VwGH vom 13.09.2012, 2011/23/0664
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des L, vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger, Dr. Otto Urban, Mag. Andreas Meissner, Mag. Thomas Laherstorfer und Dr. Robert Gamsjäger, Rechtsanwälte in 4840 Vöcklabruck, Feldgasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 17/08, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein. Der in weiterer Folge gestellte Asylantrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die (damalige) Bundesrepublik Jugoslawien für zulässig erklärt. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zl. 2002/01/0584, abgelehnt.
Am heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin I. Unter Berufung auf diese Ehe beantragte er eine Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG", die ihm bis zum erteilt und in der Folge (als Aufenthaltstitel "Familienangehöriger") zuletzt bis zum verlängert wurde.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit I gemäß § 55a des Ehegesetzes im Einvernehmen geschieden. Im Hinblick darauf wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 5 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
In ihrer Begründung hielt die belangte Behörde fest, dass ein Familienangehöriger mit einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 27 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) bis zum Ablauf des fünften Jahres (nur) ein vom Zusammenführenden abgeleitetes Niederlassungsrecht habe; die Ehe des Beschwerdeführers habe aber lediglich zweieinhalb Jahre bestanden. In der Folge prüfte die belangte Behörde, ob die in § 27 Abs. 3 Z 2 NAG normierte Ausnahmebestimmung erfüllt sei, und führte dazu aus, dass die Scheidung - wie sowohl dem Scheidungsbeschluss als auch der Aussage der I bei ihrer Einvernahme am zu entnehmen sei - einvernehmlich (und somit nicht aus überwiegendem Verschulden der Ehegattin des Beschwerdeführers) erfolgt sei. Die belangte Behörde verneinte somit das Vorliegen der Voraussetzung des § 27 Abs. 3 Z 2 NAG und ging davon aus, dass das dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zustehende Niederlassungsrecht (infolge der Scheidung) ex lege untergegangen sei.
Schließlich erachtete die belangte Behörde die Ausweisung auch gemäß § 66 Abs. 1 FPG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung als dringend geboten. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, der sich seit ca. sieben Monaten illegal in Österreich aufhalte, würde im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration überwiegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG bzw. des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Februar 2008 geltende Fassung.
Die belangte Behörde stützte die Ausweisung des Beschwerdeführers auf § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 5 FPG. Nach § 54 Abs. 1 Z 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Nach § 54 Abs. 5 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn ihnen eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde, um den Familiennachzug zu gewährleisten und die Voraussetzungen hiefür vor Ablauf von fünf Jahren nach Niederlassung des Angehörigen weggefallen sind (Z 1) oder eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde, sie länger als ein Jahr oder kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen sind und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind (Z 2).
Der (bis zum Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 122, in Geltung stehende) Ausweisungstatbestand des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG stand im normativen Zusammenhang mit § 27 NAG (siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0450). Nach § 27 Abs. 1 NAG hatten Familienangehörige mit einer Niederlassungsbewilligung bis zum Ablauf des fünften Jahres (lediglich) ein vom Zusammenführenden abgeleitetes Niederlassungsrecht. Das Recht, weiterhin niedergelassen zu sein, blieb den Familienangehörigen erhalten, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug später als fünf Jahre nach Erteilung der ersten Niederlassungsbewilligung weggefallen sind. Von dieser Grundregel sahen die Abs. 2 bis 4 des § 27 NAG allerdings einige Ausnahmen vor.
In ihrer Begründung befasste sich die belangte Behörde nur mit dem Wegfall des Niederlassungsrechts iSd § 27 NAG und prüfte in diesem Zusammenhang, ob dem Beschwerdeführer ungeachtet seiner Scheidung ein Niederlassungsrecht nach der Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 3 Z 2 NAG zukomme. Dabei hat die belangte Behörde aber Folgendes übersehen:
Dem Beschwerdeführer wurde am - auf Grund seiner aufrechten Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - ein bis zum gültiger Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 NAG erteilt. Daher ist der - von der belangten Behörde herangezogene, seinem Wortlaut nach auf "Familienangehörige mit einer Niederlassungsbewilligung" abstellende - § 27 NAG für den Beschwerdeführer nicht unmittelbar maßgeblich. Vielmehr wäre § 47 Abs. 5 NAG anzuwenden gewesen, dem zufolge einem Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" in den Fällen des § 27 Abs. 2 bis 4 NAG eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" erteilt werden kann, wenn die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllt sind. Dass die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Z 2 NAG geprüft hat, greift daher zu kurz. Sie hätte nämlich vor allem die Bestimmung des § 27 Abs. 2 NAG berücksichtigen müssen, der zufolge die Behörde eine Niederlassungsbewilligung auszustellen hat, wenn der Familienangehörige aus eigenem in der Lage ist, die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 NAG zu erfüllen.
Indem die belangte Behörde dies außer Acht gelassen und sich mit der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 NAG durch den Beschwerdeführer nicht auseinandergesetzt hat, hat sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am