VwGH vom 02.09.2015, Ra 2015/19/0091

VwGH vom 02.09.2015, Ra 2015/19/0091

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ra 2015/19/0092

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Feiel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Revisionen 1. der A J Y, und 2. der A J Y, beide in W, beide vertreten durch Dr. Maximilian Gumpoldsberger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Edisonstraße 1/WDZ 8, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom ,

1) Zl. L506 1432644-1/38E und 2) Zl. L506 1432643-1/37E, betreffend AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerberinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Revisionswerberinnen sind Schwestern und Staatsangehörige des Iran. Sie stellten am jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) führten sie zu ihren Fluchtgründen aus, dass im Iran ein Haftbefehl gegen sie vorliege, weil sie Interesse für das Christentum gezeigt und Hauskirchen besucht hätten.

Im Laufe des verwaltungsbehördlichen Verfahrens legten die Revisionswerberinnen mehrere Schreiben vor, wonach sie regelmäßig an Gottesdiensten, Seminaren und am Bibelstudium einer freien, evangelikalen Gemeinschaft (Verein G bzw. G Church) teilnehmen würden. Ein Vertreter dieser Gemeinschaft bestätigte dies der Behörde im Rahmen einer Zeugenbefragung auch persönlich. Zudem gaben die Revisionswerberinnen an, am getauft worden zu sein.

Das Bundesasylamt wies die Anträge auf internationalen Schutz jeweils mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab und wies die Revisionswerberinnen in den Iran aus. In der Begründung führte es aus, dass die Revisionswerberinnen nur zum Schein konvertiert seien und das Asylverfahren aus wirtschaftlichen Erwägungen angestrengt hätten.

Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerberinnen jeweils Beschwerde an den Asylgerichtshof. Darin brachten sie unter anderem vor, dass sie derzeit die katholische Kirche in ihrem Wohnort A und die Christengemeinde in W besuchen würden. Ergänzend legten sie mehrere Schreiben vor, darunter eine Bestätigung über ihre Gottesdienstbesuche von einem Mitglied der katholischen Kirche, ein Schreiben des Leiters eines Teilbereichs einer evangelischen Freikirche (Iranischen Christlichen Gemeinde Wien - Evangeliumsgemeinde), wonach sie sich mit dem Glauben beschäftigen und an Veranstaltungen der Gemeinde teilnehmen würden, ihre Taufurkunden sowie Fotos der Taufe und weitere Schreiben über ihre Aktivitäten im Verein G. Zudem übermittelten sie zwei handgeschriebene Schreiben über ihre Motivation, zum Christentum überzutreten, und eine Bestätigung der Leiterin der katholischen Pfarre in W, wonach sie Teil der Pfarrgemeinde seien.

Die Verfahren über die Beschwerden wurden gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende geführt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine mündliche Verhandlung durch, in der die Revisionswerberinnen erneut zu den fluchtauslösenden Ereignissen im Iran befragt wurden. Zudem gaben sie an, jede Woche in die Kirche zu gehen und Interessierten über die Bibel zu erzählen.

Mit den nunmehr angefochtenen - im Wesentlichen gleichlautenden - Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Unter einem verwies es die Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

In der Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Revisionswerberinnen 2011 unter anderen Namen als den im Asylverfahren verwendeten für ein Studium in Österreich zugelassen worden seien und Aufenthaltsvisa ausgestellt bekommen, diese jedoch nie behoben hätten. Sie hätten eine Schwester und einen Schwager in Österreich, denen 2010 der Status von Asylberechtigten wegen ihrer Konversion zum Christentum zuerkannt worden sei. Die Revisionswerberinnen hätten sich zwar taufen lassen, es würde sich jedoch um eine Scheinkonversion handeln.

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Unglaubwürdigkeit der Revisionswerberinnen insbesondere dadurch untermauert werde, dass sie die Asylbehörden über einen Zeitraum von über fünf Monaten über ihre Identität, die ihnen ausgestellten Aufenthaltsvisa sowie die Existenz ihrer in Österreich asylberechtigten Schwester bewusst getäuscht hätten. Die Revisionswerberinnen hätten auch nie jene Vorfälle im Haus ihrer Familie, die zur Flucht der Schwester geführt hätten, erwähnt. Weiters sei auffällig, dass die von den Revisionswerberinnen vorgebrachte Fluchtgeschichte jener ihrer Schwester stark ähnle. Überdies sei das Vorbringen der Revisionswerberinnen in sich und im Vergleich zueinander teilweise widersprüchlich, etwa betreffend die Krankheit ihrer Mutter und die damit verbundene Nichtabholung der Visa, ihren Aufenthaltsort unmittelbar vor ihrer Ausreise (Freunde oder Verwandte), und den Zeitpunkt des Beginns ihres Interesses für das Christentum (Anfang 2011 oder Herbst 2011). Die behauptete Konversion erscheine auch vor dem Hintergrund, dass die Revisionswerberinnen ihre Taufe durch eine protestantische Freikirche empfangen hätten, jedoch die katholische Kirche besuchen würden, fraglich. Zudem habe der Taufvorbereitungskurs der Revisionswerberinnen nicht einmal einen Monat gedauert, obwohl der Leiter dieses Kurses angegeben habe, dass ein Kurs mindestens drei Monate dauere.

Die nach außen getragenen Aktivitäten der Revisionswerberinnen, wie ihr Wissen über christliche Glaubensinhalte, ihre Taufe, der Besuch von Gottesdiensten sowie ihre Integration in die Pfarre, würden nichts über ihre tatsächliche innere Haltung aussagen. Die Umstände, die für eine taktische Konversion sprächen, würden jene Gründe überwiegen, die unter anderen Umständen tragende Argumente für eine glaubwürdige Konversion darstellen würden. Die Tatsache, dass die Mutter der Revisionswerberinnen ohne Probleme aus dem Iran aus- und wieder einreisen habe können, zeige, dass die iranischen Behörden keinerlei Interesse an der Familie der Revisionswerberinnen hätten.

Da es sich um eine bloße "Scheinkonversion" handle, sei nicht davon auszugehen, dass die Revisionswerberinnen nach Rückkehr ihre christliche Religion praktizieren, nach außen tragen oder missionarisch tätig sein würden. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass aus der lediglich formal erfolgten Konversion zum christlichen Glauben keine asylrelevante Gefährdung resultiere und dass nur in der Öffentlichkeit besonders aktive oder missionierende Christen im Iran gefährdet seien. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberinnen für die iranischen Behörden in irgendeiner Weise von Interesse seien oder dass ihre Taufe den Behörden bekannt werden würde.

Es sei daher davon auszugehen, dass den Revisionswerberinnen im Iran keine asylrelevante Verfolgung drohe. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass den Revisionswerberinnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen sei.

Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch es an einer solchen Rechtsprechung fehle. Die für den vorliegenden Fall maßgebliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Hinsichtlich des Vorbringens der Revisionswerberinnen zu ihrer behaupteten Konversion zum Christentum sei überdies festzuhalten, dass es sich dabei um eine Frage der Beweiswürdigung und nicht um eine Frage rechtlicher Natur handle.

Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Die Revisionswerberinnen bringen in ihren wortgleichen Revisionen zur Zulässigkeit unter anderem vor, dass die Erkenntnisse von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen würden, weil das Bundesverwaltungsgericht die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt habe und die Beweiswürdigung unschlüssig sei. Letzteres insbesondere deshalb, weil alle die Angaben der Revisionswerberinnen stützenden Beweise, somit sämtliche schriftliche und mündliche Bestätigungen über ihre Glaubensausübung, mit dem Argument abgetan worden seien, dass auf Grund der widersprüchlichen Angaben zu Beginn des Verfahrens die allgemeine Glaubwürdigkeit der Revisionswerberinnen nicht gegeben sei. Das Bundesverwaltungsgericht sei auf die Erklärung, wonach sie diese Angaben auf Grund falscher Beratung durch ihren Onkel und Schlepper gemacht hätten, nicht näher eingegangen und habe keine weiteren Ermittlungen, etwa durch Befragung von Zeugen, durchgeführt.

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet:

Das Revisionsmodell soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren. Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2014/01/0029, mwN).

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2015/02/0072, mwN).

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2014/01/0032) ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2014/03/0012, mwN).

Gerade bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/01/0117, und vom , Ra 2014/19/0084, mwN). Alleine mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Ausreise lässt sich daher nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien. Für eine solche Einschätzung bedürfte es vielmehr auch einer näheren Auseinandersetzung mit jenen Umständen, die die Konversion konkret betreffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2004/20/0288; ähnlich die hg. Erkenntnisse vom , 2008/23/0675, und vom , 2004/20/0485).

Ähnlich fordert auch der Verfassungsgerichtshof, dass, sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, sich das Gericht auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins Einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen muss, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht; dies selbst dann, wenn sich der Asylwerber zunächst auf unwahre Angaben betreffend seinen Fluchtgrund gestützt hat (vgl. das Erkenntnis des ).

Vor diesem Hintergrund hätte sich das Bundesverwaltungsgericht daher nicht ausschließlich auf die falschen Angaben der Revisionswerberinnen zu Beginn des Asylverfahrens sowie auf Widersprüche in ihren Fluchtvorbringen stützen dürfen, sondern sämtliche Aktivitäten während ihres zum Entscheidungszeitpunkt fast dreijährigen Aufenthaltes prüfen und einer Würdigung unterziehen müssen. Das Argument allein, diese würden nichts über die innere tatsächliche Haltung der Revisionswerberinnen aussagen, greift somit zu kurz. Die umfangreiche Wiedergabe von deutscher und schweizer Judikatur trägt zur fallbezogen vorzunehmenden Beweiswürdigung nichts bei.

Ausgehend von den Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach christliche Konvertiten im Iran willkürlichen Verhaftungen und mitunter der Todesstrafe ausgesetzt sind, besteht kein Zweifel daran, dass den Revisionswerberinnen unter der Annahme einer echten, inneren Konversion jedenfalls eine asylrelevante Verfolgung im Iran droht. Bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte das Bundesverwaltungsgericht daher zu einem anderen Ergebnis kommen können.

Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am