VwGH vom 12.09.2012, 2011/23/0537
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/244.059/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Asylantrag. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt diesen Antrag in erster Instanz ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig. Mit Erkenntnis vom wies der Asylgerichtshof die dagegen erhobene Berufung als unbegründet ab.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer "nach rechtskräftiger negativer Beendigung seines Asylverfahrens" unrechtmäßig in Österreich aufhalte und die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG somit erfüllt seien, wenn dieser nicht § 66 FPG entgegenstehe.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass auf Grund des sechseinhalbjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen sei. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten, zumal der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften ein besonders hoher Stellenwert zukomme und der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegen dieses hohe öffentliche Interesse gravierend verstoße. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer während des Asylverfahrens nur zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine chronischen Beschwerden als Folge einer im Jahr 2006 erfolgten Hüftoperation hielt die belangte Behörde entgegen, der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, dass es im Zielland zumindest grundsätzliche Behandlungsmöglichkeiten gebe. Zur Behauptung des Beschwerdeführers, seit ca. eineinhalb Jahren als Zeitungszusteller zu arbeiten, stellte die belangte Behörde fest, dass im Versicherungsdatenauszug kein sozialversicherungsrechtlich relevantes Arbeitsverhältnis aufscheine und somit von keiner nachhaltigen Integration in den heimischen Arbeitsmarkt ausgegangen werden könne. Da der (42-jährige) Beschwerdeführer den Großteil seines Lebens in Indien (bzw. zumindest nicht in Österreich) verbracht habe und da seine Eltern, seine Ehefrau und seine drei Kinder in Indien leben würden, sei zumindest von einer losen Bindung an seinen Heimatstaat auszugehen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, der in Österreich keine Sorgepflichten habe, über intensive soziale Bindungen zu verfügen, sei völlig unsubstantiiert geblieben.
In Anbetracht des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens seien die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet daher nicht höher zu bewerten als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Außer der strafgerichtlichen Unbescholtenheit würden keine sonstigen besonderen Umstände zugunsten des Beschwerdeführers sprechen, die die belangte Behörde dazu hätten veranlassen können, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2009 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr verfügt. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326, mwN).
Die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung und verweist dazu insbesondere auf den sechseinhalbjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, der über sechs Jahre lang rechtmäßig gewesen sei. In dieser Zeit habe sich der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller und auf Grund zahlreicher Freundschaften auch zu österreichischen Staatsbürgern beruflich und sozial integriert. Er habe Sprachkenntnisse erworben, sei selbsterhaltungsfähig und strafrechtlich unbescholten. Schließlich werden seine privaten Bindungen auch durch die intensive medizinische Behandlung in Österreich verstärkt.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat den langjährigen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers, seine medizinische Behandlung in Österreich und seine strafrechtliche Unbescholtenheit ihrer Interessenabwägung hinreichend zu Grunde gelegt. Dass sie das nicht weiter konkretisierte Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine "intensiven sozialen Bindungen" als zu unsubstantiiert angesehen hat, um daraus eine gewichtige soziale Integration abzuleiten, ist nicht zu beanstanden. Auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Tätigkeit als Zeitungszusteller sowie seine Sprachkenntnisse vermögen im vorliegenden Fall nicht zu einer maßgeblichen Verstärkung seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet zu führen. Dem Verweis des Beschwerdeführers auf seine Selbsterhaltungsfähigkeit ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass er in seinem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe an den Verwaltungsgerichtshof angegeben hat, als selbständig Erwerbstätiger ein jährliches Einkommen von (lediglich) ca. EUR 3.600,-- zu beziehen. Im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat die belangte Behörde zutreffend festgestellt, dass kein Anspruch darauf bestehe, bloß zum Zweck der medizinischen Behandlung im aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, und dass der Beschwerdeführer nicht bestritten habe, dass es in Indien grundsätzliche Behandlungsmöglichkeiten für ihn gebe.
Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, auf Grund seiner fast siebenjährigen Abwesenheit sei vom Fehlen (jeglicher) Bindungen zu seinem Heimatstaat auszugehen. Dem ist entgegenzuhalten, dass - worauf auch die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - der Beschwerdeführer Indien (erst) im Alter von 35 Jahren verlassen hat und dass seine Eltern, seine Ehefrau und seine drei Kinder noch dort leben. Auch legt der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb eine Wiederaufnahme der allenfalls verloren gegangenen Bindungen nicht zumutbar sein sollte.
Die belangte Behörde durfte vor allem auch berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer - jedenfalls nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages im Jänner 2003 - auf der Grundlage der nur vorläufigen (asylrechtlichen) Aufenthaltsberechtigung nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich verbleiben zu können, wodurch das Gewicht der danach erlangten Integration als gemindert anzusehen ist. Daran vermag auch die lange Dauer des asylrechtlichen Berufungsverfahrens nichts zu ändern (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0014).
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht gegenüber, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften - wie auch die belangte Behörde zu Recht ausgeführt hat - aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0319, mwN). Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich verbleiben.
Vor diesem Hintergrund hätte die belangte Behörde - entgegen der Beschwerdeansicht - aus den dargelegten Umständen nicht ableiten müssen, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig sei. Diese - nur das Privatleben und nicht das Familienleben betreffenden - Umstände stellen sich nämlich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung) von sechseinhalb Jahren insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und der weitere Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich akzeptiert werden müssen.
Soweit der Beschwerdeführer die fehlende Auseinandersetzung mit den von ihm vorgelegten medizinischen Befunden rügt, fehlt es an einer für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels erforderlichen Relevanzdarstellung, zumal er nicht vorbringt, dass die Annahme der belangten Behörde, es gebe grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten in Indien, unzutreffend sei. Gleiches gilt für das Beschwerdevorbringen, wonach es die belangte Behörde unterlassen habe, das tatsächliche Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers in Österreich festzustellen, zumal nicht konkret dargelegt wird, zu welchen Ergebnissen weitere Ermittlungen geführt hätten.
Die in der Beschwerde geltend gemachten Umstände hätten die belangte Behörde auch nicht dazu veranlassen müssen, das ihr eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers auszuüben.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
TAAAE-67370