VwGH vom 27.01.2010, 2009/16/0228
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 6/7/15, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0752-W/09, betreffend Familienbeihilfe ab November 2005 (mitbeteiligte Partei: Y B in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am mit seiner Frau und seinem im Jahr 2000 geborenen Sohn nach Österreich ein. All diese Personen stellten am einen Asylantrag. Am wurde die Tochter des Beschwerdeführers geboren, für die am 30. d.M. ein Asylantrag eingebracht wurde.
Der Mitbeteiligte ist Kommanditist einer KEG (jetzt KG) und unterliegt seit der Pflichtversicherung nach dem GSVG.
Am beantragte er bei seinem Wohnsitzfinanzamt Wien/6/7/15 die Gewährung der Familienbeihilfe für seine beiden Kinder rückwirkend ab November 2005. Der haushaltsführende Elternteil hat eine Verzichtserklärung abgegeben. Die Asylverfahren sind beim Asylgerichtshof anhängig und noch nicht beendet.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Familienbeihilfe ab, wogegen der Mitbeteiligte Berufung erhob. In seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung nahm die Abgabenbehörde erster Instanz den Standpunkt ein, dass kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, weil der Mitbeteiligte selbständig und nicht nichtselbständig erwerbstätig sei. Der Mitbeteiligte beantragte daraufhin die Vorlage der Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge und hob den Bescheid vom , soweit er den Zeitraum ab Juli 2007 betrifft, auf. Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte falle nicht unter § 3 Abs. 1 FLAG, weil er keine Einkünfte aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit beziehe. Da ihm bisher noch kein Asyl gewährt worden sei, komme ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu. Bei der Frage, ob Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, sei nur darauf abzustellen, ab wann sich der Mitbeteiligte seit mindestens 60 Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalte. Dessen Einreise sei im Juli 2002 erfolgt, sodass diese Voraussetzung im Juli 2007 erfüllt worden sei. Er sei auch seit in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet. Unterbrechungen des ständigen Aufenthaltes seien nicht festgestellt worden. Der Berufung habe daher für den Zeitraum ab Juli 2007 Folge gegeben werden können. Davor seien weder die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 noch jene nach § 3 Abs. 2 FLAG erfüllt gewesen. Ab Juli 2008 erfülle der Mitbeteiligte überdies die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 FLAG.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Amtsbeschwerde beantragt die Abgabenbehörde erster Instanz die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Weiters erstattete der Mitbeteiligte eine Gegenschrift, in der er gleichfalls die Abweisung der Beschwerde - unter Zuerkennung von Aufwandersatz - beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die vorliegende Amtsbeschwerde sieht eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, der Mitbeteiligte habe bereits am beim damals zuständigen Finanzamt Bruck/Eisenstadt/Oberwart Familienbeihilfe für seine beiden Kinder ab November 2007 beantragt. Dieser Antrag sei mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom abgewiesen worden. Die belangte Behörde habe zu Unrecht den Zeitraum von November 2007 bis April 2008 in ihre stattgebende Berufungsentscheidung miteinbezogen.
Die belangte Behörde bemerkt dazu in ihrer Gegenschrift, ihr sei im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bekannt gewesen, dass das Finanzamt Bruck/Eisenstadt/Oberwart einen Bescheid erlassen habe, mit dem ein Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe ab November 2007 abgewiesen worden sei. Die Familienbeihilfeakten der Finanzämter würden in der Form geführt, dass sich in der Ablage nur der jeweilige Antrag samt den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens zu diesem Vorgang befinde. Bei Vorlage an die belangte Behörde werde der Vorakt nicht angeschlossen. Eine Anforderung der Vorakten erfolge nur, wenn sich Anhaltspunkte aus dem vorgelegten Akt dafür ergäben, dass relevante Aktenstücke darin enthalten sein könnten. Ob und wann der angesprochene Bescheid vom zugestellt worden sei, sei dem nunmehr angeforderten und vorgelegten Akt im Übrigen nicht zu entnehmen. Dem beschwerdeführenden Finanzamt sei der Umstand, dass bereits ein Bescheid erlassen worden sei, offenbar ebenfalls entgangen, habe es doch undifferenziert die Abweisung des Antrages vom "ab November 2005" beantragt. Der in der Amtsbeschwerde angeführte Zeitraum von November 2007 bis April 2008 sei weder im Bescheid ausgenommen worden noch habe das Finanzamt im Verfahren vor der belangten Behörde darauf hingewiesen, dass bereits entschiedene Sache vorliege. Der Bescheid des Finanzamtes 6/7/15 sei im Spruch der angefochtenen Berufungsentscheidung ab Juli 2007 aufgehoben worden. Falls und soweit bereits ein rechtskräftiger Bescheid vorliege, sei das Finanzamt 6/7/15 durch die Aufhebung des von ihm erlassenen Bescheides vom nicht beschwert, weil es selbst die Rechtskraft hätte beachten müssen.
Der Tatbestand, welcher der belangten Behörde auf Grund der durchgeführten Beweise sowie auf Grund des ihr zugänglichen Aktenmaterials - zu dessen Verwertung sie nach dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens verpflichtet war - vorgelegen war, muss, wenn die Beurteilung der Rechtssache durch den Verwaltungsgerichtshof einsetzt, von diesem so betrachtet werden, wie er sich der belangten Behörde zur Zeit der Fällung ihrer Entscheidung dargestellt hatte. Nach Fällung der Berufungsentscheidung zu Tage getretene Neuerungen können vom Verwaltungsgerichtshof in der Regel nicht berücksichtigt werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 92/17/0298, sowie vom , Zl. 92/17/0126, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof ist nach seiner ständigen Rechtsprechung an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insofern nicht gebunden, als der Sachverhalt von dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 819/49 = Slg. 1339/A).
Ausgehend davon, dass die belangte Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keinen Anhaltspunkt dafür hatte, dass ein Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung von Familienbeihilfe vom mit Bescheid des Finanzamtes Bruck/Eisenstadt/Oberwart vom rechtskräftig abgewiesen worden wäre, stellt das Vorbringen der Amtsbeschwerde, die belangte Behörde habe mit dem angefochtenen Bescheid die Rechtskraft jenes vom missachtet, eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 41 Abs. 1 VwGG unzulässige Neuerung dar (vgl. etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/19/0009, betreffend die unzulässige Neuerung einer Unzuständigkeit der belangten Behörde), sodass weitergehende Überlegungen über die Erlassung des Bescheides vom dahinstehen können.
Die inhaltliche Rechtswidrigkeit sieht die Amtsbeschwerde zusammengefasst darin, ein ständiger Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet sei nicht gegeben, weil ein solcher unter dem Status Asylwerber auch nach einer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von 60 Kalendermonaten nicht begründet werde.
Damit gleicht der vorliegende Beschwerdefall in dem für seine Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkt - sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes, der Rechtslage als auch der zu beantwortenden Rechtsfrage des ständigen Aufenthaltes nach § 3 Abs. 2 FLAG in der Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 142/2004 -
jenem, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/16/0208, zu Grunde lag. In diesem Erkenntnis, auf das im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass das Tatbestandsmerkmal des ständigen Aufenthaltes in § 3 Abs. 2 FLAG in der - auch im vorliegenden Beschwerdefall anzuwendenden - Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes dem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 26 Abs. 2 BAO entspreche und das Fehlen eines zum dauernden Aufenthalt berechtigenden Aufenthaltstitels deshalb unerheblich sei.
Aus den dargelegten Gründen war auch die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass dem in Rede stehenden Bescheid des Finanzamtes Bruck/Eisenstadt/Oberwart vom - ob dieser überhaupt erlassen wurde, kann an Hand des vorgelegten Verwaltungsaktes nicht nachvollzogen werden - allenfalls durch den Bescheid des beschwerdeführenden Finanzamtes vom derogiert wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/16/0606). Gerade dadurch, dass der letztgenannte Bescheid hinsichtlich des Zeitraumes ab Juli 2007 (durch den angefochtenen Bescheid) aufgehoben wurde, könnte dem Bescheid vom , der auf die Abweisung des Antrages vom gerichtet war, für den Zeitraum ab Antragstellung bis zu seiner Erlassung allenfalls wiederum Geltung zukommen.
Der Spruch über den Aufwandersatz an den Mitbeteiligten gründet sich auf § 47 Abs. 3 in Verbindung mit § 48 Abs. 3 Z. 2 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am