VwGH 07.10.2015, Ra 2015/18/0192
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BFA-VG 2014 §21 Abs3; VwGG §30 Abs2; |
RS 1 | Stattgebung - Asylangelegenheiten - Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, und es wurden die verwaltungsbehördlichen Bescheide behoben. Durch eine solche Entscheidung werden subjektive Rechte, etwa auf Beachtung der im Beschluss des Verwaltungsgerichtes ausgesprochenen Rechtsansicht gestaltet; auch eine solche Entscheidung ist daher einem Vollzug im Sinne einer Umsetzung in die Wirklichkeit zugänglich und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. etwa , mwN). |
Normen | 32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litc; 32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3; 32013R0604 Dublin-III Art29; AsylG 2005 §34; AsylG 2005 §5 Abs1; BFA-VG 2014 §21 Abs3; VwGG §30 Abs2; |
RS 2 | Stattgebung - Asylangelegenheiten - Mit den vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c der Dublin III-Verordnung Polen zuständig sei. Unter einem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei. Mit dem von der belangten Behörde angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde der gemeinsamen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Der mit der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Amtsrevision verbundene Antrag nach § 30 Abs. 2 VwGG macht geltend, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Dublin III-Verordnung in Kürze ablaufen werde. Ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre daher jedenfalls Österreich für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien zuständig. Die der Revision zu Grunde liegenden Rechtsfragen wären dann nicht länger relevant. Der Dublin III-Verordnung liegt erkennbar der Gedanke zu Grunde, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-Verordnung unterbrochen sein soll, wenn einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt. Wenngleich die Dublin III-Verordnung primär für den Asylwerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf festlegt (vgl. Art. 29 Abs. 1 iVm Art 27 Abs. 3 Dublin III-Verordnung), schließt dies nicht aus, dass auch dem Rechtsbehelf der belangten Behörde eine solche Wirkung zukommen kann, insbesondere um zu verhindern, dass diesem Rechtsbehelf jegliche Effektivität genommen wird. Das rechtliche Interesse an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vorliegende Revision würde wegfallen, wenn der Revision die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wird. Eine damit einhergehende unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen ist damit evident. |
Normen | 32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3; 32013R0604 Dublin-III Art29; AsylG 2005 §34; AsylG 2005 §5 Abs1; BFA-VG 2014 §17 Abs1; BFA-VG 2014 §21 Abs3; MRK Art8; VwGG §30 Abs2; |
RS 3 | Stattgebung - Asylangelegenheiten - Mit den vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bekämpften Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c der Dublin III-Verordnung Polen zuständig sei. Unter einem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der gemeinsamen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Mit der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Amtsrevision wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden. Die mitbeteiligten Parteien haben ihrerseits bereits in ihrer Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid den Antrag gestellt, das BVwG möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Das BVwG hat jedoch, ohne darüber zu entscheiden, das angefochtene Erkenntnis erlassen. Würde nun der Verwaltungsgerichtshof der vorliegenden Revision die aufschiebende Wirkung zuerkennen, so wäre dieser Antrag wieder unerledigt und das BVwG erneut berufen, über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf aufschiebende Wirkung zu entscheiden. Gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG wäre diesem insbesondere dann stattzugeben, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten würde. Eine allenfalls drohende Verletzung der mitbeteiligten Parteien in diesem verfahrensgegenständlich relevanten Grundrecht kann damit verhindert werden, sodass auch keine zwingenden Interessen der mitbeteiligten Parteien der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im hg. Verfahren entgegenstehen. Dem - vor Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Frist und sohin rechtzeitig gestellten - Antrag der Revisionswerberin war daher stattzugeben. |
Normen | 32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1; 32013R0604 Dublin-III Art3 Abs1; AsylG 2005 §5 Abs1; EURallg; VwRallg; |
RS 1 | Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-Verordnung bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-Verordnung nicht für die Prüfung zuständig ist. Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt. |
Normen | 32003R0343 Dublin-II Art15; 32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2; 32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1; 32013R0604 Dublin-III Art17 Abs2; 62012CJ0394 Abdullahi VORAB; EURallg; VwRallg; |
RS 2 | Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-Verordnung) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein". |
Normen | |
RS 3 | Nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts macht eine grundrechtskonforme Interpretation des Asylgesetzes eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der MRK notwendig. Dementsprechend müssen die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 MRK und Art. 8 MRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschriften das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin III-VO ausüben (Hinweis B vom , Ra 2014/18/0100, und B vom , Ra 2014/18/0003 bis 0004, jeweils mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/18/0042 B RS 1 |
Normen | 32013R0604 Dublin-III Art10; 32013R0604 Dublin-III Art11; 32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1; AsylG 2005 §34 Abs4; AsylG 2005 §5; EURallg; |
RS 4 | Der VwGH hat - auch im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren - ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, dahingehend zu verstehen ist, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (vgl. etwa , mwN). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ging das BVwG zutreffend davon aus, dass die Zurückweisung der Anträge der mitbeteiligten Parteien - aufgrund des bereits zugelassenen Verfahrens des Ehemanns der Erstmitbeteiligten und Vaters der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien - nicht mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005 vereinbar war. Dies hat - wenn die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen gemäß § 5 AsylG 2005, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages des Familienvaters, nicht mehr in Betracht kommt - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zur Folge. Damit ist keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) verbunden. Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich in der Regel schon von Art. 10 und Art. 11 Dublin III-Verordnung erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen wie den vorliegenden kommt daher die nationale Regelung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zum Tragen. |
Normen | 32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1; 32013R0604 Dublin-III Art3 Abs1; AsylG 2005 §34 Abs4; EURallg; VwRallg; |
RS 5 | Schon Erwägungsgrund 14 der Dublin III-Verordnung betont, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind. Mit einer gemeinsamen Bearbeitung der Anträge aller Familienangehörigen durch ein und denselben Mitgliedstaat kann nach Erwägungsgrund 15 leg. cit. auch sichergestellt werden, dass die Entscheidungen über die Anträge kohärent sind und dass die Mitglieder der Familien nicht voneinander getrennt werden. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des den Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechts eingeräumten weiten Ermessens, bestehen somit keine unionsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 im Anwendungsbereich der Dublin III-Verordnung. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
Ra 2015/18/0193
Ra 2015/18/0195
Ra 2015/18/0194
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2016/01/0050 B
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. 1) W192 2108965- 1/3E, 2) W192 2108962-1/3E, 3) W192 2108961-1/3E und 4) W192 2108959-1/3E, betreffend Asylangelegenheiten (mitbeteiligte Parteien: 1. M, geboren 1988, und drei weitere mitbeteiligte Parteien, alle vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Der Antrag der mitbeteiligten Parteien auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Die Revisionswerberin wies mit Bescheiden jeweils vom die Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) Polen für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Unter einem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gemeinsamen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt und behob die bekämpften Bescheide mit der Begründung, dass die Anträge der mitbeteiligten Parteien aufgrund der Bestimmung zum Familienverfahren (§ 34 AsylG 2005) nicht zurückgewiesen werden hätten dürfen, weil der Antrag auf internationalen Schutz des Ehegatten der erstmitbeteiligten Partei bereits zugelassen worden sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Die Revisionswerberin begründet diesen Antrag unter anderem damit, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Dublin III-Verordnung in Kürze ablaufen werde. Ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre daher jedenfalls Österreich für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien zuständig. Die der Revision zu Grunde liegenden Rechtsfragen wären dann nicht länger relevant. Interessen der mitbeteiligten Parteien seien nicht berührt, weil sie sich auch nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung weiterhin im Asylverfahren befinden würden.
2. Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision keine aufschiebende Wirkung. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch gemäß § 30 Abs. 2 VwGG auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Ungeachtet der offenbar nicht auf Amtsrevisionen zugeschnittenen Formulierung des § 30 Abs. 2 VwGG ist die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch bei einer Amtsrevision zulässig (vgl. , mwN). Als "unverhältnismäßiger Nachteil für die revisionswerbende Partei" ist im Fall einer Amtsrevision jedoch eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem "privaten" Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt (vgl. , mwN).
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, und es wurden die verwaltungsbehördlichen Bescheide behoben. Durch eine solche Entscheidung werden subjektive Rechte, etwa auf Beachtung der im Beschluss des Verwaltungsgerichtes ausgesprochenen Rechtsansicht gestaltet; auch eine solche Entscheidung ist daher einem Vollzug im Sinne einer Umsetzung in die Wirklichkeit zugänglich und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. etwa , mwN).
3. Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-Verordnung lauten auszugsweise wie folgt:
"Artikel 29
Modalitäten und Fristen
(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
(...)
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. (...)"
4. Der Dublin III-Verordnung liegt erkennbar der Gedanke zu Grunde, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-Verordnung unterbrochen sein soll, wenn einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt.
Wenngleich die Dublin III-Verordnung primär für den Asylwerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf festlegt (vgl. Art. 29 Abs. 1 iVm Art 27 Abs. 3 Dublin III-Verordnung), schließt dies nicht aus, dass auch dem Rechtsbehelf der belangten Behörde, eine solche Wirkung zukommen kann, insbesondere um zu verhindern, dass diesem Rechtsbehelf jegliche Effektivität genommen wird.
Wie die Revisionswerberin zu Recht vorbringt, würde das rechtliche Interesse an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vorliegende Revision wegfallen, wenn der Revision die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wird. Eine damit einhergehende unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen ist damit evident.
5. Im Übrigen haben die mitbeteiligten Parteien ihrerseits bereits in ihrer Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid den Antrag gestellt, das BVwG möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Das BVwG hat jedoch, ohne darüber zu entscheiden, das angefochtene Erkenntnis erlassen. Würde nun der Verwaltungsgerichtshof der vorliegenden Revision die aufschiebende Wirkung zuerkennen, so wäre dieser Antrag wieder unerledigt und das BVwG erneut berufen, über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf aufschiebende Wirkung zu entscheiden. Gemäß § 17 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wäre diesem insbesondere dann stattzugeben, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten würde. Eine allenfalls drohende Verletzung der mitbeteiligten Parteien in diesem verfahrensgegenständlich relevanten Grundrecht kann damit verhindert werden, sodass auch keine zwingenden Interessen der mitbeteiligten Parteien der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im hg. Verfahren entgegenstehen.
6. Dem - vor Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Frist und sohin rechtzeitig gestellten - Antrag der Revisionswerberin war daher stattzugeben.
7. Die mitbeteiligten Parteien haben in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Kosten für den Schriftsatzaufwand verzeichnet.
Dieser Antrag auf Aufwandersatz ist unzulässig, weil für Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in den §§ 47 bis 56 VwGG kein Aufwandersatz vorgesehen ist, sodass gemäß § 58 VwGG jede Partei den ihr im Provisorialverfahren erwachsenden Aufwand selbst zu tragen hat (vgl. etwa , mwN).
Der Antrag auf Aufwandersatz war daher zurückzuweisen. Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
Ra 2015/18/0193
Ra 2015/18/0195
Ra 2015/18/0194
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. W192 2108965- 1/3E (prot. zur hg. Zl. Ra 2015/18/0192), W192 2108962-1/3E (prot. zur hg. Zl. Ra 2015/18/0193), W192 2108961-1/3E (prot. zur hg. Zl. Ra 2015/18/0194) und W192 2108959-1/3E (prot. zur hg. Zl. Ra 2015/18/0195), betreffend Asylangelegenheiten (mitbeteiligte Parteien: 1. M N, 2. mj. Z K, 3. mj. S K, und
4. mj. Sa K, alle in G, alle vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 872,64 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Die mitbeteiligten Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Mitglieder einer Familie; die Erstmitbeteiligte ist die Mutter der minderjährigen zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien. Sie reisten im Februar 2015 in das Gebiet der Europäischen Union ein und beantragten zunächst in Polen internationalen Schutz, ehe sie sich nach Österreich begaben und am neuerlich Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Der Ehemann der Erstmitbeteiligten und Vater der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien befindet sich ebenfalls im Bundesgebiet, wo er bereits am einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab; ein Beschwerdeverfahren war zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien noch beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anhängig.
2. Nach Durchführung von Konsultationen mit Polen wies das BFA mit Bescheiden jeweils vom die Anträge der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-Verordnung Polen zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Begründend führte es im Hinblick auf das zugelassene Asylverfahren des Ehemanns der Erstmitbeteiligten bzw. Vaters der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien unter anderem aus, in den Fällen der mitbeteiligten Parteien komme weder Art. 10 (Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben) noch Art. 11 (Familienverfahren) der Dublin III-Verordnung zum Tragen. Bezugnehmend auf Art. 16 (Abhängige Personen) der Dublin III-Verordnung werde festgestellt, dass keine gegenseitigen Abhängigkeiten bzw. Pflegebedürftigkeit bestehen würden. Es sei im Verfahren der mitbeteiligten Parteien auch nicht angezeigt, von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen. Eine Außerlandesbringung stelle einen Eingriff in das gemäß Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens dar, das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung überwiege jedoch deutlich, weshalb ein durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigter Eingriff vorliege.
3. Gegen diese Bescheide erhoben die mitbeteiligten Parteien gemeinsam Beschwerde, in welcher sie unter anderem vorbrachten, eine Abschiebung nach Polen würde sie in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art. 8 EMRK verletzen.
4. Das BVwG gab der Beschwerde mit Erkenntnis vom gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt und behob die angefochtenen Bescheide. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, die Bestimmungen des AsylG 2005 über das Familienverfahren würden nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Wesentlichen an die Vorgängerbestimmungen im Asylgesetz 1997, wie sie durch die AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, geschaffen worden seien, anknüpfen. Zu diesen Bestimmungen habe der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen sei, um einen gleichförmigen Verfahrensausgang sicherzustellen. Dies treffe auch auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 zu. Die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" seien, sei daher dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen sei.
Das BVwG folgerte, dass die Anträge der mitbeteiligten Parteien aufgrund der Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 nicht zurückgewiesen werden hätten dürfen, weil der Asylantrag des Ehemanns der Erstmitbeteiligten bzw. Vaters der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien zugelassen worden sei.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA. Zur Zulässigkeit wird darin unter anderem vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendbarkeit des § 34 AsylG 2005 im Zusammenhang mit der Dublin III-Verordnung. Das BVwG begründe die Aufhebung der Bescheide lediglich mit den Bestimmungen des § 34 AsylG 2005, die "in jedem Fall" anzuwenden seien. Es beachte dabei jedoch nicht, dass die Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG 2005 in Durchführung der Dublin III-Verordnung ergehe. Diese sehe grundsätzlich zwingende Zuständigkeiten vor, von denen nur im Einzelfall Abweichungen zulässig seien und geboten sein könnten. Vor dem Hintergrund, dass die Art. 10, 11 und 16 Dublin III-Verordnung im vorliegenden Fall nicht anwendbar seien, und unter Berücksichtigung des Effektivitätsgebots des Unionsrechts, sei daher davon auszugehen, dass die Dublin III-Verordnung den Bestimmungen des § 34 AsylG 2005, wonach im Familienverfahren gleichförmige Entscheidungen zu ergehen hätten, vorgehe. Es liege daher auch ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts und von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Dublin II-Verordnung, etwa in der Rechtssache C-394/12, Abdullahi, vor.
6. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-Verordnung), lauten auszugsweise:
"Artikel 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
(...)
Artikel 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(...)"
§ 34 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF
BGBl. I Nr. 87/2012, lautet auszugsweise:
"Familienverfahren im Inland
§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
dieser nicht straffällig geworden ist;
die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
dieser nicht straffällig geworden ist;
die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(...)"
3. Das BFA wendet sich mit der vorliegenden Revision gegen die Rechtsansicht des BVwG, welches seine Entscheidung - die Behebung der Zurückweisung der Anträge der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 AsylG 2005 - allein auf die Bestimmungen über das Familienverfahren in § 34 AsylG 2005 gestützt habe, obwohl eine Zuständigkeit Österreichs nach den Kriterien der Dublin III-Verordnung, insbesondere nach deren Art. 10 und 11, nicht vorgelegen sei. Nach Ansicht des Revisionswerbers werde durch die Bestimmung des § 34 AsylG 2005 kein zwingender Selbsteintritt festgelegt, weil dies der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) widerspräche. Der Revisionswerber folgert daraus, dass die Bestimmung des § 34 AsylG 2005 aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unangewendet bleiben hätte müssen.
4. Dieser Rechtsansicht vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen:
4.1. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-Verordnung bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-Verordnung nicht für die Prüfung zuständig ist.
Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl. dazu auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Artikel 17 K2).
Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-Verordnung) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung ausüben (vgl. etwa ; vom , Ra 2015/01/0114, und vom , Ra 2014/18/0100, mwN).
4.2. Fallbezogen begründete das BVwG die Aufhebung der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach - auch im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren - ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, dahingehend zu verstehen ist, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (vgl. etwa , mwN).
Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ging das BVwG zutreffend davon aus, dass die Zurückweisung der Anträge der mitbeteiligten Parteien - aufgrund des bereits zugelassenen Verfahrens des Ehemanns der Erstmitbeteiligten und Vaters der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien - nicht mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005 vereinbar war. Dies hat - wenn die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen gemäß § 5 AsylG 2005, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages des Familienvaters, nicht mehr in Betracht kommt - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zur Folge.
Entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Behörde ist damit keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) verbunden. Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich in der Regel schon von Art. 10 und Art. 11 Dublin III-Verordnung erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen wie den vorliegenden kommt daher die nationale Regelung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zum Tragen.
Im Übrigen betont schon Erwägungsgrund 14 der Dublin III-Verordnung, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind. Mit einer gemeinsamen Bearbeitung der Anträge aller Familienangehörigen durch ein und denselben Mitgliedstaat kann nach Erwägungsgrund 15 leg. cit. auch sichergestellt werden, dass die Entscheidungen über die Anträge kohärent sind und dass die Mitglieder der Familien nicht voneinander getrennt werden.
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des den Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechts eingeräumten weiten Ermessens, bestehen somit keine unionsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 im Anwendungsbereich der Dublin III-Verordnung.
5. Da somit dem angefochtenen Erkenntnis die behauptete (Unions-)Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Revision als unbegründet abzuweisen.
6. Die Entscheidung über den - nur im beantragten Ausmaß zuzuerkennenden - Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | 32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litc; 32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3; 32013R0604 Dublin-III Art29; AsylG 2005 §34; AsylG 2005 §5 Abs1; BFA-VG 2014 §17 Abs1; BFA-VG 2014 §21 Abs3; MRK Art8; VwGG §30 Abs2; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015180192.L00.1 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAE-67563