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VwGH 23.08.2016, Ra 2015/17/0079

VwGH 23.08.2016, Ra 2015/17/0079

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
12010E056 AEUV Art56;
62012CJ0390 Pfleger VORAB;
62015CJ0464 Admiral Casinos Entertainment VORAB;
AVG §39 Abs2;
GSpG 1989 §53 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 1
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) hat zur Beurteilung der Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch den nationalen Richter eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, zu erfolgen (vgl , Rz 67ff unter Hinweis auf , Robert Pfleger ua Rn 52). Dabei sind nicht bloß der Wortlaut der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes samt Gesetzesmaterialien, sondern auch faktische Gegebenheiten (wie etwa der Umfang der Beschaffungskriminalität und der Kriminalität gegenüber Glücksspielern im Mitgliedstaat, eine allfällige expansionistische Geschäftspolitik der Konzessionäre und deren Zielsetzung etc) in den Blick zu nehmen (siehe ausführlich das zitierte Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, sowie jüngst , Admiral Casinos & Entertainment AG, wonach es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen). Das Landesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall durch das Unterlassen der genannten Gesamtwürdigung seiner Pflicht, die anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielgesetzes hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Unionsrecht von Amts wegen zu beurteilen, nicht in gesetzmäßiger Weise nachgekommen und hat das angefochtene Erkenntnis betreffend eine Beschlagnahme nach § 53 Abs. 1 GSpG mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet (vgl ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner sowie Dr. Leonhartsberger als Richterinnen bzw Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision der C s.r.o. in B, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-PL-14-0150, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom wurde gegenüber der revisionswerbenden Partei die Beschlagnahme von drei Glücksspielgeräten, einem Steckschlüssel und einer Karte zum Nullstellen der Geräte bei Gewinnauszahlung gemäß § 53 Abs 1 Glücksspielgesetz (GSpG) angeordnet.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Dabei machte diese unter anderem die mangelnde Unionsrechtskonformität des GSpG geltend und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

Hinsichtlich der von der revisionswerbenden Partei vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken verwies das Landesverwaltungsgericht auf "die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes" und setzte folgendermaßen fort:

"Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich diese Einwände gegen das Monopol und die Konzessionsvergabe beziehen. Selbst in dem Fall, dass die Konzessionsvergabe nicht europarechtskonform stattgefunden hätte, würde dies nicht automatisch dazu führen, dass es der Beschwerdeführerin erlaubt gewesen wäre, verbotene Ausspielungen anzubieten. Dass die Republik Österreich für den Bereich des Glücksspieles ein Monopol vorgesehen hat, ist nach der Judikatur des EuGH prinzipiell aufgrund der besonderen Umstände im Bereich Glücksspiel zulässig, wenn gleich die Dienstleistungsfreiheit dadurch eingeschränkt wird. Hierbei ist besonders auf den Spielerschutz und die in diesem Zusammenhang auftauchenden kriminellen und betrügerischen Aktivitäten Bedacht zu nehmen. Die Republik Österreich investierte in den letzten Jahren beträchtliche Summen um den Spielerschutz in Österreich zu verbessern. Alleine die Unzahl an Kontrollen nach dem Glücksspielgesetz der Finanzpolizei und das dabei entdeckte Angebot von verbotenen Ausspielungen, sowie das unterbinden dieser stellt schon für sich einen gehörigen Aufwand zum Spielerschutz dar."

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die vorliegende Revision erweist sich im Hinblick auf die vom Landesverwaltungsgericht unterlassenen Feststellungen zur Frage der Unionsrechtskonformität der anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielgesetzes als zulässig.

7 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) hat zur Beurteilung der Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch den nationalen Richter eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, zu erfolgen (vgl , Rz 67ff unter Hinweis auf , Robert Pfleger ua Rn 52). Dabei sind nicht bloß der Wortlaut der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes samt Gesetzesmaterialien, sondern auch faktische Gegebenheiten (wie etwa der Umfang der Beschaffungskriminalität und der Kriminalität gegenüber Glücksspielern im Mitgliedstaat, eine allfällige expansionistische Geschäftspolitik der Konzessionäre und deren Zielsetzung etc) in den Blick zu nehmen (siehe ausführlich das zitierte Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, sowie jüngst , Admiral Casinos & Entertainment AG, wonach es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen).

8 Die oben wiedergegebenen Ausführungen des Landesverwaltungsgerichts im angefochtenen Erkenntnis zur Frage der Unionsrechtskonformität von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes greifen zu kurz und werden einer solchen Gesamtwürdigung nicht gerecht.

9 Das Landesverwaltungsgericht ist somit durch das Unterlassen einer solchen Gesamtwürdigung seiner Pflicht, die anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielgesetzes hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Unionsrecht von Amts wegen zu beurteilen, nicht in gesetzmäßiger Weise nachgekommen und hat das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet (vgl ).

10 Das angefochtene Erkenntnis war aus den dargelegten Gründen aufgrund der Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

11 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
12010E056 AEUV Art56;
62012CJ0390 Pfleger VORAB;
62015CJ0464 Admiral Casinos Entertainment VORAB;
AVG §39 Abs2;
GSpG 1989 §53 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015170079.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAE-67431