VwGH vom 29.03.2012, 2011/23/0659
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Y, vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 14/1. Stock, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. 2/4033/48/07, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist seit dem Jahr 2005 in Österreich aufhältig, wo zuvor schon seine Eltern lebten. Er verfügte zunächst, ab dem , über eine Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter DrittSta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" und zuletzt über eine Niederlassungsbewilligung "unbeschränkt", gültig bis zum .
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Telfs vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 90 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am einen Dritten vorsätzlich am Körper verletzt hatte, indem er ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzt und sodann mehrere Tritte gegen den am Boden liegenden Körper ausgeführt hatte.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB unter Anwendung der §§ 31, 40 StGB zu einer Zusatzstrafe, und zwar einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen, rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lagen folgende Straftaten zu Grunde: Der Beschwerdeführer hatte in Telfs zwischen dem 14. und H. durch die Äußerung, dass er gefährlich sei, seine Freunde hinter ihm stehen würden und er ihre Familie töten werde, falls sie ihn verlasse, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Weiters hatte er in diesem Zeitraum A. und H. durch die gegenüber H. getätigte Äußerung, er werde es A. zeigen, er werde dessen zwei Töchter umbringen, er werde in dessen Auto eine Bombe stecken, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Schließlich hatte er am H. durch Versetzen eines Schlages ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am in Telfs H. mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs genötigt hatte, indem er die Wohnungstür versperrt und den Schlüssel abgezogen, H. auf eine Couch gestoßen, sie festgehalten, mit seinem Körpergewicht niedergedrückt und den Geschlechtsverkehr vollzogen hatte, nachdem er ihr zuvor eine Waffenattrappe, die von einer echten Pistole nicht zu unterscheiden war, gezeigt hatte. Als strafmildernd wurde das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren berücksichtigt, als erschwerend die einschlägige Vorstrafenbelastung, der rasche Rückfall sowie die Begehung während eines anhängigen Strafverfahrens.
Im Hinblick auf diese Verurteilungen und die zugrundeliegenden Straftaten erließ die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).
Einleitend hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG sei, weil sein Vater, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe. Der Beschwerdeführer falle auch nicht in den Anwendungsbereich der Art. 6 bzw. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei vom über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80), da er weder gemäß Art. 6 ein Jahr beim gleichen Arbeitgeber ordnungsgemäß beschäftigt gewesen noch die in Art. 7 genannte Dreijahresfrist erfüllt sei.
Durch die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Aus dem den Verurteilungen zugrundeliegenden Gesamtfehlverhalten ergebe sich weiters, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde.
In Ansehung des § 66 FPG hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2005 im Zuge der Familienzusammenführung zu seinen Eltern nach Österreich gezogen sei. Er habe in Österreich lediglich einen zweimonatigen Deutschkurs, aber keine Schule besucht, weiters habe er bei mehreren Arbeitgebern als Hilfsarbeiter gearbeitet. Schließlich habe er eine intensive private Bindung zur türkischen Staatsangehörigen H. gehabt. Angesichts dessen ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus.
Im Hinblick auf die sich in seinem Gesamtfehlverhalten manifestierende Neigung zu Gewaltdelikten sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie des Schutzes der Rechte anderer auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung aber dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe sich auch durch eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung und ein anhängiges gerichtliches Strafverfahren nicht davon abhalten lassen, das Verbrechen der Vergewaltigung zu begehen.
Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden nicht so schwer wiegen wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.
Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Auf der Grundlage der dargestellten, vom Beschwerdeführer auch nicht bestrittenen Verurteilungen ist die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 (und zwar der erste und vierte Fall) FPG sei erfüllt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Der Beschwerdeführer bringt unter Bezugnahme auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sowie auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs C-340/97, Nazli, vor, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung setze eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, voraus.
Der damit inhaltlich angesprochene, erhöhte Gefährdungsmaßstab ist innerstaatlich in § 86 Abs. 1 FPG normiert, der eine Sonderbestimmung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen "freizügigkeitsberechtigte" EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige enthält (vgl. zum System der abgestuften Gefährdungsprognosen das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Zwar ist § 86 Abs. 1 FPG im Hinblick auf die insoweit gebotene Gleichbehandlung auch auf solche türkische Staatsangehörige anzuwenden, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0215). Dass beim Beschwerdeführer aber weder die Voraussetzungen des Art. 6 noch diejenigen des Art. 7 ARB 1/80 erfüllt sind, hat bereits die belangte Behörde festgestellt und dem ist der Beschwerdeführer auch nicht entgegengetreten. Somit ist aber auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für den Beschwerdeführer nicht maßgeblich. Die belangte Behörde hat die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes daher zutreffend am Maßstab des § 60 Abs. 1 FPG und nicht an demjenigen des § 86 Abs. 1 FPG beurteilt. Ein näheres Eingehen auf das in diesem Zusammenhang erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers zur Richtlinie 64/221/EWG erübrigt sich schon deshalb, weil - worauf auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift hingewiesen hat - diese Richtlinie durch die Richtlinie 2004/38/EG bereits (mit Wirkung vom ) aufgehoben worden war.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, er stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Er rügt in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die belangte Behörde seine Eltern, die über seine Person sehr genaue Angaben machen könnten, nicht einvernommen habe. Weiters wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, nur pauschal auf das von ihm gesetzte Verhalten zu verweisen und keine konkrete zukünftige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darzulegen.
Dem zuletzt genannten Vorwurf ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde ihre Beurteilung nach § 60 Abs. 1 FPG hinreichend deutlich auf das vom Beschwerdeführer gesetzte strafbare Verhalten und die sich darin manifestierende Neigung zu Gewalttaten gestützt hat. Der Beschwerdeführer hat durch die Begehung des Verbrechens der Vergewaltigung eine besonders gravierende Straftat verwirklicht, er ist zudem trotz einer bereits erfolgten Verurteilung sowie eines anhängigen Strafverfahrens rückfällig geworden und sein strafbares Verhalten hat sich in seiner Gewalttätigkeit gegenüber den Opfern erheblich gesteigert. Im Hinblick darauf ist die Annahme der belangten Behörde, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Sicherheit, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers darauf nichts zu ändern, dass seine Straftaten in engem Zusammenhang mit seiner Beziehung zu H. stünden und es in dieser Beziehung immer wieder zu Streitereien und gegenseitigen tätlichen Angriffen gekommen sei, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass sich eine derartige Konstellation auch in Hinkunft wieder ergeben könnte. Die in der Beschwerde zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, in der Person des Beschwerdeführers sei keine kriminelle Energie zu erblicken, trifft somit nicht zu.
Hinsichtlich der unterbliebenen Einvernahme seiner Eltern ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für eine Bewährung in erster Linie das Verhalten des Fremden auf freiem Fuß maßgeblich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0506, mwN). Da sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch in Haft befand, ist es nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde eine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer verneint hat, ohne eine Befragung seiner Eltern vorzunehmen, zumal sich der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde ausführte - auch bisher von der Kritik seiner Familienmitglieder nicht davon habe abhalten lassen, sein Verhalten ausschließlich nach seinem Willen zu gestalten (vgl. diesbezüglich auch das ein Rückkehrverbot betreffende Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0350). Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers liegt auch noch nicht so lange zurück, dass ein Wegfall oder auch nur eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr anzunehmen wäre.
Der Beschwerdeführer wendet sich schließlich gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Er verweist diesbezüglich auf seinen "hohen Integrationsgrad" sowohl in beruflicher als auch in familiärer und privater Hinsicht. Dabei zeigt er aber keine Umstände auf, die die belangte Behörde nicht ohnehin schon ausreichend in ihre Interessenabwägung einbezogen hat. Angesichts des nur dreijährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, innerhalb dessen er mehrmals verurteilt wurde, und des Fehlens einer maßgeblichen beruflichen Integration ist es jedenfalls nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde die privaten und familiären Interessen des ledigen Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht als so schwer wiegend angesehen hat wie das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art. Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
DAAAE-67533