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VwGH vom 19.01.2012, 2011/23/0655

VwGH vom 19.01.2012, 2011/23/0655

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des J, vertreten durch Mag. Hannes Havranek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Julius-Raab-Platz 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/260.120/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am im Alter von 17 Jahren illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Asylantrag. Der Unabhängige Bundesasylsenat hat diesen Antrag im Instanzenzug abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria festgestellt; diese Entscheidung erwuchs am in Rechtskraft. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom abgelehnt.

Am brachte der Beschwerdeführer einen weiteren Asylantrag ein. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom zurückgewiesen. Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung kam gemäß § 32 Abs. 8 des Asylgesetzes 1997 keine aufschiebende Wirkung zu. Nach der Aktenlage erwuchs dieser Bescheid am in Rechtskraft.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde durch Hinterlegung mit Wirkung vom zugestellt. Eine Ausreise oder Abschiebung ist daraufhin aber nicht erfolgt.

Im Juni 2006 hat der Beschwerdeführer die Externistenprüfung für die vierte Klasse der Hauptschule bestanden. Im Juni 2007 hat er einen "Qualifizierungslehrgang für HauptschulabsolventInnen" über Kompetenz und Flexibilität an der Volkshochschule abgeschlossen. Am heiratete der Beschwerdeführer S.O., ebenfalls Staatsangehörige von Nigeria. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt. Seine Ehefrau verfügt über einen Niederlassungsnachweis, sie hat eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind, die ebenfalls in Österreich leben und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.

Basierend auf dieser Sachlage wies die Bundespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus dem Bundesgebiet aus. Der dagegen erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom keine Folge gegeben.

Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass der Beschwerdeführer nicht mehr über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und auch nicht über einen Aufenthaltstitel verfüge. Deshalb seien die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG gegeben und der Beschwerdeführer könne - vorbehaltlich des § 66 FPG - ausgewiesen werden.

Die belangte Behörde ging in der weiteren Begründung angesichts der dargestellten persönlichen und familiären Verhältnisse zwar von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Allerdings sei dieser Eingriff dringend geboten, weil den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen und deren Einhaltung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein besonders hoher Stellenwert zukomme. Diese Vorschriften seien vom Beschwerdeführer angesichts der Tatsache, dass er sich bereits seit mehr als drei Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, in gravierender Weise missachtet worden. Weder das rechtskräftig negativ abgeschlossene Asylverfahren noch eine bereits rechtskräftig erlassene Ausweisung hätten den Beschwerdeführer dazu veranlassen können, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Die Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau werde dadurch relativiert, dass die Eheschließung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem der Beschwerdeführer keinesfalls davon ausgehen habe dürfen, sich auf Dauer in Österreich niederlassen zu können. Die gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers seien jedenfalls nicht höher zu bewerten als die erfolgte Beeinträchtigung des - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Mangels besonderer zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im August 2008 geltende Fassung.

1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr verfügt. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Somit bestehen keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

2. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde kritisiert in dieser Hinsicht, dass sich die belangte Behörde mit den privaten und familiären Bindungen des Beschwerdeführers nicht entsprechend auseinander gesetzt bzw. diesbezüglich nur unzureichende Feststellungen getroffen habe. Auch habe es die belangte Behörde unterlassen, den Beschwerdeführer zu diesen Aspekten zu befragen.

2.1. Soweit der Beschwerdeführer auf die Bindung zu seiner Ehefrau sowie zu deren Tochter und Enkeltochter verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde einräumte, mit der vorliegenden Ausweisung sei deshalb ein Eingriff auch in sein Familienleben verbunden.

Zwar resultiert aus Art. 8 EMRK grundsätzlich das Recht von Ehegatten, ein gemeinsames Familienleben zu führen, allerdings besteht für die Vertragsstaaten keine generelle Pflicht, die Wahl des Wohnortes von Fremden zu respektieren und auf ihrem Staatsgebiet Familienzusammenführungen zuzulassen. Dabei kann auch darauf abgestellt werden, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem auf ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertraut werden durfte (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0487, mwN auch zur Judikatur des EGMR). Deshalb durfte die belangte Behörde insbesondere berücksichtigen, dass die Eheschließung zu einem Zeitpunkt erfolgte, der mehr als drei Jahre nach Ablehnung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof im Asylverfahren bzw. ca. zweieinhalb Jahre nach rechtskräftiger Erlassung der ersten Ausweisung lag. Das Familienleben wurde somit zu einem Zeitpunkt begründet, in dem auf einen dauerhaften Verbleib in Österreich keinesfalls mehr vertraut werden durfte. Das Interesse an einem Verbleib in Österreich durfte somit in seinem Gewicht entscheidend als gemindert angesehen werden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348). Schließlich ist noch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der vorliegenden Beschwerde vorgebracht hat, dass seiner Ehefrau eine Rückkehr nach Nigeria nicht zumutbar wäre.

Soweit der Beschwerdeführer die Befragung seiner Ehefrau, seiner Stieftochter und weiterer Zeugen zu seiner familiären Situation durch die belangte Behörde einfordert, lässt dies nicht erkennen, welche insoweit relevanten Feststellungen dadurch getroffen werden hätten sollen. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erstmals in der Beschwerde vorbringt, dass er für das Enkelkind seiner Ehegattin eine starke Bezugsperson sei, da er sie täglich beaufsichtige, handelt es sich dabei insoweit um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG), auf die nicht weiter einzugehen ist.

2.2. Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den von ihm absolvierten Ausbildungsmaßnahmen auf seinen Hauptschulabschluss verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde diesen Umstand ohnehin in ihre Entscheidung miteinbezogen hat. Beim Vorbringen betreffend die Absolvierung eines Computer-Lehrganges sowie den Erwerb der European Computer Drivers License handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

Wenn der Beschwerdeführer schließlich auf seine zukünftigen Pläne betreffend den Beginn einer Lehre verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass die bloße Absicht, eine Lehre zu beginnen, nicht geeignet ist, das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich maßgeblich zu verstärken. Das gilt auch für das geltend gemachte Engagement und seine Mitarbeit in einer christlichen Gemeinde in Wien.

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf die mit der Beschwerde vorgelegten zahlreichen Schreiben verschiedener Personen verweist, handelt es sich dabei wiederum um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

2.3. Soweit der Beschwerdeführer auf seinen Gesundheitszustand verweist, ist ihm Folgendes zu erwidern: Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt festgehalten, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0015, mwN). Zwar hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den Ausweisungsbescheid vom auf seine Traumatisierung hingewiesen und mit seiner Stellungnahme vom einen entsprechenden Arztbrief vorgelegt, allerdings hat er zu keinem Zeitpunkt im Administrativverfahren vorgebracht, dass für ihn keine Aussicht bestehe, sich in seinem Heimatstaat der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können. Wenn er erstmals in der Beschwerde vorbringt, dass er die medizinische Behandlung in dem für ihn notwendigen Ausmaß nicht in Nigeria beziehen könne, handelt es sich dabei wiederum um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG). Vor diesem Hintergrund führt auch das Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand nicht dazu, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich so weit verstärkt werden, dass von einer Ausweisung Abstand zu nehmen wäre.

2.4. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe es unterlassen, Ermittlungen zum Hintergrund für seine Flucht aus Nigeria vorzunehmen, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Fluchtgründe nicht Gegenstand des Ausweisungsverfahrens sind. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf die weitreichenden Konsequenzen verweist, die mit seiner Rückkehr nach Nigeria verbunden wären, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0293, Punkt 3.2., mwN).

2.5. Soweit der Beschwerdeführer schließlich noch rügt, dass er von der belangten Behörde nicht ausreichend angehört worden sei, ist ihm zu erwidern, dass er nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten im Verwaltungsverfahren ausreichend Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt geltend zu machen. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0204).

3. Im Ergebnis ist daher nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren, im Zeitpunkt der Bescheiderlassung erst fünf Jahre dauernden Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. An dieser Einschätzung kann auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, es bestünden keine Bindungen zu seinem Heimatstaat, nichts ändern. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung des Beschwerdeführers sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.

4. Die Beschwerde erweist sich daher als unberechtigt und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am