VwGH vom 21.06.2012, 2011/23/0669

VwGH vom 21.06.2012, 2011/23/0669

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. BMI-1012251/0001-II/3/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der 1972 geborene Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB (versuchter Einbruchsdiebstahl) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), weil der Beschwerdeführer die Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermochte. Dieses Aufenthaltsverbot wurde auf Grund eines Antrags des Beschwerdeführers mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom aufgehoben.

Am heiratete der Beschwerdeführer im damaligen Jugoslawien die österreichische Staatsbürgerin B. Einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom zufolge handelte es sich bei dieser Ehe laut Aussage von B. um eine Scheinehe. B. seien für das Eingehen der Ehe EUR 5.000,-- versprochen worden.

Am heiratete der Beschwerdeführer während aufrechter erster Ehe in Wien die österreichische Staatsbürgerin L. und beantragte im Hinblick darauf am die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG).

Am wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit B. durch das Gemeindegericht in Žagubica (Republik Serbien) für nichtig erklärt, weil diese Ehe nicht zum Zweck des Zusammenlebens der Ehepartner geschlossen worden sei.

Am wurde die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und B. auch durch das Bezirksgericht Floridsdorf gemäß § 23 EheG (Namensehe und Staatsangehörigkeitsehe) für nichtig erklärt.

Bereits zuvor, am , war die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und L. durch das Bezirksgericht Floridsdorf gemäß § 24 des Ehegesetzes (EheG) für nichtig erklärt worden, weil diese Ehe dem Prinzip der Einehe widerspreche.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 192 StGB wegen Eingehens einer mehrfachen Ehe zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FrG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, weil der Beschwerdeführer sowohl gegenüber den Fremdenbehörden als auch gegenüber dem Standesamt unrichtige Angaben über seine persönlichen Verhältnisse gemacht habe.

Mit dem angefochtenen, im Devolutionsweg ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe wiederholt vor österreichischen Behörden unrichtige Angaben über seine Person und seine persönlichen Verhältnisse gemacht, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen. Damit habe er den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG verwirklicht. Im Einzelnen legte die belangte Behörde ihrer Entscheidung folgende Umstände zugrunde:

Der Beschwerdeführer habe bei seiner - auf die Ehe mit B. gestützten - "Antragstellung auf Aufenthaltsbewilligung" bei der österreichischen Botschaft ein falsches Beweismittel, nämlich eine falsche Lohnbestätigung seiner Ehefrau, vorgelegt.

Im Zuge der beabsichtigten Eheschließung mit L. habe der Beschwerdeführer dem Standesamt Wien-Favoriten eine (offenkundig unrichtige) Bestätigung seiner Heimatgemeinde Žagubica vorgelegt, der zufolge er sich in keiner aufrechten Ehe befinde. Im Zuge seiner Einvernahme am Standesamt am habe der Beschwerdeführer auch eingestanden, bei der Ermittlung der Ehefähigkeit seine "Vorehe" verschwiegen zu haben.

In seinem - auf die Ehe mit L. gestützten - Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom habe der Beschwerdeführer unrichtiger Weise angegeben, dass gegen ihn keine strafrechtlichen Verurteilungen vorlägen. Er habe somit seine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom verschwiegen. Ebenso habe er im Zuge dieser Antragstellung seine (damals noch) aufrechte Ehe mit B. verschwiegen.

Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, nämlich seine mehrmaligen falschen Angaben, die zum Eingehen einer Mehrfachehe während aufrechter Scheinehe geführt hätten, stelle eine "tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" dar. Die seit seiner letztmaligen falschen Angabe im März 2003 vergangene Zeitspanne sei "zu kurz, um auf eine Läuterung schließen zu können".

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass die drei Kinder des Beschwerdeführers die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen und von seiner Mutter adoptiert worden seien. Im Hinblick auf sein "umfassenderes, schwer wiegendes Fehlverhalten" würden die öffentlichen Interessen an der Verhängung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes allerdings unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen auf seine konkrete Lebenssituation.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im März 2008 geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 Z 6 FPG hat als bestimmte, die Gefährdungsprognose im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen.

Die belangte Behörde erachtete den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG als verwirklicht und die Gefährdungsannahme im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG für gerechtfertigt. Das gründete sie in Bezug auf den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom auch darauf, dass der Beschwerdeführer die eingangs erwähnte strafgerichtliche Verurteilung aus dem Jahr 1992 "verschwiegen" habe. Dabei ließ die belangte Behörde aber außer Acht, dass diese damals mehr als zehn Jahre zurückliegende Verurteilung offenbar bereits getilgt war. Angesichts dessen ist nicht zu erkennen, dass ihr "Verschweigen" ein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten darstellen könnte (siehe in diesem Zusammenhang das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0106). Im Übrigen bedachte die belangte Behörde zwar "die seit der letztmaligen falschen Angabe im März 2003 vergangene Zeitspanne", doch blieb ihre in diesem Zusammenhang geäußerte Meinung, dieser Zeitraum, der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides immerhin fünf Jahre betragen hatte, sei "zu kurz", um auf eine "Läuterung" schließen zu können, unbegründet. Gleiches gilt hinsichtlich des weiteren Vorwurfs, der Beschwerdeführer habe nicht offengelegt, dass er die (diesem Antrag zugrunde liegende) Ehe mit L. während einer aufrechten Ehe geschlossen habe. Die dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde auch angelastete Vorlage einer falschen Lohnbestätigung (offenbar im Sommer 2002) lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aber noch länger, nämlich fast sechs Jahre zurück. Im Übrigen ist dazu anzumerken, dass sich die belangte Behörde hinsichtlich dieses Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - - offenbar wegen des seit dem Eingehen der Ehe im Juni 2002 vergangenen Zeitraums - - nicht auf den Umstand des Abschlusses einer Scheinehe, sondern nur auf die Vorlage einer falschen Lohnbestätigung stützte, was einen nicht nachvollziehbaren Wertungswiderspruch darstellt. In Bezug auf den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe im Rahmen der beabsichtigten Eheschließung mit L. im Februar 2003 beim Standesamt eine Bestätigung vorgelegt, der zufolge er sich in keiner aufrechten Ehe befunden habe, ist schließlich noch zu bemängeln, dass die belangte Behörde nicht näher darlegte, weshalb sie davon ausging, dabei handle es sich um eine unrichtige Angabe im Sinn des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG mit dem Zweck, sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Wird durch ein Aufenthaltsverbot daher in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist dieser Eingriff nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG darf das Aufenthaltsverbot jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen.

Unter diesem Gesichtspunkt kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, im Hinblick auf das Fehlverhalten des Beschwerdeführers würden die öffentlichen Interessen an der Verhängung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen auf seine Lebenssituation.

Dieser (nur kursorischen) Begründung, bei der die belangte Behörde lediglich die drei von seiner Mutter adoptierten österreichischen Kinder des Beschwerdeführers erwähnte, kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man (trotz der obigen Ausführungen) eine im Bescheiderlassungszeitpunkt noch aktuelle Gefährdung im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG unterstellte, hätte die belangte Behörde das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nämlich im Hinblick auf den seit dem angelasteten Fehlverhalten verstrichenen Zeitraum, der auch auf die - nicht vom Beschwerdeführer zu vertretende - - Dauer des Berufungsverfahrens von fast vier Jahren zurückzuführen war, als deutlich herabgesetzt ansehen müssen. Dem steht aber das sehr gewichtige Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Osterreich gegenüber, das vor allem aus dem Inlandsaufenthalt seiner drei minderjährigen Kinder und seiner Mutter, die alle die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, resultiert. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer nach der Darstellung in der Beschwerde mit der Mutter seiner Kinder, die über einen Aufenthaltstitel verfügt, in einer aufrechten Lebensgemeinschaft lebt. Dieses Vorbringen war dem Beschwerdeführer aber nicht verwehrt, weil ihm die belangte Behörde angesichts der Dauer des Berufungsverfahrens vor ihrer Entscheidung noch Gelegenheit hätte geben müssen, maßgebliche Änderungen in seinem Privat- und Familienleben vorzutragen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0180). Davon ausgehend hätte die Interessenabwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen und von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werden müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Zuerkennung von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren ist vom dafür zugesprochenen Pauschalbetrag bereits erfasst und war daher abzuweisen.

Wien, am