass die Behörde die gebotene Gesamtwürdigung seines Vorbringens unterlassen und sich ausschließlich mit der von ihr als Fälschung bezeichneten Urkunde und der Fälschungsthematik befasst habe. Der Sachverhalt sei so mangelhaft ermittelt worden, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich sei.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Im Zuge der Wiedergabe des Verfahrensganges hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die vorgelegte Wohnsitzbestätigung des Revisionswerbers seitens des BFA einer Echtheitsprüfung durch Vorortrecherche unterzogen worden sei. Die Befundaufnahme habe ergeben, dass es sich um eine Fälschung handle. Es stellte fest, dass der Revisionswerber Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Russen angehörig und russisch-orthodoxen Glaubens sei. Die von ihm vorgelegte Wohnsitzbescheinigung stelle eine "Totalfälschung" dar, er sei an der angeführten Adresse weder jemals registriert gewesen noch habe er dort je gelebt. Es könne nicht festgestellt werden, ob der Revisionswerber tatsächlich aus Tschetschenien stamme.
8 Beweiswürdigend hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass zentraler Punkt der Unglaubwürdigkeit das Ermittlungsergebnis betreffend die vorgelegte Wohnsitzbestätigung sei. Eine unbedenkliche Überprüfung habe ergeben, dass es sich dabei um eine "Totalfälschung" handle. Die Unterschrift des ausstellenden Organs sei gefälscht, die angeführte Dokumentnummer sei tatsächlich einem anderen Dokument zugewiesen worden und der Revisionswerber habe an der angegebenen Adresse nie seinen Wohnsitz gehabt. Die Behörde habe daher zu Recht Zweifel an der Richtigkeit der Fluchtgeschichte an sich haben können. Die Herkunft des Revisionswerbers aus Tschetschenien sei nicht wahrscheinlich, weil er ansonsten jedenfalls eine echte Wohnsitzbestätigung hätte besorgen können. Damit einhergehend sei die von ihm geschilderte Fluchtgeschichte nicht glaubwürdig. Das Fehlen einer Erklärung zur Fälschung der Wohnsitzbescheinigung dürfe nach Ansicht des Gerichts als Eingeständnis gedeutet werden. Es sei schlüssig, dass die Behörde von einer gänzlichen Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgehe, zumal das österreichische Strafrecht die Verwendung falscher und verfälschter Urkunden pönalisiere.
Die behaupteten Unannehmlichkeiten auf Grund der Religionszugehörigkeit, etwa die Nachfrage nach dem Religionsbekenntnis bei Bewerbungsgesprächen sowie die passive Ablehnung seiner Person durch manche Gesellschaftsschichten, würden noch keine asylrelevante Verfolgung darstellen. Zudem habe der Revisionswerber widersprüchlich einmal angegeben, dass er von Teilen seiner Familie geächtet werde, ein anderes Mal, dass alle Familienmitglieder russisch-orthodoxen Glaubens seien. Die Feststellungen des BFA zu Tschetschenien würden auf aktuellen Berichten anerkannter Organisationen beruhen. Die vom Revisionswerber in der Beschwerde angeführte Reisewarnung vermöge an der Beurteilung nichts zu ändern.
9 Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubwürdig darzutun. Subsidiärer Schutz sei nicht zu gewähren gewesen, weil nicht angenommen werden könne, dass der arbeitsfähige 26-jährige Revisionswerber, der über Berufserfahrung als Sporttrainer verfüge, nach Rückkehr einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, zumal ihm die selbstständige Sicherung seines Lebensunterhalts zuzumuten sei und seine Eltern und seine Schwester nach seinen Angaben im Herkunftsland lebten.
10 Vor dem Hintergrund der als kurz zu bewertenden Aufenthaltsdauer und der nicht nachgewiesenen Deutschkenntnisse würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen, auch wenn der Revisionswerber in zwei Sportvereinen aktiv tätig sei und einige - wenn auch nicht intensive - Kontakte zu Österreichern über die Sportvereine und im Umfeld der Caritas habe. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung verletzte den Revisionswerber daher nicht in seinem Recht gemäß Art. 8 EMRK.
11 Die Durchführung der beantragten Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt geklärt sei, das Bundesverwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde teile und die Beschwerde den Sachverhalt nicht substantiiert bestritten habe, zumal der beigebrachte Länderbericht allgemeiner als die von der Behörde herangezogenen sei. Zudem seien seit Erhebung der Beschwerde erst wenige Wochen vergangen.
12 Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verfahrensakten und Durchführung des Vorverfahrens, in dem Revisionsbeantwortungen nicht erstattet wurden, erwogen hat:
13 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, dass das Bundesverwaltungsgericht insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, als es seine Entscheidung im Wesentlichen mit einem mangelhaften Gutachten begründe. Vor dem Hintergrund der Anforderungen, die (näher genannte) Rechtsprechung an Gutachten stelle, handle es sich bei dem "Gutachten" im vorliegenden Fall lediglich um eine Einschätzung bzw. Äußerung, die nicht ohne weitere Hinterfragung der Beurteilung des Antrags des Revisionswerbers zugrunde gelegt hätte werden dürfen und nicht auf der Ebene eines Sachverständigengutachtens im Sinn des § 52 AVG stehe. Das Bundesverwaltungsgericht hätte diese verfehlte Vorgehensweise der Behörde von Amts wegen aufgreifen und selbst Ermittlungen - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchführen müssen.
Das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung sei insbesondere deshalb rechtswidrig gewesen, weil das Ermittlungsverfahren in erster Instanz nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden sei und das Bundesverwaltungsgericht die erstinstanzliche Beweiswürdigung um nicht bloß unwesentliche Argumente ergänzt habe.
Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Mit Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017 und 0018, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen des Tatbestands des geklärten Sachverhalts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits erkannt, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Anforderungen nicht erfüllt, wenn es eine zusätzliche Beweiswürdigung vornimmt, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es sich nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde anschließt, sondern darüber hinaus einzelnen Erwägungen in der behördlichen Beweiswürdigung mangelnde Nachvollziehbarkeit attestiert und die beweiswürdigenden Überlegungen mit dem Aufzeigen weiterer, nicht als bloß untergeordnet oder unwesentlich anzusehender Aspekte, aus denen sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ergebe, untermauerte. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2015/19/0197, vom , Ra 2014/20/0174 und vom , Ra 2014/19/0085).
16 Im vorliegenden Fall schloss sich das Bundesverwaltungsgericht zwar im Ergebnis der Beurteilung der Verwaltungsbehörde, wonach das Vorbringen des Revisionswerbers nicht glaubwürdig sei, an. Dabei stützte es sich - ebenso wie das BFA - zentral darauf, dass die vorgelegte Wohnsitzbestätigung gefälscht sei. Anders als das BFA begründete es dies jedoch nicht damit, dass es sich bei der "Anfragenbeantwortung" vom um das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten eines Sachverständigen handle, dem nicht entgegengetreten worden sei, sondern mit dem Ergebnis einer "unbedenklichen Überprüfung". Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich ergänzend aber auch darauf, dass der Revisionswerber keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität habe vorlegen können, obwohl angeblich seine Familie dort wohnhaft sei. Die gänzliche Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers begründete es zudem damit, dass die Verwendung falscher und verfälschter Urkunden in Österreich strafrechtlich verboten sei und damit zum Ausdruck komme, dass es sich dabei um einen groben Verstoß gegen die Rechtsordnung handle.
Das Bundesverwaltungsgericht hat somit zum einen die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt. Zum anderen ist nicht ersichtlich, ob es die "Anfragenbeantwortung" als ein Sachverständigengutachten oder als ein bloßes Rechercheergebnis qualifiziert. Im Rahmen der Wiedergabe des Verfahrensganges ist von einer "Echtheitsprüfung durch Vorortrecherche" die Rede sowie davon, dass die "Befundaufnahme" ergeben habe, dass es sich beim vorgelegten Dokument um eine Fälschung handle. In der Beweiswürdigung verweist das Bundesverwaltungsgericht - wie schon ausgeführt - auf eine "unbedenkliche Überprüfung", die belege, dass die vorgelegte Wohnsitzbestätigung eine "Totalfälschung" sei, und der Revisionswerber (nach der Aussage des Bewohners) dort nie gewohnt habe.
17 Der Unterscheidung zwischen Sachverständigengutachten oder bloßem Rechercheergebnis kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil - wenngleich beide Fälle grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegen - für von Privaten vorgenommene Erkundigungen im Herkunftsstaat und darauf basierenden Berichten und Stellungnahmen Besonderheiten gelten, die bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen. So handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bei letzteren um keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG, sondern um ein Beweismittel eigener Art, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinn des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann. Bei dessen Würdigung ist aber stets zu berücksichtigen, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise der ermittelnden Privatperson sich einer Kontrolle weitgehend entziehen und sie im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Darauf ist in der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen. So ist die Stellungnahme einer Vertrauensperson kein Sachverständigengutachten, sondern ein sonstiges Beweismittel (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/18/0100).
18 Im vorliegenden Fall steht jedenfalls fest, dass die vom BFA als Gutachten gewertete "Anfragenbeantwortung" ihrem Inhalt nach den Anforderungen, die der Verwaltungsgerichtshof an Sachverständigengutachten stellt, nicht gerecht wird. Ein Sachverständigengutachten muss einen Befund und ein Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine Sachverständigenäußerung, die sich in der Abgabe des Urteiles erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich das Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, (nachvollziehbar) erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar. Die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zu Grunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2001/12/0218 und ähnlich das hg. Erkenntnis vom , 2001/06/0055, jeweils mwN).
19 Der Sachverständige stützte im vorliegenden Fall seine Schlussfolgerung, dass es sich bei der Dokumentkopie um eine Fälschung handle, unter anderem auf die Behauptung, dass die Unterschrift darauf gefälscht sei, ohne näher zu begründen, wie diese Tatsache ermittelt wurde. Auch ist nicht erkennbar, worin das Gutachten im engeren Sinn, also die Schlussfolgerung, zu deren Gewinnung es besonderer Fachkenntnisse und Erfahrung bedarf, bestehen soll.
20 Aus all dem ergibt sich, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde nicht in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde. Der Revisionswerber hat dies in seiner Beschwerde auch aufgezeigt. Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit auch deswegen - nach der gebotenen Ergänzung des Ermittlungsverfahrens - nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.
Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | AsylG 2005 §10 Abs1 Z3; AsylG 2005 §3 Abs1; AsylG 2005 §55; AsylG 2005 §57; AsylG 2005 §8 Abs1; BFA-VG 2014 §9; FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2; FrPolG 2005 §52 Abs9; VwGG §30 Abs2; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015190257.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAE-67684