VwGH vom 19.04.2012, 2012/01/0011
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des J H in A, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom , Zl. Sich20-8-2-2008-Bu, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert gemäß § 65 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) und § 19 AVG sich bei der Polizeiinspektion A. einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen und an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, der Beschwerdeführer habe von den näher bezeichneten Polizeiinspektionen im Jahr 2007 wegen des Verdachtes der Vergehen nach § 147 StGB (Betrug) und § 127 StGB (Diebstahl) sowie im Jahr 2008 wegen des Vergehens nach § 83 StGB (Körperverletzung) an die Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht werden müssen. Ausgehend von den dargelegten maßgebenden Bestimmungen des SPG reiche es aus, dass die zu behandelnde Person im Verdacht stehe, einen gefährlichen Angriff im Sinne des § 16 Abs. 2 und 3 SPG begangen zu haben, auf die Strafbarkeit werde nicht abgestellt. Auf Grund des Berichts der Polizeiinspektion A. vom an die Staatsanwaltschaft R. habe der begründete Verdacht bestanden, der Beschwerdeführer habe "eine mit Strafe bedrohte Handlung" begangen. Irrelevant sei sein Vorbringen, er sei wegen des ihm angelasteten Vergehens der Körperverletzung auf Grund des durchgeführten außergerichtlichen Tatausgleichs nicht verurteilt worden. Diese Erledigungsform zeige deutlich, dass der Beschwerdeführer "für eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung nach dem StGB Verantwortung übernehmen musste". Seine Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung erscheine "zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe unbedingt erforderlich". Bereits im Jahr 2007 habe er zweimal wegen gerichtlich strafbarer Handlungen zur Anzeige gebracht werden müssen. Da diese Anzeigen ihn nicht abhalten hätten können, einen weiteren gefährlichen Angriff zu begehen, könne "eine günstige Zukunftsprognose nicht angenommen werden". Die erkennungsdienstliche Behandlung solle "der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe durch Ihr Wissen um die Möglichkeit Ihrer Wiedererkennung bzw. dadurch bedingte erleichterte Ausforschung Ihrer Person entgegenwirken".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen
Rechtsvorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) in
der Fassung BGBl. I Nr. 114/2007 lauten:
"Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung
§ 16. (1) …
(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder
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2. | nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945, oder |
3. | nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, oder |
4. | nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch. |
(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.
…
Erkennungsdienstliche Behandlung
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
(2) … (3)…
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
…
Verfahren
§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.
(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.
(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren
(§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.
(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 65 Abs. 4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden.
..."
Nach dieser Rechtslage ermächtigt § 65 Abs. 1 SPG die Sicherheitsbehörden, Menschen, die im Verdacht stehen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Sie ist gefährlichkeitsbezogen (vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar 4. Auflage, Seite 693 Anm. 2 bis 4).
Nach der dargelegten Rechtslage ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung weiter - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an eine weiter hinzukommende Voraussetzung geknüpft: Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 924/11).
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde es jedoch unterlassen, sich mit der weiter hinzukommenden Voraussetzung zu befassen und im angefochtenen Bescheid darzulegen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers aus den angeführten Gründen für notwendig hält. Dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sei, wurde nicht dargelegt; ein Sachverhalt in dieser Hinsicht ist auch nicht ansatzweise erkennbar.
Will die Behörde sich auf den Tatbestand "Art oder Ausführung der Tat oder Persönlichkeit des Betroffenen" stützen, hat sie darzutun (zu begründen), auf welche Überlegungen sie das Vorbeugungserfordernis stützt. Zur Alternative "Ausführung der Tat" kommt es auf die konkrete Ausführung der konkreten Tat an und auch hinsichtlich der "Persönlichkeit des Betroffenen" ist auf dessen konkrete Persönlichkeitsmerkmale abzustellen (vgl. Hauer/Keplinger, a.a.O., Seite 695, Anm. 6.3.2. und 6.3.3.).
Zur Ausführung der Tat(en) oder der Persönlichkeit des Beschwerdeführers fehlen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Die belangte Behörde hat nur festgehalten, der Beschwerdeführer sei im Verdacht gestanden, einen gefährlichen Angriff (im Sinne des § 16 Abs. 2 und 3 SPG) begangen zu haben. Mit dem Hinweis auf den Bericht einer Polizeiinspektion (vom ) scheint das Vergehen der (vorsätzlichen) Körperverletzung gemeint zu sein, zu dem der Beschwerdeführer die Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleichs ins Treffen führte. Insoweit (zum außergerichtlichen Tatausgleich) im angefochtenen Bescheid ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer habe "Verantwortung übernehmen müssen" und die zwei Anzeigen im Jahr 2007 hätten ihn von der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe nicht abhalten können, scheint die belangte Behörde die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zur Begründung des Vorbeugungserfordernisses herangezogen zu haben. Sie hat dafür aber keine anderen Fakten als die genannten Anzeigen und die Erledigung durch einen außergerichtlichen Tatausgleich dargetan. Auch dafür, warum die im Alter zwischen 15 1/2 und 17 Jahren begangenen Vergehen auf eine Rückfallgefahr schließen ließen, fehlt jede Begründung. Dass die (im Jahr 2008) angelastete Tat der Körperverletzung wegen ihrer Art für die Annahme ausreiche, die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich, wurde im angefochtenen Bescheid nicht dargetan (vgl. zu dieser Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/17/0053).
Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen erfüllen somit die oben dargestellten Anforderungen nicht.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am