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VwGH vom 09.11.2011, 2009/16/0260

VwGH vom 09.11.2011, 2009/16/0260

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des K in B, vertreten durch die Dr. Andreas Köninger Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 71/1/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/0422-W/09, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO für Kapitalertragsteuer für 1998 bis 2000, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.141,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war seit der Gründung der I. GesmbH als deren Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen. Über das Vermögen der I. GesmbH wurde mit Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom der Konkurs eröffnet. Nach Schlussverteilung wurde der Konkurs mit Beschluss dieses Gerichtes vom aufgehoben.

Bei der I. GesmbH hatte von März bis Mai 2002 eine abgabenbehördliche Prüfung stattgefunden, über deren Ergebnis die Prüfer einen Bericht vom verfassten und am mit dem Masseverwalter eine Schlussbesprechung durchgeführt wurde. Die Prüfer sahen verdeckte Ausschüttungen, welche der Kapitalertragsteuer unterlägen.

Mit an die I. GesmbH gerichteten Erledigungen vom zog das Finanzamt die I. GesmbH zur Haftung für Kapitalertragsteuer von rund 29.000 EUR für 1998, von rund

416.500 EUR für 1999 und von rund 615.500 EUR für 2000 heran.

Mit Bescheid vom zog das Finanzamt den Beschwerdeführer gemäß §§ 9 und 80 BAO zur Haftung für Beträge im Gesamtausmaß von 617.516,41 EUR aus diesen Kapitalertragsteuerschuldigkeiten der I. GesmbH heran. Dieser Rückstand sei bei der I. GesmbH, deren Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben worden sei, uneinbringlich.

Der Beschwerdeführer berief dagegen und wandte sich vorwiegend gegen die Annahme verdeckter Ausschüttungen und damit gegen das Entstehen einer Kapitalertragsteuerschuld. Zu dem für die Haftung erforderlichen Verschulden wandte der Beschwerdeführer ein, die verdeckten Ausschüttungen seien im Gefolge von Verrechnungspreisberichtigungen angenommen worden, welche erst als Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung vorgenommen worden seien, wodurch die Kapitalertragsteuerbeträge vorzuschreiben wären, deren Fälligkeiten "rückwirkend eintraten". Dem Beschwerdeführer könne aber kein Verschulden an der Uneinbringlichkeit angelastet werden, weil er diese Verrechnungspreisberichtigungen und die darauf basierenden Kapitalertragsteuervorschreibungen nicht hätte vorhersehen oder erwarten können.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als sie den Haftungsbetrag auf insgesamt 470.547,50 EUR einschränkte. Im Übrigen wies sie die Berufung als unbegründet ab.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen hielt die belangte Behörde fest, es könne grundsätzlich eine Pflichtverletzung des Beschwerdeführers vorliegen, obwohl die haftungsgegenständlichen Kapitalertragsteuern für 1998 bis 2000 erst auf Grund der Feststellung einer abgabenbehördlichen Betriebsprüfung vom mit Bescheiden vom , somit während des anhängigen Konkursverfahrens, festgesetzt worden seien. Denn der Zeitpunkt, für den zu beurteilen sei, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel gehabt habe, bestimme sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Die schuldhaften Pflichtverletzungen seien daher für den Zeitraum vom bis zum (Fälligkeiten der Kapitalertragsteuern für 1998 bis 2000) zu prüfen. Den Einwendungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verrechnungspreisberichtigungen halte die belangte Behörde entgegen, dass diese Einwendungen gegen den Abgabenanspruch nicht mit Erfolg im Haftungsverfahren vorgebracht werden könnten, sondern ausschließlich im Berufungsverfahren betreffend Bescheide über den Abgabenanspruch.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht verletzt erachtet, nicht zur Haftung nach §§ 9 und 80 BAO als Geschäftsführer herangezogen zu werden.

Die belangte Behörde legte Verwaltungsakten vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben nach § 80 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Berufung gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen.

Wenn ein zur Haftung Herangezogener sowohl gegen die Geltendmachung der Haftung als auch gemäß § 248 BAO gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch beruft, hat die Berufungsbehörde zunächst nur über die Berufung gegen die Geltendmachung der Haftung zu entscheiden, weil sich erst aus dieser Entscheidung ergibt, ob eine Legitimation zur Berufung gegen den Abgabenanspruch überhaupt besteht. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung sind in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/16/0085, und vom , Zl. 2010/16/0258).

Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Abgabenanspruch objektiv gegeben ist, ist als Vorfrage im Haftungsverfahren nur dann zu beantworten, wenn kein Bindungswirkung auslösender Abgabenbescheid vorangegangen ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/16/0309, und vom , Zl. 2005/13/0094).

Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung aber kein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/15/0085).

Der Beschwerdeführer trägt vor, dass die "Kapitalertragsteuervorschreibung" (sc.: an die I. GesmbH) erst nach dem Ergebnis einer Betriebsprüfung ergangen sei.

Dies steht im Einklang mit den in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Erledigungen der belangten Behörde vom , mit welchen die I. GesmbH nach § 95 EStG zur Haftung für Kapitalertragsteuer für die Jahre 1998 bis 2000 herangezogen wurde.

Auch die belangte Behörde geht in ihren Feststellungen im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die I. GesmbH erst mit diesen Erledigungen zur Haftung für Kapitalertragsteuer herangezogen wurde.

Mit der Konkurseröffnung tritt der Masseverwalter auch in einem Abgabenverfahren an die Stelle des Gemeinschuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Konkursmasse handelt. Die Abgaben sind daher während des Konkursverfahrens gegenüber dem Masseverwalter, der insofern den Gemeinschuldner repräsentiert, festzusetzen. Während des Konkursverfahrens dürfen weder Abgabenbescheide noch Haftungsbescheide, mit welchen der Gemeinschuldner zur Haftung (etwa für Lohnsteuer oder für Kapitalertragsteuer) herangezogen werden soll, an den Gemeinschuldner gerichtet werden. Eine nach Konkurseröffnung an den Gemeinschuldner gerichtete Erledigung geht auch dann ins Leere, wenn sie an den Gemeinschuldner, zu Handen des Masseverwalters gerichtet ist; sie entfaltet weder eine Wirkung für den Gemeinschuldner noch für den Masseverwalter (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/15/0009 und vom , Zl. 2006/14/0065, sowie den Beschluss vom , Zl. 2009/13/0076, und insbesondere das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/15/0044).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage erweisen sich die von der belangten Behörde als Haftungsbescheide angesprochenen Erledigungen des Finanzamtes vom , mit welchen die I. GesmbH zur Haftung für Kapitalertragsteuer herangezogen werden sollte, als nicht wirksam erlassen. Sie entfalteten somit keine Bescheidwirkung und demnach keine Bindungswirkung.

Damit durfte die belangte Behörde aber nicht davon ausgehen, dass Abgaben- oder Haftungsbescheide gegenüber der Primärschuldnerin erlassen worden wären. Demnach durfte die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit seinen Einwendungen gegen das Entstehen oder die Höhe des Abgabenanspruches nicht auf ein Verfahren über eine Berufung gegen Abgabenbescheide verweisen, welche rechtlich nicht existierten.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend sein Verschulden an der Uneinbringlichkeit der Kapitalertragsteuer einzugehen, ob ein solches schon - wie die belangte Behörde annahm - im Zeitpunkt der Fälligkeit der Kapitalertragsteuer oder - wie der Beschwerdeführer vorträgt - erst im Zuge der erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung vorgelegen wäre (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/13/0094).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für das fortzusetzende Verfahren wird bemerkt, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers betreffend die Verjährung allenfalls unter dem Gesichtspunkt zu prüfen sein werden, dass nach § 224 Abs. 3 BAO die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides nach Eintritt des Rechtes zur Festsetzung der Kapitalertragsteuer nicht mehr zulässig ist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/13/0012, und vom , Zl. 2006/15/0004, VwSlg 8.294/F).

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens (§ 59 Abs. 1 VwGG) - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am