VwGH vom 12.09.2012, 2011/23/0559
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Mag. Mischa Blasoni, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Schloß Schönbrunn, Kavalierstrakt 126, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/258.008/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste laut eigenen Angaben am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde (nach vorübergehender Einstellung des Verfahrens) mit Bescheid des Bundesasylamtes vom in erster Instanz abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Der unabhängige Bundesasylsenat gab der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom keine Folge. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zl. 2006/19/1210, abgelehnt.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Einleitend stellte die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer seit der Ablehnung (der Behandlung) der Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Asylbescheid durch den Verwaltungsgerichtshof unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Somit seien die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG -gegeben.
Weiters hielt die belangte Behörde fest, dass mit Straferkenntnis des Magistratischen Bezirksamtes für den 3. Bezirk (rechtskräftig mit ) Kurt S. als Verantwortlicher der r. a. Zustelldienst GmbH wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) bestraft worden sei, weil er (u.a.) den Beschwerdeführer entgegen den Bestimmungen des AuslBG beschäftigt habe.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer ledig sei, im Bundesgebiet keine Sorgepflichten habe und dass seine Eltern sowie ein Sohn und zwei Töchter in Indien leben würden. Vor dem Hintergrund seines mehr als fünfeinhalbjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten, zumal den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften ein besonders hoher Stellenwert zukomme und der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegen dieses Interesse gravierend verstoße. Im Übrigen habe sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf einen - letztlich unbegründeten - Asylantrag gestützt und das Asylverfahren habe infolge Abwesenheit des Beschwerdeführers zwischenzeitig unterbrochen werden müssen.
Im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beschwerdeführers für die r. a. Zustelldienst GmbH stellte die belangte Behörde fest, der unabhängige Verwaltungssenat sei im Verwaltungsstrafverfahren gegen Kurt S. davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, ohne die Voraussetzungen des AuslBG zu erfüllen. Aber auch bei einer - vom Beschwerdeführer geltend gemachten - selbständigen Erwerbstätigkeit habe er mangels eines entsprechenden Aufenthaltstitels nicht darauf vertrauen dürfen, sich dauerhaft beruflich zu integrieren. Darüber hinaus wies die belangte Behörde darauf hin, dass der Beschwerdeführer laut Versicherungsdatenauszug seit dem nur als Asylwerber als versichert aufscheine.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er sämtliche familiären Bindungen zu seinem Heimatstaat abgebrochen habe, erachtete die belangte Behörde nicht als glaubwürdig. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer keine schlüssige Erklärung dafür geliefert, weshalb eine Wiederaufnahme der (angeblich abgebrochenen) sozialen Kontakte zu seinen Angehörigen in Indien nicht möglich sein solle.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juli 2009 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr verfügt. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326, mwN).
Der Beschwerdeführer verweist unter diesem Gesichtspunkt auf seinen nunmehr "sechsjährigen" (überwiegend rechtmäßigen) Aufenthalt in Österreich, auf seine Unbescholtenheit, seine Sprachkenntnisse, seine berufliche Integration durch die selbständige Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller sowie auf seine zahlreichen Freundschaften auch zu österreichischen Staatsbürgern.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde ist - gestützt auf den mehr als fünfeinhalbjährigen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers, der in Österreich über keine familiären Bindungen verfügt, sowie auf seine private Situation - von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privatleben ausgegangen. Entgegen der Beschwerdeansicht hätte die belangte Behörde aus diesen Umständen aber nicht ableiten müssen, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig sei. Auch das Bestehen eines nicht näher konkretisierten Freundes- und Bekanntenkreises, der Erwerb von Sprachkenntnissen sowie die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers sind insgesamt nicht von solchem Gewicht, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.
Es kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, ob es sich bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeitungszusteller um eine nach dem AuslBG nicht erlaubte unselbständige oder eine selbständige Erwerbstätigkeit handelt. Auch eine allenfalls rechtmäßige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers würde nämlich im vorliegenden Fall keine entscheidungserhebliche Verstärkung seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bewirken, zumal seine beruflichen Bindungen zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Dem Verweis des Beschwerdeführers auf seine Selbsterhaltungsfähigkeit ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass er ausweislich seiner Angaben im Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe an den Verwaltungsgerichtshof auch Grundversorgung bezog.
Der Beschwerdeführer macht darüber hinaus geltend, seit Jahren kein tatsächliches Familienleben mehr mit seinen in Indien lebenden Angehörigen zu führen. Es ist allerdings nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde im Ergebnis davon ausging, dass dem Beschwerdeführer, der sein Heimatland im Alter von erst 45 Jahren verlassen hat, die Wiederaufnahme der (allenfalls abgebrochenen) sozialen Kontakte zu seinen Angehörigen in Indien jedenfalls nicht unmöglich sei. Wenn es aber - wie der Beschwerdeführer geltend macht - auf Grund der in den vergangenen Jahren erfolgten Veränderungen für Rückkehrende "äußerst schwierig" sei, in Indien "wieder Fuß zu fassen", muss dies im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden, weil es letztlich nur eine Folge des (ohne ausreichenden Fluchtgrund erfolgten) Verlassens seines Heimatstaates ist.
Schließlich durfte die belangte Behörde iSd § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer - jedenfalls nach Erlassung der erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden Entscheidung vom - auf der Grundlage der nur vorläufigen (asylrechtlichen) Aufenthaltsberechtigung nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich verbleiben zu können, wodurch das Gewicht der danach erlangten Integration als gemindert anzusehen ist. Daran vermag auch die lange Dauer des asylrechtlichen Verfahrens nichts zu ändern (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0014). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2005/21/0297, verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass diesem Erkenntnis eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Konstellation zu Grunde lag (maßgeblich für die dort erfolgte Aufhebung des angefochtenen Bescheides war nämlich der Umstand, dass zwischen dem rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und der Erlassung der Ausweisung knapp vier Jahre verstrichen waren).
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht gegenüber, dass - wie die belangte Behörde zu Recht ausgeführt hat - den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0319, mwN). Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich verbleiben.
Zusammenfassend ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat.
Wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner sozialen Bindungen Ermittlungsmängel durch die belangte Behörde geltend macht, fehlt es an einer für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels erforderlichen Relevanzdarstellung, zumal nicht dargelegt wird, zu welchen Ergebnissen weitere Ermittlungen geführt hätten.
Auch die Ermessensübung durch die belangte Behörde begegnet keinen Bedenken.
Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-67442