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VwGH vom 18.11.2015, Ra 2015/17/0026

VwGH vom 18.11.2015, Ra 2015/17/0026

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Revision der N R in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2014/21/3121-1, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde gegen ein Straferkenntnis wegen Übertretung des GSpG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom wurde die Revisionswerberin betreffend insgesamt 13 Glücksspielautomaten jeweils der Übertretung des § 52 Abs 1 Z 1 dritter Fall iVm § 2 Abs 4 Glücksspielgesetz (GSpG) für schuldig erkannt und über sie eine Geldstrafe von je EUR 3.000,-- sowie im Falle ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitstrafe von je 35 Stunden verhängt. Im Kopf des Straferkenntnisses wurde die Revisionswerberin persönlich als Empfängerin angegeben und das Straferkenntnis - an die Revisionswerberin adressiert - dieser durch Hinterlegung am zugestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die am gegen das Straferkenntnis eingebrachte Beschwerde gemäß § 31 VwGVG als unzulässig zurück und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

Es legte dieser Entscheidung zugrunde, dass das Beschwerdevorbringen, wonach das angefochtene Straferkenntnis von der belangten Behörde im Rahmen einer Akteneinsicht am ausgehändigt und sohin zugestellt worden sei und die Beschwerdeerhebung deshalb mit rechtzeitig sei, im Akt keine Deckung finde. Das Straferkenntnis sei der Revisionswerberin vielmehr am durch Hinterlegung rechtsgültig zugestellt worden. Die Revisionswerberin sei im Verfahren erster Instanz nicht rechtsfreundlich vertreten gewesen. Sie sei erst im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertreten. Das Straferkenntnis sei daher zu Recht an die Revisionswerberin persönlich adressiert und ihr bereits am durch Hinterlegung zugestellt worden. Eine Zustellung am sei daher nicht möglich. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe vielmehr am begonnen und am geendet. Die erst am per Telefax erhobene Beschwerde sei deshalb jedenfalls verspätet.

Gegen diesen Beschluss erhob die Revisionswerberin Beschwerde gemäß Art 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom , E 79/2015-4, ablehnte und die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 144 Abs 3 und 4 B-VG zur Entscheidung abtrat. In der Folge erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol legte die Akten vor. Die Landespolizeidirektion Tirol erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei einer Zurückweisung einer Beschwerde wegen Verspätung handelt es sich um einen verfahrensabschließenden Beschluss, der grundsätzlich mittels abgesonderter Revision bekämpft werden kann.

Nach Art 133 Abs 4 und 9 B-VG ist gegen einen solchen Beschluss des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs 3 leg cit) zu überprüfen.

Die vorliegende Revision erweist sich im Hinblick auf die dazu dargelegte Frage, ob der Revisionswerberin die Verspätung ihres Rechtsmittels vor Zurückweisung ihrer Beschwerde vorzuhalten gewesen wäre, als zulässig und berechtigt.

Die Revisionswerberin moniert als wesentlichen Verfahrensmangel die unterlassene Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde. Wäre ihr die Verspätung vorgehalten worden, hätte sie auf die Vollmachtsbekanntgabe ihres Rechtsvertreters vom und das Datum auf der Kopie des Straferkenntnisses hingewiesen. Der Rechtsvertreter der Revisionswerberin habe bereits am eine Rechtfertigung für die Revisionswerberin eingebracht und sich gleichzeitig auf eine erteilte Bevollmächtigung gemäß § 10 Abs 1 AVG berufen. Eine Zustellung des Straferkenntnisses wäre seither gemäß § 9 Abs 3 ZustG nur an ihn möglich gewesen. Im Rahmen der Akteneinsicht am sei die mit der am eingebrachten Rechtfertigung bekanntgegebene Bevollmächtigung der erstinstanzlichen Behörde angezeigt und die Empfangsbestätigung vorgelegt worden, woraufhin eine mit datierte Kopie des Straferkenntnisses ausgehändigt worden sei. Das Original des Straferkenntnisses habe der Rechtsvertreter der Revisionswerberin bis dato nicht erhalten.

Der Revision angeschlossen sind unter anderem eine Kopie der mit datierten Rechtfertigung sowie eine Kopie des mit datierten Straferkenntnisses. Im Verwaltungsakt sind überdies die mit datierte Rechtfertigung samt Hinweis auf die gemäß § 10 Abs 1 AVG an den rechtsfreundlichen Vertreter der Revisionswerberin erteilte Bevollmächtigung und ein diesbezüglicher Sendebericht vom samt erläuterndem Schreiben des Rechtsvertreters vom , sämtliches per Telefax am an die Landespolizeidirektion Tirol übermittelt, ersichtlich.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012, BGBl I Nr 51/2012, ist die Rechtsfrage, ob eine Berufung rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, aufgrund von Tatsachen zu entscheiden, welche die Behörde festzustellen hat. Dabei ist der Partei gemäß § 45 Abs 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ermittlungsergebnis Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Dem Rechtsmittelwerber ist selbst eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten (vgl ). Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl und vom , 2012/10/0229).

Diese Rechtsprechung gilt auch für die hier anzuwendende Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde handelt es sich um eine Rechtsfrage gemäß § 28 Abs 1 VwGVG, die, wenn Anhaltspunkte für die Verspätung vorliegen, von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl ). Das Verwaltungsgericht hat dazu nach amtswegigen Erhebungen Tatsachen festzustellen.

Gemäß § 38 VwGVG sind soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teils, und des Finanzstrafgesetzes - FinStrG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Gemäß § 24 VStG sind unter anderem die §§ 37 erster Satz sowie 45 Abs 3 AVG in Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden. Demnach ist den Parteien vom Verwaltungsgericht auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung bereits im Rahmen der amtswegigen Prüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde Gelegenheit zu geben, zu dabei hervorkommenden Tatsachen und Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen.

Insbesondere zu der Annahme, dass die Revisionswerberin im behördlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht rechtsfreundlich vertreten war und deshalb das Straferkenntnis zu Recht von der Landespolizeidirektion Tirol persönlich an die Revisionswerberin adressiert und am durch Hinterlegung zugestellt worden sei, hat es das Landesverwaltungsgericht Tirol unterlassen, der Revisionswerberin Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies stellt einen erheblichen Verfahrensmangel dar, zumal nicht auszuschließen ist, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol nach Hinweis auf die nach dem Vorbringen der Revisionswerberin der Verwaltungsstrafbehörde am per Telefax übermittelte Rechtfertigung samt Berufung gemäß § 10 Abs 1 AVG auf die dem rechtsfreundlichen Vertreter erteilte Vollmacht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

Die Revision erweist sich bereits insofern als berechtigt.

Sollte im fortzusetzenden Verfahren das Landesverwaltungsgericht Tirol zu dem Ergebnis kommen, dass bereits vor Erlassung des Straferkenntnisses der Rechtsvertreter der Revisionswerberin im Zusammenhang mit der Einbringung der Rechtfertigung mit am übermittelten Schriftsatz durch Berufung auf die erteilte Vollmacht gemäß § 10 Abs 1 letzter Satz AVG die Bevollmächtigung gegenüber der Strafbehörde bekannt gab, die auch die Zustellbevollmächtigung einschließt (vgl ), wird zu beachten sein, dass gemäß § 9 Abs 1 ZustG, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen können (Zustellungsvollmacht). Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist (§ 9 Abs 3 ZustG).

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Kenntnisnahme von einem Bescheid im Zuge einer Akteneinsicht durch einen Parteienvertreter bzw der Umstand, dass diesem tatsächlich eine Kopie eines Bescheides zukommt, der im Original nicht dem im Verfahren ausgewiesenen Vertreter der Partei sondern der Partei selbst zugestellt wurde, den in der unterlassenen Zustellung an den Parteienvertreter gelegenen Verfahrensmangel nicht heilen (vgl , vom , 98/11/0289, und vom , 99/02/0083). Sollte nach dem Vorbringen in der Revision dem Vertreter der Revisionswerberin tatsächlich erst im Zuge der Akteneinsicht am eine mit diesem Tag datierte Kopie des Bescheides zugekommen sein, ist somit im fortzusetzenden Verfahren zu beachten, dass dies einen allfälligen Zustellmangel gemäß § 9 Abs 3 ZustG nicht heilt. In diesem Fall ist vielmehr davon auszugehen, dass eine rechtsgültige Zustellung des Straferkenntnisses bisher nicht erfolgt ist. Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich das behördliche Verwaltungsstrafverfahren dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012). Die gegen das Straferkenntnis erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wäre diesbezüglich nicht als verspätet, sondern mangels rechtsgültiger Erlassung eines zugrundeliegenden Bescheides als unzulässig zurückzuweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II 518/2013 idF BGBl II 8/2014.

Wien, am