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VwGH vom 15.03.2012, 2012/01/0004

VwGH vom 15.03.2012, 2012/01/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des L P in S, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom , Zl. UVS- 6/10273/29-2011, betreffend Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und der dieser angeschlossenen Bescheidausfertigung ergibt sich Folgendes:

1. Im Beschwerdefall geht es um eine Festnahme und anschließende Anhaltung des im Zeitpunkt der Maßnahme noch minderjährigen Beschwerdeführers am in der Zeit von 00:18 Uhr bis 03:45 Uhr durch Organe der BPD S.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Festnahme und Anhaltung gemäß § 67a Z. 2 und § 67c Abs. 3 AVG für rechtmäßig erklärt und der dagegen gerichteten Maßnahmenbeschwerde keine Folge gegeben (Spruchpunkt I.) sowie dem Beschwerdeführer näher bezeichnete Kosten auferlegt (Spruchpunkt II.).

Begründend stellte die belangte Behörde zunächst im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Nachdem der Beschwerdeführer einer anderen Person einen Fußtritt versetzt und zumindest einen Schlag gegen deren Kopf geführt hatte, schritt ein Beamter der BPD S in Zivil ein, um den Beschwerdeführer und die weitere Person zu trennen, da eine Eskalation der Situation befürchtet wurde. Der Beschwerdeführer entgegnete dem Beamten zunächst, dieser möge sich "schleichen", da er ihm sonst "eine reinhauen" würde. Als sich dieser zu erkennen gab, entgegnete der Beschwerdeführer, dies sei ihm egal, er würde ihm trotzdem "eine reinhauen". An anderer Stelle stellt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe, nachdem sich der Beamte in Zivil eindeutig als Polizeibeamter zu erkennen gegeben habe, gesagt, er werde den Beamten schlagen, mit den Worten: "ich panier dich, ich mache dich fertig", "ich hau dir trotzdem eine hinein". Die mehrmals ausgesprochene Festnahme habe der Beschwerdeführer ignoriert, sodass diese mit Körperkraft durchgesetzt wurde. In der Folge sei der Beschwerdeführer vom Vorwurf des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15 Abs. 1, 269 Abs. 1 StGB) mangels Erfüllung der subjektiven Tatseite freigesprochen worden (Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , Zl. 30 Hv 54/10g).

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, in einer (bei der Beurteilung von Maßnahmenbeschwerden gebotenen) ex-ante-Betrachtung sei der Verdacht einer strafbaren Handlung nach § 269 StGB vorgelegen, begründet durch die aggressionsgeladene Situation und das Verhalten des Beschwerdeführers. Die Durchführung der Festnahme sei Maß haltend, die Anhaltung zur Feststellung der Personalien und der amtsärztlichen Feststellung der Deliktsfähigkeit notwendig gewesen (beim Beschwerdeführer sei ein näher bezeichneter Alkoholgehalt der Atemluft festgestellt worden).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Beschwerde mit Beschluss vom , B 670/11-3, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In der vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die Feststellungen des angefochtenen Bescheides seien im Hinblick auf das minderjährige Alter des Beschwerdeführers (und damit zusammenhängend im Hinblick auf die Verpflichtung der Prüfung von gelinderen Mitteln nach § 29 SPG), zum Umstand, ob der Beschwerdeführer (zur Vorbereitung eines Angriffes auf den Beamten) seine Jacke ausgezogen habe und zum zeitlichen Ablauf des Geschehens unzureichend.

Weiters sei die Festnahme darauf gestützt gewesen, dass sich der Beamte gefährlich bedroht gefühlt habe. Der Tatbestand der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) sei aber nicht erfüllt, die Bedrohung nie vorgelegen.

Der Festnahmegrund nach § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO sei nicht gegeben, da der Beschwerdeführer seine Drohung nie verwirklicht habe (trotz seiner Äußerungen sei nichts geschehen). Daher wären gelindere Mittel (auch im Hinblick auf das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit) anzuwenden gewesen.

Auch der Festnahmegrund des § 170 Abs. 1 Z. 4 StPO sei, wie die Beschwerde näher begründet, im Beschwerdefall nicht erfüllt.

Die von der belangten Behörde angenommene hohe Aggressivität des Beschwerdeführers sei "völlig unglaubwürdig", daher sei auch keine Gefahr im Verzug gewesen, welche Voraussetzung nach § 171 Abs. 2 Z. 2 StPO sei.

Der Beschwerdeführer habe den Beamten durch die Ankündigung "eine kassierst du auf jeden Fall, wenn du mich festnimmst" nicht an der Amtshandlung der Durchsetzung der Festnahme gehindert. Der Beschwerdeführer sei von diesem Vorwurf auch freigesprochen worden, daher sei der Vorwurf des § 269 StGB nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei dabei auf den durchschnittlich ausgebildeten Beamten und dessen besondere Schulung abzustellen.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Voranzuschicken ist, dass nach der Aufhebung der Worte "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs. 1 StPO Akte von Verwaltungsorganen im Dienste der Strafjustiz, die ohne einen richterlichen Befehl oder eine Anordnung der Staatsanwaltschaft gesetzt werden, jedenfalls mit Maßnahmenbeschwerde vor der belangten Behörde bekämpfbar sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/17/0279, mit Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 259/09 ua).

4.2. Fallbezogen ist alleine strittig, ob die Festnahme auf den Tatbestand des § 171 Abs. 2 Z. 1 iVm § 170 Abs. 1 Z. 1 der Strafprozessordnung, BGBl. Nr. 631/1975 in der Fassung BGBl. I Nr. 19/2004 (StPO) gestützt werden konnte. Diese Bestimmungen lauten wie folgt:

" Festnahme

Zulässigkeit

§ 170. (1) Die Festnahme einer Person, die der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig ist, ist zulässig,

1. wenn sie auf frischer Tat betreten oder …,

(3) Festnahme und Anhaltung sind nicht zulässig, soweit sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen (§ 5).

§ 171. …

(2) Die Kriminalpolizei ist berechtigt, den Beschuldigten von sich aus festzunehmen

1.in den Fällen des § 170 Abs. 1 Z 1 und

…"

4.3. Auf das Vorliegen einer gefährlichen Drohung nach § 107 StGB kommt es im Beschwerdefall nicht an. Auch ist nicht entscheidend, ob die Voraussetzungen nach § 170 Abs. 1 Z. 4 oder § 171 Abs. 1 Z. 2 StPO vorgelegen sind.

4.4. Entscheidend ist nun für den Tatbestand des § 170 Abs. 1 Z. 1 StPO ("auf frischer Tat betreten"), ob der Beamte vertretbar die Verwirklichung einer (gerichtlich) strafbaren Handlung annehmen konnte.

Zu diesem Vertretbarkeitsmaßstab hat der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0055, im Zusammenhang mit einer Festnahme nach der insoweit vergleichbaren Rechtslage des § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO festgehalten, dass es ausreicht, wenn das beobachtete Geschehen vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse vertretbar als Tatbestandsverwirklichung gewertet wurde (vgl. im Übrigen zum exante-Maßstab bei der Beurteilung von Festnahmen nach § 35 VStG aus der ständigen hg. Rechtsprechung das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/11/0048, und im Zusammenhang mit dem Waffengebrauch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0083, mwN).

Die belangte Behörde hat daher im angefochtenen Bescheid zutreffend eine derartige ex-ante-Beurteilung vorgenommen und zu Recht die Auffassung vertreten, dass es ohne Bedeutung ist, ob der Beschwerdeführer ex post vom Vorwurf der Deliktsverwirklichung freigesprochen wurde.

4.5. Diese ex-ante-Beurteilung ist auch fallbezogen nicht als rechtswidrig zu erkennen:

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob der Beamte der BPD S ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt vertretbar die Verwirklichung des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 StGB durch den Beschwerdeführer annehmen konnte.

Gemäß § 269 Abs. 1 StGB ist der Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (unter anderem) dann verwirklicht, wenn jemand einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert.

Fallbezogen ist davon auszugehen, dass der Beamte eine eskalierende tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und einer weiteren Person beilegen wollte. In diesem Zusammenhang ist auf die Ermächtigung zur Beendigung gefährlicher Angriffe nach § 33 SPG hinzuweisen (vgl. hiezu die bei Pürstl/Zirnsack , Sicherheitspolizeigesetz2 (2011), 158, angeführte hg. Rechtsprechung).

Nach den insoweit unstrittigen Feststellungen hinderte der Beschwerdeführer den Beamten mit den im angefochtenen Bescheid angeführten Aussagen, welche offenkundig die Androhung körperlicher Gewalt beinhalteten, an dieser Amtshandlung.

Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde angenommen hat, der einschreitende Beamte durfte vertretbar die Verwirklichung des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 StGB durch den Beschwerdeführer annehmen, zumal sie auch ergänzend darauf hinwies, dass das Strafgericht den objektiven Tatbestand des § 269 StGB als erfüllt angesehen hat.

4.6. Fallbezogen ist auch nicht zu sehen, dass ein gelinderes Mittel nach § 29 SPG geboten gewesen wäre. Nach dieser Bestimmung sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gehalten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/01/0382, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird). Jedoch sind die Umstände des vorliegenden Beschwerdefalles mit jenen, die dem zitierten hg. Erkenntnis vom zu Grunde lagen, nicht vergleichbar.

Die von der Beschwerde in dieser Hinsicht gerügten Feststellungsmängel liegen daher nicht vor, darüber hinaus ist - ausgehend davon, dass die Aussagen des Beschwerdeführers unbestritten bleiben und die Beschwerde selbst davon spricht, der Beschwerdeführer habe dem Beamten angekündigt, "eine kassierst du auf jeden Fall, wenn du mich festnimmst" - die Relevanz der gerügten Verfahrensfehler nicht gegeben.

4.7. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am