VwGH vom 29.03.2006, 2004/08/0211
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. Wilfried L als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen von Cornelia W, vertreten durch Dr. W, Dr. Wilfried L, Rechtsanwälte in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , Zl. Vd-SV-1001-2-96/6/Ko, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Über das Vermögen von Cornelia W (in der Folge: Gemeinschuldnerin) wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom der Konkurs eröffnet und der Beschwerdeführer zum Masseverwalter bestellt.
Mit Bescheid vom hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Gemeinschuldnerin verpflichtet, EUR 178.424,07 samt Verzugszinsen zu bezahlen. Nach der Begründung habe die Gemeinschuldnerin den Betrieb der W. GmbH erworben. Die W. GmbH schulde der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an Sozialversicherungsbeiträgen für in den Monaten September bis Dezember 2002 beschäftigte Dienstnehmer den genannten Betrag. Die Gemeinschuldnerin hafte für die Bezahlung der Beiträge als Betriebsnachfolgerin gemäß § 67 Abs. 4 ASVG.
Den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.
Nach einer Darstellung des Verwaltungsverfahrens traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:
"Am wurde über das Vermögen der (W. GmbH) am Landesgericht Innsbruck ... das Konkursverfahren eröffnet. Am wurde die (W. GmbH) von Amts wegen gelöscht. Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer war (C. W.), der mit der (Gemeinschuldnerin) verheiratet ist. Die (W. GmbH) hatte eine Gewerbeberechtigung eingeschränkt auf die Durchführung von Innen- und Außenputzarbeiten sowie Wärmedämmung und hatte den Standort der Gewerbeberechtigung in (S.) bei (L.). Das ist auch die Wohnadresse der (Gemeinschuldnerin) und ihres Mannes. Gewerbeberechtigter Geschäftsführer war (R. W.), ... der auch gewerberechtlicher Geschäftsführer der (Gemeinschuldnerin) ist. Die (Gemeinschuldnerin) hat eine Gewerbeberechtigung eingeschränkt auf die Durchführung von Innen- und Außenputzarbeiten, Wärmedämmung, und Estrichverlegung. Die Gewerbeberechtigung wurde am ausgestellt und der Standort der Gewerbeberechtigung ist M.straße, L., wo der Sitz des Unternehmens der (Gemeinschuldnerin) ist.
Die (Gemeinschuldnerin) hat von der (W. GmbH) am gebrauchte Büromöbel im Wert von EUR 2.400,-- inklusive 20 % Mehrwertsteuer erworben. Weiters hat die (Gemeinschuldnerin) von der (W. GmbH) die Leasingverträge für vier Fahrzeuge, vier Fiat Ducato Pritschenwagen, übernommen. Die (Gemeinschuldnerin) hat bei der Firma (Wü.) Materialien im Wert von EUR 3.332,45 und bei der Firma (H.) Materialien in Wert von EUR 890,04 gekauft. Es wurde von der (Gemeinschuldnerin) eine Estrichmaschine über die (R. Leasing GmbH) geleast; Putzmaschinen wurden jeweils leihweise von der Firma (R.) zur Verfügung gestellt. Am hat die (Gemeinschuldnerin) einen Mietvertrag mit der (L. Gesellschaft mbH), M.straße, L. über einen Mietgegenstand an dieser Adresse abgeschlossen. Bis zum haben bei der (Gemeinschuldnerin) insgesamt 28 Personen gearbeitet, davon haben 22 bereits bei der (W. GmbH) gearbeitet. Fünf Dienstnehmer sind direkt von der (W. GmbH) zur (Gemeinschuldnerin) gewechselt. Elf Dienstgeber (gemeint wohl: Dienstnehmer) waren zwischen der Beschäftigung bei der (W. GmbH) und bei der Beschäftigung bei der (Gemeinschuldnerin) als arbeitslos beim Arbeitsmarktservice gemeldet. 6 Personen haben zwischen ihrer Beschäftigung bei der (W. GmbH) und ihrer Beschäftigung bei der (Gemeinschuldnerin) bei einem anderen Betrieb gearbeitet. Unter den Dienstnehmern war auch der Ehemann der (Gemeinschuldnerin) und ehemaliger Geschäftsführer und Gesellschafter der (W. GmbH). Er hat vom bis und vom bis für die (Gemeinschuldnerin) gearbeitet. Auch der gewerberechtliche Geschäftsführer (R. W.) hat sowohl für die (W. GmbH) als auch für die (Gemeinschuldnerin) gearbeitet."
Nach der Wiedergabe der von der belangten Behörde angewendeten Bestimmungen des § 67 Abs. 4, 6 und 7 ASVG sowie von einschlägiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, die Gemeinschuldnerin sei im Zeitpunkt der Aufnahme ihres Betriebes mit dem Geschäftsführer der W. GmbH verheiratet gewesen. Eine Identität zwischen dem Betrieb der W. GmbH und dem Betrieb der Gemeinschuldnerin liege vor. Mit dem Erwerb der gebrauchten Büromöbeln und der Übernahme der Leasingverträge für die Autos seien die wesentlichen Betriebsmittel der W. GmbH übernommen worden. Die weiteren zur Ausübung des Gewerbes der Gemeinschuldnerin notwendigen Gegenstände wie Estrichmaschine bzw. Putzmaschine seien entweder geleast oder fallweise ausgeliehen worden. Die Gewerbeberechtigung der W. GmbH habe die Estrichverlegung nicht umfasst, weshalb eine Estrichmaschine kein wesentlicher Betriebsbestandteil der W. GmbH gewesen sein könne. Da die Putzmaschinen von der Gemeinschuldnerin für jeden einzelnen Auftrag ausgeliehen würden, stellten auch sie keine wesentlichen Betriebsmittel dar. Vier Mitarbeiter der W. GmbH hätten unmittelbar nach Abmeldung ihres Dienstverhältnisses bei der Gemeinschuldnerin zu arbeiten begonnen. Ein Großteil der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin sei nach Beendigung der Tätigkeit bei der W. GmbH arbeitslos gemeldet gewesen und hätte dann bei der Gemeinschuldnerin zu arbeiten begonnen. Sechs Dienstnehmer der Gemeinschuldnerin hätten vorher nicht bei der W. GmbH gearbeitet. Die Anzahl der Arbeitnehmer sei "Jahreszeiten bedingt". Die Gemeinschuldnerin selbst sei bei der W. GmbH beschäftigt gewesen. Die direkte Übernahme von Arbeitnehmern von der W. GmbH lasse darauf schließen, dass nicht nur die materiellen Betriebsmittel der W. GmbH, sondern auch die Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Beschäftigten übernommen worden seien. Eine Betriebsverlegung innerhalb des gleichen Ortes spreche nicht gegen eine Betriebsnachfolge. Die Gewerbeberechtigung der Gemeinschuldnerin sei umfangreicher gewesen als jene der W. GmbH.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 4 ASVG haftet bei der Übereignung eines Betriebes der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches für die Zeit von höchstens zwölf Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.
Geht der Betrieb auf einen Angehörigen (etwa den Ehepartner) des Betriebsvorgängers über, so haftet nach § 67 Abs. 6 ASVG dieser Betriebsnachfolger ohne Rücksicht auf das dem Betriebsübergang zu Grunde liegende Rechtsgeschäft wie ein Erwerber gemäß Abs. 4, solange er nicht nachweist, dass er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnte. Als Angehörige gelten auch die Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans einer Kapitalgesellschaft (§ 67 Abs. 7 Z. 6 ASVG iVm § 32 KO).
Die belangte Behörde bezieht sich in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides zwar auch auf die zuletzt genannte Bestimmung, weil der Ehemann der Gemeinschuldnerin Geschäftsführer und Gesellschafter der W. GmbH gewesen ist, beschäftigt sich aber in der Folge - zutreffend, weil ein Vorbringen hinsichtlich einer Haftungsbeschränkung fehlt - ausschließlich mit der Frage, ob die Voraussetzungen des § 67 Abs. 4 ASVG vorliegen.
Zentraler Gesichtspunkt der Betriebsnachfolge im Sinne des § 67 Abs. 4 ASVG ist der Erwerb einer funktionsfähigen Einheit und daher derjeniger Betriebsmittel, durch die der Erwerber in die Lage versetzt wird, den Betrieb fortzuführen, wobei unerheblich ist, ob auch tatsächlich eine solche Fortführung erfolgt. Es ist auch nicht entscheidend, ob im Fall der Betriebsfortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleich bleiben (vgl. dazu aus der Rechtsprechung zu § 67 Abs. 4 ASVG grundlegend das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 82/08/0021, Slg. Nr. 11.241/A).
Zum Betriebserwerb ist es nicht erforderlich, dass alle zum Betrieb gehörigen Betriebsmittel erworben werden; es genügt vielmehr der Erwerb jener Betriebsmittel, die die (nach Betriebsart und Betriebsgegenstand) wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen. Welche Betriebsmittel in diesem Sinne wesentlich sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und hängt im Besonderen von Art und Gegenstand des Betriebes ab. Der Erwerb einzelner, nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes darstellenden Betriebsmittel von einem Dritten schließt die Betriebsnachfolge nicht aus. Es ist auch nicht entscheidend, ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird und ob im Falle der Fortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleich bleiben (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0047).
Als inhaltlich rechtswidrig erachtet die Beschwerdeführerin den angefochtenen Bescheid wegen der Ansicht der belangten Behörde, allein die Anschaffung der gebrauchten Büromöbel sowie die Übernahme der vier geleasten Fahrzeuge und die Beschäftigung von Dienstnehmern der W. GmbH genüge im vorliegenden Fall, um eine Betriebsübereignung im Sinne des § 67 Abs. 4 ASVG annehmen zu können. Tatsächlich erweist sich die Rechtsmeinung der belangten Behörde aus folgenden Gründen als unrichtig:
Zunächst hat es die belangte Behörde verabsäumt festzustellen, welchen Betrieb die W. GmbH tatsächlich geführt hat. Nur auf der Basis des Wissens um den Tätigkeitsbereich eines Betriebes kann nämlich beurteilt werden, ob im Erwerbszeitpunkt mit den erworbenen Betriebsmitteln die Fortführung dieses konkreten Betriebes möglich gewesen wäre. Die belangte Behörde ging - offenbar wie auch die Verfahrensparteien - davon aus, dass sich die Gewerbeberechtigung der W. GmbH (Durchführung von Innen- und Außenputzarbeiten sowie Wärmedämmung) mit dem tatsächlichen Betriebsgegenstand deckte. Sie nahm an, dass die Gemeinschuldnerin auf Grund des Erwerbes der Büromöbel, der Übernahme der Leasingverträge die Lastkraftwagen betreffend sowie die Beschäftigung von bei der W. GmbH angestellt gewesenen Mitarbeitern in die Lage versetzt worden sei, den Betrieb der W. GmbH fortzuführen. Allein auf Grund der angeführten Feststellungen ist eine solche Beurteilung aber nicht möglich.
Zwar sind Büromöbel und Pritschenwagen wohl auch für einen Betrieb des Bau(neben)gewerbes, der Innen- und Außenputzarbeiten sowie Wärmedämmung durchführt, von Bedeutung und können im Einzelfall sogar die alleinigen wesentlichen Grundlagen einer Baugesellschaft sein (für Baugeräte und Fahrzeuge als wesentliche Betriebsmittel vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 83/08/0123), sie bilden aber regelmäßig nicht ausschließlich die wesentlichen Grundlagen für einen solchen Betrieb. Mit ihnen können noch keine Putz- oder Dämmarbeiten durchgeführt werden. Die belangte Behörde hat es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, mit welchen weiteren betriebstypischen Mitteln die W. GmbH ihren Verpflichtungen nachgekommen ist.
Hinsichtlich der Putzmaschinen vertrat die belangte Behörde die Ansicht, sie seien keine wesentlichen Betriebsmittel, weil sie von der Gemeinschuldnerin für jeden einzelnen Auftrag ausgeliehen würden. Darauf kommt es aber nicht an:
Wenn schon die W. GmbH ihre Putzarbeiten mit gemieteten Putzmaschinen durchgeführt hätte (wozu allerdings Feststellungen fehlen), würde es an der Betriebsnachfolge nichts ändern, wenn auch die Gemeinschuldnerin Putzmaschinen zugemietet hätte (zum vergleichbaren Problem der Geschäftsraummiete bzw. der Fälle von Leasingverträgen über die Betriebsmittel vgl. die Erkenntnisse vom , Zl. 97/08/0601, und vom , Zl. 98/08/0104).
Auch das Material wurde nach den Feststellungen nicht von der W. GmbH erworben. Geht man davon aus, dass der Betriebsvorgänger (wozu wiederum Feststellungen fehlen), Material für jedes einzelne Werk gesondert angeschafft hätte, wäre es insofern nicht wesentliche Grundlage für die (Fort)Führung des Betriebes (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom ).
Dass für den Betrieb der W. GmbH das von der Gemeinschuldnerin übernommene Personal unentbehrlich gewesen wäre, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Arbeitskräfte zählen aber nur dann zu den wesentlichen Grundlagen eines Betriebes, wenn es sich um hochspezialisierte, für das Funktionieren des Unternehmens unentbehrliche Fachleute oder um Leitpersonal handelt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0248). Die auch bei der W. GmbH beschäftigt gewesenen Arbeiter sind daher keine wesentliche Betriebsgrundlage.
In Verkennung dieses Umstandes und trotz des Fehlens wesentlicher Tatsachengrundlagen zur Frage der für die Betriebs(fort)führung notwendigen Mittel hat die belangte Behörde eine Haftung der Gemeinschuldnerin gemäß § 67 Abs. 4 ASVG bejaht. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333. Das auf Ersatz der Barauslagen gerichtete Mehrbegehren war wegen der auch im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.
Wien, am