VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0556

VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0556

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. Günter Harrich, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Margaretenstraße 91/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/123578/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, hielt sich laut seinen Angaben zunächst von 1993 bis 1996 bei seiner Mutter in Österreich auf und besuchte hier die Schule; anschließend lebte er bis 2003 bei seinem Vater in Bosnien.

Am reiste der Beschwerdeführer - illegal - in das Bundesgebiet ein und stellte kurz darauf einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom in erster Instanz abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bosnien und Herzegowina wurde für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer (gemäß § 8 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997) ausgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs mit Zurückziehung der Berufung am in Rechtskraft.

Am stellte der Beschwerdeführer einen auf seine (mittlerweile: österreichische) Mutter bezogenen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG", der mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen wurde.

Bereits zuvor war der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom wegen des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 sechster Fall SMG, § 15 StGB sowie des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer im Juni 2006 zum einen Ecstasy-Tabletten Dritten überlassen bzw. zu überlassen versucht sowie zum anderen Suchtgift (nämlich Ecstasy-Tabletten, Cannabisprodukte und Kokain) erworben und besessen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG sowie des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Unter einem wurde die Strafnachsicht betreffend die Verurteilung vom widerrufen. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Suchtgift in einem die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigenden Ausmaß anderen überlassen, indem er Mitte August 2007 ca. 20 g Kokain an einen Dritten zum Verkauf weitergab. Weiters habe er von Mitte Mai 2007 bis September 2007 Suchtgift (und zwar Kokain, Heroin und Marihuana) vorschriftswidrig erworben und besessen. Dem Beschwerdeführer wurde zur Durchführung von gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 39 Abs. 1 SMG ein Strafaufschub bis zum gewährt.

Im Hinblick auf diese Verurteilungen erließ die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Im Hinblick auf die dargestellten Verurteilungen erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG zweifach (nämlich hinsichtlich der unbedingten Freiheitsstrafe und der einschlägigen Tatwiederholung) als erfüllt. Das den Verurteilungen zugrunde liegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers lasse die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (wie der Verhinderung von strafbaren Handlungen und dem Schutz der Gesundheit) zuwiderlaufe. Die belangte Behörde verwies weiters auf die der Suchtgiftkriminalität immanente große Wiederholungsgefahr, die sich beim Beschwerdeführer durch die Tatwiederholung bereits nachhaltig gezeigt habe. Eine positive Verhaltensprognose sei im Hinblick auf die Gewerbsmäßigkeit seiner letzten Straftat und den Rückfall innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes nicht möglich. Daran könne auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer einer Drogenentwöhnungstherapie unterziehe, nichts ändern. Zum einen könne der Erfolg einer derartigen Therapie nämlich erst nach Jahren verlässlich beurteilt werden und zum anderen biete auch eine solche Therapie keine Gewähr dafür, dass der "beschäftigungslose" Beschwerdeführer nicht weiterhin versuchen werde, durch Suchtgifthandel auf schnelle Art zu Geld zu kommen.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde zunächst auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, der allerdings zu einem erheblichen Teil unrechtmäßig und sonst nur durch ein vorläufiges asylrechtliches Aufenthaltsrecht abgesichert gewesen sei. Zugunsten des Beschwerdeführers wurden außerdem der Umstand, dass seine Mutter (eine österreichische Staatsbürgerin) und "möglicherweise" auch andere nicht näher genannte Verwandte (wie die "angebliche Lebensgefährtin") in Österreich aufhältig seien, die sehr gute Kenntnis der deutschen Sprache und die "angeblich fehlenden Bindungen" zum Heimatstaat gewertet. Dem stellte die belangte Behörde gegenüber, dass die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde, zumal die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bei Suchtgiftdelikten auch bei sonst völliger sozialer Integration nicht rechtswidrig sei. Weiters verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer trotz der rechtskräftig erlassenen Ausweisung das Bundesgebiet nicht verlassen, sondern während seines unrechtmäßigen Aufenthaltes schwere strafbare Handlungen begangen habe. Darüber hinaus verfüge er über keine beruflichen Bindungen. Vor diesem Hintergrund sei die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes auch im Grunde des § 66 FPG zu bejahen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Mai 2009 geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ausgehend von den unbestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind die erwähnten Alternativen des genannten Tatbestandes erfüllt.

Die Beschwerde bringt allerdings vor, der Beschwerdeführer habe sich seit den genannten Vorfällen "nichts mehr zuschulden kommen lassen". Weitere strafbare Handlungen seinerseits seien vielmehr "ausgeschlossen". Diesem Vorbringen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Die belangte Behörde zeigte zutreffend auf, dass sich der Beschwerdeführer auch von einer ersten einschlägigen Verurteilung nicht davon habe abhalten lassen, innerhalb offener Probezeit erneut Suchtmitteldelikte zu begehen, wobei sich seine Delinquenz noch steigerte, zumal die weiteren Straftaten teilweise gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung ausgeführt wurden. Die der Suchtgiftkriminalität immanente, erfahrungsgemäß hohe Wiederholungsgefahr (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0670) hat sich beim Beschwerdeführer somit bereits manifestiert. Soweit der Beschwerdeführer auf sein Wohlverhalten seit der letzten Tatbegehung verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass die bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im Mai 2009 verstrichene Zeit seit dem Abschluss des strafbaren Verhaltens im September 2007 bzw. seit der Verurteilung im Juli 2008 jedenfalls zu kurz ist, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können (vgl. erneut das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2011/23/0670). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde keine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer stellte. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass dem Beschwerdeführer ein Strafaufschub gemäß § 39 SMG gewährt wurde. Erst eine erfolgreiche Therapie und (danach) ein längeres Wohlverhalten könnten nämlich zu einer (maßgeblichen) Minderung bzw. zu einem Wegfall der Gefährdung führen (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0317).

Neben der Gefährdungsprognose bekämpft der Beschwerdeführer auch die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nach § 66 FPG. Diesbezüglich macht er zunächst geltend, dass er in Österreich geboren sei und hier einen Großteil seines Lebens verbracht sowie die Schulausbildung absolviert habe. Weiters verweist er auf seine in Österreich lebende Mutter und auf die jahrelange Beziehung zu einer Lebensgefährtin. Demgegenüber habe er zu seinem in Serbien lebenden Vater keinen Kontakt mehr.

Zunächst ist festzuhalten, dass die in der Beschwerde erstmals erhobene Behauptung, in Österreich geboren zu sein bzw. den "Großteil seines Lebens" hier verbracht zu haben, in den vorliegenden Verwaltungsakten und im Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren keine Deckung findet. Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung zu Recht zugrunde gelegt, dass der bereits zwischen 1993 und 1996 in Österreich lebende, mittlerweile 28-jährige Beschwerdeführer erst ab August 2003 wieder im Bundesgebiet aufhältig war. Ebenfalls laut Aktenlage und Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren hat dieser (nur) von 1993 bis 1996 in Österreich die Schule besucht.

Soweit der Beschwerdeführer auf seine in Österreich lebende Mutter und auf die fehlenden Bindungen zu seinem Vater verweist, ist anzumerken, dass die belangte Behörde diese Umstände ihrer Interessenabwägung ohnehin zugrunde gelegt und auch hinreichend berücksichtigt hat. Die behördliche Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine beruflichen Bindungen in Österreich aufweise, wird in der Beschwerde nicht bestritten. Es ist im vorliegenden Fall aber auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Lebensgefährtin keine entscheidungswesentliche Bedeutung beimaß. So hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht dargelegt, dass mit seiner - weder namentlich noch sonst näher bezeichneten - Lebensgefährtin ein gemeinsamer Haushalt bestehe. Darüber hinaus durfte die belangte Behörde auch berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers ab dem Jahr 2006 unrechtmäßig und davor nur auf Grund eines vorübergehenden asylrechtlichen Aufenthaltsrechts gesichert war. Die während seines Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration wurden somit in einem Zeitraum erworben, als sich der Beschwerdeführer (jedenfalls seit der Abweisung seines Asylantrags in erster Instanz im August 2004) der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und er nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht jedoch das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art und am Schutz der Gesundheit Dritter gegenüber. Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich der Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese (zumal wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - auf eine die Grenzmenge übersteigende Menge bezieht) ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0396). Es ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde im Ergebnis kein Überwiegen des persönlichen Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem großen öffentlichen Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes angenommen hat. Allfällige Einschränkungen in seinem Privat- und Familienleben sowie Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seinem Heimatstaat sind im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am