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VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0628

VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0628

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/265645/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, besaß in den Jahren 2001 bis 2004 wiederholt eine Aufenthaltserlaubnis als Saisonarbeitskraft. Seit dem ist sie durchgehend im Bundesgebiet behördlich gemeldet.

Am heiratete die Beschwerdeführerin in Wien den (aus dem Iran stammenden) österreichischen Staatsbürger B. Im Hinblick darauf erhielt sie einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger", gültig bis zum , der - auf Grund ihres Verlängerungsantrags vom - bis zum verlängert wurde. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom wurde die Ehe der Beschwerdeführerin mit B. einvernehmlich geschieden.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 6 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Die belangte Behörde stellte zunächst fest, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom betreffend die Verlängerung des Aufenthaltstitels auf ihre Ehe mit B. berufen habe. Sie sah es allerdings als erwiesen an, dass ein gemeinsames Familienleben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden habe.

Dabei stützte sie sich zum einen auf den Scheidungsbeschluss vom , dem zufolge die eheliche Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführerin mit B. bereits seit mehr als sechs Monaten aufgehoben gewesen sei. Diese Darstellung werde durch die Aussagen des B. in dessen Einvernahmen am und am gedeckt. Im Zuge dieser Einvernahmen habe B. zusammengefasst ausgesagt, dass seine Lebensgemeinschaft mit der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Scheidung schon mehr als sechs Monate aufgehoben gewesen sei und er und seine Ehefrau zumindest seit Anfang Jänner 2007 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gelebt hätten.

Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - habe bei ihrer Einvernahme am demgegenüber angegeben, sie würde mit B. noch an der gemeinsamen Meldeanschrift in 1170 Wien wohnen. In ihrer Stellungnahme vom habe sie wiederum vorgebracht, dass sie und B. damals (gemeint offensichtlich zum Zeitpunkt der Einbringung des Verlängerungsantrags im März 2007) in einer Wohnung in 1160 Wien gewohnt hätten. Die Aussage im Scheidungsverfahren, die Lebensgemeinschaft sei seit mehr als sechs Monaten aufgehoben gewesen, habe sie damit erklärt, dass ein derartiges Vorbringen notwendig sei, um eine einvernehmliche Scheidung durchführen zu können.

Schließlich verwies die belangte Behörde noch auf das Ergebnis einer Hauserhebung vom an der gemeinsamen Meldeadresse in 1170 Wien. Dabei hätten der Hausbesorger und eine Wohnungsnachbarin angegeben, dass an dieser Adresse nur der Sohn des B. aufhältig sei und lediglich dessen Vater fallweise vorbeikommen würde, aber niemals in Begleitung einer Frau. Der in der Wohnung angetroffene Sohn des B. habe angegeben, dass sein Vater dort mit seiner Stiefmutter, der Beschwerdeführerin, wohnhaft, aber im Umzug begriffen sei. Daraus würde sich auch erklären, warum in der Wohnung keine Kleidungsstücke oder Toilettenartikel einer Frau wahrzunehmen seien.

Ausgehend davon bestand nach Auffassung der belangten Behörde kein Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin - entgegen der Regelung des § 30 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), der zufolge sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf diese Ehe berufen dürfen - in ihrem Verlängerungsantrag zwecks Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile falsche Angaben gemacht habe. Dieses Verhalten stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Fremdenwesens, dar.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den ca. neunjährigen, allerdings in den ersten Jahren immer wieder auf einige Monate beschränkten Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, auf ihre berufliche Bindung sowie auf ihre familiäre Bindung zu ihrer in Österreich aufhältigen, minderjährigen Tochter. Diesen persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich stehe aber gegenüber, dass die Beschwerdeführerin durch ihre falschen Angaben gegenüber einer österreichischen Behörde maßgebliche öffentliche Interessen erheblich beeinträchtigt habe. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Gründe, die eine Ermessensentscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin zugelassen hätten, seien weder ersichtlich noch vorgebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG bzw. des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Juni 2010 geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 6 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen. Gemäß § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen.

Nach der insoweit unbestritten gebliebenen Feststellung im angefochtenen Bescheid hat sich die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom auf Verlängerung ihrer Niederlassungsbewilligung auf ihre Ehe mit B. berufen.

Die Beschwerdeführerin wendet sich zunächst gegen die Annahme der belangten Behörde, zu diesem Zeitpunkt habe kein Familienleben mit ihrem vormaligen Ehemann mehr bestanden. Die Scheidung sei im März 2007 auch noch nicht "in Gang gewesen", vielmehr sei ihr damaliger Ehemann im Zuge seines Iranbesuches im März 2007 von seiner Mutter "unter Druck gesetzt" worden, eine iranische Frau zu heiraten.

Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, dass zum Zeitpunkt der Einbringung des Verlängerungsantrags am ein gemeinsames Familienleben zwischen der Beschwerdeführerin und B. nicht mehr geführt worden sei, insbesondere auf die Aussagen des vormaligen Ehemannes der Beschwerdeführerin vom und vom . Diese stünden auch in Einklang mit den Ergebnissen der Hauserhebung vom sowie mit dem Scheidungsbeschluss vom . Die belangte Behörde verwies weiters darauf, dass die Beschwerdeführerin im Zuge des Verwaltungsverfahrens unterschiedliche Angaben darüber gemacht habe, wo sie mit ihrem damaligen Ehemann im März 2007 gelebt habe. Sie unterließ es aber, die diesbezüglich ebenfalls widersprüchlichen Aussagen des Ehemannes der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen. So gab B. am noch an, dass beide Ehepartner ("wir") "später" (nämlich nach dem Aufenthalt in der Wohnung in 1170 Wien) "beim Brunnenmarkt" (somit in 1160 Wien) gewohnt hätten, während er am angab, dass er weiterhin in der Wohnung in 1170 Wien gewohnt habe und nur die Beschwerdeführerin ausgezogen sei. Darüber hinaus darf aus dem Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes allein noch nicht geschlossen werden, dass ein Familienleben keinesfalls vorliegt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0310). Soweit sich die belangte Behörde schließlich auf das Ergebnis der Hauserhebung vom stützte, ließ sie eine Auseinandersetzung mit der - gegen ihre Annahme sprechenden - Aussage des Sohnes von B. vermissen.

Vor allem aber ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie sich mit den weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG nur unzureichend befasst hat. Die Verwirklichung dieses Tatbestandes erfordert nämlich nicht nur die erwiesene objektiv unrichtige Angabe, sondern vielmehr das Vorliegen einer vorsätzlichen Täuschung durch wissentlich falsche Ausführungen über die dort genannten Umstände (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0139). Die Beschwerdeführerin bestreitet diesbezüglich, dass sie die belangte Behörde täuschen wollte, und verweist darauf, dass sie angesichts des weit zu verstehenden Begriffs des Familienlebens der Ansicht gewesen sei, sich auf ihre Ehe berufen zu können.

Feststellungen, aus denen eine Täuschungsabsicht der Beschwerdeführerin entnommen werden kann, sind im angefochtenen Bescheid nicht getroffen worden. Die Unterlassung derartiger Feststellungen stellt aber einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. dazu das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2006/21/0139). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf die Zuerkennung von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren ist vom dafür zugesprochenen Pauschalbetrag bereits erfasst und war daher abzuweisen.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-67464