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VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0554

VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0554

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in 1220 Wien, Wagramer Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/215.378/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, gelangte am illegal nach Österreich. Sein in der Folge gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom in erster Instanz abgewiesen, unter einem wurde seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt und er wurde gemäß § 8 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Das Verfahren über die dagegen erhobene Berufung war zum Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides noch anhängig.

Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil von 13 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge hat der Beschwerdeführer zwischen Sommer 2006 und verschiedenen Abnehmern durch wiederholten gewinnbringenden Verkauf vorschriftswidrig Suchtgift in einem die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigenden Ausmaß (nämlich insgesamt 164 Gramm Heroin, 137 Gramm Kokain und 126 Gramm Cannabiskraut) überlassen.

Das im Hinblick darauf von der Bezirkshauptmannschaft Baden mit Bescheid vom gemäß § 62 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) gegen den Beschwerdeführer verhängte unbefristete Rückkehrverbot wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom wegen örtlicher Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Baden ersatzlos behoben. Der Beschwerdeführer habe nämlich ab dem als Obdachloser den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in Wien gehabt und er sei auch dort aufhältig gewesen.

Daraufhin erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer wiederum ein unbefristetes Rückkehrverbot.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass das Rückkehrverbot auf die Dauer von zehn Jahren erlassen werde.

Die belangte Behörde stellte zunächst das Verwaltungsgeschehen, den Schuldspruch vom sowie das zugrunde liegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers dar. In ihrer Begründung gelangte sie - nach Bejahung der Zuständigkeit der Bundespolizeidirektion Wien - zur Auffassung, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei und dass auch die Annahme gerechtfertigt erscheine, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit und laufe überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider. Im Hinblick auf die Schwere der Tat (Suchtgifthandel in Bezug auf ein die Grenzmenge übersteigendes Ausmaß), den langen Deliktszeitraum und die Suchtmitteldelikten immanente Wiederholungsgefahr könne eine Verhaltensprognose nicht positiv ausfallen. Daran könnten weder der - relativ kurze - Zeitraum des Wohlverhaltens noch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe "vormalige schlechte Kontakte abgebrochen" und während der Haft verschiedene Kurse zur Persönlichkeitsstärkung absolviert, etwas ändern.

In Ansehung des § 66 FPG ging die belangte Behörde in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer zwar keine familiären, jedoch private Bindungen geltend gemacht habe, von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben aus. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit Dritter) dringend geboten sei. Die Integration des Beschwerdeführers sei insofern zu relativieren, als sich sein gesamter Aufenthalt im Bundesgebiet auf einen (in erster Instanz abgewiesenen) Asylantrag gründe. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Beziehungen zu einer (namentlich nicht angeführten) Familie, zu der er "familienartige Bande" unterhalte, seien jedenfalls erst zu einem Zeitpunkt entstanden, als den Beteiligten sein unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Weder die von ihm behaupteten Deutschkenntnisse noch sein Vorbringen, wieder als Zeitungszusteller zu arbeiten, könnten seine persönlichen Interessen maßgeblich verstärken. Darüber hinaus sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtmitteldelikten auch bei sonst völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessenlagen ergebe sich ein klares Überwiegen des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Erlassung des Rückkehrverbotes.

Angesichts des Fehlens besonders berücksichtigungswürdiger Umstände könne von dieser Maßnahme - so die belangte Behörde weiter - auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden. Zur Dauer des verhängten Rückkehrverbotes führte die belangte Behörde aus, dass zwar im Hinblick auf die erstmalige Verurteilung des Beschwerdeführers mit einer befristeten Erlassung das Auslangen gefunden werden könne. Angesichts der Art und Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten könne ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aber nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2009 geltende Fassung.

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 (u.a.) jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Danach liegt eine die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache (u.a.) dann vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Angesichts der - unbestritten gebliebenen - rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers vom erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, die Voraussetzung des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt, nicht als rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer bringt hinsichtlich der darauf gegründeten Gefährdungsprognose der belangten Behörde vor, dass das über ihn verhängte "Haftübel" einen positiven Wandel herbeigeführt habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde so viele Monate nach Erlassung des aufhebenden Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (vom ) erneut ein Rückkehrverbot erlassen habe.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraumes er sich - nach einer Haftentlassung - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0255, mwN). Die Zeit des Wohlverhaltens bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides von ca. einem Jahr und drei Monaten seit der Verurteilung und der Entlassung aus der Haft (bzw. von etwa einem Jahr und acht Monaten seit Beendigung des strafbaren Verhaltens) ist aber angesichts der über ein Jahr anhaltenden, erst durch die Festnahme beendeten Straffälligkeit des Beschwerdeführers zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr schließen zu müssen. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Auffassung vertrat, weder der Besuch von Kursen zur Persönlichkeitsstärkung noch der vom Beschwerdeführer behauptete Abbruch jeglicher Verbindungen zur "schlechten Szene" könnten daran in maßgeblicher Weise etwas ändern.

Der Beschwerdeführer macht darüber hinaus gesundheitliche und finanzielle Probleme als Ursache für seine Strafbarkeit geltend. Soweit er diesbezüglich auf ein im März 2007 beginnendes Wirbelsäulenleiden, auf Grund dessen er seine Tätigkeit als Zeitungszusteller habe beenden müssen, und auf den Verlust der Grundversorgung im September 2007 verweist, ist ihm allerdings entgegenzuhalten, dass sein strafbares Verhalten schon lange vor diesen Zeitpunkten, nämlich im Sommer 2006, begonnen hat.

Der Beschwerdeführer erachtet weiters eine Rückfallgefahr nicht als gegeben, weil er mittlerweile wieder als Zeitungszusteller arbeite und somit ein Einkommen erziele und weil er selbst nie drogenabhängig gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz allerdings bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0662, mwN). Davon durfte die belangte Behörde angesichts der Tatbegehung über einen langen Zeitraum, des Verkaufs einer großen Suchtgiftmenge an verschiedene Abnehmer und der festgestellten Gewinnerzielungsabsicht auch im vorliegenden Fall ausgehen (siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0138). Die Gefahr, der Beschwerdeführer werde erneut versuchen, sich durch strafbares Verhalten seinen Unterhalt aufzubessern, musste daher nicht als weggefallen angesehen werden. Daran vermag auch die vom Beschwerdeführer vorgebrachte fehlende eigene Drogenabhängigkeit nichts zu ändern, zumal dies der Annahme eines besonders gewinnorientierten Verhaltens nicht entgegensteht (siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0600). Angesichts dessen ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde die Auffassung vertrat, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde iSd § 62 Abs. 1 FPG die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden und anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (wie dem Schutz der Gesundheit Dritter) zuwiderlaufen.

Der Beschwerdeführer wendet sich auch gegen die nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung der belangten Behörde. Er verweist insbesondere darauf, dass er seit seiner Haftentlassung eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft führe. Bei der Familie, hinsichtlich derer er im Verwaltungsverfahren das Bestehen familienartiger Bande vorgebracht habe, handle es sich um die Familie seines Lebensgefährten, wobei er lediglich deshalb von (bloß) "familienartigen Banden" gesprochen habe, weil er seinen "nicht geouteten" Lebensgefährten nicht in Verlegenheit habe bringen wollen. Vor dem Hintergrund, dass Homosexualität in Nigeria strafrechtlich verboten sei, sei es verständlich, dass er keine Namen angegeben habe.

Das in der Beschwerde erstmals erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers zum Bestehen einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar (§ 41 Abs. 1 VwGG). Entgegen der Beschwerdeauffassung ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb dem Beschwerdeführer die Erstattung dieses Vorbringens im Verwaltungsverfahren verwehrt und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nun doch möglich gewesen sein soll. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde ihrer Interessenabwägung einen Eingriff (lediglich) in das Privatleben des Beschwerdeführers zugrunde legte.

Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die behördliche Auffassung, seine Integration werde dadurch gemindert, dass sein Asylantrag in erster Instanz abgewiesen worden sei. Dazu ist anzumerken, dass nach § 66 Abs. 2 Z 8 FPG (der auf Grund des § 62 Abs. 3 FPG auch bei Rückkehrverboten maßgeblich ist) bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK auch die Frage zu berücksichtigen ist, ob es in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten des unsicheren Aufenthaltsstatus (des Beschwerdeführers) bewusst waren. Die belangte Behörde bejahte dies in Anbetracht der erstinstanzlichen Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers bereits im November 2004 zu Recht und sah seine privaten Bindungen daher zutreffend als gemindert an (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0377).

Der Beschwerdeführer verweist schließlich noch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2008/22/0583, in dem ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot im Hinblick auf § 66 FPG als unzulässig angesehen worden sei. Dem ist allerdings zu entgegnen, dass die maßgeblichen Sachverhalte schon deshalb nicht vergleichbar sind, weil dem zitierten Erkenntnis eine Verurteilung wegen Ladendiebstählen (und nicht wegen Drogendelikten) zugrunde lag.

Die belangte Behörde hat den privaten Interessen des Beschwerdeführers zutreffend das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art (qualifizierter Suchtgifthandel u.a. mit Heroin) gegenübergestellt. Es ist nicht zu beanstanden, dass sie als Ergebnis ihrer Interessenabwägung die Erlassung des Rückkehrverbotes als zulässig iSd § 66 FPG erachtete.

Der Beschwerdeführer macht schließlich noch geltend, der Sachverhalt sei nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Entgegen seiner Auffassung war die belangte Behörde mangels ausreichenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren aber nicht verpflichtet, weitere Erhebungen betreffend sein Privatleben vorzunehmen, zumal ihm wiederholt Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Welche weiteren Feststellungen - über seine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft hinausgehend - die belangte Behörde noch hätte treffen müssen, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt, weshalb es dem behaupteten Verfahrensmangel an der Relevanz fehlt.

Der Beschwerdeführer wendet sich zwar gegen die Ermessensübung durch die belangte Behörde, er zeigt dabei aber keine Gründe auf, wonach diese nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am