VwGH vom 21.02.2013, 2011/23/0640
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des PR in W, vertreten durch Mag. Clemens Bärenthaler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 556/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, heiratete am die österreichische Staatsbürgerin H. und stellte im Hinblick darauf einen Tag später einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG".
Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer wegen Eingehens einer so genannten Aufenthaltsehe gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 FPG stütze.
Die belangte Behörde hielt zunächst fest, der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom bekannt gegeben, dass die Ehe (mit H.) inzwischen geschieden sei. In ihrer Beweiswürdigung stützte sich die belangte Behörde insbesondere auf die Angaben der H. bei ihrer Einvernahme am , wonach sie sich - über Vermittlung durch einen Bekannten - bereit erklärt habe, den Beschwerdeführer gegen Bezahlung von EUR 7.000,-- zu heiraten, damit er "ein Visum erhalte"; es habe nie eine Lebensgemeinschaft mit ihm bestanden und sie habe noch nie mit ihm zusammengewohnt. Zwar habe H. - so die belangte Behörde weiter - bei ihrer Einvernahme am gesagt, dass der Beschwerdeführer bei ihr wohne, wenn er in Wien sei. Allerdings habe sie bei einer weiteren Einvernahme am ihre erste Aussage vom zum Vorliegen einer "Scheinehe" wiederholt und angegeben, ihre Aussage vom entspreche nicht der Wahrheit. Die belangte Behörde erachtete die Angaben der H. zum Vorliegen einer "Scheinehe" - ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer eine solche bestritten habe - als glaubwürdig. Dabei berücksichtigte sie auch, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am - konfrontiert mit "dem Geständnis seiner Ex-Gattin" - nicht mehr habe aussagen wollen. Es stehe somit fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt zu haben, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 FPG gegeben seien.
Im Rahmen der Interessenabwägung anerkannte die belangte Behörde "angesichts aller Umstände" einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Aufenthaltsehen) dringend geboten und sohin iSd § 66 FPG zulässig, zumal der Beschwerdeführer gegen diese öffentlichen Interessen gravierend verstoßen habe. Die durch seinen Aufenthalt erzielte Integration sei auf Grund des Eingehens einer Aufenthaltsehe wesentlich gemindert. Seine persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet würden somit nicht schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme. Mangels besonderer, zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden. Schließlich begründete die belangte Behörde noch die vorgenommene Befristung des Aufenthaltsverbotes näher.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2010 geltende Fassung.
Der Beschwerdeführer macht im Zusammenhang mit der Interessenabwägung der belangten Behörde nach § 66 FPG (u.a.) geltend, dass seit der erstinstanzlichen Entscheidung "einige Jahre" vergangen seien und sich seine Situation geändert habe. Seine Ehe mit H. sei am geschieden worden und er sei mittlerweile (wieder) mit einer Österreicherin verheiratet. Die belangte Behörde habe dies nicht erhoben und somit kein gesetzmäßiges Ermittlungsverfahren durchgeführt. Damit zeigt er einen relevanten Verfahrensmangel auf:
Die belangte Behörde verwies im Rahmen ihrer Interessenabwägung nur pauschal auf "alle Umstände", ohne diese näher zu präzisieren bzw. Feststellungen zu den aktuellen Lebensumständen des Beschwerdeführers zu treffen. Angesichts der Dauer des Berufungsverfahrens von ca. vier Jahren und zwei Monaten hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor ihrer Entscheidung aber Gelegenheit geben müssen, maßgebliche Änderungen in seinem Privat- und Familienleben vorzutragen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0917, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0128). Da die belangte Behörde dieser Verpflichtung nicht entsprochen hat, war dem Beschwerdeführer sein - in der Beschwerde erstmals erstattetes - Vorbringen, nach der Scheidung von H. nunmehr erneut mit einer Österreicherin verheiratet zu sein, auch nicht verwehrt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung dieser vorgebrachten Änderung in seinen Lebensumständen insgesamt zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (vgl. in diesem Zusammenhang auch noch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0455, mwN; siehe überdies das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0173, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0183).
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-67481