VwGH vom 17.08.2015, Ra 2015/18/0052

VwGH vom 17.08.2015, Ra 2015/18/0052

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag.a Sußner, über die Revision der M A in W, vertreten durch Dr. Eva-Maria Segur-Cabanac, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W206 1426763- 2/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), im Umlaufweg zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

1. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Revisionswerberin für den Fall, dass der vor dem erfolgte Zustellversuch als rechtswirksam und die Revisionsfrist als abgelaufen beurteilt werde, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nach § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom .

Die Revisionswerberin habe am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, welcher hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom vom Bundesasylamt abgewiesen wurde. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen eingebrachte Beschwerde ab. Im Rahmen der Akteneinsicht am habe die Revisionswerberin davon erfahren, dass das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes an die vom Meldeamt falsch registrierte Adresse Hanauskagasse 4/3/13 und nicht an die tatsächliche Adresse Hanauskagasse 4/3/1A, bzw. 4/3/1A zugestellt worden sei. Mit Schreiben vom habe die Revisionswerberin die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie zur gleichzeitigen Einbringung einer außerordentlichen Revision beantragt. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom sei der Revisionswerberin am zugestellt worden.

2. Laut Registerdaten des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die rechtswirksame Zustellung des Erkenntnisses vom am . Dies stimmt mit den Angaben der Revisionswerberin betreffend die Zustellung in ihrem Wiedereinsetzungsantrag überein.

3. Die mit Bescheid vom vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, zugestellt am , bestellte Verfahrenshelferin brachte gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am , also innerhalb der Revisionsfrist des § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG von sechs Wochen ab Zustellung am , die Revision ein.

Eine Versäumung der Revisionsfrist liegt nicht vor, weshalb über den nur für den Fall der Säumnis gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht abgesprochen werden muss.

II. Zur Revision

1. Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Somalias, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sie sei Angehörige des Clans der "Aschraf" bzw. "Asharaaf" und seit dem Jahr 2010 verheiratet. Angehörige von Al Shabaab hätten den Vater der Revisionswerberin aufgefordert, die Revisionswerberin an sie zu übergeben. Der Vater hätte dies unter Hinweis auf die Verlobung seiner Tochter abgelehnt und sei in weiterer Folge anstelle der Revisionswerberin mitgenommen worden. Auch die Mutter der Revisionswerberin sei bedrängt worden, ihre Tochter an Al Shabaab zu übergeben und hätte dies ebenfalls abgelehnt. Daraufhin habe die Mutter der Revisionswerberin ein Schreiben erhalten, in dem ihr angedroht worden sei, dass sie und ihre Familie mitgenommen werden würden.

2. Mit Bescheid vom erkannte das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA) der Revisionswerberin den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu und erteilte ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung; ihren weitergehenden Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wies es jedoch gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Das Bundesasylamt begründete diese Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit der Revisionswerberin. So habe die Revisionswerberin zum zeitlichen Ablauf der fluchtauslösenden Geschehnisse nichts Nachvollziehbares und Konkretes angeben können. Die Revisionswerberin habe nicht gewusst, wann konkret im Jahr 2010 ihr Vater mitgenommen worden sei und ihre Mutter den Drohbrief erhalten hätte bzw. wie alt sie bei den genannten Geschehnissen gewesen sei. Die Revisionswerberin habe vage, inhaltsleer, detaillos und nicht nachvollziehbar von den fluchtauslösenden Vorgängen berichtet. Dies stehe im groben Widerspruch mit den Erfahrungen des Bundesasylamtes im täglichen Umgang mit Verfolgten und asylsuchenden Personen; so zeige sich aus jenen Erfahrungen, dass diese Personen über einen sehr langen Zeitraum - oftmals lebenslang - bis in das kleinste Detail genau über die fluchtauslösenden und in ihr Leben einschneidenden Erlebnisse zu berichten wissen. Es hätten sich keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Revisionswerberin traditionell verheiratet und Angehörige des Clans der "Aschraf" bzw. "Asharaaf" sei. Dies ergebe sich aus dem Unvermögen der Revisionswerberin, über die Personalien ihres angeblichen Ehegatten sowie über die angeblich erfolgte Eheschließung konkrete Angaben tätigen zu können. Der Umstand, dass die Revisionswerberin kein tiefgehendes spezifisches und umfangreiches Wissen über den Clan der "Aschraf" bzw. "Asharaaf" habe, spreche gegen die Zugehörigkeit zu dem genannten Clan.

3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Zur Begründung seiner Entscheidung hielt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, die Auffassung des Bundesasylamtes zu teilen, wonach die Revisionswerberin keinen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft gemacht habe. Es sei dem Bundesasylamt beizupflichten, dass sich die Angaben der Revisionswerberin vage und oberflächlich dargestellt hätten. Es sei dem Bundesasylamt nicht anzulasten, dass die Revisionswerberin der konkreten Nachfrage und den Aufforderungen, den Sachverhalt detailliert zu schildern, nicht nachgekommen sei. Wenn nun in der Beschwerde festgehalten werde, welche Fragen an die Revisionswerberin zu richten gewesen wären, um "sinnvolle" Antworten zu bekommen, sei seitens des Bundesverwaltungsgerichtes auszuführen, dass die belangte Behörde zwar zur Manuduktion verpflichtet sei, dies jedoch nicht gleichbedeutend mit der behördlichen Formulierung von Fragen sei, die dem Befragten bereits eine konkrete Antwort quasi "in den Mund legen". Vielmehr müsse von der Revisionswerberin erwartet werden können, jene Gründe, die sie zur Ausreise bewogen haben, aus eigenem zusammenhängend und detailgetreu zu schildern. Hier habe sich die Revisionswerberin allerdings auf Allgemeinplätze begeben bzw. habe sie auf konkrete Nachfragen ausweichende oder oberflächliche Antworten gegeben. Daher sei nicht der Eindruck entstanden, die Revisionswerberin habe das in Grundzügen Geschilderte tatsächlich erlebt. Soweit die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde vermeine, dass ihr Datumsangaben in Somalia nicht wichtig gewesen seien, so hätte sie bereits bei der Einvernahme Gelegenheit gehabt, sich in diesem Sinne zu äußern und nicht stattdessen falsche oder nicht zusammenpassende Daten zu nennen.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 4 VwGVG könne eine mündliche Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Dies sei hier der Fall.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen, weil es trotz substantiierter Bekämpfung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung seitens der revisionswerbenden Partei ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden habe.

Die vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5.1. Die Revision ist zulässig und begründet.

5.1.1. Zu Recht weist diese darauf hin, dass die Bestreitung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht nicht bloß unsubstantiiert erfolgt ist:

Zur vom Bundesasylamt angenommenen Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Revisionswerberin aufgrund des unkonkreten und detaillosen Inhalts brachte die Beschwerde vor, der Revisionswerberin sei im Rahmen der Einvernahme erklärt worden, lediglich Fragen, die ihr gestellt worden seien, zu beantworten. Dies habe die Revisionswerberin getan. Es sei daher unverständlich, wie das Bundesasylamt zur Annahme komme, dass das Vorbringen zu oberflächlich sei. Zum Vorhalt, die Revisionswerberin sei nicht in der Lage gewesen, den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse nachvollziehbar und konkret anzugeben, sei auszuführen, dass die Revisionswerberin gar nicht näher danach gefragt worden sei. Dem Einvernahmeprotokoll sei lediglich die Frage zu entnehmen, wann sie geheiratet habe und als Frage des Vertreters der Revisionswerberin, wann der Vater der Revisionswerberin entführt worden sei bzw. wann die Mutter den Brief von den Al Shabaab erhalten habe. Wenn der Revisionswerberin angelastet werde, dass sie nicht einmal wisse, wann genau dies im Jahr 2010 geschehen sei, sei die konkrete Situation der Revisionswerberin völlig unberücksichtigt geblieben. Die Revisionswerberin habe sich in Mogadischu nicht frei auf der Straße bewegen können, sondern habe die meiste Zeit im Elternhaus verbracht. Der Revisionswerberin sei daher eine monatsweise Zuordnung nicht möglich, weil derartige Datumsangaben in Somalia für sie keine Rolle gespielt hätten. Es sei ebenfalls auf das mangelhafte Ermittlungsverfahren zurückzuführen, dass die belangte Behörde angeführt habe, dass die Revisionswerberin keine glaubhaften Angaben zu ihrer Verehelichung und zu ihrer Clanzugehörigkeit machen habe können. Der Revisionswerberin seien von Seiten der Behörde keine weiteren Fragen zum Grund für die Zwangsverheiratung gestellt worden bzw. warum die Revisionswerberin nach der Eheschließung wieder mit zu ihren Eltern gefahren sei. Hätte die Behörde dahingehend ermittelt, hätte sie feststellen können, dass der Vater die Heirat arrangiert habe, da er die Revisionswerberin vor der Zwangsverheiratung mit den Al Shabaab schützen habe wollen. Der Vater habe gedacht, Al Shabaab hätte kein Interesse mehr an seiner Tochter, wenn diese bereits verheiratet sei. Die Hochzeit sei zwar offiziell geschlossen worden, aber die Revisionswerberin habe trotz der Verehelichung wieder mit zu ihren Eltern gehen können, weil es mit der Heirat darum gegangen sei, einer Zwangsverheiratung mit den Al Shabaab zu entgehen. Ob die Revisionswerberin zu einem späteren Zeitpunkt einmal zu ihrem Ehemann ziehen hätte sollen, sei ihr selbst nicht bekannt, da sie in die Abmachungen zwischen ihrem Vater und dem Ehemann nicht eingeweiht gewesen sei. Sie habe ihren Ehemann lediglich einmal bei der Hochzeit gesehen und habe seither keinerlei Kontakt mehr zu ihm.

Die Ausführungen der belangten Behörde hinsichtlich der vermeintlichen Unglaubwürdigkeit der Clanzugehörigkeit der Revisionswerberin seien ebenfalls auf ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren zurückzuführen. So seien der Revisionswerberin insgesamt vier Fragen zu ihrer Clanzugehörigkeit gestellt worden, welche die Revisionswerberin alle beantwortet habe. Dabei habe sie den Subclan, welchem sie angehöre, sowie die Merkmale, welche ihren Clan von anderen unterscheide, genannt. Der Revisionswerberin sei nicht bewusst gewesen, dass die Behörde Zweifel an ihrer Clanzugehörigkeit hege, da keine weiteren Ermittlungen angestellt worden seien. Deshalb sei es in keiner Weise nachvollziehbar, wie die Behörde zur Feststellung gekommen sei, dass die Revisionswerberin über "kein tiefgehendes, spezifisches und umfangreiches Wissen über den Clan den Sie behaupten zugehörig zu sein" verfüge.

5.1.2. Nach den Kriterien der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017 und 0018, auf dessen Gründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird (vgl. etwa auch und Ra 2014/18/0061, vom , Ra 2014/18/0056, 0057, vom , Ra 2014/18/0097, und vom , Ra 2015/18/0004, 0028-0030), hätte das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des oben zusammengefasst wiedergegebenen Beschwerdevorbringens, welches als nicht bloß unsubstantiiert zu qualifizieren ist, nicht nur aufgrund der Aktenlage entscheiden dürfen, sondern die beantragte mündliche Verhandlung durchführen müssen. Die Revision zeigt zu Recht auf, dass die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vorlagen.

5.1.3. Das Erkenntnis leidet daher an einem wesentlichen Verfahrensmangel und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5.1.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil mit dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand auch die Umsatzsteuer abgegolten wird.

Wien, am