VwGH 05.04.2016, Ra 2015/17/0063
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | EURallg; VwGVG 2014 §38; |
RS 1 | Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/17/0121, mwN, ausgeführt, dass das Landesverwaltungsgericht es von Amts wegen wahrzunehmen gehabt hätte, wenn eine in der österreichischen Rechtsordnung vorgesehene Regelung gegen das Unionsrecht verstoßen sollte und deswegen unangewendet zu bleiben hätte. Allerdings wäre um zu einer derartigen Beurteilung zu gelangen, zunächst die Frage zu beantworten gewesen, ob das Unionsrecht im Revisionsfall überhaupt anzuwenden ist, was auf Sachverhalte ohne Auslandsbezug nicht zutrifft (vgl dazu die Begründung des zitierten Erkenntnisses). |
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RS 2 | Das Landesverwaltungsgericht ist vom Vorliegen eines rein nationalen Sachverhalts ausgegangen, ohne auf das Vorbringen des Revisionswerbers einzugehen, wonach die "Aufstellerin" der Glücksspielgeräte eine ungarische Gesellschaft sei und der Revisionswerber als deren "Supporter" sich auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen könne. Um beurteilen zu können, ob ein rechtlich relevanter Auslandsbezug vorliegt, wären unter Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens Feststellungen zu diesem Vorbringen, also insbesondere dazu, welche Rolle der ungarischen Gesellschaft im Zusammenhang mit der Veranstaltung der verbotenen Ausspielungen zukam, zu treffen gewesen. Auf die Frage, ob die ungarische Gesellschaft in einem EU-Staat über eine Konzession zum Betrieb der Glücksspielgeräte verfügte, kommt es nicht an, weil der Glücksspielbereich im Rahmen der Europäischen Union nicht harmonisiert ist (vgl zB das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Dickinger und Ömer, Rs C-347/09, Rn 96, mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Revision des A U in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2015/29/0948-3, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom wurde der Revisionswerber der Übertretung des § 52 Abs 1 Z 5 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer bestimmt bezeichneten KG und damit als Unternehmer iSd § 2 Abs 2 GSpG in der Zeit von zumindest 5. August bis in Innsbruck die Veranstaltung von Ausspielungen mit zwei Glücksspielgeräten und die Auszahlung von Gewinnen durch Mitarbeiter in einem bestimmt bezeichneten Lokal geduldet und damit die verbotenen Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht habe, und über ihn eine Geldstrafe von insgesamt EUR 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 70 Stunden) verhängt.
Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde mit der Maßgabe, dass der Revisionswerber die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen als unbeschränkt haftender Gesellschafter der genannten KG und sohin als gemäß § 9 VStG nach außen vertretungsbefugtes Organ zu verantworten habe, ab, berichtigte die Strafnorm auf § 52 Abs 1 Z 1 GSpG iVm § 2 Abs 4 GSpG und erachtete die ordentliche Revision für unzulässig.
Zu dem bereits im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht vom Revisionswerber erstatteten, umfangreichen Vorbringen zur Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des GSpG führte das Landesverwaltungsgericht Tirol aus, bei der genannten KG handle es sich um eine österreichische juristische Person, der Revisionswerber sei Inländer und die Glücksspielgeräte seien im Inland zugänglich gemacht worden. Damit liege ein rein nationaler Sachverhalt vor, weshalb eine Verletzung der unionsrechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit mangels internationalen Bezugs nicht gegenständlich sei. Bei rein nationalen Sachverhalten sei der Verfassungsgerichtshof berufen, über eine allfällige Verfassungswidrigkeit des Glücksspielgesetzes abzusprechen, für das Landesverwaltungsgericht Tirol gebe es aber keinen greifbaren Anhaltspunkt, diesen anzurufen. Daran vermöge auch das Vorbringen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, nämlich dass die "Aufstellerin" der beiden Glücksspielgeräte eine ungarische Gesellschaft gewesen sei, der Revisionswerber sich sohin als "Supporter" der ungarischen Gesellschaft auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen könne, nichts zu ändern. Dies sei in keiner Weise belegt worden. Insbesondere sei nicht vorgebracht worden, dass die ungarische Gesellschaft über eine entsprechende Konzession für den Betrieb der Glücksspielgeräte in Ungarn oder einem anderen EU-Staat verfüge.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge eine mündliche Verhandlung anberaumen, die Angelegenheit in einem verstärkten Senat behandeln und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und/oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die vorliegende Revision erweist sich entgegen den Ausführungen des Landesverwaltungsgerichtes Tirol als zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, worauf im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens in der Revision zutreffend hingewiesen wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/17/0121, mwN, auf das gemäß § 43 Abs 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, bereits ausgeführt, dass das Landesverwaltungsgericht es von Amts wegen wahrzunehmen gehabt hätte, wenn eine in der österreichischen Rechtsordnung vorgesehene Regelung gegen das Unionsrecht verstoßen sollte und deswegen unangewendet zu bleiben hätte. Allerdings wäre um zu einer derartigen Beurteilung zu gelangen, zunächst die Frage zu beantworten gewesen, ob das Unionsrecht im Revisionsfall überhaupt anzuwenden ist, was auf Sachverhalte ohne Auslandsbezug nicht zutrifft (vgl dazu die Begründung des zitierten Erkenntnisses).
Das Landesverwaltungsgericht ist vom Vorliegen eines rein nationalen Sachverhalts ausgegangen, ohne auf das Vorbringen des Revisionswerbers einzugehen, wonach die "Aufstellerin" der Glücksspielgeräte eine ungarische Gesellschaft sei und der Revisionswerber als deren "Supporter" sich auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen könne. Um beurteilen zu können, ob ein rechtlich relevanter Auslandsbezug vorliegt, wären unter Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens Feststellungen zu diesem Vorbringen, also insbesondere dazu, welche Rolle der ungarischen Gesellschaft im Zusammenhang mit der Veranstaltung der verbotenen Ausspielungen zukam, zu treffen gewesen. Auf die Frage, ob die ungarische Gesellschaft in einem EU-Staat über eine Konzession zum Betrieb der Glücksspielgeräte verfügte, kommt es - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis - nicht an, weil der Glücksspielbereich im Rahmen der Europäischen Union nicht harmonisiert ist (vgl zB das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Dickinger und Ömer, Rs C-347/09, Rn 96, mwN).
Indem das Landesverwaltungsgericht Tirol die Rechtslage verkannt und hiezu keine Feststellungen getroffen hat, auf Grund derer hätte beurteilt werden können, ob das Unionsrecht im Revisionsfall anzuwenden ist, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Daher war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen einzugehen war.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden. Zur "angeregten" Verstärkung des Senats bestand keine Veranlassung.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013. Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7 Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015170063.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAE-67416